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Geschichte Aufstieg der NSDAP

So wurde Horst Wessel zum braunen Märtyrer

Der junge Berliner SA-Führer Horst Wessel wurde im Januar 1930 von Kommunisten niedergeschossen. Für den NS-Gauleiter der Reichshauptstadt, Joseph Goebbels, war der Überfall auf den charismatischen Rivalen ein Geschenk.
Leitender Redakteur Geschichte
Gruson an einer Horst-Wessel-Bueste Wessel, Horst Student und SA-Mann 9.10.1907(Bielefeld)-23.2.1930 (Berlin) - Der Bildhauer Paul Gruson (geb.1895) bei der Arbeit an einer Horst-Wessel- Bueste. - Foto. E: Gruson Working on Horst Wessel Bust Wessel, Horst Student and SA member 9.10.1907(Bielefeld)-23.2.1930 (Berlin) - The sculptor Paul Gruson (born 1895) working on a Horst Wessel bust. - Photo. | Gruson an einer Horst-Wessel-Bueste Wessel, Horst Student und SA-Mann 9.10.1907(Bielefeld)-23.2.1930 (Berlin) - Der Bildhauer Paul Gruson (geb.1895) bei der Arbeit an einer Horst-Wessel- Bueste. - Foto. E: Gruson Working on Horst Wessel Bust Wessel, Horst Student and SA member 9.10.1907(Bielefeld)-23.2.1930 (Berlin) - The sculptor Paul Gruson (born 1895) working on a Horst Wessel bust. - Photo. |
Der Bildhauer Paul Gruson bei der Arbeit an einer Horst-Wessel- Büste
Quelle: picture-alliance / akg-images
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Ein ganz normaler Abend. Nichts deutete am Dienstag, dem 14. Januar 1930, darauf hin, dass zumindest für die deutsche Geschichte Folgenreiches geschehen könnte. Die „Vossische Zeitung“ berichtete in ihrer Spätausgabe über den anhaltenden Streit in der großen Koalition – nichts wesentlich Neues also.

Doch gegen 22 Uhr geschah etwas, das tatsächlich Auswirkungen haben sollte. Eigentlich war es zwar nur ein Streit zwischen Mieterin und Untermieter, der eskalierte. Doch der NSDAP bescherte dieser Streit einen Märtyrer, dessen Mobilisierungspotenzial kaum überschätzt werden kann.

Albrecht 'Ali' HÖHLER *30.04.1898-20.09.1933+ (vermutlich) Mitglied Roter Frontkämpferbund (RFB) Mörder von Horst Wessels Dreierkombo, Polizeifotos, Portraits: Portrait im Halbprofil, Portrait, Portrait mit Schirmmütze des RFB - undatiertes Polizeifoto um 1929
Der Schütze: Albrecht ,Ali' Höhler (1898–1933)
Quelle: ullstein bild

„Am Dienstag, dem 14. Januar 1930, wurde auf den der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei angehörenden Studenten Horst Wessel in seiner Wohnung, Große Frankfurter Straße 62, gegen 22 Uhr abends ein planmäßig vorbereiteter Überfall von Angehörigen der Kommunistischen Partei verübt“, hieß es am folgenden Morgen in dem eiligst verbreiteten Fahndungsplakat der Berliner Polizei: „Der Haupttäter, der Wessel durch einen Pistolenschuss lebensgefährlich verletzte, ist der oben abgebildete arbeitslose Tischler Albrecht Höhler.“

Der gerade erst 22-jährige Horst Wessel verkörperte seit dem Herbst 1929 wie niemand sonst die NSDAP in Berlin. Just zu dieser Zeit war der Partei ein Sprung in der Wählergunst von 1,6 auf 5,8 Prozent gelungen. Der Sohn eines deutschnationalen Pfarrers führte seit dem Frühjahr im ausgesprochen proletarischen, prokommunistischen Bezirk Friedrichshain den SA-Sturm Nummer fünf.

SA-Sturmführer Horst Wessel (l) geht 1929 bei einem Propagandamarsch an der Spitze seines SA-Sturms an zahlreichen Zuschauern vorbei, die die Arme zum Hitler-Gruß erhoben haben. Horst Wessel wurde 1907 in Bielefeld geboren und war SA-Sturmführer. Von ihm stammt der Text des nach ihm benannten, in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen Horst-Wessel-Lieds ("Die Fahne hoch...), der offiziellen Parteihymne der NSDAP. Der am 23.02.1930 an den Folgen einer Schussverletzung verstorbene Wessel wurde von den Nazis zu einem Märtyrer stilisiert.. +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
SA-Sturmführer Horst Wessel (l.) bei einem Propagandamarsch an der Spitze seines SA-Sturms in Nürnberg
Quelle: picture-alliance/ dpa

Der junge Mann setzte sogar NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels unter Druck, der genervt in sein Tagebuch schrieb, Wessel bedauere „den Mangel an Aktivismus in der SA“. Hitlers Mann in der Reichshauptstadt bekannte: „Ich sitze in der Zwickmühle. Werden wir in Berlin aktivistisch, dann schlagen unsere Leute alles kurz und klein. Und dann wird Isidor uns lächelnd verbieten. Wir müssen vorerst Macht sammeln.“ Mit dem Schmähnamen „Isidor“, übrigens eine Erfindung der KPD, meinte Goebbels den Berliner Polizeivizepräsidenten Bernhard Weiß, der unnachgiebig den Rechtsstaat gegen beide politischen Extreme verteidigte.

Goebbels bekam Wessel einfach nicht in den Griff. Er sei ein „braver Junge, der mit einem fabelhaften Idealismus spricht“. Doch fürchtete der Gauleiter, der charismatische junge Mann könne ihm gefährlich werden. Nach Goebbels war er Ende 1929 der meistbeschäftigte Redner der Berliner NSDAP und beim Anwerben von Arbeitern für die Hitler-Bewegung erfolgreicher.

Lied Horst Wessel Lied, Marschlied der SA, Portrait | Verwendung weltweit
NS-Propagandablatt mit dem Horst-Wessel-Lied und einem märtyrerhaften Porträt
Quelle: picture alliance / arkivi

Wessel konnte zudem nicht nur gut reden, sondern auch einigermaßen dichten. Jedenfalls schrieb er auf die Melodie eines Gassenhauers ein SA-Lied. Die erste Strophe lautete: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen /SA marschiert, mit ruhig festem Schritt /Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen /marschieren im Geist in unseren Reihen mit.“ Erstmals gesungen wurde der Text wohl am 26. Mai 1929 von Männern seiner SA-Einheit in Frankfurt (Oder); das Berliner NSDAP-Blatt „Der Angriff“ druckte den Text am 23. September 1929 ab. Noch aber blieb Wessels Werk ohne größere Resonanz.

Das änderte sich durch den Abend des 14. Januar 1930. Wessel wohnte als Untermieter bei der Witwe Elisabeth Salm in der Großen Frankfurter Straße 62, mitten in Friedrichshain – und seit einigen Wochen zusammen mit seiner Freundin, einer ehemaligen Prostituierten. Doch Wessel zahlte den mit Witwe Salm vereinbarten Aufschlag auf die Miete nicht, breitete sich auf weitere Räume der Wohnung aus und drohte sogar seiner Vermieterin.

Horst Wessel, German Nazi activist, c1926-1930. Wessel (1907-1930) joined the Nazi party and the SA in 1926. He was shot by Albrecht Hoehler, a communist, on 14th January 1930, and died 6 weeks later. Posthumously he became a hero of the Nazi movement, remembered for the "Horst Wessel Song", a fighting song he wrote in 1929, and commemorated with a monument erected by the Nazis at Berlin's Nikolaikirche after they came to power in 1933. From "Deutsche Gedenkhalle: Das Neue Deutschland" compiled by General Von Eisenhart Rothe, 1939. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
„Ein braver Junge, der mit einem fabelhaften Idealismus": Goebbels über Wessel (Foto; 1907-1930)
Quelle: picture-alliance / /HIP

Am 14. Januar 1930 wehrte sich Elisabeth Salm: Ihr verstorbener Mann hatte zum kommunistischen Veteranenverband Rotfrontkämpferbund gehört; bei dessen früheren Kameraden beklagte sich die Witwe und nannte den Namen ihres Untermieters. Zu dieser Zeit kursierten Handzettel, die Wessel unter der Überschrift „Sturmführer – Arbeitermörder“ zeigten.

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Der lokale Chef des seit Mai 1929 verbotenen Rotfrontkämpferbundes schickte einen Trupp los, der dem renitenten Untermieter eine „proletarische Abreibung“ verpassen sollte. Die Männer klopften gegen zehn Uhr abends an Wessels Tür. Als der SA-Führer öffnete, schoss „Ali“ Höhler sofort. Die Kugel traf Wessel in den Mund; die Täter flüchteten. Der Verletzte wurde ins nächste Krankenhaus gebracht.

Umgehend kam der Berliner SA-Arzt Leonardo Conti ins Klinikum Friedrichshain, er überlieferte die Diagnose der Notaufnahme: „Schuss in den Mund gegen den Oberkiefer etwas nach links, Nebenader der linken Halsschlagader zerrissen. Wo Kugel steckt, noch unbekannt, anscheinend am Halswirbel und nicht im Gehirn, Zunge dreiviertel, Zäpfchen ganz fortgerissen, schlimme Verwüstung des Gaumens, obere Vorderzähne (ein oder zwei!) weg geschossen.“

The documents of Nazi activist Horst Wessel (1907 - 1930), including his membership papers of the Bismarckjugend, the youth movement of the DNVP (German National People's Party), and the Bund Wiking or Viking League, a paramilitary group, circa 1925. Wessel joined the Bismarckjugend in 1922 and the Viking League in 1923. (Photo by Henry Guttmann/Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Ausweise aus der Zeit vor Horst Wessels Beitritt zu NSDAP und SA
Quelle: Getty Images

Joseph Goebbels erkannte das Potenzial, das der Anschlag auf Wessel hatte. In sein Tagebuch notierte er, ganz Propagandist: „Nun müssen wir bald mit dem Aufräumen beginnen. So kann das nicht weitergehen! Der Endkampf rückt näher und näher!“ In seinem Hausblatt „Angriff“ forderte er, die Täter „zu Brei und Brühe“ zu schlagen – ein klarer Aufruf zu Gewalt und Selbstjustiz.

Doch noch war die Berliner NSDAP und erst recht die SA dafür viel zu klein. Das gedachte Goebbels zu ändern, indem er den Anschlag auf Wessel instrumentalisierte. Fast täglich besuchte er ihn in der Klinik. Scheinheilig notierte er, Wessel sehe aus „wie ein Gerippe. Ich habe große Sorge, ob wir ihn durchbekommen.“

Jedoch wollte Goebbels Wessel auf keinen Fall „durchbekommen“, denn als Märtyrer war er viel mehr wert. Außerdem konnte ein Toter seine eigenen Interessen nicht mehr stören. Öffentlich ließ er das Lied „Die Fahne hoch“ singen und lancierte in den meisten NS-Blättern große Berichte über das Heldentum des sterbenden SA-Führers.

Funeral procession for Horst Wessel in the Juedenstasse, Berlin, 1930, (1938). Wessel (1907-1930) joined the Nazi party and the Sturmabteilung (SA) in 1926. He was shot by Albrecht Hoehler, a communist, on 14th January 1930, and died 6 weeks later. Posthumously he became a hero of the Nazi movement, remembered for the Horst Wessel Song, a fighting song he wrote in 1929, and commemorated with a monument erected by the Nazis at Berlin's Nikolaikirche after they came to power in 1933. Some 30,000 people lined the streets of Berlin to watch his funeral procession. From Geschichte der SA (History of the SA) by Wilhelm Rehm, published by Franz Eher Nachf, 1938. (Stapleton Historical Collection / Heritage Images) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Die Trauerprozession für Horst Wessel – eine politische Demonstration
Quelle: picture alliance / Heritage Images

Als Wessel fünf Wochen nach dem Attentat seinen Verletzungen erlag, schrieb Goebbels unter dem Titel „Die Fahne hoch!“ einen selbst für seine Verhältnisse äußerst schwülstigen Leitartikel: „Ich sehe im Geiste Kolonnen marschieren, endlos, endlos. Ein gedemütigtes Volk steht auf und setzt sich in Bewegung. Das erwachende Deutschland fordert sein Recht: Freiheit und Brot!“

Längst war der Kampf um die Deutung ausgebrochen: Der Haupttäter und Schütze Albrecht „Ali“ Höhler war untergetaucht; er gehörte tatsächlich zum Rotlichtmilieu, das sich nordöstlich des Berliner Alexanderplatzes breitgemacht hatte. Wessel dagegen lebte zwar mit einer früheren Prostituierten zusammen, hatte sonst aber nichts mit dem horizontalen Gewerbe zu tun. Die KPD bemühte sich, den Anschlag als Streit auf dem Kiez zu marginalisieren.

Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Franz Ritter von Epp, Prinz August Wilhelm, Grab von Horst Wessel | Verwendung weltweit
Hitler und Goebbels 1933 an Wessels Grab auf dem Friedhof St. Nikolai in Berlin
Quelle: picture alliance / arkivi
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Höhler wurde bald festgenommen und im September 1930 wegen Totschlags (eine Mordabsicht konnte ihm nicht nachgewiesen werden) zu sechs Jahren verurteilt. 1933, nach der Machtübernahme der NSDAP, ermordete ein SA-Kommando (zu dem möglicherweise August Wilhelm von Preußen gehörte, der ranghöchste Vertreter der Hohenzollern-Familie in der NSDAP) den Häftling Höhler auf einem Transport.

Der Mord an Horst Wessel brachte viele damalige Nazi-Sympathisanten aus „Solidarität“ zum Eintritt in die Hitler-Partei. Mit „Die Fahne hoch!“ hatte die NSDAP nun eine offizielle Hymne, mit dem Toten einen alles überragenden Märtyrer. Für den weiteren Aufstieg der Bewegung war die Bedeutung des Verbrechens am 14. Januar 1930 abends gegen zehn Uhr enorm.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2020 veröffentlicht.

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