„Mit Fingerchen, mit Fingerchen,/ mit flacher, flacher Hand;/ mit Fäusten, mit Fäusten,/ mit Ellenbogen,/ klatsch, klatsch, klatsch.“
Dafür, die Vermehrungsfreudigkeit eines Gemeinwesens vollends zum Erliegen zu bringen, gibt es eine simple Methode. Man schenkt jedem gebärfreudigen Paar einen Elternabend im Kindergarten.
Zwischen überbeschützenden Müttern, helikopterfliegenden Vätern und Pädagogen am Rande des Nervenzusammenbruch sitzt man da, gefaltet auf klitzekleinen Stühlen und singt. Kinderlieder wie das oben stehende mit den Fingerchen. Um sich in die Perspektive der Kinder hineinzuversetzen.
Dieser Film gefährdet die Geburtenrate
Und weil wir an diese Theorie fest glauben, muss vor dem neuen Münchner „Polizeiruf 110“ gewarnt werden. Er könnte der deutschen Geburtenrate den Garaus machen.
„Wir singen Wiegenlieder, damit wir selbst einschlafen können“, steht auf dem Bildschirm, während man das „Fingerchen“-Lied hört. Und das sagt schon alles. Dann sieht man, wie eine Frau geschlagen, überfahren wird, bevor ein Elternabend über die Frage, wer von den Zweijährigen wen gerade gebissen hat, explodiert. Sieht Erwachsene, die sich im Garten Eden ihrer Kinder das Leben zur Hölle machen.
„Kinderparadies“ heißt der sechste Fall von Hauptkommissar Hanns von Meufffels (Matthias Brandt). Leander Haußmann hat ihn gedreht, es ist sein Fernsehkrimidebüt.
Ein Spitzenkindergarten mit seltsamen Eltern
„Kinderparadies“ heißt der Spitzenkinderladen, in dem Meuffels, der von Einsamkeit umwehte, immer träumerische, jenseitige Kommissar, diesmal ermitteln muss. Das Kinderparadies hat alles, was sich Besserverdienende wünschen.
Eine angeblich native-speakende Chinesin, die auch Klavierunterricht erteilt, einen Flügel, mehr Violinen als ein Kammerorchester, frisch geputztes Spielzeug und Platz im Überfluss, damit sich die Villenkinder aus Schwabing nicht eingeengt fühlen, einen extrem luxuriösen Betreuungsschlüssel.
Dann ist Ella tot. Sie liegt zerquetscht im Regen, vier, fünf Mal ist der Geländewagen über sie gefahren. Soviel Hass.
Meuffels ist nachhaltig erschüttert. In der Tasche hat sie ein Babyphon, aus dem ein Kind nach Mami schreit. Das Kind heißt Lara. Morgen hat sie Geburtstag.
Die Eltern lieben sich, sie hassen sich
„Leg die Hände an den Kopf,/ form daraus nen Blumentopf./ Mach die Finger zu ner Brille,/ sei danach ein bisschen stille.“
Ellas Mann, der Joachim (Johannes Zeiler, der „Faust“ aus Alexander Sokurows Goethe-Verfilmung), hat den Kinderladen mit der Valeska gegründet. Der Joachim ist so ein lieber Mensch, naja, er schlägt seine Frauen, aber Lara, ein ganz ein süßer Knopf, liebt er mehr als sein Leben.
Und er hat ja auch eine Therapie gemacht, bastelt Puppen zu Shakespeares „Sommernachtstraum“. Das führt er dann auch auf. Was die Kinder natürlich komplett überfordert.
Aber egal. Jedenfalls lieben sie sich alle. Und hassen sich von Herzen. Was auch daran liegt, dass Valeskas Sohn Bruno gern beißt. Und Ella mit Tobias, dem Mann von Valeska, mehr teilt als den Kindergarten.
Die Kinder brauchen diese Eltern nicht
Es ist eine aus dem Lot geratene Elternwelt, der Haußmann mit wackeliger Kamera und einer zerborstenen Dramaturgie folgt. Im Innern der zerbrochenen Geschichte über zerrissene Elternseelen hat es eine Schlagwetterkatastrophe gegeben. Und die hat dazu geführt, dass die Großen ihre Kleinen mehr brauchen als die Kinder sie.
„Lara“, sagt Joachim, „hat mir den Weg gewiesen.“
Selten gab es eine derartige Versammlung von Übertragungsaktionen, von Übersprungshandlungen und Selbstverstümmelungen zu sehen. Und unter anderem weil niemand den Großen die Beaufsichtigung von Lara (Doris Marianne Müller) zutraut, hat sie Meuffels halt am Bein.
Meuffels und Lara – ein herzzerreißendes Duo
Sie gehen einkaufen, hören Dylan und „Peter und Wolf“, sie sind in der Pathologie. Von keinem weiblichen Gegenüber wurde Meuffels je derart gefordert. Er kann sich mit Mühe behaupten. Lara ist ihm über. Macht ihn locker. Weist ihm den Weg. Ein sensationelles Duell.
Ein SEK-Kommando stürmt am Ende das Kinderparadies. Und Meuffels sagt zum Joachim: „Man kann niemand lieben, wenn man sich selbst hasst.“ Dann geht er.
Er hat was gelernt. „Kinderparadies“, böse, traurig, zum Weinen komisch, ist schon jetzt ein Klassiker.
„Wir schießen mit Kanonen,/ mit Erbsen und mit Bohnen./ Piff, paff, puff!“
„Polizeiruf 110“, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.