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„Wir sind damals rausgemobbt worden“

„Ich wollte immer ein Gesamtkunstwerk schaffen“, sagt der Musiker, Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Bernd Michael Lade – hier in seiner Wohnung im Osten von Berlin „Ich wollte immer ein Gesamtkunstwerk schaffen“, sagt der Musiker, Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Bernd Michael Lade – hier in seiner Wohnung im Osten von Berlin
„Ich wollte immer ein Gesamtkunstwerk schaffen“, sagt der Musiker, Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Bernd Michael Lade – hier in seiner Wohnung im Osten von Berlin
Quelle: Jan Philip Welchering
Mit Peter Sodann bildete Bernd Michael Lade das erste ostdeutsche „Tatort“-Ermittler-Duo. Jetzt will er sich neu erfinden. Ein Gespräch über sein Leben nach der Prime Time, das Christkind und seinen neuen Job als Schauspiellehrer.

Schon beim Betreten der geräumigen Wohnküche lassen sich einige seiner Leidenschaften erahnen. Der Parkettboden wird von zwölf quadratischen, hellgrünen Matten aus Reisstroh bedeckt. Auf den klassischen Tatamis übt Bernd Michael Lade die meditativen Techniken des Aikido. An der Wand hängt ein gerahmtes Foto von Morihei Ueshiba, dem Begründer dieser japanischen Kampfkunst, die als „Weg zur Harmonie der Kräfte“ übersetzt werden kann. Die Sportart betreibt Lade seit Jahren. Passend dazu trägt der 58-Jährige einen dunklen Judoanzug. Er sei gerade mit seinem einstündigen Training fertig, erzählt er zu Beginn unseres Gesprächs. Es gehöre zu seinen morgendlichen Ritualen wie das tägliche Aufstehen um fünf Uhr.

Im größten Zimmer seiner hellen Berliner Plattenbauwohnung stehen ein Klavier und eine Gitarre, Instrumente, die Lade in seiner Punkband spielt, deren Sänger er auch ist. Derweil lassen sich Indizien dafür, dass er ein ebenso passionierter wie populärer Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor ist, beim Rundblick nicht finden. „Ick kann doch nich jede Ecke vollstelln“, sagt er authentisch berlinernd, wie es nur Menschen können, die wie er im Ostteil Berlins aufgewachsen sind. Der langjährige „Tatort“-Kommissar ist gut drauf, nach alldem, was er durchleiden musste: Ehescheidung, Verlust beider Eltern und finanzieller Ruin. Für ihn beginne jetzt das dritte Leben, sagt er. Und dem sieht er erwartungsfroh entgegen, auch, weil sich für ihn ein Traum erfüllt.

WELT: Herr Lade, was machen Sie am 24. Dezember?

Bernd Michael Lade: Sie meinen an meinem Geburtstag?

WELT: Genau.

Lade: (überlegt lange) Weiß ich noch nicht. Eventuell kommen einige meiner Kinder, mal sehen. In meiner Primetime als Schauspieler gab es in meiner Wohnung immer eine große Fete, was eigentlich nicht meinem Naturell entsprach, da ich das nicht aus meiner Kindheit kannte. Bei uns zu Hause ging es an diesem Tag andächtig zu. Ruhe und Muße waren prägend. Wobei mein Geburtszeitpunkt offenbar wesensbestimmend war.

WELT: Inwiefern?

Lade: Um 17.46 Uhr kam ich zur Welt, also zur besten Bescherungszeit, und meine Mutter erzählte mir später, dass um sie herum eine unheimliche Stille herrschte, wie es sie eben nur Heiligabend gebe. Ich empfinde es als großen Segen, in solch einem Moment geboren zu sein. (Seine Augen werden feucht) Sorry, ich muss ein wenig heulen…. Und noch etwas fand ich echt cool.

WELT: Was war das?

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Lade: In jungen Jahren hatte ich außer superblauen Augen auch noch lange blonde Locken und viele, die mein Geburtsdatum kannten, meinten, ich sei das Christkind persönlich.

WELT: Fühlten Sie sich auch so?

Lade: Na klar. Das bin ich definitiv. (lacht)


WELT: Außerdem sind Sie noch Kampfsportler, Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur, Musiker und machten eine Lehre als Brunnenbauer. Wen verkörpern Sie am liebsten?

Lade: Ich war stets darauf aus, schöpferisch vielseitig durchs Leben zu gehen. Eingleisig unterwegs zu sein, empfand ich erbärmlich. Bis auf Brunnenbauer, den ich nur erlernt habe, um einen Beruf zu haben und nicht als asozial zu gelten, stehe ich für all die Berufungen, die Sie aufgezählt haben, mit ganzer Hingabe. Ich wollte immer ein Gesamtkunstwerk erschaffen. Und das komplettiere ich jetzt. Wobei Sie sicher staunen werden, wenn ich Ihnen sage, was ich noch keinem erzählt habe, womit ich am Montag in einer Woche beginnen werde.

WELT: Was ist das?

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Lade: Ich werde am Filmgymnasium in Babelsberg als Lehrer für Filmschauspieler unterrichten. Damit erfüllt sich mein größter Traum. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie unschätzbar wertvoll es ist, richtig gute Lehrmeister zu haben. Ich finde es beschämend und diskreditierend, wer sich heute alles als Schauspieler in Szene setzen darf. Es geht fast nur noch um Namedropping, ob einer einen Promistatus hat und Effekthascherei. Der künstlerische Verfall unserer Branche durch die zunehmende Zahl an Laien- und Amateurschauspielern ist erschütternd. Nicht umsonst heißt es Schauspielkunst, und das notwendige Können dafür lässt sich nur erlernen durch eine langfristige, intensive Ausbildung. Dass ich jetzt dazu beitragen darf, macht mich extrem glücklich.

WELT: Man sieht es Ihnen an. Sie hatten es seit dem Ausbruch von Corona auch nicht leicht. Vater und Mutter starben, Ihre, wie Sie sagten, Traumehe mit Berufskollegin Maria Simon ging in die Brüche. Warum eigentlich?

Lade: Frau Simon ist in einer anderen Welt unterwegs. Mehr möchte ich nicht sagen.

WELT: Zudem investierten Sie Ihr letztes Erspartes in Ihren deutsch-englischsprachigen Film „Der Zeuge“, in dem Sie Regie führten, das Drehbuch schrieben und die Hauptrolle spielten. Anschließend mussten Sie Hartz IV beantragen. Wie haben Sie sich dabei gefühlt? Immerhin spielten Sie in über 100 TV- und Kinofilmen mit und schrieben Fernsehgeschichte, als Sie mit Peter Sodann am 19. Januar 1992 im MDR als erstes ostdeutsches „Tatort“-Ermittlerduo auftraten – und das 15 Jahre lang.

Mit Claudia Stanislau in dem Film „Trutz“, 1990
Mit Claudia Stanislau in dem Film „Trutz“, 1990
Quelle: ullstein bild/Röhnert


Lade: Wie soll ich mich gefühlt haben? Wie der letzte A…. Als Schauspieler werde ich seit Jahren nicht mehr beschäftigt. Fragen Sie mich bitte nicht, warum. Vermutlich bin ich zu streitbar, zu kritisch, zu offenherzig, wobei es mir immer um Konstruktivität geht. Für die Wiederholungen, die im Fernsehen laufen – ich war in den letzten drei Jahren über 1000 Mal zu sehen – bekommen wir im Gegensatz zu dem, was die Leute auf der Straße denken, keine Millionen, sondern nur Peanuts. Es ist beschämend. Und die Gelder, die ich hatte, habe ich stets in neue Projekte gesteckt, die ich einfach aus tiefster Überzeugung machen musste, wie „Das Geständnis“ oder „Der Zeuge“. Es sind klare filmische Statements von mir. Ich kann da nicht aus meiner Haut. Ich bin nun mal ein Maniac. Je reizvoller die Herausforderung und je größer die Verantwortung, umso mehr Adrenalin setzt sich bei mir frei. Leider ist ein anderer Film über Kindersoldaten im Dritten Reich aus finanziellen Gründen noch nicht fertig.

WELT: Sie bezeichnen sich selbst als einen äußerst sensiblen Menschen, was taten Sie, um nicht an den fatalen Umständen zu zerbrechen?

Lade: Nichts, was Sie möglicherweise denken. Ich habe mich niemals mit irgendwelchen Rauschmitteln zugedröhnt. Mal ein Bier, ansonsten ist Alkohol genauso tabu wie Drogen. Geholfen hat mir vor allem Aikido. Eine tiefsinnigere Therapie für Körper und Seele gibt es einfach nicht. Ich habe oft meine Augen gewaschen, sprich geweint, das nahm auch so manche Last von den Schultern. Ich weine auch heute noch des Öfteren, aber jetzt weniger aus Kummer als vielmehr vor Freude. Wobei: Derzeit kann ich nachts nicht schlafen, wälze mich hin und her, weil ich permanent daran denken muss, was auf unseren Straßen wegen Israel abgeht. Dieser schreckliche Antisemitismus, dieses skandalöse Brüllen von „Scheiß Jude“ kann und darf nicht sein. Ich habe Angst. Dagegen muss gnadenlos durchgegriffen werden.


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WELT: Sie sprachen von Freude? Wer löst die bei Ihnen aus?

Lade: Vor allem meine Kinder, weil sie sich so großartig entwickeln. Nurid, meine älteste Tochter, sie lebt in der Schweiz, ist eine umwerfende Schauspielerin und auch Musikerin. Im Mai brachte sie mit „Kinky Days“ ihre erste Punkplatte raus. Einfach toll. Oder Jonathan, mein ältester Sohn, der auch ein richtig guter Schauspieler ist. Im TV-Film „Der Ranger“ spielten wir Vater und Sohn. Oder Amos, mein zweitältester Sohn, der in Jerusalem lebt. Er ist ein begnadeter Pianist, schreibt Sonaten. Leider haben wir keinen Kontakt. Irgendwann kommt er vielleicht, er weiß, wo ich wohne. Er war aber auch dabei, als ich mit all meinen vier genialen Söhnen wie die Orgelpfeifen bei „Star Wars: Episode I“ im Kino war. Es war das Erlebnis schlechthin. Ich habe mich gefühlt, sie können es sich nicht vorstellen. Und wissen Sie, was ich mir sehnlichst wünsche?

WELT: Na?

Lade: Dass unsere ganze Familie zusammen Musik macht, also meine Ex mit mir und meinen sechs Kindern – so wie die Kelly-Familie. Vielleicht schaffen wir es ja eines Tages trotz der Trennung. Man soll nie nie sagen. Solange ich atme, werde ich auf die gemeinsame Rückkehr in unser einstiges Paradies hoffen, in dem wir uns viele Jahre künstlerisch befruchtet und ausgelebt haben.

WELT: Das taten Sie mit Ihrer Ex-Frau nicht nur in Filmen, sondern auch in Ihrer Punkband Red Marut, die Sie nach einem Pseudonym des Schriftstellers B. Traven benannt haben. Wird die Combo weiter auftreten?

Lade: Womöglich vertragen wir uns ja wieder… Ich würde wahnsinnig gerne weiter mit ihr Musik machen und es richtig knallen lassen, so wie zuletzt beim Konzert in Plauen, wo wir zusammen mit Ton, Stein und Scherben gespielt haben. 16, 17 neue Songs hatte ich während Corona geschrieben, inhaltlich beschäftigen sie sich zumeist mit meiner Ex-Frau und unserer Beziehung, als alles noch so wunderschön harmonisch lief. Einige Lieder müsste ich neu schreiben. Aber warten wir es ab. Momentan steht ohnehin meine Lehrertätigkeit ganz oben auf meinem Lebensplan.

WELT: Das heißt, alles, was Schauspielerei betrifft, blenden Sie derzeit aus?

Lade: Nein, keinesfalls. Wenn ich wieder einen „Tatort“-Kommissar spielen könnte, würde ich nicht nein sagen. Auf der Straße werde ich häufig gefragt, wann ich wieder im „Tatort“ zu sehen sein werde. Wir sind damals rausgemobbt worden, weil Peter für die Linken kandidierte. Oder wenn es ein anderes interessantes Rollenangebot geben würde, bin ich dabei, sofern sich das zeitlich mit der Schule vereinbaren lässt. Und ich möchte unbedingt noch einige Filmideen umsetzen. Ein Stoff reizt mich dabei besonders. Ich habe dafür schon viel recherchiert, ohne jedoch den richtigen Zugang zu finden.


WELT: Wovon reden Sie?

Lade: Ich möchte und muss unbedingt einen Film machen über das abscheuliche, skrupellose, sogenannte Kentler-Experiment, bei dem der Sexualwissenschaftler Helmut Kentler beginnend Ende der 1960er-Jahre bis zum Beginn der 2000er-Jahre Straßen- und Findelkinder aus West-Berlin bewusst an pädophile Pflegeväter vermittelte. Er war der festen Überzeugung, dass sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen nicht schädlich sind. Gegen Kentler gab es nie ein Verfahren. Die Akten werden unter Verschluss gehalten. Das ist ein zweites Verbrechen an den missbrauchten Kindern. Ich bleibe da weiter dran, mir lässt dieses Unheil einfach keine Ruhe.

Bernd Michael Lade, Multitalent

Seine Künstlerkarriere beginnt mit 15 als Mitgründer der ersten DDR-Punkband „Antifaschistischer Schutzwall“. Geboren Heiligabend 1964 in Ostberlin macht der Musiker nach einer Lehre als Baufacharbeiter und dem Armeedienst seine Schauspielausbildung. Nach dem Mauerfall studiert er Regie. Im selben Jahr gelingt ihm als Dorfpolizist in der Satire „Karniggels“ der erste Achtungserfolg. Ein Jahr später gibt er als Kommissar Kain in „Ein Fall für Ehrlicher“ sein Tatort-Debüt. Bis 2007 spielt er in 45 Folgen mit. Auch im Theater und als Drehbuchautor macht er sich einen Namen. Mit „Der Zeuge” kam im Frühjahr sein fünfter Film als Regisseur ins Kino. Die 16-jährige Ehe mit Schauspielerin Maria Simon, 47, aus der drei Kinder hervorgingen, wurde 2021 geschieden. Er hat drei weitere Kinder aus früheren Beziehungen.

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