Bis zu 61 000 Aufrufe pro Video: Modelleisenbahner aus Bischofsheim ist ein Youtube-Star
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Bis zu 61 000 Aufrufe pro Video: Modelleisenbahner aus Bischofsheim ist ein Youtube-Star

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Auf eine Fahrt durch Allgäu und Schwarzwald: Modelleisenbahner Michael Schulz mit seiner Anlage. Hier entstehen die Videos, mit denen der Bischofsheimer auf Youtube im vergangenen Jahr 860 000 Aufrufe schaffte.
Auf eine Fahrt durch Allgäu und Schwarzwald: Modelleisenbahner Michael Schulz mit seiner Anlage. Hier entstehen die Videos, mit denen der Bischofsheimer auf Youtube im vergangenen Jahr 860 000 Aufrufe schaffte. © Patrick Scheiber

Maintal – Auf dem Dachboden von Michael Schulz in Bischofsheim ist die Welt noch in Ordnung. Runde um Runde dreht die V 140-Lok durch die Miniaturlandschaft aus grünen Wäldern und Wiesen, vorbei an Schafherden, urigen Gasthöfen und Bahnhofsgebäuden, an denen Menschen mit ihren Koffern warten. „Einen Moment“, sagt Schulz und drückt auf den Knopf. Kurz darauf läutet die Glocke des Kirchturms.

„Ich glaube, es ist die heile Welt, die mich schon immer fasziniert hat. Egal, was draußen los ist, hier ist alles schön“, sagt der 54-Jährige und strahlt.

Die meisten Modelleisenbahner betreiben ihr Hobby im stillen Kämmerlein. Nicht so Michael Schulz. Der Bischemer betreibt einen eigenen Youtube-Kanal – und hat es damit zum wohl bekanntesten Modelleisenbahner Deutschlands gebracht. Durchschnittlich 15 000-mal werden seine Videos angeklickt, sein Rekord-Clip bringt es auf stolze 61 000 Aufrufe. So idyllisch wie in seiner H0-Anlage geht es in Schulz’ Videos allerdings nicht zu. Er schimpft, flucht und macht sich lustig – vor allem über die Qualität der Modelleisenbahn-Produkte. Sein erklärter Lieblingsfeind: die Firma Märklin. „Von 25 Loks, die ich gekauft habe, sind bestimmt zehn in kürzester Zeit kaputtgegangen. Irgendwann musste der Ärger mal raus“, sagt Schulz.

Den Anfang macht ein Video über die Mallet-Lok von Märklin im Januar 2021. Nach einem Tag geht die 400 Euro teure Dampf-Lokomotive kaputt – und Schulz platzt der Kragen. Das Wut-Video postet er auf der größten Märklin-Fan-Seite auf Facebook – und wird übel angefeindet. Weil ihn der Administrator der Seite sperrt, lädt er das Video in seinem bis dato unbekannten Youtube-Kanal hoch. Und plötzlich gibt es jede Menge Zuspruch. „Auf einmal haben mir die Leute geschrieben, dass es ihnen genauso geht. Da war dann klar, dass ich ins Schwarze getroffen habe“, sagt Schulz.

Mit einer Prise Humor: Michael Schulz in einem seiner Videos.
Mit einer Prise Humor: Michael Schulz in einem seiner Videos. © Screenshot Youtube

Seitdem macht er seinem Frust regelmäßig Luft. Mal schimpft er über schlechte Bedienungsanleitungen, mal über fehlende Haftreifen. Der C-Gleis-Drehscheibe von Märklin widmet Schulz mehrere Videos. Drei Versuche startet der 54-Jährige, um die knapp 500 Euro teure ferngesteuerte Drehbühne mit Motor einzubauen. Ohne Erfolg. „Ich bin überzeugt, dass das Teil ohne Endkontrolle auf den Markt gekommen ist“, sagt Schulz. „In Modelleisenbahnkreisen ist das ein Skandal.“

Mittlerweile hat er sich eine Fleischmann-Drehscheibe zugelegt, das Märklin-Produkt gilt in Szenekreisen als Ladenhüter. „Ich habe mit meinen Videos den Verkauf zum Erliegen gebracht“, sagt Schulz und schmunzelt. Mittlerweile habe ihn die Firma Märklin durch die Blume gebeten, in seinen Videos nicht ganz so hart mit den Produkten ins Gericht zu gehen.

Schulz ist das egal, auch wenn er laut eigener Aussage täglich mit einem Anwaltsschreiben rechnet. „Märklin verkauft Schrott und ich nenne es Schrott.“ Jüngere Generationen für den Modelleisenbahnbau zu begeistern, sei in der heutigen Zeit schwer genug. „Wenn jetzt der Familienvater seinem Sohn eine Märklin-Bahn kauft und die funktioniert nicht. Der geht vielleicht noch ein-, zweimal zum Händler und reklamiert. Dann schmeißt er das Ding in die Ecke und kauft dem Kind eine Playstation“, so Schulz, der selbst Vater eines zehnjährigen Sohnes ist. Sicherlich sei die Modelleisenbahn ein Nischenprodukt. „Aber deshalb muss sie trotzdem funktionieren. Jeder sollte sofort mit ihr spielen können.“

Nicht alle Modelleisenbahner können Schulz’ Kritik nachvollziehen. Dazu gehören die Märklin-Fan-Boys, wie der Bischofsheimer die treuen Anhänger des Herstellers nennt. Oder die sogenannten Vitrinen-Rutscher, die ihre Loks nach dem Kauf direkt in den Schrank stellen. Diese Käufergruppe bekommt laut Schulz genauso wenig mit, dass eine Lokomotive defekt ist, wie der Teppich-Bahner, der seine Bahn auf dem Boden aufbaut. „Nur 10 bis 15 Prozent lassen die Bahn so wie ich täglich fahren, mit Steigungen und Temperaturschwankungen, weil die Landschaft meist im Keller oder auf dem Dachboden steht. Das ist die Gruppe, die merkt, dass das Produkt Schrott ist. Und scheinbar sind wir zu wenige“, sagt Schulz.

So scharf seine Kritik auch ist: Michael Schulz verpackt sie in seinen Videos mit ordentlich Humor, überspitzt und nimmt sich dabei selbst auf die Schippe. Mit eingeblendeten Kommentaren und Emojis macht er sich über sein Gewicht lustig und rülpst schon mal, nachdem er sich das obligatorische Radler geöffnet hat. „Ich nehme kein Blatt vor den Mund. Und ich nehme mich selbst nicht zu ernst. Das mögen die Leute scheinbar. “

Gebäude altert der 54-Jährige selbst, um sie realistischer aussehen zu lassen. Auch die Bäume sind selbstgebaut.
Gebäude altert der 54-Jährige selbst, um sie realistischer aussehen zu lassen. Auch die Bäume sind selbstgebaut. © Patrick Scheiber

In den Wintermonaten dreht Schulz ein Video pro Woche, im Sommer höchstens eins pro Monat. Dann ist der leidenschaftliche Wanderer lieber in echten Landschaften unterwegs, bevorzugt im Schwarzwald und dem Allgäu. Durchschnittlich 250 Euro verdient er in guten Monaten mit seinen Videos. Rechnen tue sich das nicht. Immerhin 20 Stunden Arbeit stecken in einem 35-Minuten-Clip. Hinzu kommen etwa 300 Kommentare pro Video, sowie Mails und Anrufe, die Schulz alle zu beantworten versucht. Selbst in Lappland habe er mittlerweile Fans. Gefragt, ob er der größte Star der Modelleisenbahn-Szene sei, überlegt Schulz eine Sekunde: „Der umstrittenste auf jeden Fall.“

Von Kristina Bräutigam

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