„Manche Menschen geraten in die Welt des Verbrechens wie andere ins Kloster, einfach aus Berufung.“ Diese Berufung beschrieb Jacques Mesrine (1936–1979) mit einem treffenden Wort, das er auch zum Titel seiner Autobiografie machte: „Der Todestrieb“. Rund 40 Menschen fielen ihm zum Opfer, am Ende er selbst. Am 2. November 1979 wurde sein BMW 528 an der Porte de Clignancourt in Paris von einem Lastwagen gestoppt. Darin saßen Polizisten, die umgehend das Feuer eröffneten. Von 19 Kugeln getroffen, starb Frankreichs „Ennemi public n° 1“ an Ort und Stelle.
Seine kriminelle Karriere war Mesrine nicht in die Wiege gelegt. Geboren in einer aufstiegsorientierten Arbeiterfamilie in Clichy, schickten ihn seine Eltern auf das renommierte katholische Collège de Juilly. Aber Jacques verweigerte sich, wurde sogar gegenüber dem Rektor handgreiflich und der Schule verwiesen. In der Armee bot sich ihm eine zweite Chance. Als Fallschirmjäger diente er in Algerien und wurde mit dem Croix de la Valeur militaire ausgezeichnet. Nach seiner Rückkehr heiratete er (übrigens zum zweiten Mal) und zeugte drei Kinder. Zugleich aber beschloss er endgültig, Gangster zu werden.
Von da an wechselte er zwischen Freiheit und Gefängnis munter ab. Nach einem Banküberfall 1962 kam er erstmals in Haft, in Düsseldorf, Orleans und später Palma. Er verließ seine Familie und zog zu seiner Geliebten Jeanne Schneider, deren Zuhälter er getötet haben soll, was allerdings nie bewiesen werden konnte. Mehrmals versuchte er sich als Gastronom, doch mutierten seine Etablissements schnell zu kriminellen Zentren. Zwischendurch überfiel er Banken oder Hotels.
1968 gelang es Mesrine und Schneider, sich ins kanadische Quebec abzusetzen. Dort fanden sie eine Anstellung bei dem Milliardär Georges Deslauriers. Nach fünf Monaten entführten sie ihn und konnten von der Familie 200.000 Dollar Lösegeld erpressen. Zwar gelang dem Paar die Flucht in die USA, doch wurden sie in Arkansas gefasst, nach Kanada ausgeliefert und zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Die späten 60er-Jahre waren die Zeit, in der Leute wie Mesrine schnell zu Kämpfern gegen Bourgeoisie und Kapitalismus hochgeschrieben wurden. Vor allem in Frankreich war von Bonny und Clyde die Rede, Schlagzeilen, die mit Inhalten zu füllen sich Mesrine alle Mühe gab. Zum einen, weil es ihm wiederholt gelang, aus dem Gefängnis zu fliehen. Zum anderen durch große Szenen, wenn er wieder einmal verhaftet wurde. Einen Kommissar, der ihn festnahm, erwartete Mesrine mit Champagner, einer Zigarre und dem Satz: „Das ist doch eine Verhaftung mit Stil, oder?“
Mesrines kriminelle Energie war in der Tat atemberaubend. Manchmal überfiel er zwei Banken an einem Tag. Während einer Gerichtsverhandlung nahm er den Richter als Geisel, mit Polizisten schloss er Wetten ab, dass er binnen drei Monate aus der Haft entkommen sein würde. Dutzende Tote säumten seinen Weg.
Als er 1977 wieder einmal im Gefängnis gelandet war, verlegte er sich auf einen gänzlich anderen Zeitvertreib, um seinen Ruhm als moderner Robin Hood zu mehren. Er schrieb seine Autobiografie, in der er sich nicht nur zu Dutzenden Verbrechen bekannte, sondern außerdem die Zustände im französischen Strafvollzug anprangerte. Es gelang ihm, das Manuskript mit dem Titel „L’instict du mort“ (Der Todestrieb) aus dem Hochsicherheitsgefängnis zu schmuggeln und einem Verleger zukommen zu lassen. Das französische Parlament erließ daraufhin das „Loi Mesrine“, das Geschäfte mit Publikationen von inhaftierten Verbrechern verbot.
Dass Mesrine etwas vom Schreiben verstand, wurde 2010 bekannt. Damals ließ seine kanadische Ex-Geliebte Jocelyne „Joyce“ Deraiche ein Konvolut mit 180 Liebesbriefen versteigern, die Mesrine ihr zwischen 1973 und 1978 aus dem Gefängnis geschrieben hatte: „Joyce, meine Liebe, wie süß es meinem Herzen ist, Dir meine Liebe gestehen zu können, ich habe Dich nie vergessen ...“ Vergitterte Herzen schmückten die Briefe.
1978 gelang Mesrine erneut die Flucht. Nun verlegte er sich aufs Untertauchen, indem er permanent Aussehen und Wohnort wechselte. Gleichwohl sorgte sich der „Mann mit den tausend Masken“ weiterhin um seine Popularität. Er lud Journalistinnen zu Interviews ein. Mit einem Kritiker ging er weniger gastlich um. Er zog ihn aus, schoss ihm drei Kugeln in den Körper und schickte das Foto an die Zeitung „Le Monde“. Im Gegensatz zu vielen Opfern überlebte der Journalist den Anschlag. Auch seine Frau und Mutter seiner Kinder bekam Mesrines Brutalität zu spüren. Er schlug und quälte sie. „Ich wusste, dass ich sehr nah daran war, sie zu töten.“
Nachdem Mesrine im Juni 1979 den Millionär Henri Lelièvre entführt und sechs Millionen Francs erpresst hatte, erklärte ihn Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing endgültig zum „Staatsfeind Nr. 1“. Ein Großaufgebot der Polizei machte Jagd auf ihn. Nachdem es gelungen war, seinen Unterschlupf in Paris ausfindig zu machen, wurde Mesrine Anfang November eine Falle gestellt. Er starb im Kugelhagel.
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