Opus "Musica Dolorosa", 1983, für Streichorchester des Komponisten Pēteris Vasks (1946)

„Musica Dolorosa“ komponierte er kurz nach „Botschaft“ (Vēstījums), dem Stück, dessen Titel zur Schlüsselintonation all seiner Werke werden sollte, sowie kurz vor dem Klaviertrio „Episodi e canto perpetuo“, dessen Titel „Episoden und ewiger Gesang“ das dramaturgische Muster aller folgenden Kompositionen enthält. Dank dieser Werke und der Rolle des Violinisten Gidon Kremer bei ihrer Popularisierung in den neunziger Jahren stieg Vasks in die Reihe internationaler zeitgenössischer Komponisten mit dem Esten Arvo Pärt (1935), dem Polen Henryk Górecki (1933–2010) und dem Georgier Gija Kantscheli (1935–2019) als herausragenden Akteuren auf. Er ist der einzige lettische Komponist, der einen Vertrag zur regelmäßigen Veröffentlichung seiner Werke mit dem weltbekannten deutschen Musikverlag Schott Music abgeschlossen hat.

Pēteris Vasks wuchs in einer baptistischen Familie auf und lernte Violine und Kontrabass an der Emīls Dārziņš-Musikschule in Riga. Aufgrund der repressiven sowjetischen Politik gegenüber Baptisten wurde er am lettischen Konservatorium nicht aufgenommen und studierte daher an der Litauischen Musikakademie in Vilnius. 1970 schloss er dort das Kontrabass-Studium bei Vytautas Sereika ab, bevor er von 1973 bis 1978 Komposition bei Valentīns Utkins an der Lettischen Musikakademie in Riga studieren konnte.

Rückblickend erzählt Vasks über seine Komposition „Musica Dolorosa“: „Ich bin ein Teil meiner Nation, für die es eine schwierige und tragische Zeit war, als es schien, dass selbst die größten Idealisten und Optimisten die Hoffnung auf das Überleben unseres Volkes verloren; darauf, ob wir all dies würden ertragen und durchstehen können. Das alles tat weh, und ich wollte, dass diejenigen, die zuhören, diesen Schmerz auch spüren. Dass ein solch offener Schmerzensgesang den Menschen anspricht, reinigt, und die Existenz und Möglichkeit einer anderen Dimension aufzeigt. Und dies ist letztendlich auch die Aufgabe der Musik.“

Das Schicksal dieses musikalischen Werks von Leid und Schmerz war ein sehr glückliches, denn es wurde weltweit häufig aufgezeichnet und noch häufiger gespielt, nachdem es 1984 vom Kammerorchester der Lettischen Philharmonie unter der Leitung von Tovy Lifschitz (1928–2015) uraufgeführt worden war.

Zu diesem Zeitpunkt existierten die Kompositionen, in denen Vasks‘ unverkennbarer musikalischer Wortschatz so konzentriert ist – „Sommergesänge“ (Vasaras dziedājumi), „Lauda“ oder die 1. Sinfonie „Stimmen“ (Balsis) – noch nicht, doch für ihre Entstehung spielt „Musica Dolorosa“ eine entscheidende Rolle. Hier treffen sich drei Linien, drei Tendenzen: das konstante, unvergängliche, ewige Fundament (Orgelpunkt, Ostinato, wenig wechselnde tonale Basis), die in der Tradition des Genres verwurzelten klagenden Intonationen (absteigende Glissandi) und das Streben nach oben, das so charakteristisch für Vasks‘ Musik ist; nach dem Himmel, der Freiheit und der Bestätigung einer bereits bekannten Antwort. Das Zusammenspiel dieser drei Elemente erreicht seine größte Dramatik im Mittelteil der Komposition – hier erreicht die dynamische und harmonische Spannung einen aleatorischen Höhepunkt; dessen Gegensatz, der Cello-Monolog, kann als ein weiterer, ruhiger Höhepunkt gesehen werden. Die Reprise bringt die Anfangsstimmung zurück – einen tiefen, ruhigen Schmerzensgesang. Und obwohl das Ende keinen Trost spendet – es ist nur eine offene, niemals heilende Wunde –, ist es Vasks‘ tief empfundene Überzeugung, dass alles in dieser Welt aus der Liebe kommt, selbst der Schmerz.

David Stasun