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08/15 – eine Kennung, die den Krieg veränderte

Mit dem Maschinengewehr 08/15 zog die kaiserliche Armee in den Ersten Weltkrieg. Es prägte im taktischen Einsatz mit unvorstellbarer Vernichtungskraft die Fronten des Stellungskrieges im Westen.
Freier Autor Geschichte

Zusammen mit seiner Schlittenlafette wog es 66,5 Kilogramm und brauchte zu seiner Bedienung mindestens drei Soldaten, drei weitere leisteten Hilfsdienste. Solche Trupps aber veränderten das Schlachtfeld von Grund auf. Denn das Maschinengewehr (MG), das der Amerikaner Hiram Maxim um 1885 entwickelt hatte, verschoss in der Minute bis zu 600 Schuss und besaß eine effektive Reichweite von 2000 Metern. Die deutsche Version dieser Waffe hieß 08, weil sie 1908 eingeführt wurde. Ihr folgte 1915 die leichtere Version 08/15. Es ist erstaunlich, dass etwas, das den Krieg von Grund auf veränderte, bald zum abwertenden Synonym für Banalität und Geringschätzung wurde.

Zu den zahlreichen Bänden, mit denen Verlage sich derzeit für die 100-Jahr-Feiern des Ersten Weltkriegs 1914 in Position bringen, gehört ein neues Handbuch des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam (ZMSBw), das bis für kurzem Militärgeschichtliches Forschungsamt hieß. „Der Erste Weltkrieg 1914-1918. Der deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches Jahrhundert“ legt zwar den Schwerpunkt auf die deutsche Armee, bietet aber eine Fülle an Details, die die Neuartigkeit dieses Krieges in globalem Rahmen herausarbeiten.

In die 14 Überblickskapitel – von der Politik über Besatzung und Verbrechen bis zu Heimat und Gedenken – sind zahlreiche Karten, Fotos, Grafiken und Sonderseiten eingefügt. Vor allem jene über die Artefakte des Krieges eröffnen neue Perspektiven, weil sie dem historischen Interesse, wie es sich heute etabliert hat, deutlich zuwiderlaufen. Denn alle kulturgeschichtlichen Deutungen dieser europäischen Katastrophe blenden weitgehend die Mittel aus, mit denen sie umgesetzt wurde.

„Industriearbeiter in Uniform“

Das Maschinengewehr 08/15 steht für diese Ambivalenz. Was heute für bloßes Mittelmaß steht, prägte im taktischen Einsatz über Jahre hinweg die Fronten des Stellungskrieges im Westen. Am ersten Tag der britischen Offensive an der Somme im Juli 1916 starben 20.000 Soldaten der Entente – die meisten im Feuer deutscher MGs. Ein Schütze am Auslöser und einer am Munitionsgurt konnten den Angriff ganzer Bataillone zum Erliegen bringen. Nicht umsonst nannte der britische Historiker John Keegan den MG-Schützen einen „Industriearbeiter in Uniform“.

Dabei war das 08/15 keineswegs eine leicht zu handhabende Waffe. Selbst in der abgespeckten Version wog es 19,5 Kilogramm und damit deutlich mehr als die vergleichbaren Maschinengewehre der Entente. Da es mit Wasser gekühlt wurde, konnte sein Lauf während des Gefechts nicht gewechselt werden. Auch war seine Bedienung nicht einfach. Einer der Gründe, dass aus der Typbezeichnung ein abfälliger Ausdruck für Gewöhnlichkeit werden konnte, macht sich an dem stupiden Drill fest, den die Bedienungsmannschaften über sich ergehen lassen mussten.

Ein anderer wird mit dem Nachlassen der Qualität erklärt, die sich im Laufe des Krieges immer stärker bemerkbar machte. Obwohl die Rüstungsindustrie verschiedene Versionen lieferte – auf Lafetten für die Flugabwehr, mit panzerbrechender Munition gegen Tanks und 1918 sogar luftgekühlte Modelle – konnten die deutschen Fabriken die Produktionsstandards nicht mehr halten. Sowohl der Mangel an Fachkräften als auch das Fehlen an Bodenschätzen und die Überlastung der Werkzeugmaschinen schlug sich nachhaltig nieder.

Gleichwohl sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Waren die acht Armeekorps des Deutschen Reiches 1914 mit gerade einmal 4900 Maschinengewehren in den Krieg gezogen, musste das Heer nach Kriegsende 125.000 Waffen und 240.000 Ersatzläufe an die Siegermächte ausliefern.

Unvorstellbare Vernichtungskraft

Aber das Maschinengewehr war nicht die einzige technische Innovation, die die Realität des Krieges stärker veränderte, als sich das die Politiker und Militärs, die ihn entfesselten, hatten vorstellen können. Die schwere Artillerie zum Beispiel ermöglichte indirektes Beschießen von Zielen aus der Deckung heraus und machte einfache Laufgräben zu Todesfallen. Neben dem MG erzeugten Schrapnelle und Schnellfeuergeschütze eine Feuerkraft, die ganze Regimenter in wenigen Sekunden auslöschen konnte.

Im Grabenkampf kamen Handgranaten, automatische Pistolen und Flammenwerfer zum Einsatz. Und natürlich in Millionen Exemplaren produzierte Essbestecke, Dolche, Gasmasken und Tornister. Alle Versuche, den Stellungskrieg zu beenden, sei es durch Giftgas oder den Einsatz von Panzern, scheiterten fast bis zum Schluss. Dennoch zeigte der Verbrennungsmotor durch seinen Einsatz in Flugzeugen, welche Bedeutung ihm in künftigen Kriegen zufallen würde.

Man sieht dem von Markus Pöhlmann, Harald Potempa und Thomas Vogel herausgegebenen Band an, dass er von zahlreichen Fachleuten erstellt worden ist. Er besticht nicht durch Meta-Ebenen oder welthistorische Betrachtungen, sondern durch die nüchterne Bestandsanalyse eines Krieges, von dem wir hundert Jahre nach seinem Beginn kaum noch eine Vorstellung haben. Hier verlässliche Standards zu setzen, ist keine kleine Leistung.

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