Claudia-Cardinale-Retrospektive im Berliner Kino Arsenal: Diva zwischen Glamour und Gosse

Claudia Cardinale: Würdigung einer Diva zwischen Glamour und Gosse

Sie ist eine Diva, die auf der Höhe des Glamours nahbar und bis hinab in die Gosse glaubwürdig blieb. Das Arsenal zeigt seltene Filme mit Claudia Cardinale.

Claudia Cardinale im Jahr 1964
Claudia Cardinale im Jahr 1964Everett Collection/imago

Noch vor nicht allzu langer Zeit galten Schauspiel-Retrospektiven als nicht ganz seriös. Cineasten witterten darin populistische Anbiederung. Der intellektuelle Geniekult akzeptierte meist nur Regisseure, fast ausschließlich Männer – sie, und nur sie, inkarnierten die für filmische Meisterwerke notwendige, intellektuelle Leistung.

Auch die Arbeit an Drehbüchern, an den Schneidetischen oder hinter den Kameras galt als nachgeordnet.

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Langsam, aber stetig wird diese Perspektive vom Mehltau befreit. Mit der aktuellen, durch Unterstützung des italienischen Kulturinstituts ermöglichten Retrospektive für Claudia Cardinale zeigt das Arsenal, auf welch eindrucksvolle Weise sich in den Rollen einer populären Darstellerin Zeit- und Kulturgeschichte bündeln und spiegeln können. Die Hommage nimmt anhand von 14 Beispielen aus dem insgesamt mehr als 100 Filme umfassenden Œuvre Cardinales eine spannende Auswahl vor.

Moden, Frisuren, Stile oder politische Aussagen ändern sich – Cardinale blieb sich inmitten dieses ständigen Wandels treu. Sie war, wie ihr Kollege Marcello Mastroianni meinte, die „einzig normale Künstlerin im Milieu der Neurotiker und Hysteriker“. Mit Fellinis „8½“, Viscontis „Leopard“ (beide 1963) oder Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) finden sich zwar auch drei ihrer berühmtesten Arbeiten im Programm. Ansonsten aber bringt die Reihe hierzulande auch weniger bekannte Beispiele auf die große Leinwand; alle sind zwischen 1958 und 1971 entstanden. Gerade in ihnen spiegeln sich die Vielfalt ihrer Rollen und die Kontinuität von Cardinales Haltung besonders klar.

Claudia Cardinale im Jahr 1965
Claudia Cardinale im Jahr 1965dpa

Die spätere Diva kam 1938 als Kind sizilianischer Einwanderer in Tunis zur Welt. Sie wusste, was soziale Unsicherheit bedeutet. Diese Erfahrungen ließ sie in frühe Filme wie „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer) einfließen, dem frühesten, 1958 uraufgeführten Beispiel der aktuellen Reihe. Die in der proletarischen Peripherie Roms spielende Gaunerkomödie begründete das anschließend kassenträchtig werdende Genre der „Commedia all’italiana“ – einer Modifizierung der berühmten „Commedia dell’arte“, bei der ein überschaubares Ensemble archetypische, aus dem Alltag wiedererkennbare Figuren verkörperte. Das turbulente, an authentischen Schauplätzen aufgenommene Geschehen bietet jede Menge Situationskomik, die den prominenten Darstellern wie Mastroianni, Vittorio Gassman oder Totò ebenso sichtlichen Spaß bereitete wie der noch unbekannten Cardinale.

Ganz andere, nämlich tragisch-existenzialistische Töne schlägt Francesco Masellis in der Zwischenkriegszeit spielendes Drama „Gli indifferenti“ (Die Gleichgültigen) von 1964 an. Auf dem gleichnamigen Romandebüt (1929) von Alberto Moravia basierend, entfaltet der Plot ein düsteres Szenarium um menschliche Niedertracht. Die Familie von Carla (Cardinale) wird dabei um den Rest ihres Besitzes, vor allem aber um Würde und Selbstachtung gebracht.

Im 1961 fertiggestellten „La viaccia“ (Das Haus in der Via Roma) verbinden sich tragische und groteske Töne. Der Regisseur Mauro Bolognini erzählt hier von einem jungen Mann namens Amerigo (Jean-Paul Belmondo), den es auf der Suche nach Arbeit aus der toskanischen Provinz nach Florenz verschlägt. Angesichts lausiger Lebens- und ausbeuterischer Arbeitsbedingungen verliert er jede Orientierung, findet Trost bei der Prostituierten Bianca (Cardinale), die sich in ihn verliebt.

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Das von zunehmender Gewalt geprägte Verhältnis Amerigos zu Bianca mündet ausgerechnet in der Karnevalsnacht in die Katastrophe. Gerade dieser Film zeigt die beeindruckende Wandlungsfähigkeit der nun geehrten Schauspielerin. Sie chargiert nie, kann den Glamour auf ebenso hohem, weil empathischen Niveau spielen, wie sie sich glaubhaft in die Niederungen des Lebens, ja bis in die Gosse zu begeben vermag.

Hommage Claudia Cardinale. 2. bis 31. Mai im Kino Arsenal