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CARL MAYER – EXPRESSIONISMUS UND KAMMERSPIEL

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Drehbuchautor Carl Mayer ist zweifelsohne eine wichtige Figur in der Filmgeschichte. Von Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari bis zu Friedrich Wilhelm Murnaus Sonnenaufgang hat der Autor mit seinem außergewöhnlichen Talent und seiner Experimentierfreudigkeit weltweit Standards gesetzt.

Mit neuen Filmsprachen experimentieren

Der Carl-Mayer-Drehbuchpreis, der 1990 vom Regisseur Bernhard Frankfurter ins Leben gerufen wurde und jährlich auf der Diagonale verliehen wird, prämiert die besten Treatments für entstehende Spielfilme. Es ist daher kein Zufall, dass dieser Preis nach Carl Mayer, dem berühmten Grazer Drehbuchautor und einem der bedeutendsten Autoren des Weimarer Kinos, der im Laufe seiner produktiven – aber leider allzu kurzen – Karriere wahre Meisterwerke der Weltfilmgeschichte geschaffen hat, benannt wurde. Doch wer war Carl Mayer eigentlich?

Mayer, der am 20. November 1894 in Graz geboren wurde, musste sein Studium früh unterbrechen, da er im Alter von sechzehn Jahren Vollwaise wurde (sein Vater beging aufgrund von Spielschulden Selbstmord) und arbeiten gehen musste, um seine Familie zu unterstützen. So begann er eine Reihe von Gelegenheitsjobs, indem er als Straßenverkäufer, Sänger und sogar als Theaterschauspieler arbeitete. Und im Theater – genauer gesagt im Residenztheater in Berlin – fand die wohl wichtigste Begegnung seines Lebens statt. Dort lernte der junge Mann 1919 den tschechischen Dichter Hans Janowitz kennen, mit dem er im folgenden Jahr das Drehbuch für das erste große expressionistische Meisterwerk der Filmgeschichte schrieb: Das Cabinet des Dr. Caligari, das zunächst von Fritz Lang inszeniert werden sollte und nach dessen Verhinderung von Robert Wiene gedreht wurde.

Dank eines fulminanten Erfolgs wurde Carl Mayer schnell zu einem der gefragtesten Drehbuchautoren in Deutschland. In den folgenden Jahren arbeitete er mit einem anderen großen Meister der Filmgeschichte zusammen: Friedrich Wilhelm Murnau. Zwischen den beiden entstand sofort eine fruchtbare künstlerische Partnerschaft, die 1920 mit Der Bucklige und die Tänzerin begann und aus der auch Spielfilme wie Schloß Vogelöd (1921), Der letzte Mann (1924) und nicht zuletzt der in den USA gedrehte, wunderschöne Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen (1927), der als einer der wichtigsten Filme des deutschen Regisseurs gilt, geboren werden sollten.

Bald jedoch begann Mayer, sich von der expressionistischen Strömung abzuwenden und den Stil des Kammerspiels zu bevorzugen, der zuvor vom österreichischen Theaterregisseur Max Reinhardt (1873 – 1943) initiiert worden war. Das bedeutete introspektivere Drehbücher, die sich auf die Psyche und die Gefühle der Figuren konzentrierten und hauptsächlich in Innenräumen spielten. Die repräsentativsten Filme dieses Genres sind Vanina (Arthur von Gerlach, 1922), Fräulein Else (Regie: Paul Czinner, 1929, nach dem gleichnamigen Roman von Arthur Schnitzler) und die Filme, die in Zusammenarbeit mit dem in Rumänien geborenen Regisseur und Schauspieler Lupu Pick entstanden, darunter Scherben (1921) und Sylvester (1924).

Da Carl Mayer jüdischer Abstammung war, musste er aufgrund des aufkommenden Nationalsozialismus 1932 zunächst nach Frankreich und dann ab 1935 nach England ziehen, wo er bis zu seinem Tod am 1. Juli 1944 blieb. In dieser Zeit endete leider auch seine Karriere als Drehbuchautor: Mit dem Aufkommen des Tonfilms hatten sich auch die Produktionsbedürfnisse geändert, und seine für die damalige Zeit so innovativen Drehbücher waren nicht mehr gefragt. Er beschränkte sich darauf, als Drehbuchberater für verschiedene britische Produktionsfirmen zu arbeiten. Seine glorreichen Jahre waren leider vorbei.

Dennoch hat die Figur des Carl Mayer zweifellos eine wesentliche Rolle in der Filmgeschichte gespielt. Was ihn auszeichnete, war nicht nur seine außergewöhnliche Fähigkeit, Expressionismus und Kammerspiel zu verbinden und existenzielle Dramen kleinbürgerlicher Charaktere zu inszenieren. Es war auch nicht nur sein „Ausflug“ ins Avantgardekino, der 1927 nach seiner Mitarbeit am Drehbuch für den Dokumentarfilm Berlin – Die Sinfonie der Großstadt von Walter Ruttmann stattfand. Was Carl Mayer außerdem auszeichnete, war sein sehr persönlicher Schreibstil, mit dem er jede klassische, rein grafische Herangehensweise völlig veränderte und durch die häufige Verwendung von Ausrufen den Drehbüchern selbst einen besonderen Rhythmus verlieh. Ein so ausgeprägter Stil konnte keinesfalls gleichgültig lassen. Und tatsächlich organisierte der Regisseur Lupu Pick 1920 zum ersten Mal eine öffentliche Lesung des Drehbuchs von Der Dummkopf. Vier Jahre später beschloss der Verleger Gustav Kiepenheuer, das Drehbuch von Sylvester in Buchform herauszugeben, das erste deutschsprachige Drehbuch, das veröffentlicht wurde.

Carl Mayer ist also zweifellos eine wichtige Figur in der Weltfilmgeschichte. Eine Figur, die zahlreiche andere Autoren und Filmemacher inspiriert hat und auch in den kommenden Jahren inspirieren wird. Eine weitere der vielen österreichischen Exzellenzen, deren außergewöhnliches Talent und Experimentierfreudigkeit weltweit Schule gemacht haben.

Info: Die Seite von Carl Mayer auf iMDb