Medizin in Wikipedia: Online-Enzyklop�die als Patientenbegleiter
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SUPPLEMENT: PRAXiS

Medizin in Wikipedia: Online-Enzyklop�die als Patientenbegleiter

Dtsch Arztebl 2015; 112(15): [12]

Mey, Stefan

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Patienten holen sich ihr erstes Wissen oft von Wikipedia. Wie kommen die Medizininformationen in die Online-Enzyklop�die, und wer schreibt die so wichtigen Artikel?

Es zwickt irgendwo unangenehm, und der Patient fragt sich, was das wohl ist. In den meisten F�llen beginnt die Erkenntnissuche im Internet. Und bei vielen Begriffen f�hrt sie von der Suchmaschine Google mit einem Klick zu einem Wikipedia-Artikel. Die Online-Enzyklop�die wird von Google als besonders verl�ssliche Informationsquelle angesehen und landet deswegen oft weit oben in den Trefferlisten. Bei der Suche nach den Begriffen �Krebs�, �Aids� oder �Masern� beispielsweise steht Wikipedia unangefochten auf Platz 1.

Zu allen gro�en und vielen kleinen Krankheiten und Wehwehchen gibt es dort Eintr�ge, auch zu Wirkstoffen und zu Therapiemethoden. Die Texte sind manchmal kurz, weisen manchmal aber auch eine epische L�nge auf. Der Wikipedia-Beitrag zu Krebs w�re ausgedruckt 19 Seiten lang und enth�lt mehrere Tabellen, Fotos und Illustrationen. F�r �rzte lohnt es sich zu wissen, wie die Informationen zustande kommen, die ihren Patienten vor dem Praxisbesuch oft eine erste Orientierung geben.

Es gibt einige wenige allgemeine Erhebungen zu Autoren der Online-Enzyklop�die. Die wichtigste Erkenntnis: Es sind erstaunlich wenige, die den Gro�teil der Artikel schreiben. Zwar haben sich etwa zwei Millionen Nutzer irgendwann einmal ein eigenes Nutzerprofil auf der deutschen Wikipedia-Website zugelegt. Nur etwa 20 000 aber gelten als �aktiv� und haben innerhalb des letzten Monats mitgeschrieben. Die �Community� ist zudem recht homogen. Beitr�ge stammen oft von technikaffinen M�nnern, woran auch gezielte Bem�hungen um Vielfalt in der Vergangenheit wenig ge�ndert haben.

Vorabzensur und Relevanz

Einen Artikel verfassen oder einen bestehenden ver�ndern darf jeder. Theoretisch zumindest. Praktisch herrscht auf der deutschsprachigen Wikipedia eine Art Vorabzensur. Ein neuer Artikel oder eine Ver�nderung wird erst dann angezeigt, wenn er beziehungsweise sie von einem Wikipedia-Nutzer mit dem Status eines �Sichters� freigeschaltet wird. Sichter kann jeder werden, der eine Mindestzahl erfolgreicher Bearbeitungen vorweisen kann. So lange das nicht geschehen ist, macht nur ein kleiner Button rechts oben auf dem Bildschirm darauf aufmerksam, dass man sich auch die noch nicht best�tigte Version anschauen kann.

In anderen Sprachversionen von Wikipedia wird das deutlich laxer gehandhabt. Die deutsche Vorabzensur wurde im Jahr 2008 nach heftigen ideologischen Diskussionen eingef�hrt. Das war eine Abkehr vom Ursprungsprinzip, dass jeder gleichberechtigt mitschreiben kann. Allerdings hat die Regelung zu einem vergleichsweise hohen Niveau gef�hrt. Die Zeiten sind vorbei, als alles und auch jeder Unsinn ungepr�ft auf Wikipedia angezeigt wurde.

Community wacht �ber der Qualit�t

Noch in anderem Punkt ist die deutsche Wikipedia hart. Das Kriterium �enzyklop�dische Relevanz� wird besonders streng ausgelegt. Versucht ein von sich selbst �berzeugter Oberarzt oder eine Praxisgemeinschaft einen Artikel in eigener Sache anzulegen, wird der mit hoher Wahrscheinlichkeit von anderen wegen �Irrelevanz� wieder gel�scht. Wikipedia legt zudem Wert darauf, dass nur etabliertes Wissen abgebildet wird. Die Community wacht dar�ber, dass Informationen mit Quellen belegt werden, meist in Form von Links zu online verf�gbaren Medien.

Von den 1,8 Millionen Artikeln in der deutschen Wikipedia haben etwa 50 000 einen medizinischen Bezug. Sie sind im �Portal: Medizin� zusammengefasst, einem von mehreren Ressorts. Eine ehrenamtliche Redaktion beh�lt die Artikel im Auge, stellt eigene Regeln auf und entwickelt sie weiter. 24 regelm��ige Redaktionsmitglieder werden aufgelistet. Die meisten nennen nur ein Pseudonym, fast alle geben an, dass sie �rzte sind.

�Die Redaktion Medizin setzt sich vornehmlich aus Autoren zusammen, die ein entsprechendes Studium absolviert haben, also in Human-, Zahn-, Veterin�rmedizin oder auch in angrenzenden Fachbereichen wie Humanbiologie oder Pharmazie et cetera�, erz�hlt das Redaktionsmitglied Redlinux, selbst Arzt. Da einige Kollegen mit der Aktivit�t auf Wikipedia Probleme haben, hat er sich entschieden, seinen Klarnamen nicht zu nennen. Er sch�tzt, dass 35 bis 50 Autoren regelm��ig an Medizinartikeln schreiben, hinzu kommen noch einige andere, die sporadisch einzelne Beitr�ge oder Themenbereiche bearbeiten.

Die Qualit�t von medizinischen Informationen auf Wikipedia h�lt Redlinux f�r wesentlich besser, als er am Beginn seiner Wikipedia-Karriere erwartet hat. Er ist davon �berzeugt, dass das vor allem der Arbeit der Medizinredaktion zu verdanken ist, die das Artikelniveau gew�hrleiste. Auf einer Diskussionsseite zur Qualit�tssicherung werden beispielsweise einzelne �dringend �berarbeitungsw�rdige� Artikel diskutiert: Als L�sch-Kandidat wird ein Artikel zur Alkoholfahne genannt, und beim Eintrag zu Blutuntersuchungen wird auf fehlende Belege hingewiesen.

Erw�nschte und unerw�nschte Belege

Die Redaktion hat in gemeinsamen Diskussionen spezielle Leitlinien erstellt, die allgemein geltende Wikipedia-Regeln konkretisieren. So werden als �erw�nschte Quellen� f�r Medizinartikel Standardlehrb�cher, Leitlinien wissenschaftlicher Fachgesellschaften, �bersichtsarbeiten in Journalen mit Peer Review, aber auch Publikationen staatlicher Beh�rden genannt. Einzelstudien hingegen sollen nur als Quelle herangezogen werden, wenn keine Sekund�rliteratur verf�gbar ist.

Als �unerw�nschte Quellen� gelten allgemein Journale ohne Peer Review, Selbsthilfegruppen, aber auch Pressemitteilungen von Krankenh�usern. Und es werden auch konkrete, unerw�nschte Online-Quellen genannt, unter anderem die popul�ren Gesundheitsportale onmeda.de (Begr�ndung: �kommerzielles Webportal, seltenst weiterf�hrende Informationen�) und netdoktor.de (�werbelastige Klickibunti-Seite�), aber auch die digitale Krankenkassenpr�senz aok.de, die als werbende Anbieterseite �keine reputable Quelle f�r Fachartikel� darstelle.

Der Arzt und Wikipedia-Autor Redlinux beteiligt sich vor allem wegen des �Wohlf�hlfaktors�, es macht ihm Spa�. Zudem fasziniert ihn seit Beginn des Internetzeitalters die Vorstellung, dass viele gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Seit etwa zehn Jahren habe sich das Internet allerdings mehr und mehr gewandelt, hin zu Kommerzialisierung und �berwachung. �Aber Wikipedia blieb und kommt f�r mich der Verk�rperung dieser Grundidee am n�chsten.�

Er meint, dass der Alltag der meisten �rzte eher von einer zwangsweisen dienstlichen Nutzung des Internets gepr�gt ist, so dass nur wenige Lust haben, noch freiwillig Zeit im Netz zu investieren. Andererseits legt er seinen Kollegen ans Herz, dass der fachliche Austausch und die gemeinsame Arbeit gerade ohne den �blichen Zwang Freude macht.

Neuen Autoren empfiehlt Redlinux, es langsam angehen zu lassen und sich in der Anfangsphase nicht entmutigen zu lassen. Der Ton in Diskussionen ist oft rau, und Neulinge sind leicht von den besserwisserischen Kommentaren altgedienter Wikipedianer eingesch�chtert. Das wird in der Wikipedia-Bewegung schon l�nger als ernst zu nehmendes Problem f�r die Gewinnung neuer Autoren diskutiert. Man kann auch gezielt den Kontakt zu Mitgliedern der Redaktion Medizin suchen, empfiehlt der Wikipedia-Autor. Einige von ihnen beteiligen sich auch am Mentorenprogramm, das Neulinge gezielt unterst�tzt. An wie vielen Artikeln Redlinux in seiner ehrenamtlichen Wikipedia-Karriere bisher mitgewirkt hat, wei� er nicht. Er z�hlt auf seiner Benutzerseite auf Wikipedia allerdings 117 �von mir ma�geblich (mit-)erstellte Artikel� auf. Sie reichen von der OP-Methode Arthrotomie �ber die Schockniere bis zum Zentralen Salzverlustsyndrom. Etwa 1 000 Medizinartikel in der deutschen Wikipedia insgesamt kommen j�hrlich neu hinzu, sch�tzt er.

Wikipedia wird damit auch weiterhin ein treuer Begleiter von �rzten sein, deren Patienten sich hier oft die ersten Informationen �ber ihre Symptome einholen. Ob �rzte �ber die Arbeit des digitalen �Kollegen� nun froh sind oder nicht. Stefan Mey

1.
Liste der meistgelesenen Medizinartikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Redaktion_Medizin/Aufrufzahlen
2.
Medizinportal von Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Portal:Medizin
3.
Leitlinien der Medizinredaktion http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Redaktion_Medizin/Leitlinien
1. Liste der meistgelesenen Medizinartikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Redaktion_Medizin/Aufrufzahlen
2. Medizinportal von Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Portal:Medizin
3. Leitlinien der Medizinredaktion http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Redaktion_Medizin/Leitlinien

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