Schauspielerin Mersiha Husagic: „Wir leben ein Vagabundenleben“ - WELT
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Schauspielerin Mersiha Husagic

„Wir leben ein Vagabundenleben“

Von Nina Holley
Veröffentlicht am 07.01.2021Lesedauer: 5 Minuten
Mersiha Husagic hat sich in der Schauspielbranche durchgeboxt: „Es war ein steiniger Weg, an dem ich dran geblieben bin“
Mersiha Husagic hat sich in der Schauspielbranche durchgeboxt: „Es war ein steiniger Weg, an dem ich dran geblieben bin“Quelle: picture alliance/dpa

Mersiha Husagic schlüpft in viele TV-Rollen. Spielte eine Kriminalkommissarin in der Serie „SOKO München“ oder eine Architektin in einem Inga-Lindström-Film. Ihre eigene Geschichte führte sie aus dem Balkankrieg nach Hamburg.

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Handschellen und eine Waffe, das waren in den vergangenen zwei Jahren die Accessoires, die bei Schauspielerin Mersiha Husagic stets griffbereit saßen. Als Kriminalkommissarin Theresa Schwaiger ermittelte sie in der Serie „SOKO München“. „Das ist dann ein Teil von einem und gehört zum Alltag dazu“, sagt die Wahlhamburgerin.

Doch diese intensive Drehzeit ist nun vorbei, nach über 40 Jahren wurde die Serie eingestellt. Die bayerische Landeshauptstadt als Arbeitsort hat sie hinter sich gelassen, pendelt aktuell zwischen Köln, wo ihr Freund arbeitet, und Hamburg, wo ihre Eltern wohnen und sie studiert.

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1992 floh Mersiha Husagic mit ihrer Mutter nach Deutschland

In einer Rolle ohne Handschellen, aber mit viel Amore war die 31-Jährige am vergangenen Sonntag im ZDF zu sehen. Im Inga-Lindström-Film „Das Haus der 1000 Sterne“ spielte sie die Hauptrolle der Stine Olson, die vor Kurzem ihr Architekturstudium abgeschlossen hat. Natürlich ging es in dem 90-Minüter um die Liebe: Denn wie es der Zufall will, trifft Stine ihre Jugendliebe Jan und seinen Bruder Paul und hilft ihnen beim Abriss eines Hauses. Doch keiner der drei ahnt, dass dieses Haus für alle eine besondere Bedeutung bekommen wird.

Gedreht wurde im vergangenen Sommer überwiegend in Nyköping, eine Stunde südlich von Stockholm. Wer in Klischees denkt, könnte meinen, dass Mersiha Husagic aufgrund ihrer blonden Haare durchaus eine Schwedin sein könnte – doch aufgewachsen ist sie bis zu ihrem dritten Lebensjahr, weit ab vom Norden, in Bosnien. Wegen des Balkankrieges floh sie mit ihrer Mutter 1992 nach Deutschland. Ihr Vater hatte bereits zuvor das Land verlassen und hatte vorerst Zuflucht bei einer Tante auf Sylt gefunden. Eine bewegende Familiengeschichte, die Mersiha Husagic gefühlt schon tausend Mal erzählt hat. „Manchmal werde ich schon etwas müde, immer wieder davon zu berichten, andererseits ist es aber wichtig.“ Schließlich sei es ein wichtiges Kapitel.

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An alle Einzelheiten der Flucht kann sie sich natürlich nicht mehr erinnern, was geblieben ist, sind Eindrücke einer Dreijährigen, die mit einer Schokolade in der Hand auf der Rückbank eines Autos saß. „Gefahren ist ein Kollege meiner Mutter, der Serbe war. Er hat uns sehr geholfen“, sagt die zierliche junge Frau. Die Angst der Eltern habe sie schon im Vorfeld wahrgenommen, konnte den Krieg an sich aber noch nicht begreifen. „Ich habe verstanden, dass wir zu Papa gehen, daher hatte das Ganze etwas Positives. Ich wusste ja nicht, dass wir nicht wieder zurückkehren würden.“

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Das Gefühl, was sie noch heute dabei empfindet, sei schwer zu beschreiben. Vielleicht hat sie auch deshalb versucht, das Thema auf eine andere Art zu verarbeiten: Vor fünf Jahren drehte sie einen Dokumentarfilm, mit dem Fokus auf ihrer Mutter. Hurmeta Husagic erzählt darin, wie für sie die Flucht damals als junge Mutter ablief und wie sich die Gegenwart anfühlt.

Der Streifen war für ihre Tochter zugleich ein Türöffner für die Hochschule für bildende Künste: Dort macht Mersiha Husagic nun aktuell ihren Bachelor of Fine Arts im Bereich Film. Dass sie mal in die Filmbranche möchte, stand für die Hamburgerin schnell fest – für ihre Eltern sei das dagegen zunächst ein Schock gewesen. Daher gingen beide Seiten einen Deal ein: „Wenn ich mein Abitur mache, darf ich anschließend auch zur Schauspielschule.“ Gesagt, getan.

Auch wenn der Weg nicht einfach war, so konnte sie doch davon immer leben. Erste Erfahrungen vor der Kamera sammelte Mersiha Husagic schon zu Schulzeiten etwa in „Denk ich an Deutschland in der Nacht – Das Leben des Heinrich Heine“, in dem sie eine Liebschaft mit dem jungen Heinrich Heine hatte. Erste Liebesszenen kennt sie daher nicht erst seit Inga Lindström.

„Aber irgendwann komme ich zurück nach Hamburg“

Privat schlägt ihr Herz für Niklas Löffler, ebenfalls Schauspieler. Kennengelernt haben sich die beiden – das ist diesmal kein Plot, sondern das wahre Leben – während Dreharbeiten zu dem Schweizer Kinofilm „Mario“, in dem sie ein Paar gespielt haben. „Wir kannten uns vorher flüchtig. Für ihn war ich bis dahin das Mädchen auf dem weißen Fahrrad, weil Niklas mich so einmal bei Freunden gesehen hatte.“

Seit 2017 sind sie ein Paar, durch den gemeinsamen Beruf haben beide Verständnis für lange Drehtage und häufige Ortswechsel. Niklas folgte ihr nach München, jetzt ist Mersiha an der Reihe und unterstützt ihren Freund in Köln, wo er aktuell die ZDF-Arztserie „Bettys Diagnose“ dreht. „Wir leben ein Vagabundenleben“, sagt Mersiha Husagic und lacht. 2020 haben sie angefangen einen Camper umzubauen, damit wollten sie umherreisen. Doch dann kam Corona, die Pläne platzten. Auch der alljährlichen Besuch in Sarajevo mit ihren Eltern fiel aus. Vor ein paar Jahren hat die Familie dort eine Wohnung gekauft. „Bosnien ist auf jeden Fall meine Heimat und ein Teil von mir – genau wie Hamburg.“

Die Schauspielerin sieht sich und ihre Herkunftsgeschichte als großes Wurzelgeflecht mit etlichen Adern. „Da fließt viel rein und vermischt sich.“ In der Gesellschaft komme oft die Frage auf, wo man herkomme, sie habe dann immer ein „Mischmaschgefühl“, im positiven Sinn. Ihre Eltern sind seit vielen Jahren – mit Umwegen über ein Flüchtlingssschiff in Altona und einer Bleibe in Blankenese – in Wilhelmsburg in einer Doppelhaushälfte sesshaft geworden. Mersiha Husagic hingegen will noch die Welt erkunden, mal eine Zeit lang woanders zu leben, das fände sie schön. „Aber irgendwann komme ich dann wieder richtig zurück nach Hamburg.“

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: Welt am Sonntag