Ehemaliger FDP-Minister über die Zukunft seiner Partei
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Gerhart Baum: „Wir müssen die Zukunft neu denken“

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Heute nur noch Platzhalter – oder doch ein Potenzial? Eine FDP-Tüte auf den Fraktionssitzen der Partei im Bundestag.
Heute nur noch Platzhalter – oder doch ein Potenzial? Eine FDP-Tüte auf den Fraktionssitzen der Partei im Bundestag. © picture alliance / Flashpic

Der ehemalige FDP-Minister Gerhart Baum äußert sich im FR-Interview über die Rolle der FDP in der Ampel-Koalition und die Zukunft seiner Partei.

Herr Baum, Sie sind tatsächlich seit 69 Jahren in der FDP. Das ist ja fast so lange, wie die Partei alt ist. Kommt es Ihnen auch so lange vor?

Nun ja, ich habe mich daran gewöhnt. An die Erfolge und an die Niederlagen der FDP. Wenn man so lange in einer Partei ist, hängt man natürlich an ihr. Ich bin aber nachdrücklich der Meinung, dass es in Deutschland eine liberale Partei geben muss. Solange ich in der Partei bin, habe ich immer auch versucht, sie zu verändern. Manchmal mit Erfolg, manchmal ohne. Das ist ja der notwendige politische Diskurs, den eine Partei über ihre Strategie und ihre Ziele führen muss.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie denn auf die FDP von heute?

Ich bin in Sorge. Ich habe das Gefühl, dass die FDP mit ihrer Grundbotschaft, nämlich eine Partei in der Tradition deutscher Freiheitsbewegung zu sein, nicht mehr ankommt. Sie ist partiell sichtbar, aber nicht mit dem ganzen Fundus ihrer Liberalität auf allen Gebieten. Sie ist als Ampelpartei in einer besonderen Funktion sichtbar, aber ihre Erfolge werden nach außen nicht so gut kommuniziert. Das muss sich ändern. Wenn sich die FDP jetzt von der Ampel verabschieden sollte, dann begeht sie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

„Wenn sich die FDP von der Ampel verabschieden sollte, [...] begeht sie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“

Was empfehlen Sie Ihrer Partei?

Sie darf sich nicht auf die Tagespolitik beschränken. Sie muss sagen, Deutschland braucht eine liberale Partei und das sind wir. Wir haben eine Perspektive, wir haben eine Vision, und die äußert sich auf allen Feldern der Politik in einer Welt, die aus den Fugen gerät.

Liberal wird derzeit ja vor allem mit wirtschaftsliberal gleichgesetzt. Kommt die FDP, die die bürgerlichen Freiheiten verteidigt, nicht ein bisschen zu kurz?

In der Öffentlichkeit ja, aber Justizminister Marco Buschmann macht das in der Regierung sehr gut. Ich habe aber das Gefühl, dass die FDP keine Strategie hat, wie sie eine Stammwählerschaft aufbaut. Sie ist nicht mehr das Zünglein an der Waage. Sie muss auch wenn sie in der Opposition ist, überzeugend sein für eine Wählerschaft, die sich zu liberalen Zielen bekennt. Aber da irritiert sie, man weiß nicht genau, wen sie anspricht.

Ist es die neue Mittelschicht, also die nach vorwärts gehenden Menschen, die unabhängig denken, die eine die liberale Grundhaltung haben und vor allem in den urbanen Gebieten des Landes leben? Diese Gruppe wäre der Kern einer künftigen Stammwählerschaft neben denen, für die vor allem die Wirtschaftsfreiheit von besonderer Bedeutung ist, das will ich gar nicht leugnen. Aber die FDP muss in der Tat weiter ausgreifen.

Wie gelingt es der FDP, eine neue Stammwählerschaft aufzubauen?

Wie meinen Sie das?

Die FDP muss Kompetenzen sichtbar machen, zum Beispiel in der Außenpolitik. Außenpolitik ist ein Stück unseres Schicksals in Europa. Die FDP muss intellektuell wieder interessanter werden. Sie muss diskutieren. Auch über die Zukunft muss innerhalb der FDP diskutiert werden, und zwar so, dass es die Sache fördert. Wir alle sind doch unsicher und suchen einen Weg. Wo ist da die liberale Partei? Wo ist sie mit ihren Überlegungen für die Zukunft?

Zur Person

Gerhart Baum (91) ist einer der bekanntesten Vertreter der FDP. Der Jurist, der zum linksliberalen Flügel der Partei gezählt wird, war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Dem Bundestag gehörte er 22 Jahre lang an. Baum setzt sich für den Schutz der Bürgerrechte ein und hat mehrere Verfassungsbeschwerden auf den Weg gebracht.

Über welche Inhalte sollte mehr gesprochen werden?

Es gibt ja viele Zukunftsentwürfe, die heftig diskutiert werden. Wir lesen sie jeden Tag in der Zeitung und wir hören sie. Wir haben hochinteressante Analysen, die sich mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzen. Vieles ist neu und auch verstörend, allein, wenn man die digitale Entwicklung betrachtet. Die Welt verändert sich fundamental. Wie stellt sich eine Freiheitspartei dazu auf? Diese Diskussionen müssen geführt werden, sichtbar und unter Beteiligung einer interessierten Öffentlichkeit. Es ist natürlich schwierig, jetzt aus der Krise heraus neue Kräfte auf diesen Feldern zu entwickeln. Aber es ist absolut notwendig.

FDP muss in Auseinandersetzung mit Kritikern gehen

Bei der vergangenen Bundestagswahl gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Grünen, wer die meisten Jungwähler:innen gewinnt. Da ist jetzt die FDP wieder ein bisschen zurückgefallen. Woran liegt es Ihrer Meinung nach?

Das ist gerade darauf zurückzuführen, dass die Zukunftsdiskussion nicht geführt wird. Gerade ist eine Umfrage öffentlich geworden, wonach die junge Generation mehr Angst vor einem Krieg als vor der Klimakatastrophe hat. Beides sind akute Gefahren. Dass die AfD in den Umfragen jeweils mehr Stimmen hat als die beiden Regierungsparteien SPD und Grüne für sich genommen, von der FDP ganz zu schweigen, bedeutet eine Gefahr für die Demokratie wie ich sie noch nie erlebt habe. Ich erwarte, dass die FDP gerade diese Themen besetzt und für unsere Demokratie kämpft.

So nimmt man die FDP ehrlich gesagt derzeit nicht wahr. Wer müsste da mehr oder andere Aufgaben übernehmen?

Es müssen Persönlichkeiten sichtbar werden, die etwas zu sagen haben und glaubwürdig sind. Sie dürfen in den Tagesaufgaben nicht untergehen. Auch die FDP-nahe Naumann-Stiftung, wo schon einiges geschieht, muss als Think Tank zum Profil beitragen. Unverzichtbar ist aber auch der Kontakt mit den Menschen überall im Land durch Diskussionsforen und auch durch Auseinandersetzung mit Kritikern der FDP. Die Partei muss sich stellen, so haben wir das immer in kritischen Situationen gemacht. Wir haben also praktisch in unserer Parteidiskussion die Öffentlichkeit mit einbezogen. Das muss wieder geschehen. Wir müssen die Zukunft neu denken.

Gerhart Baum.
Gerhart Baum. © dpa

Man hat derzeit eher den Eindruck, dass die FDP in der Ampel Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Die Wahlergebnisse waren schlecht und sofort hat sich die FDP wieder viel konservativer präsentiert. Jetzt will man die Partei sein, die die Grünen vor allem bei den Finanzen im Zaum hält. Ist das die richtige Rolle für die FDP?

Das ist schon die Rolle der FDP, aber das muss alles mit Augenmaß geschehen. Keine Partei kann sich in einer Koalition voll durchsetzen. Wer jetzt in der FDP „FDP pur“ fordert, der hat von Politik nichts verstanden. Hinzu kommt: Die Situation hat sich völlig geändert. Die Koalitionsvereinbarung ist teilweise Makulatur. Jetzt müssen die FDP und auch alle anderen Parteien der eigenen Wählerschaft einiges zumuten. Daran geht kein Weg vorbei, und wer die Kraft dazu nicht hat, der hat auch nicht die Kraft zu regieren.

Was meinen Sie mit Zumutungen?

Wir müssen den Wählern die Wahrheit sagen über die politische und wirtschaftliche Lage. Wir dürfen ihnen nichts vormachen. So ist es schwer Asylbewerber abzuschieben und es sagt sich sehr leicht, dass es endlich geschehen muss. Es ist da auch ein neuer Stil der Parteien im Umgang mit den Wählern gefragt.

Baum fordert, dass die FDP den Wähler:innen die Wahrheit über die politische Lage in Deutschland sagt

Wie sollte der aussehen?

Offenheit, Wahrheit, keine Versprechungen, die nicht gehalten werden können. Die Zukunft ist auch verbunden mit Opfern. Warum wird das nicht deutlicher gesagt? Man kann zum Beispiel das Klima nicht schützen oder der Ukraine die notwendige Hilfe geben, wenn man den Menschen sagt, es kostet keine finanziellen Opfer.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mit der AfD eine Partei immer mehr Zustimmung bekommt, die genau das suggeriert: Wählt uns und alles wird wieder normal. Was auch immer das ist.

Das sind Rattenfänger, die selbst nichts zu bieten haben. Allerdings gibt es auf der ganzen Welt den Trend nach rechts, den Versuch, die Demokratien, die freien offenen Gesellschaften in die Defensive zu bringen. Das führt auch dazu, dass sich demokratische Parteien verführen lassen vom Populismus. Das darf die FDP nicht mitmachen! Ab und zu blinkt sie nach rechts, das ist nicht gut. Die FDP muss ihr eigenes Profil behaupten und den Versuchungen dieses Trends widerstehen.

Baums Empfehlungen an die FDP: Eine Politik der Offenheit und keine Versprechungen

Was glauben Sie, wie wird sich Ihre Partei in den nächsten 75 Jahren entwickeln?

Oh, das ist schwer zu sagen. Ich kann mir nur vorstellen, dass weiter für die Freiheit und Menschenrechte gekämpft werden muss, wie es immer wieder in der ganzen Geschichte der Menschheit notwendig ist. Ich wünsche mir, dass meine Partei intensiver über den Tellerrand der deutschen Befindlichkeit blickt. Alle Krisen hierzulande sind Ausflüsse von internationalen Fehlentwicklungen. Die FDP muss alle Kraft sammeln, um sich diesem Problem zu stellen.

Werden Sie am Dienstag feiern?

Nein. Ich erhoffe mir von dem zentralen Festakt in Berlin aber eine lebendige Diskussion, die über die reine Tagespolitik hinausgeht. Das würde ich mir wirklich wünschen.

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