WELT: Herr Kuban, die CDU ist seit einem Jahr Oppositionspartei. Wie fällt Ihre Bilanz aus – welche Schulnote würden Sie der Partei geben?
Tilman Kuban: Nach der Bundestagswahl haben wir Parteispitze und Parteibasis wieder zusammengeführt. Gerade wir als Junge Union haben lange dafür gekämpft, die Mitglieder bei der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden zu beteiligen.
Inzwischen ist die CDU mit Friedrich Merz auf einem guten Kurs. Wir haben uns im vergangenen Jahr also von einer Vier auf eine Zwei hochgearbeitet.
WELT: Wie beurteilen Sie die Leistung von Friedrich Merz als neuem Partei- und Fraktionsvorsitzenden?
Kuban: Es gab mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine unmittelbar nach seiner Wahl zum Parteichef eine tiefe Zäsur für die Politik der gesamten westlichen Welt. In dieser Phase ist die Union zurecht sehr staatstragend aufgetreten.
Als die Bundesregierung dann bei der Unterstützung der Ukraine ihren Worten keine Taten folgen lassen hat, musste Friedrich Merz einen anderen Kurs eingeschlagen, um Waffen in die Ukraine zu bekommen. In den kommenden Monaten wird es nun darum gehen, die Partei inhaltlich und strukturell so aufzustellen, dass sie wieder kampagnenfähig ist.
WELT: Wie ist die Partei denn derzeit aufgestellt? Der Generalsekretär zu farblos, die Parteizentrale chaotisch organisiert, sagen zumindest Kritiker.
Kuban: Das ist ein ungerechtes Urteil. Der Fokus lag in den vergangenen Monaten völlig zurecht nicht auf den innerparteilichen Themen, sondern auf der weltpolitischen Lage und damit der Arbeit der Bundestagsfraktion. Diese hat mit Friedrich Merz an der Spitze einen sehr guten Job gemacht.
Jetzt kommen wir in eine andere Phase. Wir müssen in dem Energie-Krieg, den der Kreml erklärt hat, richtig handeln und außerdem in der Partei wieder an Substanz gewinnen, um spätestens 2025 regierungsfähig zu sein. Carsten Linnemanns Prozess zum Grundsatzprogramm ist dafür ein guter Auftakt.
WELT: Der CDU-Parteitag wird sich mitten in einer großen Welt-Krise mit einer internen Frauenquote und einer Dienstpflicht für junge Leute befasst. Sind das zu diesem Zeitpunkt die richtigen Themen?
Kuban: Ich habe diese Themen nicht auf die Tagesordnung gesetzt und finde es sehr richtig, dass wir mit dem Leitantrag zur Energiepolitik nun auch einen anderen Akzent setzen.
WELT: Darin fordert die CDU unter anderem einen Gaspreisdeckel und ein deutlich höheres Energiegeld für untere Einkommensschichten. Richtig so?
Kuban: Wie die SPD als ehemalige Arbeiterpartei nach diesem Paket noch in den Spiegel schauen kann, ist mir ein Rätsel. Die Ampel entlastet vor allem Wohngeldempfänger und dann erst wieder Einkommen ab 35.000 bis 40.000 Euro Einkommen, wo die Abmilderung der kalten Progression wirklich wirksam wird.
Diejenigen mit kleinen Einkommen, die morgens aufstehen, ihre Kinder in die Kita bringen und zur Arbeit gehen, werden einfach vergessen. Das ist ein Skandal. Deshalb braucht es hier endlich echte Hilfen.
Gleichzeitig wollen wir Verlässlichkeit bei den Energiekosten liefern mit einem Konzept, dass von den Menschen eine Einsparung einfordert, aber günstige Energie bei Verbrauch auf Vorjahresniveau ermöglicht. Fordern und fördern.
WELT: Das sind ja keine ganz neuen Themen. Hat die CDU das Thema Umbau der Energiewirtschaft in der Vergangenheit verschlafen?
Kuban: Ich gehöre nicht zu den Helden der dritten Halbzeit, die jetzt alles besser wissen. Wir haben durch den Angriff Russlands auf die Ukraine eine neue Lage. Alle Parteien der Mitte haben zuvor an Wandel durch Handel geglaubt. Das war – wie wir jetzt wissen – naiv. Gerade die jüngeren Abgeordneten im Bundestag beschäftigt aber vor allem die Frage, mit welchen Konzepten wir unsere Energie in Zukunft organisieren wollen.
Aus meiner Sicht können wir nicht länger auf der einen Seite sagen, dass wir mehr Erneuerbare brauchen und auf der anderen Seite auf unseren alten Positionen verharren – bei rigiden Abstandsregeln für Windräder oder bei Windkraftanlagen im Wald. Darüber müssen wir debattieren.
WELT: Die Junge Union hat sich zuletzt gegen die Einführung einer Frauenquote für die CDU-Gremien ausgesprochen. Können Sie mit dem Kompromiss des Bundesvorstands, eine Art Quote auf Zeit einzuführen, leben?
Kuban: Die Frauen in der Jungen Union sagen mir, dass sie nach vorne wollen, weil sie gut sind, nicht weil sie eine Frau sind. Die Beschlusslage der Jungen Union ist klar.
WELT: Eine weitere Debatte, die die Partei in Hannover führen will, dreht sich um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. Wie stehen Sie dazu?
Kuban: Die CDU hat in der Vergangenheit zu viele Entscheidungen getroffen, ohne die junge Generation vorher gehört und mit ihnen diskutiert zu haben – von Uploadfiltern, über die Klimapolitik bis zu den Corona-Maßnahmen.
Insofern plädiere ich dafür, dass wir das Thema Dienstpflicht zunächst auf Augenhöhe mit den jüngeren Menschen besprechen, bevor wir als Partei eine Entscheidung treffen. Es sind schließlich die jungen Leute, die diese Pflicht erfüllen müssten, und die sitzen nicht auf dem Parteitag.
WELT: Die Junge Union spricht sich in einem ihrer Anträge für eine BAföG-Reform aus. Weg von der Sozialleistung für einen Teil der Studenten hin zur zinslosen Kredit-Förderung. Was versprechen Sie sich davon?
Kuban: „BAföG für alle“, wie es die Ampel-Koalition plant, kann nicht die Lösung sein. Das ist teuer und ungerecht gegenüber denjenigen, die nicht studieren. Unser Vorschlag zum nationalen Bildungsfonds ist deshalb: Jeder, der Unterstützung wünscht, um sein Studium zu absolvieren, sollte diese auch bekommen.
Aber er muss diese Leistung in weiten Teilen auch zurückzahlen, wenn er später arbeitet. Wer nach seinem Studium gut verdient, sollte die Hilfe, die er in Anspruch genommen hat, zurückzahlen. Es kann nicht richtig sein, dass die Krankenschwester ihrem nächsten Chefarzt das Studium finanziert.
WELT: Sie selbst haben im Vorfeld des Parteitags gefordert, die CDU müsse sich inhaltlich aber auch strukturell „erneuern“, wieder Substanz gewinnen? Wo genau sehen Sie den Erneuerungsbedarf in der Partei?
Kuban: Ich will, dass wir begeistern, und wieder mehr Leute bei uns mitmachen. Hier müssen wir in der Politik neue Wege finden. Junge Leute treten heute nicht mehr in Parteien ein, weil das zum guten Ton gehört, sondern weil sie was bewegen wollen. Sie haben keine Lust, sich in einen verstaubten Saal mit dem Hirsch an der Wand und der weißen Tischdecke auf der Tafel zu setzen und dann dem Vorsitzenden beim Monolog zuzuhören.
Sie wollen mitdebattieren, ihr Wissen einbringen, Projekte umsetzen. Wir sollten also die Art, wie wir Politik machen, anpassen. Eine Idee wäre, in der CDU projektbezogene Mitarbeit anzubieten, so wie wir das aus Bürgerinitiativen kennen.
„Kick-off Politik“ ist der tägliche Nachrichtenpodcast von WELT. Das wichtigste Thema analysiert von WELT-Redakteuren und die Termine des Tages. Abonnieren Sie den Podcast unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music oder direkt per RSS-Feed.