Sei nicht so schüchtern, kleine Ente
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Sei nicht so schüchtern, kleine Ente

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Lucien Gainsbourg Anfang November in Paris. Ein paar Tage zuvor gab er sein erstes Konzert.
Lucien Gainsbourg Anfang November in Paris. Ein paar Tage zuvor gab er sein erstes Konzert. © AFP

Wie fühlt es sich an, Serge Gainsbourg zum Vater zu haben? Vor 23 Jahren stand Lulu Gainsbourg einmal mit dem berühmten Sänger auf der Bühne. Jetzt versucht sich der Sohn selbst als Musiker. Eine Begegnung in Paris.

Von Uwe Killing

Wie fühlt es sich an, Serge Gainsbourg zum Vater zu haben? Vor 23 Jahren stand Lulu Gainsbourg einmal mit dem berühmten Sänger auf der Bühne. Jetzt versucht sich der Sohn selbst als Musiker. Eine Begegnung in Paris.

Es ist einer dieser unberechenbaren Serge-Gainsbourg-Momente. „Komm zu Daddy, Lulu! Komm schon ...“ – Lulu, gerade einmal zwei Jahre alt, zögert, auf seinen Vater zuzurennen. Der steht auf der Bühne der Pariser Konzerthalle Zenith, rauchend, verschwitzt, die Augen vom Tagespensum Rotwein verquollen. Als er seinen Sohn schließlich in den Armen hält, stimmt er „Hey Man Amen“ an. Einen Song, den Gainsbourg zuvor in einer schlaflosen Nacht geschrieben hatte. Gewidmet seinem spät geborenen Sohn Lucien, den er „Lulu“ ruft und den er geradezu vergöttert.

Es ist der 22. März 1988, als Serge und Lulu Gainsbourg das einzige Mal zusammen auf einer Bühne stehen. Auf einer Live-DVD ist der Auftritt dokumentiert. Umhüllt von Nikotinschwaden, schaut der kleine Junge mit den pechschwarzen Haaren verstört auf die kreischenden Menschen im Saal. Dann hält er sich die Hände vors Gesicht, während sein Vater ihn hektisch schaukelt und krächzt: „Sei doch nicht so schüchtern, Darling, meine kleine Ente ...“

Wie fühlt es sich an, Serge Gainsbourg zum Vater zu haben? Den späten Gainsbourg, dessen letzte Jahre von Alkoholexzessen und Skandalauftritten geprägt waren? „Er war mein Dad, nicht der exzentrische Star“, sagt der heute 26-jährige Lulu Gainsbourg, als wolle er gleich zu Beginn des Gesprächs klarstellen, dass er sich die fünf gemeinsamen Jahre mit seinem Vater von niemandem wegnehmen lassen möchte.

„Ich habe als Kind empfunden, dass er krank war. Auch seine schwarz gestrichenen Wohnungswände konnten sehr unheimlich wirken“, erinnert sich Lulu. Doch gleichzeitig habe er „wunderschöne Augenblicke“ mit ihm gehabt – „vor allem, wenn wir uns gemeinsam den ganzen Sonntagnachmittag lang Walt-Disney-Filme angeschaut haben. Peter Pan war mein absoluter Liebling. Und seiner auch.“

Eine heilige Kammer mit Jane Birkin

Peter Pan, das ewige Kind, nach Aufmerksamkeit schreiend. Serge Gainsbourg war es mit brutaler Konsequenz. Was das für seinen Sohn Lulu bedeutet hätte, kann dieser heute nur erahnen: „Er wollte wohl, dass ich auf seinem nächsten Album singe. Er war so stolz, wollte mich unbedingt im Rampenlicht sehen.“ Der Tod seines Vaters, infolge eines Herzinfarktes am 2. März 1991, ändert alles: „Für mich begann ein neues Leben, was ich meiner Mutter zu verdanken habe. Sie hat mich beschützt und dafür gesorgt, dass ich in all den Jahren nicht als der Sohn von Serge Gainsbourg in der Öffentlichkeit stehe.“

Lulus Mutter ist Caroline von Paulus, 52, Sängerin und Schauspielerin mit deutschen und chinesischen Vorfahren, ihr Großvater war Friedrich von Paulus, der General, der Hitlers Armee in die Schlacht von Stalingrad führte. In Frankreich ist die Frau, mit der Serge Gainsbourg seine letzten zehn Lebensjahre verbrachte, nur unter ihrem Künstlernamen Bambou bekannt. Gainsbourg produzierte Musik für die Cover-Schönheit, inszenierte erotische Fotos mit ihr, kaufte ihr eine eigene Wohnung.

Denn ganz hineinlassen in sein schwarzes Reich wollte er seine dreißig Jahre jüngere Muse und den gemeinsamen Sohn nie. Dort hatte seine Ex-Partnerin Jane Birkin noch immer ein Zimmer. Besser gesagt: eine heilige Kammer. Denn Gainsbourg ließ bis zu seinem Tod alles genau an dem Platz, wo Jane, mit der einst das epochale „Je t’aime, moi non plus“ stöhnte, es bei ihrem Auszug im Jahr 1980 zurückgelassen hatte.

An einem nasskalten Novembertag sitzt der Sohn von Serge Gainsbourg in der Künstlergarderobe im Casino de Paris. Er wartet auf seinen Auftritt, mit dem er sein Debüt-Album „From Gainsbourg to Lulu“ präsentieren möchte. Mit Hut, schulterlangen Haaren und dem Piratenbärtchen ähnelt er eher Johnny Depp als seinem Vater, dessen Gesicht „aussah wie eine elegante Schildkröte, die man mit einem obszönen, kettenrauchenden Wolf gekreuzt hatte“ (so seine Biografin Sylvie Simmons). Sein Sohn ist größer und wesentlich kräftiger gebaut, gleichzeitig hat er die weichen, exotischen Gesichtszüge seiner Mutter.

Scheu und nervös

Lulu wirkt scheu. Und kurz vor dem Konzert wird er immer nervöser. Er geht auf und ab, angespannt, vergräbt seine Hände tief in den Hosentaschen. Raucher haben es da mit ihrem Ablenkungsmanöver einfacher. Doch Gainsbourg junior greift weder zu Zigaretten noch Alkohol. Er ist eher der Typ Musterstudent, er hat renommierte Musikschulen in London und Boston absolviert. Seine Abstinenz ging so weit, dass er es lange vermieden hat, die von Sex und Schweiß durchtränkte Musik seines Vaters auch nur anzurühren. Es ist der mächtige, verunsichernde Schatten, den alle Kinder eines charismatischen Vaters oder einer solchen Mutter spüren.

Das Casino de Paris mit seiner intimen Theateratmosphäre ist der Saal, wo sein Vater am liebsten auftrat. Gleich um die Ecke liegt das Vergnügungsviertel Pigalle. Dort, wo der jugendliche Serge, der damals noch Lucien Ginsburg hieß, seinen Vater Joseph, einen jüdischen Einwanderer aus der Ukraine, begleitete, als dieser als Pianist in den Rotlichtbars den Familienunterhalt verdiente. Und wo er seine Jungfräulichkeit bei einer Hure verlor. Ein Gainsbourg-Gedächtnisort. Das steigert die Erwartungen. Dennoch: „Jetzt fühle ich mich bereit, mein Erbe anzunehmen“, sagt der Sohn leise, in sich gekehrt, so als ob er jedes Pathos minimieren möchte.

Lulu Gainsbourg betritt zögerlich die Bühne. Erster verhaltener Beifall, der anschwillt, als eine Frau erscheint. Es ist Jane Birkin – schlank, mit weit aufgeknöpfter Bluse, die Haare aufgewühlt, alterslos sexy. Mit Lulu stimmt sie ein in den Sprechgesang von „Ballade de Melody Nelson“. Es ist das Stück, das 1971 für das Konzeptalbum „Histoire de Melody Nelson“ aufgenommen wurde und nicht nur die fiebrigen, erotischen Dialoge zwischen Serge und seiner jungen englischen Geliebten Jane enthielt.

Die Rock- und Streicherklänge waren ihrer Zeit weit voraus, das Album ist gerade in einer Jubiläums-Edition neu aufgelegt worden. Genauso historisch ist jetzt Birkins Auftritt. Nach 40 Jahren singt sie diesen Klassiker erstmals live. Mit dem Sohn des Mannes, der die große dramatische Liebe ihres Lebens war.

Es ist ein berührendes Duett, bei dem Jane Birkin den unsicheren Lulu immer wieder zu sich heranzieht. Lulus steife Körperhaltung lockert beim Blickkontakt spürbar auf. Diese Unterstützung ist von großer Bedeutung. Denn Jane Birkin gilt in Frankreich als moralische Instanz in allen Gainsbourg-Angelegenheiten. Ob Ausstellungen, Filme oder Ehrungen: Ihr Wort zählt. Sie ist Teil des fortwährenden Mythos um einen Künstler, dessen Kreativität ungezügelt war.

Distanz zum Mythos

Lulu ist nicht der geborene Sänger, er weiß das und hat es vor dem Konzert gesagt. Aber dann schlägt er sich ganz achtbar. Seine Stimme verströmt durchaus eine eigene Melancholie, aber zugleich vermisst man das Innenhalten, diese Flüstertöne, die plötzlichen Abgründe. All das, was den Vortragsstil von Serge Gainsbourg so einzigartig gemacht hat.

Mit vier, fünf Jahren habe er angefangen, auf dem Piano herumzuspielen, mit acht Jahren schickte ihn die Mutter aufs Pariser Konservatorium. Am Berklee College of Music in Boston hat er jüngst sein Studium beendet, er pendelt nun zwischen Los Angeles und New York.

Diese Distanz zum Gainsbourg-Mythos und auch das längst amerikanisierte Popverständnis prägen das Album „From Gainsbourg To Lulu“. Der 26-Jährige präsentiert sich darauf als Arrangeur eines farbigen Sounds aus Jazz, Gypsy und modernen Popchansons. Und überzeugt als Musiker mehr als durch seine Stimme.

Wohl auch deshalb bemüht er sich um namhafte Gesangspartner. So fragt er Leonard Cohen und Bob Dylan an – und erhält freundliche Absagen. Auch die Schauspielerin Scarlett Johansson ist zunächst sehr reserviert. Sie soll mit ihm „Bonnie and Clyde“ singen – den Hit, den sein Vater einst mit seiner Geliebten Brigitte Bardot produzierte. Johansson willigt schließlich ein, sich zum Pizzaessen mit Lulu zu treffen. Sie reden stundenlang über Hippies und europäische Kultur: „Ich war überrascht, wie gut Scarlett die Musik meines Vater kennt.“

Wenig später nehmen beide in einem New Yorker Studio auf. Auch andere namhafte Musiker – Marianne Faithfull, Rufus Wainwright, Iggy Pop – sagen zu. Johnny Depp haucht gemeinsam mit seiner Ehefrau Vanessa Paradis Gainsbourgs „Ballade de Melody Nelson“. Und Johnny spielt dazu Gitarre. „Wir sind Freunde und machen schon seit Jahren gemeinsam Musik. Ich habe Johnny in den USA kennengelernt, da war ich 12 Jahre alt. Ja, er ist im gewissen Sinne wie ein Vater für mich“, erzählt Lulu.

Kein enges Verhältnis mit der Halbschwester

Lulus Halbschwester Charlotte Gainsbourg fehlt bei dem Projekt. Das Verhältnis zu der 43-jährigen Tochter von Jane und Serge, selbst eine namhafte Schauspielerin und Sängerin, sei nicht besonders eng, erklärt Lulu. Die beiden sind nicht zusammen aufgewachsen, beäugen sich wohl eher eifersüchtig.

Außerdem sieht sich Charlotte, eine herbe Schönheit und leidenschaftliche Pariserin, als die Erbverwalterin ihres Vaters: Sie besitzt heute seine Wohnung in der Rue de Verneuil, in der noch immer wenig verändert wurde und die – geziert mit einer Außenmauer voller Graffiti und Liebesbekundungen – eine beliebte Pilgerstädte ist.

Vanessa Paradis kommt auf die Bühne, um das Chanson „Sous le soleil exactement“ zu singen. Eine Geste mit Symbolkraft, schließlich war Serge Gainsbourg ein großer Förderer der Lolita-Pop-Karriere von Vanessa Paradis. Ihr Auftritt ist wuchtig: Wie Michelle Pfeiffer in dem Film „Die fabelhaften Baker Boys“ lehnt sich Vanessa Paradies im wenig bedeckenden Pailletten-Minikleid über den Flügel und rückt Lulu dabei sehr nahe. Dieser weicht jedoch auf seinem Hocker zurück, als wolle er ausdrücken: Bitte nicht. Das gebührt meinem Vater, aber nicht mir.

Kurz zuvor trägt Lulu seine eigene Komposition „Fresh News from the Stars“ vor, instrumental und ganz alleine am Klavier. Dabei blickt er öfters nach oben, als schicke er das Stück in einen imaginären Himmel. Dort – so beschwören es jedenfalls viele seiner Fans – wo Serge Gainsbourg auch die Engel mit seinen Gitanes-Zigaretten einnebelt. Und wie sieht er seine Zukunft? „Ich bin erst 26“, sagt Lulu Gainsbourg, „man darf nicht vergessen, mein Vater war 30, als er sich entschloss, Musiker zu werden. Ich habe noch Zeit.“

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