Dass das Leben einer Kronprinzessin nicht unbedingt ein Traum ist, darf spätestens seit dem traurigen Schicksal von Lady Di als bekannt gelten. 50 Jahre vor dem tragischen Unfalltod der Britin bot Luise von Österreich-Toskana ein ähnliches Beispiel, allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass die ehemalige Kronprinzessin von Sachsen nicht in einer Luxuskarosse starb, sondern in einer armseligen Absteige. Da war sie beinahe vergessen. Ihre Flucht aus Dresden im Jahr 1902 hatte dagegen das Publikum des Fin de Siècle in ähnlicher Weise bewegt wie das Schicksal von Queen Elizabeths II. Ex-Schwiegertochter.
Luise wurde am 2. September 1870 in Salzburg als zweites Kind des letzten Großherzogs von Toskana, Ferdinand IV., aus seiner Ehe mit Prinzessin Alix von Bourbon-Parma geboren. Obwohl die Donaumonarchie den Rang als mitteleuropäische Führungsmacht da bereits an Preußen-Deutschland verloren hatte, gab es nicht wenige Verehrer, die die Großherzogin um ihre Hand anhielten. Mit dem Wettiner (albertinische Linie) Friedrich August wurde der Kronprinz des Königreiches Sachsen erhört.
Das Paar heiratete 1891 in Wien. In Dresden angekommen, begannen die Probleme. Wenn die Habsburgerin geglaubt hatte, an der Elbe könnte sie dem strengen Hofzeremoniell der Hofburg entfliehen, sah sie sich schwer getäuscht. Der Katholizismus, zu dem einst August der Starke übergetreten war, um die polnische Königskrone erwerben zu können, wurde unter seinen Nachfahren mit einer Inbrunst gepflegt, die für Lebensfreude wenig Raum ließ. „Als bevorzugte Entspannungsliteratur goutierten die Mitglieder der Königsfamilie Werke über Kirchengeschichte“, schreibt die Historikerin Martina Winkelhofer.
Es war daher kein Wunder, dass die temperamentvolle Habsburgerin an diesem verstaubten Hof schnell auf Ablehnung stieß. Solange König Albert (reg. 1873–1902) regierte, der als Heerführer in den Kriegen gegen Preußen und Frankreich seine Meriten erworben hatte, mochte das noch angehen. Artig gebar Luise ihrem Mann sechs Kinder, von denen eines eine Totgeburt war.
Aber nachdem der kinderlose Monarch 1902 das Zeitliche gesegnet hatte, kam mit seinem Bruder Georg (reg. 1902–1904) ein Mann auf den Thron, der „politisch talentlos, doch herrschsüchtig, dabei versessen auf eine unmäßige Erhöhung seiner Zivilliste, immer kränklich, schwerhörig, unbeliebt, ja verhasst war“, erklärt der Schriftsteller Wolfgang Hädecke den Spitznamen „der Grämliche“. „Das Volk brachte ihm offene Abneigung entgegen“, hieß es nicht umsonst in einem Nachruf.
Das hinderte den prüden Chef der Familie nicht, seine ungeliebte Schwiegertochter bis ins Schlafzimmer zu bespitzeln, ihr Dekolleté zu zensieren und das Leben mit zahlreichen Vorschriften einzuengen. Dazu gehörte, dass ihr das Stillen ihrer Kinder und ihre Erziehung verboten wurden. Dass sich die schöne und freisinnige Frau zudem bei den Untertanen großer Popularität erfreute, weil sie keine Scheu vor den einfachen Leuten zeigte und in ihren Augen geradezu als Märchenprinzessin erschien, machte die Sache nicht besser. Ihr Mann Friedrich August war nicht Manns genug, sich schützend vor seine Frau zu stellen.
Im Juni 1902 war Georg König geworden, kurz darauf wurde Luise zum siebten Mal schwanger. Aber der Goldene Käfig wurde nun immer mehr zum Gefängnis. Aus dem winkte die Rettung durch einen gut aussehenden belgischen Hauslehrer mit Namen André Giron, zu dem die Kronprinzessin bald in Leidenschaft entflammte. Darüber vergaß sie, dass sowohl das Spitzelsystem bei Hofe funktionierte und die Gerüchteküche auf den Straßen. Die Affäre wurde publik. Zur Strafe durfte sie ihre Kinder nicht mehr ohne Aufpasser sehen und sollte ihr Siebtes in einem Erholungsheim zur Welt bringen, das wahrscheinlich eine Nervenheilanstalt sein würde, schreibt Winkelhofer.
Luise flüchtete zu ihren Eltern nach Salzburg. Doch da das stockkatholische Erzhaus mit dem greisen Kaiser Franz Joseph I. an der Spitze ihr nur den Rat gab, sich in ihre Rolle als Kronprinzessin zu fügen, wagte Luise den ultimativen Befreiungsschlag. Nach einem Diner verließ sie am 9. Dezember 1902 heimlich die Salzburger Residenz, nahm vom Bahnhof einen Zug und erreichte in Begleitung ihres Bruders und Vertrauten Leopold wohlbehalten die Schweiz, wo sich auch André Giron einfand.
Die vierte im Bunde wurde eine gewisse Wilhelmine Adamowicz, eine bekannte Prostituierte, die zu ehelichen sich Leopold in den Kopf gesetzt hatte, was ihm aber von Wien strengstens verboten worden war. Zu allem Überfluss fehlte es der Viererbande an finanziellen Mitteln und Ideen, wie dem Abhilfe geschafft werden könnte.
Die Flucht mobilisierte umgehend die internationale Presse. Hunderte Journalisten und Fotografen belagerten das Hotel, wo sich eine künftige Königin mit dem Lehrer ihrer Kinder ein gemeinsames Zimmer teilten. Es kam wie bei Lady Di. Die Meute führte „Interviews mit angeblichen Insidern, und hin und wieder ließ sich selbst Luise zu einer Äußerung an die Paparazzi hinreißen“, schreibt Winkelhofer, wobei die Grenze zwischen Realität und Kolportage fließend war.
Der sächsische Hof tobte. Ein Kommissar erhielt den Auftrag, die Kronprinzessin zurückzuholen, indem er sie einfach kidnappte. Das Unternehmen scheiterte an der Wachsamkeit der Schweizer Polizei, was umgehend einen diplomatischen Eklat provozierte. Denn die Alpenrepublik sah nicht zu Unrecht ihre Hoheitsrechte verletzt. Dann versuchte Georg es mit einem internationalen Haftbefehl mit der Begründung, Luise habe die Kronjuwelen gestohlen. Auch das erwies sich als Fehlschuss, konnte die Prinzessin doch das Gegenteil beweisen.
Daraufhin wurde Luise die Rückkehr nach Sachsen verweigert und ihr Name aus allen Hoflisten gestrichen, ihr Andenken also getilgt. Das kam beim Volk schlecht an. Es kam zu Demonstrationen vor dem Dresdner Schloss, die das Ansehen der Wettiner stärker demontierten, als es der schnöde Umgang der Windsors mit Diana Spencer vermocht hat. Schließlich versuchte Kaiser Franz Joseph die Situation zu klären, indem er seiner Großnichte Asyl unter der Bedingung anbot, dass sie sich in ein Kloster oder eine Heilanstalt zurückziehen werde.
Als die Großherzogin auch dieses großzügige Angebot zurückwies, zeigte man auch in Wien die Krallen. Luises Name wurde aus dem Mitgliederverzeichnis der Habsburger gelöscht, was auch die Einstellung sämtlicher Zahlung bedeutete. Allenfalls der Titel einer Grafin von Montignoso wurde ihr zugestanden. In Sachsen betrieb man die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft, nahm ihr alle Titel samt Apanage und das Sorgerecht für die Kinder. Einzig Zuwendungen ihres Gatten Friedrich August III. (reg. 1904–1918), der sich nicht als königlicher Knauser in Zeitungen angeklagt sehen wollte, retteten sie vor dem Bankrott.
Um die bei Genf geborene Tochter Anna Monika Pia entspann sich ein jahrelanger Rechtsstreit, der nach fünf Jahren schließlich mit ihrer Übergabe an den Vater Friedrich August, der inzwischen König geworden war, endete. Im Gegenzug wurden ihr regelmäßige Geldzahlungen zugestanden, was Luises Ansehen auf dem Boulevard nachhaltig schmälerte. Das Verhältnis mit dem Hauslehrer war inzwischen einer Liaison mit dem Komponisten Enrico Toselli gewichen, die sogar in einer (zivilen) Ehe zwischen der inzwischen 36-Jährigen mit dem 23-Jährigen mündete. Auch diese Verbindung scheiterte.
Mit der Revolution 1918 und dem Untergang der Monarchien in Deutschland versiegten auch die letzten Geldquellen. Am 23. März 1947 starb Luise verarmt in einer Absteige in Brüssel. „Mehrere Leben waren zerstört, eine Familie zerrissen, der Ruf des sächsischen Königshauses angeschlagen“, resümiert Winkelhofer die Affäre. „Zudem sollte die Boulevardpresse das Königshaus bis zum Ende der Monarchie im Visier behalten.“ Luise von Sachsen war wahrlich eine Vorläuferin von Lady Di.
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