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Geschichte Der Fall Mayerling

Habsburgs Untergang begann mit zwei Kugeln

1889 begingen Österreichs Thronfolger Rudolf und seine 17-jährige Geliebte auf Schloss Meyerling Selbstmord. Jetzt bröckelt dort der Putz von den Wänden - und viele Rätsel sind noch immer ungelöst.

Seit 700 Jahren trugen sie Kronen von Kaisern und Königen. Sie beherrschten ein Reich, in dem die Sonne nicht unterging, und fühlten sich unmittelbar zu Gott. Noch ihr letzter Herrscher wurde selig gesprochen. Aber aller Heiligenschein konnte nicht verhindern, dass die Habsburger innerhalb weniger Jahre durch banale irdische Werkzeuge in den Untergang gerissen wurden: Pistolenkugeln und Stichwaffen.

Kaiserin Elisabeth I., genannt Sisi, fiel 1898 in Genf der angespitzten Feile eines Anarchisten zum Opfer. Das Mordkomplott gegen ihren Neffen und Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo löste den Ersten Weltkrieg aus, der die Habsburger Monarchie in den Untergang reißen sollte. Zwischen beiden Anschlägen aber reichten zwei Patronen, um den Weg der Dynastie auf der schiefen Ebene zu beschleunigen. Am 30. Januar 1889 erschoss Elisabeths Sohn, Thronfolger Erzherzog Rudolf, sich und seine Geliebte Mary Vetsera im Jagdschloss Mayerling bei Wien.

Bis heute haftet der Tat etwas Apokalyptisches an. Der einzige Sohn Kaiser Franz Josephs I., der seit nunmehr 41 Jahren regierte und unter dessen Herrschaft das Haus Österreich die Unabhängigkeit Italiens, die Schaffung des kleindeutsch-preußischen Nationalstaats und die Emanzipation der Ungarn hatte hinnehmen müssen, schien der letzte Hoffnungsträger des wankenden Vielvölkerstaats zu sein. Seine liberalen Ansichten und seine Parteinahme für den Ausgleich mit Ungarn hatten ihn oft genug in einen Konflikt mit seinem Vater gebracht. Ob er allerdings der Revolutionär war, als der er in Terence Youngs Film „Mayerling“ (1968) erscheint, darf doch bezweifelt werden.

Verkörperung des Fin de siècle

Zugleich sahen viele Zeitgenossen in Rudolf die Verkörperung des Fin de siècle, eines Zeitgeists, der angesichts der nationalen, sozialen und technischen Herausforderungen in Untergangsfantasien schwelgte und die Welt im Walzertakt dem Abgrund entgegen treiben sah. Mit Brutalität und Disziplin wollte Franz Josef aus dem sensiblen, intelligenten Knaben einen strammen Offizier und Menschenführer machen. Der junge Erzherzog, der sich lieber der Beobachtung von Vögeln als dem Aktenstudium hingab, rebellierte auf seine Weise, überließ sich seinen Stimmungen und pflegte seine Seele auf Reisen oder im Schlafzimmer seiner zahlreichen Geliebten.

Die mysteriöse Aura, die den Thronfolger und den Doppelselbstmord bis heute umgeben, erklärt sich nicht zuletzt durch die Vertuschungsversuche, die der Kaiserhof umgehend ins Werk setzte. Viele Dokumente wurden vernichtet. Die Aussagen von Zeugen widersprachen sich. Das Obduktionsprotokoll ist verschwunden. Vor allem aber sind die Papiere verschollen, die Kaiser Franz Joseph seinem Vertrauten Graf Taafe übergab, „damit sie nicht infolge eines unvorhergesehenen Ereignis zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen“.

2014 geht es nicht nur um das 100-Jahr-Gedenken des Attentats von Sarajewo. Sondern auch um die 125-Jahr-Feier der Nacht von Mayerling. Ausgerechnet jene, die auf kaiserlichen Befehl umgehend mit Pflege und Abschirmung des Ortes betraut wurden, wenden sich nun an die Öffentlichkeit. Schwestern vom Orden der Karmelitinnen beten seitdem um das Seelenheil der Toten. Nun wenden sie sich an die Lebenden.

Das Areal sei akut vom Verfall bedroht, der Putz bröckle von den feuchten Wänden, kaum einer der rund 40.000 Touristen wolle noch für die Besichtigung zahlen, sagt die eigens engagierte Pressesprecherin Anna-Lena Fahrecker. Die Nonnen brauchen 1,6 Millionen Euro für die Neugestaltung der Schauräume und elementare Dinge wie Besuchertoiletten.

100 Jahre alte Wasserleitungen

Es sei „eigentlich eine Schande“, dass diese historische Stätte langsam verfalle, meint Pater Karl vom nahen Stift Heiligenkreuz. Priorin Mutter Regina betont, dass die seit Jahren sinkenden Einnahmen aus dem Tourismus nicht mehr ausreichten. „Die Wasserleitungen sind auch schon über 100 Jahre alt“, sagt Fahrecker.

Kaiser Franz Joseph I. hatte nach der erschütternden Nachricht vom Selbstmord seines Sohnes das Schloss in ein Kloster umwandeln lassen. Der damalige Tatort, das Schlafzimmer, wurde zur Kapelle, an der Stelle des Bettes steht ein Hochaltar.

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Die Maßnahmen boten schnell Anlass zu Spekulationen. So gab die Prinzessin Elvira von Bourbon später zu Protokoll, Kaiser Franz Joseph habe seinen Sohn mit einer drastischen Enthüllung zur Trennung von seiner Geliebten treiben wollen. In einer heftigen Auseinandersetzung habe er ihm eröffnet, dass die 17-Jährige Marie Alexandrine Freiin von Vetsera in Wahrheit seine illegitime Tochter sei. Daraufhin habe der Thronfolger keinen Ausweg mehr gewusst und sich und die Baronesse wenige Stunden später umgebracht.

Doch das ist nur eine von zahlreichen Versionen des Tathergangs, die bislang vorgebracht wurden. Weitere sind ein Attentat aus Hofkreisen, ein Anschlag der Familie Auersperg – auch mit Aglae Auersperg soll Rudolf eine Liaison unterhalten haben – oder eine Eifersuchtstat der aktuellen Geliebten. Schließlich pflegte der Erzherzog seit Jahren eine enge Beziehung zu einer gewissen Mizzi Kaspar, die er in seinem Testament auch mit 30.000 Gulden bedachte.

Spuren führen nach Paris

Die wohl spektakulärste Deutung geht auf Zita, die letzte Kaiserin von Österreich, zurück. Danach sollen Rudolf und seine Geliebte politischen Meuchelmördern zum Opfer gefallen sein. Auftraggeber soll unter anderem der französische Politiker Georges Clemenceau gewesen sein. Das Ergebnis des Falls von Mayerling kam Paris tatsächlich entgegen. Österreich-Ungarn als Konkurrent Russlands verlor weiter an Ansehen.

Wie dem auch sei. Am historischen Tatort werden immer noch der – erstaunlich nichtssagende – Abschiedsbrief Rudolfs und der Teppich aus dem Schlafzimmer gezeigt, aus dem allerdings schon vor langer Zeit die Blutflecken des toten Paares gewaschen wurden. Auch der Kupfersarg der Baronesse Vetsera ist zu sehen.

Lange hätten die Karmelitinnen geschwiegen und die Last des Erhalts des Geländes getragen, sagt Fahrecker. Die zehn Schwestern leben extrem zurückgezogen, ohne Radio, Fernsehen und Zeitungen. Doch jetzt war die fromme Gemeinschaft mit ihrem Latein am Ende. Ein erster Hilferuf wurde vom niederösterreichischen Ministerpräsidenten Erwin Pröll (ÖVP) zumindest teilweise erhört. Er sagte 800.000 Euro seitens des Bundeslandes zu. Den Rest wollen die Nonnen mit Spenden aufbringen.

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