Wie das Spitzenkandidaten-Prinzip in der Versenkung verschwindet – Euractiv DE

Wie das Spitzenkandidaten-Prinzip in der Versenkung verschwindet

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Das Spitzenkandidaten-Prinzip, wonach die stärkste Partei nach den EU-Wahlen den Kommissionspräsidenten stellen würde, verschwindet langsam in der Versenkung. Selbst seine Befürworter werden immer leiser.

„Ich habe das Gefühl, dass das Konzept des Spitzenkandidaten leise stirbt, leise verblasst. Niemand spricht mehr darüber“, sagte der nationalkonservative tschechische Europaabgeordnete Jan Zahradil (ODS, EKR), der bei den Europawahlen 2019 als Spitzenkandidat der EKR antrat, gegenüber EURACTIV.

Selbst diejenigen, die sich in der Vergangenheit für den Spitzenkandidaten-Prozess eingesetzt haben, schweigen jetzt zu diesem Thema, fügte er hinzu. „Alle lassen sozusagen die Finger davon“, sagte er.

Nach der Spitzenkandidaten-Prozedur soll der Spitzenkandidat einer europäischen politischen Partei, der die EU-Wahlen gewinnt und die Mehrheit im Europäischen Parlament erhält, die Präsidentschaft der Europäischen Kommission übernehmen.

„Es scheint so, als ob alle ihre Hände davon lassen“. [Europäisches Parlament]

Doch während der ehemalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Rahmen der Spitzenkandidaten-Prozedur als „Spitzenkandidat“ der Europäischen Volkspartei (EVP) nominiert wurde, wurde seine Nachfolgerin, Ursula von der Leyen, von den EU-Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen ausgewählt.

Niemand scheint das Thema Spitzenkandidaten vor den Europawahlen 2024 wieder aufzugreifen, aber „das könnte sich im Herbst ändern“, wenn die Wahl näher rückt und die Kampagnen beginnen, sagte er. Sicher ist das allerdings noch nicht.

„Es scheint, dass alle die Finger davon lassen“, fügte er hinzu.

Warten auf Ursula von der Leyen

Diesmal haben nur die Grünen erklärt, dass sie vor den EU-Wahlen 2024 einen Spitzenkandidaten aufstellen werden. Die endgültige Entscheidung wird jedoch im Juni auf ihrem Kongress in Wien getroffen.

Die anderen politischen Parteien haben sich noch nicht geäußert.

EURACTIV wurde darüber informiert, dass ein Schlüsselelement dafür, ob das Verfahren angewandt wird, darin besteht, ob die derzeitige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich entscheidet, erneut für den Posten zu kandidieren.

Von der Leyen hat ihr Interesse allerdings noch nicht bekundet, ihr Antreten wird allerdings erwartet.

„Wenn sie sich für eine erneute Kandidatur entscheidet, wird sich in der EVP niemand dagegen stellen“, sagte eine nahestehende Quelle gegenüber EURACTIV.

Die EVP hat das Spitzenkandidatenverfahren in ihrer Satzung verankert und unterstützt daher im Prinzip einen solchen Prozess.

Sollte jedoch letztlich kein politischer Wille bestehen, dem Prozess zu folgen, erwägen einige in der EVP eine Änderung der Satzung, wofür jedoch ein Parteikongress erforderlich wäre.

Ein weiteres Schlüsselelement, so erfuhr EURACTIV, ist die Frage, was Deutschland auf Basis des politischen Gleichgewichts in Berlin entscheiden wird.

Gemäß der aktuellen Koalitionsvereinbarung haben die Grünen das Recht, den nächsten deutschen EU-Kommissar zu nominieren […], solange der Kommissionspräsident nicht aus Deutschland kommt“.

Derweil gilt das Verhältnis zwischen EVP-Chef Manfred Weber (CSU) und von der Leyen als schlecht, was in der CDU für Verärgerung sorgt. Dort fürchtet man, dass dies ihre zweite Amtszeit gefährden könne.

Ermittlungen gegen CDU-Abgeordneten schlagen in Brüssel Wellen

Deutsche Behörden haben laut Informationen von EURACTIV Verträge zwischen der Europäischen Volkspartei (EVP) und einem Unternehmen ins Visier genommen, das mutmaßlich mit Mario Voigt, dem ehemaligen digitalen Wahlkampfmanager der Partei, in Verbindung steht.

EKR wächst in großen Ländern

In seinem Interview mit EURACTIV teilte Zahradil auch seine positiven Erwartungen an die Zukunft der europäischen Konservativen mit. Denn die nationalkonservative Partei rechts der EVP ist im Vormarsch.

Laut dem tschechischen Europaabgeordneten, der auch als Präsident der paneuropäischen Allianz der Konservativen und Reformer in Europa (ACRE) fungierte, gehe es den Konservativen auf europäischer Ebene „gut.“

Zu den jüngsten Errungenschaften zählt er den Beitritt der Finnenpartei zur EKR – einer Partei, die bei den jüngsten Parlamentswahlen in Finnland den zweiten Platz belegte und sich wahrscheinlich an der Koalitionsregierung beteiligen wird.

„Wenn Sie sich die großen Länder ansehen – Frankreich, Italien, Spanien oder Polen – dann hat die EVP in keinem dieser Länder einen Premierminister, obwohl sie die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament hat“, sagte Zahradil.

Demnach würde die Macht der Nationalkonservativen in der wichtigsten EU-Institution, dem Europäischen Rat, stetig anwachsen.

„Wir, die EKR, haben Premierminister in Italien, Polen oder der Tschechischen Republik, und sind auch an den Regierungen anderer Mitgliedsstaaten beteiligt“.

Zahradil sagt zudem, dass er „Fan“ der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sei, die er als „Talent“ und somit als Zukunftshoffnung der Partei bezeichnete.

Unter Berufung auf jüngste nationale Umfragen sagte Zahradil auch voraus, dass die EKR die viertgrößte Fraktion im Europäischen Parlament werden könnte.

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