Rücktritt aus Protest gegen Bidens Nahost-Politik: Jetzt spricht ein Ex-Mitarbeiter im US-Außenministerium

„Die US-Nahostpolitik ist gescheitert“: Josh Paul über seinen Rücktritt aus der Biden-Regierung

Josh Paul war für Waffenlieferungen im amerikanischen Außenministerium zuständig. Aus Protest gegen Bidens Nahostpolitik ist er zurückgetreten. Ein Interview.

Josh Paul war bis zum 17. Oktober als hochrangiger Beamter im Außenministerium der USA tätig.
Josh Paul war bis zum 17. Oktober als hochrangiger Beamter im Außenministerium der USA tätig.Stefani Reynolds/AFP

Die Lage im Nahen Osten droht vollständig zu eskalieren. Auf den Angriff der Hamas am 7. Oktober reagiert Israel bis heute mit Bombardements auf den Gazastreifen. Pro-iranische Kräfte im Jemen, Irak und Libanon attackieren amerikanische und israelische Stellungen sowie Schiffe im Roten Meer. In den USA wächst mittlerweile die Kritik an der amerikanischen Außenpolitik. Josh Paul war elf Jahre lang im Außenministerium für Waffenlieferungen zuständig. Am 17. Oktober legte er aus Protest gegen die „einseitigen Unterstützung“ der israelischen Regierung sein Amt nieder. Die Berliner Zeitung sprach mit Josh Paul über die Gründe seines Rücktritts.


Mister Paul, Sie waren einer der hochrangigsten Beamten in der Regierung von Präsident Joe Biden und sind wegen der Nahostpolitik vom Amt zurückgetreten. Was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?

Ich bin aus drei Gründen zurückgetreten: Erstens, weil ich nicht glaube, dass von den USA gelieferte Waffen zur Tötung von Zivilisten eingesetzt werden sollten. Schon zu dem Zeitpunkt, als ich zurücktrat, war klar, dass bei den israelischen Operationen in Gaza Tausende von Zivilisten getötet wurden. Ich glaube nicht, dass dies ein kontroverser Standpunkt ist: Niemand tritt in eine Regierung ein, um sich an der Massentötung von Zivilisten zu beteiligen.

Zweitens, weil die amerikanische Politik gescheitert ist, Israelis und Palästinensern Frieden und Sicherheit durch Waffenlieferungen zu bringen. Und drittens, weil es kein Interesse an einer Diskussion darüber gab, ob Waffentransfers an Israel der richtige Schritt seien. Es gab lediglich die Anweisung, Israel im Zusammenhang mit der Gaza-Operation so schnell wie möglich tödliche Waffen zu liefern. Der einzige Raum für eine solche Diskussion war in der Öffentlichkeit, und um sie dort zu führen, musste ich zurücktreten.

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Stefani Reynolds/AFP
ZUR PERSON
Josh Paul arbeitete seit 2012 in hoher Funktion für das Außenministerium der USA, zuletzt als Direktor des Bureau of Political-Military Affairs, das für die Koordinierung von Waffenlieferungen an Verbündete der USA zuständig ist. In einem offenen Brief vom 17. Oktober begründete er seinen Rücktritt und kritisierte, dass die Reaktion Israels auf den Angriff der Hamas vom 7. Oktober und die amerikanische Unterstützung „nur zu mehr und tieferem Leid sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung führen wird und nicht im langfristigen amerikanischen Interesse liegt.“

Sie sind nicht aus pazifistischen Motiven zurückgetreten, schließlich waren Sie jahrelang für die Koordinierung von Waffenlieferungen zuständig. Ist die Eskalation im Nahen Osten nicht erst die Folge davon, dass die Region mit Waffen vollgepumpt wurde?

Ich glaube, dass die Bereitstellung von Waffen – und die Militarisierung der Region – sicherlich eine Rolle spielt. Aber ich glaube auch, dass Sicherheitshilfe und Waffentransfers eine wichtige Rolle bei der Abschreckung spielen können. Zum Beispiel können Waffenlieferungen sicherstellen, dass Europa russische Aggressionen abschrecken kann. Waffentransfers können auch dazu beitragen, dass Aggressionen abgewehrt werden, wenn die Abschreckung versagt, wie wir es zum Beispiel in der Ukraine gesehen haben. Ich begrüße die massiven Beiträge Deutschlands zur Verteidigung der Ukraine. Die Gründe für meinen Rücktritt liegen nicht in einer grundsätzlichen Ablehnung von Waffentransfers und Sicherheitshilfe, sondern in der Art und Weise, wie diese Waffen in diesem speziellen Kontext eingesetzt werden.

Josh Paul: Israel hat eine „kollektive Bestrafung“ im Gazastreifen vorgenommen

War der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober nicht Grund genug für Israel, eine Kampagne gegen den Gazastreifen zu starten?

Gegen die Hamas? Ja. Gegen den Gazastreifen? Nein. Und genau das ist das Problem hier: Israels Reaktion auf den 7. Oktober richtete sich gegen die 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen. Nicht nur die Militärangehörigen der Hamas, sondern die gesamte Bevölkerung wurde gefährdet. Israel hat eine kollektive Bestrafung vorgenommen, Wasser und Strom abgestellt und 2000-Pfund-Bomben in Gebieten eingesetzt, in denen sich Hunderte von Zivilisten aufhalten.

Die Zustände in den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern des Gazastreifens sind Berichten zufolge katastrophal.
Die Zustände in den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern des Gazastreifens sind Berichten zufolge katastrophal.Mohammed Dahman/AP

Präsident Joe Biden gerät in den USA wegen seiner Unterstützung für Israel zunehmend unter Druck. Neben Ihnen ist mit Tariq Habash ein weiteres Mitglied der Regierung zurückgetreten. Mitglieder von Bidens Wahlkampfteam haben den Präsidenten zu einem Kurswechsel aufgefordert. Wird er seine Linie durchsetzen können?

Ich denke, dass der Rücktritt von Tariq Habash wichtig ist, denn im Gegensatz zu mir, einem Beamten, ist er ein politischer Angestellter von Präsident Biden und hat für ihn bei den Wahlen 2020 Wahlkampf gemacht. Es ist auch deshalb von Bedeutung, weil er am selben Tag erfolgte, an dem Mitglieder von Präsident Bidens aktueller Wiederwahlkampagne einen öffentlichen Brief an ihn schrieben, in dem sie ihn warnten, dass die Mitarbeiter „in Scharen kündigen“ und dass er die Wahl verlieren wird, wenn er seine Haltung nicht deutlich ändert. Diese Schritte sind für Präsident Biden vielleicht näher an der Realität als mein eigener Rücktritt. Aber ich denke, es ist nach wie vor sehr schwierig, sich kurzfristig eine wirkliche Änderung der amerikanischen Politik vorzustellen. Dies wird eine langfristige Anstrengung sein.

Sie sind ein Experte für den Nahen Osten und kennen die regionalen Akteure. Glauben Sie, dass es zu einem heißen Krieg zwischen den pro-iranischen Kräften und Israel und den Vereinigten Staaten kommen wird?

Ich hoffe nicht, und ich glaube, dass die Vereinigten Staaten alles tun, um einen solchen Fall zu vermeiden. Zu Beginn des Konflikts haben sie zwei Flugzeugträger-Kampfgruppen ins Mittelmeer geschickt, um jede Art von Angriff der Hisbollah zu verhindern.

Was die iranische Seite betrifft, so hat sich der Iran seit langem an die Grenze herangeschlichen, die zu einem großen Krieg führen könnte, ohne sie jedoch tatsächlich zu überschreiten. Ähnlich verhält es sich mit den Aktionen einiger mit dem Iran verbündeter Gruppen, wie den Huthis im Jemen, die Schiffe im Roten Meer attackieren, den grenzüberschreitenden Angriffen zwischen der Hisbollah im Libanon und Israel sowie einigen der Operationen gegen die amerikanischen Streitkräfte im Irak und der Reaktion der USA darauf in den letzten Tagen.

Aber je länger das so weitergeht, desto größer werden natürlich die Risiken. Es liegt im Interesse aller, dass es zu keiner weiteren Eskalation in der Region kommt. Aber ich glaube auch nicht, dass irgendeiner den Konflikt in Gaza so schnell wie möglich beenden will.

Josh Paul: „Es ist eine sehr schwierige Zeit für die amerikanische Außenpolitik“

Die Vereinigten Staaten haben das Marinebündnis „Operation Prosperity Guardian“ gebildet, um Handelsschiffe im Roten Meer vor Angriffen der Huthis im Jemen zu schützen. Ist dies die nächste Stufe der Eskalation im Nahen Osten?

Ich denke, die USA sehen sich in der Verantwortung, den globalen Handel und die Schifffahrtsrouten zu schützen. Auch hier gilt: solange die Angriffe unterhalb der Schwelle eines größeren Konflikts bleiben, werden wir sicherlich Gegenangriffe erleben. Derzeit beschießen und überfallen die Huthis Schiffe im Roten Meer. Und die USA und ihre Verbündeten beschießen Stellungen der Huthis und anderer pro-iranischer Kräfte. Solange es dabei bleibt, bin ich zuversichtlich, dass die Auseinandersetzung unterhalb der Schwelle eines größeren Konflikts gehalten werden kann.

ARCHIV – Seit Ausbruch des Gazakrieges greifen die Huthis immer wieder Schiffe im Roten Meer an – wie hier das Frachtschiff „Galaxy Leader“ im November 2023.
ARCHIV – Seit Ausbruch des Gazakrieges greifen die Huthis immer wieder Schiffe im Roten Meer an – wie hier das Frachtschiff „Galaxy Leader“ im November 2023.Houthi Military Media Center

In den Vereinigten Staaten blockieren die Republikaner im Kongress weitere militärische Unterstützung für Israel und für die Ukraine. Glauben Sie, dass es mit einem republikanischen Präsidenten wie Donald Trump Frieden im Nahen Osten geben wird?

Die Republikaner, nur um das klarzustellen, blockieren derzeit die Hilfe für die Ukraine. Sie unterstützen die Hilfe für Israel und haben sogar versucht, sie selbst zu verabschieden. Ich denke, dass es für Präsident Biden wichtig ist, dieses Paket zusammenzuhalten, denn wenn nur der Teil für Israel durchkommt, wird der Teil für die Ukraine nicht kommen. Und es ist wirklich wichtig, dass die Hilfe für die Ukraine verabschiedet wird.

Ich denke also, dass Präsident Biden dieses Paket aus politischen Gründen zusammenhält. Ich weiß nicht, was ein zukünftiger republikanischer Präsident im Nahen Osten tun würde. Es ist schwer zu sagen, ob es in mancher Hinsicht noch schlimmer wäre als das, was Präsident Biden in Bezug auf Israels Krieg gegen Gaza getan hat. Immerhin erklärt Bidens Regierung noch ab und zu, dass sie an einer Zweistaatenlösung festhalten will.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass eine Trump-Regierung eine israelische Annexion des Westjordanlandes und möglicherweise auch des Gazastreifens anerkennen würde. Im Moment setze ich keine großen Hoffnungen in eine republikanische und auch nicht in eine demokratische Regierung.

Es ist eine sehr schwierige Zeit für die amerikanische Außenpolitik. Deshalb brauchen wir ein starkes Europa, das eine führende Rolle bei der Vermittlung von Friedensgesprächen übernehmen kann. Europa muss eine Alternative darstellen, denn ich glaube, dass der Westen und die Werte, die wir dort vertreten sollten, gemeinsame Werte sind und für die Zukunft der Welt wichtig sind. Wenn Amerika manchmal nicht in der Lage ist, für diese Werte einzutreten, ist es wichtig, dass unsere europäischen Partner dies tun.

Vielen Dank für das Gespräch.