Über den Abgrund geneigt... Leben und Sterben des Johannes R. Becher | Lernzeit.de

Über den Abgrund geneigt… Leben und Sterben des Johannes R. Becher

Die frühen Jahre des Johannes R. Becher

Johannes R. Becher (1951) (© Bundesarchiv/Otto Donath, via Wikimedia Commons)

Johannes Robert Becher wird am 22. Mai 1891 als Sohn des Staatsanwalts, Amtsrichters und des späteren Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Heinrich Becher in München geboren. Im Elternhaus spielt die Loyalität zum Monarchen und nationale Begeisterung eine wichtige Rolle, weshalb Johannes Becher bereits in seiner frühesten Jugend an Protesten teilnimmt.

Nach einem misslungenen Doppelmord, den er zwar überlebt, nicht aber seine sieben Jahre ältere Geliebte, wird er mithilfe seines Vaters auf „Unzurechnungsfähigkeit“ verurteilt und nach Haar eingewiesen. Ein Jahr später publiziert er als dichterisches Substrat die Kleist-Hymne Der Ringende, welches der neuromantischen Tradition von Richard Dehmel und Waldemar Bonsels folgt.

Bechers Anfänge als Literat

1911 beginnt Becher Philologie, Philosophie als auch Medizin in München, Jena und Berlin zu studieren. 1918 beendet er jedoch die Studienlehrgänge, ohne einen Abschluss zu machen. In der Zwischenzeit wird er 1912 Mitarbeiter der Zeitschrift Aktion, ein Jahr später fängt er bei Die Neue Kunst an.

1914 erscheint Bechers wohl bedeutendste expressionistische Arbeit, das Gedicht- und Prosaband Verfall und Triumph, welches die kaiserliche Gesellschaftsordnung attackiert. Mit dieser Publikation macht er sich unter den literarischen Expressionisten erstmals einen Namen. Mechthilde Lichnowsky und Harry Graf Kessler treiben sein berufliches und gesellschaftliches Vorankommen an, indem sie seine Werke an den Insel Verlag vermitteln.

Karriere als Politiker und Parteidichter

Johannes R. Becher verewigt auf einer 5 Pf-Sondermarke aus der Serie Berühmte Persönlichkeiten (1971) (© Nightflyer, via Wikimedia Commons)

Noch scheinen der Krieg und die Politik spurlos an Becher vorüberzuziehen, vielleicht auch deshalb, weil er sich aufgrund seines Selbstmordversuchs der Einberufung entziehen konnte. Doch 1917 entschließt er sich in die USPD einzutreten, ein Jahr später in den Spartakusbund. Für die KPD, deren Mitglied er 1919 wird, zieht er sogar in den Reichstag ein. Die Begeisterung für die Partei hält jedoch nicht lange an. Als die Novemberrevolution scheitert, sucht Becher Zuflucht in der katholischen Kirche.

1923 verschreibt er sich erneut der Partei und ist erfreut darüber, wieder eine Struktur für sein Leben gefunden zu haben:

Meine Schlamperei von früher ist mir ein Greuel. Wie froh, wie froh bin ich, daß ich auf diesen Weg noch gefunden habe.

Bechers bürgerliche Bildung, seine Umgangsformen sowie das optimale Maß an Opportunismus ebnen ihm innerhalb der Partei den Weg an die Spitze. Während er anfangs seine Mission darin sieht, soziale Probleme getrennt von der Poesie zu lösen, etabliert er sich relativ rasch als Parteidichter. Im Auftrag der KPD schreibt er Artikel und Gedichte, unter anderem Am Grabe Lenins. Seiner Meinung nach, besteht die Aufgabe der Kunst darin alle bürgerlichen Denk- und Seinsformen zu entlarven und zu zerstören.

Mithilfe der neuen Parteichefin Ruth Fischer sowie Gerhart Eisler, der für den Pressedienst der KPD tätig ist, gelangt Becher in das Zentralkomitee der KPD. Als Ruth Fischer jedoch entmachtet wird, gerät er als ihr Anhänger in Bedrängnis und kehrt ihr den Rücken, indem er „die sowjetfeindliche Haltung des Trotzkismus“ bekundet. Doch die Veröffentlichung seines Gedichtzyklus Der Leichnam auf dem Thron 1925 sowie des Antikriegsromans Levisite oder Der einzige gerechte Krieg 1926 tun ihr Nötiges dazu und bald darauf wird Becher wegen Hochverrats und Gotteslästerung angeklagt. Dank der Proteste namhafter Schriftsteller wie Maxim Gorkij, Thomas Mann und Bertolt Brecht wird Becher bereits nach fünf Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Im Zuge der „Hindenburg-Amnestie“ wird ebenfalls das Verfahren gegen ihn eingestellt.

1927 wohnt Becher dem allerersten Internationalen Kongress Revolutionärer Schriftsteller in Moskau bei. Als ein Jahr darauf der Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller gegründet wird, für dessen Zeitschrift Linkskurve Becher verantwortlich ist, wird er zu seinem Vorsitzenden ernannt. Ab 1932 ist er als Feuilleton-Redakteur der Roten Fahne tätig.

Die Exiljahre

Nach der Machtergreifung Hitlers muss Becher schnellstmöglich emigrieren. Als wichtiger Funktionär steht er schon lange auf der schwarzen Liste der Sturmabteilung. Mit einem gefälschten Reisepass gelingt ihm im März 1933 die Flucht in die Tschechoslowakei – der Beginn einer zwölf Jahre andauernden Heimatlosigkeit, die er später wie folgt kommentiert:

Die zwölf Jahre, die ich außerhalb Deutschlands leben mußte, waren für mich die härtesten Prüfungen meines Lebens; ich möchte beinahe sagen, es war das Fegefeuer, wenn nicht die Hölle. Aber das war eben das, […] daß ich solch ein ganzer Deutscher war, auch mit seinen negativen Eigenschaften, daß ich mich nirgendwo anpassen konnte und eigentlich nur zwölf Jahre lang gewartet habe, um wieder heimkehren zu können.

Im Auftrag des Internationalen Kongresses Revolutionärer Schriftsteller und des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller ist er bemüht, in den Emigrationszentren Europas eine antifaschistische Oppositionsbewegung aufzubauen. In diesem Rahmen organisiert er in Paris den Internationalen Kongress der Schriftsteller zur Verteidigung der Kultur.

1935 geht Becher ins Exil nach Moskau und arbeitet dort als Chefredakteur der populären Exilzeitschrift Internationale Literatur – Deutsche Blätter. In dieser Zeit entsteht seine Deutschland-Dichtung, in welcher er in Sonettform die Schönheit seiner Heimat Deutschland sowie ihre Kultur und Kunst würdigt. Ganz nach dem Vorbild Thomas Manns beabsichtigt Becher die bessere deutsche Tradition zu verkörpern.

1940 zieht er ein autobiographisches Resümee im Roman Abschied. Einer deutschen Tragödie erster Teil 1900-1914. In diesem reflektiert Becher in der Person des Hans Peter Gastl, seine Kindheit und Jugend in München und setzt sich mit dem „Anderswerden“ und der Befreiung des Menschen aus den bürgerlich-wilhelminischen Gesellschaftszwängen.

Die langersehnte Rückkehr nach Deutschland

1943 ist Becher an der Mitbegründung des Nationalkomitees Freies Deutschland beteiligt. Im Sommer 1945 darf er endlich wieder nach Berlin zurückkehrten. Hier ist er besonders bemüht, emigrierte Künstler für die Rückkehr nach Deutschland zu begeistern – im Speziellen die Brüder Mann, Hermann Hesse, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Ebenso ist es sein Wunsch sie mit den „inneren Emigranten“ wie Wilhelm Furtwängler oder Erich Kästner zu versöhnen. Zudem gründet er den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und wird dessen Präsident. Sein Gründungseifer setzt sich mit dem Aufbau-Verlag, der kulturpolitischen, monatlich erscheinenden Zeitschrift Aufbau, der Wochenzeitung Sonntag sowie der Literaturzeitschrift Sinn und Form fort.

1949 lässt er sich zum Text der DDR-Nationalhymne inspirieren. Doch, obwohl er in seinen Werken die Sowjetunion sowie den Sozialismus verherrlicht, sieht er sie in seinen Tagebüchern als Utopie scheitern.

 

1953 bis 1956 belegt Becher das Amt des Präsidenten an der Ostberliner Deutschen Akademie der Künste und wird 1954 ebenso erster Kulturminister der DDR. Er erhält zahlreiche Ehrungen für seine Verdienste, so zum Beispiel den Nationalpreis der DDR oder die Ehrendoktorwürde der Berliner Humboldt-Universität.

Am 11. Oktober 1958 stirbt Johannes R. Becher und wird auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin bestattet.