Vergleichstest: Chopper | MOTORRADonline.de

Vergleichstest
Chopper

Irgendwo zwischen der schmächtigen Yamaha XV 535 und schweren Harley Fat Boy glitzert noch eine Vielzahl anderer Chopper. Harley Sportster 883 Standard, Kawasaki VN 800 Classic, Suzuki VS 800 Intruder und Yamaha XV 750 Virago verkörpern die goldene Mitte.

Die moderne Chopperkultur treibt viele Blüten. Von der hammerschweren, vierzylindrigen Yamaha Royal Star - 325 Kilogramm Lebendgewicht müssen erst einmal überboten werden - bis zum urigen, einzylindrigen Dampfhammer Suzuki LS 650 ist alles erlaubt, was Buckhorn-, T-Bone- oder sonstwie eigentümlich geformte Lenker tragen kann. Doch zwischen den Schlachtrößern meist amerikanischen Vorbilds und den kleinen Möchtegern klafft eine riesige Lücke, in deren Hubraummitte, sagen wir so um die 800 cm3, der Hang zur Individualität zumindest motorenseitig arg gebremst erscheint. Vornehmlich Zweizylinder, in V-Anordnung mit Zylinderwinkeln zwischen 45 und 75 Grad, trifft man an und, als hätte man sich untereinander abgesprochen, sind sie so um die 50 PS stark.

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In Sachen Selbstdarstellung freilich sieht die Sache schon ganz anders aus. Da verkörpern eine Harley Sportster 883 Standard, eine Kawasaki VN 800 Classic, eine Suzuki VS 800 Intruder und eine Yamaha XV 750 Virago schon ganz unterschiedliche Stilrichtungen und Chopperepochen.

Beginnen wir mit der VN 800, der jüngsten Entwicklung, die sich ausnahmsweise Classik nennt. Nicht ohne Grund. Ihre Stilelemente stammen aus den sechziger und siebziger Jahren amerikanischen Motorradbaus, wo dicke Speichenräder und wuchtige Kotflügel, massige Gabeln und kugelige Scheinwerfer, pralle Tanks und weiche Sitzkissen in Mode kamen und es auch heute noch sind. Die VN 800 Classic ist die brillianteste Kopie einer fettleibigen Harley.

Das krasse Gegenstück zu diesem 256 Kilogramm schweren Dickschiff liefert gleich Harley selbst. Die Sportster 883 Standard ist mit knapp 15 000 Mark nicht nur die preiswerteste Harley, die es zu kaufen gibt, sondern sie gibt setzt schon von Haus aus auf Askese. An der Sportster hängt für Harley-Verhältnisse kein Gramm zuviel. Ein Winzling von Tank klammert sich ans obere Rahmenrohr, eine zierliche Gabel führt das schmale Speichenrad, und der Solositz gewährt freien Blick auf einen kurzen Kotflügel aus Stahlblech. Die Sportster wirkt gedrungen, klein, aber muskulös wie ein Bullterrier.

Vom optischen Kräftemessen hält die Virago dagegen nicht viel. Sie stammt noch aus einer Zeit, als reichlich Chromzierrat, ein betont tropfenförmiger Tank und eine plüschige Stufensitzbank aus einem normalen Motorrad gleich einen Chopper machten. Verspielte Armaturen - zum Tachometer gesellt sich gar ein Drehzahlmesser - sorgen letztendlich dafür, daß Yamahas XV 750 eher einem überfrachteten Weihnachtsbaum gleicht.

Diese barocke Epoche hat die Suzuki VS 800 gottlob verpaßt. Oder hat sie sie gar beendet? Denn mit klaren Formen, einfacher, sachlicher Gliederung und schnörkellosem Design setzte die erste Intruder im Jahre 19xx, damals noch als VS 750, einen neuen Standard im Chopper-Design, an dem sich noch heute viele Hersteller orientieren.

Noch immer langgabelig und mit bildschönen Speichenrädern bestückt, vorn großrädrig und schmal bereift, hinten mit einer kleinen, fetten Walze versehen, unterscheidet sich die VS 800 heute nur unwesentlich von ihrem trendsetztendem Vorgänger. Doch lassen wir die Frage, welche von den vier nun die schönste, originellste oder auch nur choppertypischste Variante ist, andere beantworten. Letztendlich ist alles reine Geschmacksache, und da tut man nicht gut, jemanden reinzureden.

Objektiver und leichter beantworten läßt sich da schon die Frage nach der charaktervollsten Motorisierung für ein Motorrad, das keine hohen Geschwindigkeiten provoziert, nicht nach Leistung giert, und dennoch kraftvoll sein muß, um sich so von unten heraus aus tiefstem Drehzahlkeller in Szene zu setzten. Und das möglichst mit »good vibrations« und klangvoller akustischer Untermalung.

Zu aller Enttäuschung: Den passenden Ton findet keine mehr so richtig. Im Rahmen der harten gesetzlichen Vorschriften verschlägt es den grummelnden Twins förmlich die Sprache. Bestenfalls der Suzuki-Vau hat noch ein paar dezente Bässe drauf , wie auch das kleine Harley-Triebwerk zwar unruhig im Leerlauf röchelt und brabbelt, aber nur noch im Ansatz erkennen läßt, welch gehaltvolle Arien es vor langer Zeit mal schmettern konnte. Ansonsten ist es ruhig geworden im Chor der Chopper.

Warum aber mit der Klangfülle auch wohlgemeinte Vibrationen im Nirvana der Zulassungsordnung verschwinden müssen, können nur die Japaner wissen. Wie sonst ließe sich erklären, daß die Vau-Motoren aus Fernost steril und abgekoppelt von der Welt ihre Arbeit verrichten. Wie feine Pinkel. Der Harley-Twin dagegen kann nur aus Arbeiterkreisen stammen. Ohne Zurückhaltung zeigt er seine rauhe Schale, läßt jeden spüren, wie er schuftet und sein Herz pocht. In Hände, Füße und Knie überträgt er sein Kribbeln und Surren. Je mehr er schaffen muß, umso heftiger wird sein rauhes Gebahren. So muß es sein, so sollte es bleiben. Doch jenseits von Tempo 110 wird aus dem rauhen Burschen ein rüder Geselle, schmerzen die Vibrationen bis tief unter die Fingernägel. Nee, nee. So sollte es doch wieder nicht sein.

Doch kehren wir zurück zu Kraft und Durchzug, die rund 800 cm3 Hubraum, verteilt auf zwei Zylinder, erwarten lassen. Der wassergekühlte V-Twin der VN 800 Classic, der im ersten Test (MOTORRAD 9/96) manch hubraumstärkeres Exemplar beschämte, machte diesmal schlapp. Von den im Einzeltest gemessenen 58 PS kann dieser Motor nur träumen. Gerade mal 52 Pferdestärken setzt er frei. Zu wenig, um an die guten Fahrleistungswerte im Einzeltest anzuschließen. Mit 151 km/h Spitze, einer Beschleunigung von 10,5 Sekunden aus dem Stand auf 120 km/h und einem Durchzugswert von 60 auf 100 km/h im letzten Gang in 18,9 Sekunden, reiht er sich brav wieder ein in die Phalanx der Mitstreiter. Doch wen juckt’s. Erfreulicherweise hängt der Vierventiler sanft am Gas, zieht sauber und gleichmäßig aus niedrigen Drehzahlen hoch und leistet sich auch »obenherum« keine spürbaren Leistungseinbußen. Nur das hohe Gewicht des Boliden hindert bisweilen. Wenn’s mal pressiert, muß bisweilen schon der eine oder andere Gang zurückgenommen werden, um die trägen Massen in kraftvolle Beschleunigung zu versetzen.

Aus ganz anderem Holz ist der luftgekühlte Zweiventiler in der Yamaha XV 750 geschnitzt. Mit gemessenen 56 PS der stärkste im Quartett, lebt der Twin mit 75 Grad Zylinderwinkel von Drehzahlen. Seine Leistungskurve leistet sich, statt bauchig zu verlaufen, ein häßliches Loch im mittleren Drehzahlbereich, um anschließend umso stärker anzusteigen. Mit dieser Leistungscharakteristik gewinnt die XV 750 zwar mühelos jeden Sprint, doch in den oberen Gängen geht ihr beim Kraxeln bisweilen die Puste aus. Ansonsten schnurrt der Motor geradezu blaß die Drehzahlleiter rauf und runter, versprüht Langeweile. Der Yamaha Twin zeigt wahrlich kein großes Chopperherz - ein Motor mit einer Charakteristik, die weit besser zu einem braven Tourenmotorrad paßt.

Der rauhen Harley-Seele traut man schon weit mehr Charakter zu. Den hat das schnorchelnde und schnüffelnde Stahlroß durchaus. Nur mit der Leistungsausbeute schaut es mau und mager aus. Statt der angegebenen 49 PS bei 6000/min, will sie selbst widerwillig nur 39 PS rausrücken. Zäh und unter lautem mechanischem Beifall von Hydrostößeln, Stoßstangen und Kipphebeln dreht der Zweiventil-Langhuber hoch. Wohl klar, daß mit diesem Leistungsmanko gute Beschleunigung und satter Durchzug auf der Strecke bleiben und die Fahrleistungen der 883 weit hinter denen der drei übrigen Testkandidaten zurückbleiben. Ständig auf der Suche nach etwas Drehmoment und einer geeigneten Gangstufe, fordert ausgerechnet die Harley viel Schaltarbeit. Mit hartem metallischem Schlag kündigt sich unüberhörbar jeder Gangwechsel bis zur letzten Schaltstufe an.

Doch wo wenig Leistung rauskommt, muß man auch wenig Energie reinstecken. Der Harley-Twin nippt wirklich nur am Kraftstoff. Unter vier Liter kann der Konsum bleifreien Supers sinken. Weit weniger als die Konkurrenz.

Den wohl choppertypischsten Charakter hat Suzuki seinem V-Twin in die Wiege gelegt. Der wassergekühlte Vierventil-Twin liefert satt Drehmoment schon aus niedrigen Drehzahlen und gefällt durch enorme Durchzugskraft. Die unteren Stufen des Fünfganggetriebes erscheinen fast überflüssig. Schon bei Bummeltempo genügt ein Dreh am Gasgriff, um die Intruder kraftvoll zu beschleunigen. Ihre Fahrleistungen verdeutlichen diese Bärenstärke. Gerade mal in der Hälfte der Zeit ihrer Chopperkollegen sprintet die Intruder aus dem letzten Gang heraus von 60 auf 120 km/h. Wenn das nichts ist.

Das Fahrwerk der Intruder etwa ist wirklich nichts. Die weiche, labberige Fahrwerksabstimmung kann selbst den ruhigsten Chopper-Freund in Rage bringen. Bei jeder Bodenwelle gautscht und wippt das Heck, rührt die VS 750 ungeniert um die Längsachse. Da muß der Fahrbahnbelag noch nicht einmal so schlecht sein. Ist er’s doch, dann gehen die Stereofederbeine bei jedem Durchsacker schon im Solobetrieb unweigerlich auf Block. Die Intruder pendelt schon beim schnellen Geradeausfahren, was die Vorfreude auf Kurven merklich trübt. Da hilft auch das relaxte Feeling, tief unten in der Maschine zu sitzen, nicht viel. Die Enden des Buckhorn-Lenkers reichen leider allzu nah an den Körper, erschweren festen, zielsicheren Zugriff, und treffen beim starken Einlenken sogar die Oberschenkel des Fahrers. Da muß ein anderer Lenker her.

Im Zuge einer Tauschaktion könnte man auch gleich die vordere Scheibenbremse einlösen. Die eine Scheibe verzögert schlecht und verlangt obendrein nach hoher Handkraft.

Solche Probleme kennt die XV 750 nicht. Ihre Doppelscheibenbremse (!) im Vorderrad bringt auch den schwersten Koloß abrupt zum Stillstand. Sie will ebenfalls aus lässig niedriger Sitzposition an einem Buckhorn-Lenker durch Kurven dirigiert werden. Aber sie tut es auch, und zwar mit außerordentlicher Unbekümmertheit. Munter wechselt sie von einer Schräglage in die andere, bisweilen sogar zu munter. Doch darunter leidet nur die Zielgenauigkeit ein wenig. Sonst aber leidet nichts bei der Virago. Schon gar nicht der Federungskomfort. Lässig nimmt sie noch so schlechte Wegstrecken unter ihre Federelemente, wippt erst, wenn’s heftiger wird schon mal nach. Aber instabil, das wird sie nicht.

Waren sich Intruder und Virago von der Sitzposition her noch sehr ähnlich, findet der Fahrer bei der Kawasaki einen völlig neu gestalteten Arbeitsplatz vor. Breitbeinig, die Füße weit nach vorn gestreckt, die Arme am weit ausladenden Lenker, hat man die Classic easy im Griff. Ganz locker und ihrem behäbigen Äußeren so gar nicht entsprechend, brummt sie durch Kurven und Biegungen aller Art. Zielsicher, neutral, ständig zu flotter Gangart verführend. Nur wird diese durch mangelnde Schräglagenfreiheit schnell wieder eingebremst. Apropos einbremsen: Die schwere Classic beweist, daß auch eine Scheibenbremse im Vorderrad genügt, um schnell und effektiv zu verzögern. Allerdings nicht, ohne bei der einseitigen Belastung die massiv wirkende Gabel zu verwinden.

Die lässige und bequeme Sitzposition verspricht irgendwie auch Federungskomfort. Doch der Schein trügt. Die Federelemente hinterlassen nämlich einen ganz zwiespältigen Eindruck. Zwar bügelt das versteckte Zentralfederbein Wellen und Asphaltflicken sorgsam platt, doch größere Schlaglöcher und tückische Kanaldeckel gibt es ungefiltert ins Rückgrat des Fahrers weiter.

Noch besser teilt das knochige Fahrwerk der Sportster 883 Schläge aus. Während die schlanke, langhubige Gabel öfter ein Nachsehen mit dem Fahrer hat, zeigen sich die beiden Federbeine schon ausgesprochen unnachgiebig. Mit sportlicher Härte rattern sie über Flickenteppiche, rütteln Mann und Maschine kräftig durch und peitschen bei tiefen Schlaglöchern feste ins Kreuz. Was soll’s: Auf dem kleinen Sitzbrötchen hat der Reiter eh keine Chance, sich weich einzukuscheln. Da paßt auch der hammerharte Zugriff am Handbremshebel ganz gut, der die Fuhre zum Stillstand bringt.

Das Gefühl, bei der schlanken Harley mit ihrem kurzen, leicht gekröpften Lenker wie auf einem Drahtesel zu sitzen, oder wie Münchhausen auf der Kugel, läßt das Fahrwerk agil und handlich wirken.

Man sieht, die heutige Chopperkultur treibt wahrlich viele Blüten. Nicht nur optisch. Die goldene Mitte aus Hubraum und Leistung läßt mehr zu, als 800 Kubik und zwei Zylinder zunächst erwarten lassen. Vier Chopperphilosophien nämlich.