In Wien & am Nova Rock - Ville Valo: „Ich war ein widerlicher Bastard“ | krone.at

In Wien & am Nova Rock

Ville Valo: „Ich war ein widerlicher Bastard“

Wien
12.01.2023 06:01

Knapp sechs Jahre nach dem Ende der finnischen Goth-Rocker HIM erscheint mit „Neon Noir“ endlich das erste Soloalbum von Ville Valo unter dem Banner VV. Das Rezept ist in den Grundzügen dasselbe, wird aber mit mehr 80er-Touch und einer neuen Form von Selbstständigkeit erweitert. Wir trafen den 46-Jährigen in Berlin zum ausführlichen Gespräch über seine wilden Jahre, den Welterfolg von HIM und wie er sich nun mit den Meriten der Vergangenheit neu erfinden kann.

Als sich die finnischen Love-Metal-Pioniere HIM Ende 2017 ohne großen Groll, aber ausgelaugt von knapp zwei Dekaden im globalen Rampenlicht auflösten, war Frontmann und Frauenheld Ville Valo nicht ganz so klar, welches Loch er in die Musikwelt reißen würde. Mit ihren an Gothic-Chic angelehnten Shows, einer düster-sexy Bühnenperformance und zahllosen Ohrwürmern im Gepäck eroberten HIM die Herzen ihrer Fans - natürlich auch mit dem ikonischen Heartagram, das zu einem der populärsten Logos der Musikgeschichte werden sollte. „Wir haben aus den richtigen Beweggründen aufgehört“, erzählt uns der charismatische Valo in einem Berliner Hotel im „Krone“-Interview, „es gab kein Drama und keinen unnötigen Streit. Der Funke war einfach nicht mehr da und wir hatten nicht mehr den Biss, gemeinsam Musik zu schreiben. Ich wollte nie, dass sich das Musikmachen wie ein lästiger Gang ins Büro anfühlt.“

Wunden lecken war notwendig
Ein bisschen Zeit brauchte der heute 46-Jährige aber, um seine Wunden zu lecken. Nach einer so langen und erfolgreichen Reise lässt es sich nicht einfach so bei null anfangen. „Bei HIM war immer alles sehr nordisch und sehr kühl. Wir hatten keine großen Gitarrenwände, maximal ein paar Fuzz-Pedale. Und trotzdem spielten wir immer auf den großen Metalfestivals“, lacht Valo, der sich mit der Zuordnung von Musik grundsätzlich schwertut, „ich habe mich nach dem Ende der Band lange nackt gefühlt und musste erst wieder neue Freunde finden.“ Produzent Carl Rourke war genau der richtige, um Valo im dunklen Helsinki den nötigen Punch zur Motivation zu geben. „2019 schrieb ich die ersten Songs und im März 2020 veröffentlichte ich dann die EP ,Gothica Fennica Vol. 1‘. Genau eine Woche, nachdem die ganze Welt wegen Corona ihre Pforten schloss.“

Einen zweiten Teil der EP gibt es nicht, dafür das erste VV-Album „Neon Noir“. Aufgrund der Pandemie mit reichlich Verspätung, denn als die Kreativität bei Valo ins Laufen kam, war er nicht mehr aufzuhalten. „Gerade die Zeit während der Lockdowns hat mich auf meine Essenz, den Kern meines Wesens zurückgeworfen“, erinnert er sich, „plötzlich hatte ich den Raum herauszufinden, wer ich bin und welche Musik ich überhaupt machen möchte. Nur die Musik brachte mir Antworten, denn ohne sie wäre ich durchgedreht.“ Strenggenommen hätte Valo schon 2021, spätestens aber 2022 live spielen können. Die Pandemie und ausgebuchte Venues quer über den Globus verzögerten alles nach hinten. Dafür nahm sich der Finne noch mehr Zeit, um an den schlussendlich zwölf Songs für „Neon Noir“ zu feilen.

Lehrreiche Pandemie
„Ich habe immer nur einen Song nach dem anderen geschrieben. Also nicht Schlagzeug für zehn Songs und dann rüber zur Gitarre, sondern jedes Instrument, jedes Detail Song für Song zusammengestellt. In der Pandemie habe ich gelernt, wie ich aufnehme, Schlagzeug spiele und produziere.“ Das VV-Debütalbum war für Valo eine große Spielwiese und katapultierte ihn geistig zurück in die ganz frühen Tage seiner Kunst, als er noch völlig ungezwungen und ohne Erwartungen von außen frei experimentieren konnte. „Alles selbst in die Hand nehmen zu wollen, war wohl ein idiotischer Gedanke von mir“, lacht das Mastermind, „aber manchmal muss man im Leben Risiken eingehen und sich pushen. Ich habe mich bewusst auf meine Zehenspitzen gestellt und nach der Gefahr gesucht. Neue Verstärker und Klänge haben mir neue Türen geöffnet.“

HIM-Fans werden mit dem VV-Album „Neon Noir“ glücklich werden. Die Parallelen zur Hauptband sind auch ohne seine Stammbesetzung gegeben. Die klangliche Nähe zur eigenen Vergangenheit ist Valo vollkommen bewusst. „Es ist wohl meine musikalische Identität, die steht ziemlich fest. Die neuen Songs sind aber etwas purer und kompromissloser ausgefallen. Es gibt mehr Synthie-Klänge und 80er-Flair von Bands wie The Mission, The Cure oder den Chameleons.“ Ville Valo folgte dem Credo des legendären Type-O-Negative-Frontmanns Pete Steele: Man muss die Musik wichtig nehmen, nicht aber sich selbst. „Die Musik ist wie das Leben selbst, sie besteht aus den unterschiedlichsten Stimmungen. Sie kann gleichzeitig tiefgründig und oberflächlich, sowie dämlich und intellektuell sein. Du musst dir immer klarmachen, dass du nicht das Zentrum der Welt bist. Es ist ein großes Geschenk, wenn du Menschen hast, die deine Musik mögen. Selbst die Beatles waren in erster Linie Fans und dann erst Musiker.“

Wunsch eines Fiebertraums
Songs wie „Echocolate Your Love“, „Run Away From The Sun“ oder „The Foreverlost“ gehen musikalisch stark in die Richtung seiner alten Band, experimentellere Songs wie „Heartful Of Ghosts“ oder der mit 50er-Gitarren und einem kruden Outro veredelte Closer „Vertigo Eyes“ beweisen aber auch, dass Valo seinem Grundsound nach 30 Jahren Musikmachen noch immer neue Facetten entlocken kann. „Ich wusste, ich will ein an Twin Peaks angelehntes, Fiebertraum-ähnliches Ende haben, mit dem das Album komplettiert wird. Normalerweise müssen die Produzenten ja schon zur nächsten Band oder die Kids von der Schule abholen. Ich hatte aber wirklich alle Zeit der Welt, habe im Studio x Varianten probiert und auch bewusst kleine Fehler im Sound gelassen, weil sie authentisch sind. Momentan befinde ich mich irgendwo zwischen Black Sabbath und Depeche Mode. Das ist mein ,Happy Place‘.“

Valo hat sich Techniker, Grafikdesigner und PR-Menschen an Bord geholt, um „Neon Noir“ über sein eigenes Label zu veröffentlichen. Als Vorbild dienten trotzdem Künstler wie Prince oder Lenny Kravitz, deren Inspirationen meist aus einer klar definierten Quelle kamen. „Auch bei Nick Drake, Elliot Smith und Neil Young war das so. Man merkt einfach, wenn die Musik aus nur einer einzigen Person rauskommt.“ Für seine kommenden Liveauftritte hat er bereits eine Band zusammengestellt und wird neue Songs mit den großen HIM-Hits vermischen. „Es geht um die richtige Balance. Die Fans wollen die HIM-Songs hören. Was hätte ich davon, sie nicht zu spielen?“ Seine neuen Musiker seien mehr im Indie-, als im Metalsegment zu verorten. „Sie hören lieber Siouxsie And The Banshees, Radiohead oder die Smashing Pumpkins. Dafür musste ich ihnen Mötley-Crüe-Videos zeigen, damit sie sehen, wie man bei gewissen Songs cool auf der Gitarre slidet“, lacht er laut auf.

Richtige Beweggründe
Direkte Vergleiche zur Vergangenheit will Valo vermeiden, aber „man wird die HIM-Songs natürlich erkennen. Ich komme jetzt nicht mit einer Reggae-Version auf die Bühne“. An eine Reunion für große Festivalauftritte oder dergleichen glaubt Valo nicht. Wiewohl ihm bewusst ist, dass man in diesem Leben niemals nie sagen sollte. „Ich fand es schon früher immer sehr geschmacklos, wenn jemand nur mit Geld wedelte, um mich für etwas zu engagieren. Es aber auch absolut nicht verwerflich, nach finanziellen Gründen zu entscheiden, man sollte sich dafür aber nicht verbiegen. Das habe ich von Neil Young gelernt. Er hat immer sein Ding gemacht, seine Einstellung zum Leben ist imponierend. Man darf auch nie vergessen, dass Menschen aus unterschiedlichen Gründen Kunst machen. Mötley Crüe wollten die Frauen. Für mich klingt das idiotisch, aber sie haben aus dieser Einstellung heraus großartige Songs geschrieben.“

Überhaupt hat der gereifte Valo einen differenzierteren Zugang zur Musikwelt. „Von dort, wo ich herkomme, sind reiche Geschäftsleute und Businesstypen ein No-Go. Oft entstehen aus diesen Budges aber tolle Musikvideos oder andere Dinge, die für Menschen mit weniger Geld sinnvoll erscheinen. Ich bin nicht prinzipiell gegen den Kapitalismus, aber er sollte sinnvoll sein.“ Mit seiner eigenen Vergangenheit ist der Frauenschwarm heute im Reinen. „Meine Hilfe, um im Rampenlicht zu überleben, waren Alkohol und Zigaretten. Viele Kreative flüchten sich in Süchte, das waren meine. Ich war immer furchtbar nervös und unsicher, gleichzeitig war ich natürlich geschmeichelt von den Leuten, die mich und meine Musik mochten. Ich war zeitweise ein unglaublich widerlicher Bastard, habe aber meine Lehren daraus gezogen. Heute weiß ich viel besser, was in meiner Ego-Schiene möglich ist, ohne die Leute in meinem Umfeld zu verletzen.“

Live in Wien und am Nova Rock
„Neon Noir“ sollte unter dem Projektnamen VV der erste Teil für eine neue musikalische Karriere sein. Ohne Druck und Stress. „Es macht Spaß, aber es gibt noch viele offene Fragen. Wenn wir Keith Richards und Mick Jagger einmal ausklammern, dann sehe ich meine Karriere bis maximal 60 laufen. Und da muss schon alles zusammenpassen. Von der Gesundheit über die Kreativität bis hin zur richtigen Motivation. Ich gehe derzeit Schritt für Schritt und vertraue meinem Bauchgefühl.“ Am 5. März kommt Ville Valo als VV in die Wiener Arena, das Konzert ist bereits restlos ausverkauft. Ein Wiedersehen gibt es dann gleich im Juni beim Nova Rock Festival. Unter www.novarock.at gibt es noch Tickets und weitere Infos.

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