Für seine Eltern kann niemand etwas. Und auch Massenmörder können liebevolle Väter sein. Gudrun Himmler zum Beispiel liebte ihren „Pappi“ abgöttisch, mochte der auch „Reichsführer SS“ und damit hauptverantwortlich für den Holocaust und die Unterdrückung von halb Europa sein.
Zwar trug Himmlers einzige eheliche Tochter nach ihrer Heirat den Namen Burwitz, aber dem Nationalsozialismus blieb sie bis ins hohe Alter treu. Ende Mai 2018 ist sie gestorben, unbeirrt und unbelehrbar. Auf ihrem Grabstein steht „Familie Burwitz-Himmler“.
Wie gingen andere Kinder hoher NS-Funktionäre mit der Last um, die sie durch ihre Namen trugen? Ein einheitliches Muster gibt es nicht, im Gegenteil: Die Unterschiede sind gewaltig.
Edda Göring zum Beispiel, die einzige Tochter des zeitweise zweiten Manns des Dritten Reiches, Hermann Göring: 1938 geboren, lebte sie im Zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern in dem pompösen Jagdschloss Carinhall in der Schorfheide nordöstlich von Berlin. Ihr Vater nahm sich unmittelbar vor der Vollstreckung des Todesurteils, das der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg 1946 über ihn gefällt hatte, das Leben.
Edda Göring kämpfte jahrzehntelang um Teile des Erbes ihres Vaters. Noch 2014 reichte sie eine Petition beim Bayerischen Landtag ein, um zu erreichen, dass ihr das 1948 entschädigungslos eingezogene Vermögen ihres Vaters erstattet werde. Bekanntermaßen hatte sich Hermann Göring vielfach mit politischem Druck zahlreiche Preziosen angeeignet.
Abgelehnt wurde die Petition aber schließlich aus einem formalen Grund: Zum Zeitpunkt der Entziehung galt das Grundgesetz noch nicht. Seither ist es ruhig geworden um die gerade vor wenigen Wochen 80 Jahre alt gewordene Tochter Hermann Görings.
Weniger um Geld als vielmehr um den „guten Ruf“ seines Vaters ging es Wolf-Rüdiger Heß. 1937 geboren als einziger Sohn von Hitlers Stellvertreter in der NSDAP, kämpfte er bis zum Selbstmord seines greisen Vaters im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau 1987 um dessen Freilassung.
Nach dem Freitod des 93-Jährigen verbreitete Wolf-Rüdiger allerlei Verschwörungstheorien. Angeblich sei Rudolf Heß ermordet worden, damit er nicht „die Wahrheit“ über Winston Churchill und den Zweiten Weltkrieg verbreiten könne. Ohnehin, so erzählte Wolf-Rüdiger jedem, der es hören wollte, werde die Geschichte den Nationalsozialismus und damit seinen Vater rehabilitieren. Zutiefst verbittert starb der Heß-Sohn Ende Oktober 2001.
Ganz anders Martin Bormann junior, das älteste von insgesamt zehn ehelichen Kindern des NSDAP-Kanzleichefs und Hitler-Vertrauten: 1930 geboren, noch vor dem Durchbruch der braunen Partei, war er der erste Patensohn des „Führers“ und wuchs bis 1945 unter ausgesprochen privilegierten Umständen auf.
Als er, nach dem spurlosen Verschwinden seines Vaters und dem Krebstod seiner Mutter 1946, alleine dastand, legte er seinen Taufnamen „Adolf“ ab. Er wandte sich dem Glauben zu, ließ sich katholisch taufen und wurde Priester. Bewusst arbeitete er jahrelang als Missionar in Afrika, später ließ er sich von seinen Gelübden befreien und heiratete, blieb aber katholischer Religionslehrer.
An seinen Vater erinnerte er sich in persönlicher Dankbarkeit, aber vom Politiker und Hauptverantwortlichen für die NS-Verbrechen, Martin Bormann, distanzierte er sich deutlich. Er drängte damit nicht in die Öffentlichkeit, verschwieg aber bei Nachfragen auch nie seine Haltung. 2013 starb Martin Bormann junior, mit sich selbst im Reinen.
Ähnlich verhielt sich Albert Speer junior, der 1934 geborene älteste Sohn von Hitlers Leibarchitekt und Rüstungsminister. Er war bis 1945 in Berchtesgaden aufgewachsen, als Teil des NS-Hofstaates auf dem Obersalzberg. Nach dem Krieg wurde er Architekt und nahm an Wettbewerben anonym oder unter falschem Namen teil, um nicht in Verbindung mit seinem Vater gebracht zu werden.
Vor allem mit großen städtebaulichen Projekten, die aber im Gegensatz zu den Entwürfen seines Vaters nicht nur technisch, sondern stets auch äußerlich modern gehalten waren, stieg er zu einem der weltweit meistbeschäftigten Architekten Deutschlands auf. Mit Speer senior hatte er nur wenig Kontakt, auch nach dessen Entlassung aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis 1966. Trotzdem wusste Speer junior: „Mit dem Phantom meines Vaters muss ich leben.“ Er starb 2017.
Durch praktische Arbeit distanzierte sich Hilde Schramm (Jg. 1936), die Tochter Speers, von ihrem Vater. Sie wurde Pädagogin und Politikerin der Alternativen Liste in Berlin, saß für diesen weit linken Flügel der Grünen im Abgeordnetenhaus.
Intensiv setzte sie sich für eine bessere Versorgung von überlebenden Opfern des NS-Regimes ein und gründete die „Stiftung Zurückgeben“, die jüdische Künstlerinnen in Deutschland fördert. Das Grundkapital stammte aus dem Verkaufserlös von Gemälden, die Hilde Schramm von ihrem Vater geerbt hatte und die mutmaßlich zwangsweise Juden abgenommen worden waren.
Noch wesentlicher schärfer und vor allem öffentlich setzte sich Niklas Frank mit seinem Vater auseinander. Hans Frank war zunächst nur Hitlers Kronjurist gewesen, stieg aber 1939 zum Generalgouverneur des besetzten Zentralpolens auf – und wurde hier zum Hauptverantwortlichen für eine ungeheuer brutale Unterdrückungspolitik. In seiner Verantwortung starben rund sechs Millionen Menschen, je zur Hälfte jüdische und katholische Polen.
Der 1939 geborene Niklas hat davon nichts mitbekommen, zumal sich seine Eltern während des Zweiten Weltkrieges trennten. Dennoch prägte Hans Frank sein Leben, schrieb Niklas, der Journalist wurde.
1987 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Der Vater. Eine Abrechnung“. Über seine Auseinandersetzung mit dem doch eigentlich so fernen Vater schrieb Niklas: „Ich schlug mich mit ihm herum, ein Leben lang. Erst innerlich. Dann exhibitionierte ich, schrieb einen wüsten Text, ungefiltert durch bürgerlichen Geschmack.“ Tatsächlich ist sein auf langer Recherche basierendes Buch, inzwischen in mindestens siebter Auflage erschienen, harte Lektüre.
Im Gegensatz zu diesen Töchtern und Söhnen von führenden NS-Funktionären wollten Joseph und Magda Goebbels den sechs gemeinsamen Kindern nicht zumuten, „in einer Welt ohne Hitler“ leben zu müssen. Am 1. Mai 1945 vergiftete die Mutter ihren zwischen drei und 14 Jahren alten Nachwuchs im Führerbunker in Berlin; danach nahm sich das Ehepaar Goebbels das Leben. Wer weiß, ob sie sich in ihrem weiteren Leben eher wie Gudrun Burwitz geborene Himmler oder wie Niklas Frank verhalten hätten?
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Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2018 veröffentlicht.