„Pauls Weihnachtswunsch“ (Neue Sch�nhauser Filmproduktion), der spielfilmlange Auftakt zur ZDF-Weihnachtsreihe „Magische Momente“, ist eine harmlose, aber zu Herzen gehende Tragikom�die: F�r den kleinen Paul scheint Weihnachten durch die Trennung seiner Eltern zu einer Katastrophe zu werden, doch wie durch ein Wunder kann er pl�tzlich durch W�nde gehen. Das „Zweite“ zeigt den Film nicht von ungef�hr am Nachmittag: Die Geschichte wird konsequent aus Perspektive des jungen Titelhelden erz�hlt. Trotzdem ist „Pauls Weihnachtswunsch“ keiner jener Kinderfilme, in denen die Erwachsene als �berzeichnete Nebenfiguren fungieren. Die erwachsenen Schauspieler sind ausnahmslos sehenswert, doch ausgerechnet der Hauptdarsteller agiert wie ein typisches Filmkind; dabei war Jeremy Miliker in dem Drogendrama „Die Beste aller Welten“ (ORF/SWR) geradezu ph�nomenal.
Foto: ZDF / Britta KrehlNeues Leben! Julius (Axel Stein) und Maya (Petra Schmidt-Schaller) freuen sich auf ihr gemeinsames Kind, auch wenn in der jungen Patchworkfamilie einiges schiefl�uft.
„Pauls Weihnachtswunsch“ ist der Auftakt der neuen ZDF-Weihnachtsreihe „Magische Momente“. Die Filme, hei�t es, sollen „mit einem Augenzwinkern“ zeigen, dass Wunder geschehen k�nnen. Der neunj�hrige Paul findet es allerdings alles andere als am�sant, was ihm wenige Wochen vor Weihnachten widerf�hrt: Seine Eltern Maya (Petra Schmidt-Schaller) und Matz (Matthias Koeberlin) haben sich getrennt. Mutter und Sohn m�ssen aus dem luxuri�sen Eigenheim ausziehen und bilden nun mit Mayas neuem Freund Julius (Axel Stein) und seiner Teenager-Tochter Lilly (Nele Trebs) eine neue Familie. Aber Paul ist untr�stlich; st�ndig bittet er den lieben Gott, dass alles wieder so sein m�ge wie vorher. Seine Laune bessert sich schlagartig, als er durch Zufall entdeckt, dass er pl�tzlich durch W�nde gehen kann. Die Gabe hat er offenbar Leonidas zu verdanken: Maya ist K�nstlerin und hat einen mannshohen Engel erschaffen, der Pauls Gebete erh�rt hat. Zun�chst nutzt der Junge die F�higkeit, um der Patchwork-Familie und den Nachbarn allerlei Streiche zu spielen, aber dann wird ihm klar, dass er mit seiner neuen Gabe vielleicht auch Ehetherapeut spielen kann.
Das „Zweite“ zeigt die Tragikom�die als vorweihnachtliches Familienfernsehen am Nachmittag, aber der Film w�rde auch ins Abendprogramm passen. Die Handlung wird zwar aus Sicht der jungen Hauptfigur geschildert, die zudem als Erz�hler fungiert, aber „Pauls Weihnachtswunsch“ ist keiner jener Kinderfilme, in denen die Erwachsenen als �berzeichnete Nebenfiguren fungieren. F�r viele junge Zuschauer ist die Geschichte ohnehin bitterer Ernst, weshalb Kinder in einer �hnlichen Situation den Film nicht allein anschauen sollten. Davon abgesehen werden Gro� und Klein viel Freude vor allem an Pauls Unfug haben. Seine Lieblingsopfer sind Stiefschwester Lilly, in deren Wimperntusche er Chilipulver mischt, und Hausmeister Engelbrecht, der Paul auch schon mal die Ohren langzieht. J�rg Sch�ttauf widersteht jedoch der Versuchung, den Mann als Witzfigur zu verk�rpern. Wenn Engelbrecht verwirrt vor seiner Garderobe steht, weil Paul wieder mal seinen Schl�sselbund versteckt hat, erweckt der Hausmeister mit seiner lustig verstrubbelten Frisur sogar ein bisschen Mitleid. Trotzdem ist Engelbrecht nat�rlich Teil der heiteren Ebene des Films, ebenso wie die alte Elfriede (Annekathrin B�rger), der Paul versehentlich in der Badewanne Gesellschaft leistet.
Foto: ZDF / Britta KrehlSo fing alles an. Die Eltern haben sich getrennt – und Paul (Miliker) muss umziehen.
Die weiteren handelnden Personen nimmt das Drehbuch dagegen sehr ernst. Gerade Matz verdeutlicht mit seinen sarkastischen Dialogen, dass „Pauls Weihnachtswunsch“ kein Kinderfilm ist, denn mit Ironie kann die Zielgruppe in der Regel nichts anfangen. Zweitvater Julius wiederum ist in seinem nimmerm�den Bem�hen, Paul das neue Zuhause und damit auch sein neues Leben so sch�n wie m�glich zu machen, eine r�hrende Figur; Axel Stein spielt ja ohnehin schon lange keine reinen Comedy-Charaktere mehr. Die differenzierteste Rolle hat jedoch Petra Schmidt-Schaller, denn Maya ist hin und hergerissen, wenn auch nicht zwischen zwei M�nnern, denn die Beziehung zu dem mit seiner Arbeit verheirateten Matz ist endg�ltig Vergangenheit. Nat�rlich m�chte sie Paul nicht leiden sehen, aber ebenso wenig will sie ihm ihr Gl�ck mit Julius opfern, zumal sie ein Baby erwartet; die Aussicht auf einen kleinen Nebenbuhler hebt Pauls Laune auch nicht gerade. Seine Streiche haben zudem zur Folge, dass das Klima zunehmend gereizter wird, zumal Lilly �berzeugt ist, dass er hinter den unerkl�rlichen Ereignissen steckt, selbst wenn ihr Zimmer stets verschlossen ist.
Soundtrack: Michael Bubl� („Holly Jolly Christmas“), Shantel („Bucovina“)
F�r den Anspruch des Films stehen nicht zuletzt die beiden wichtigsten kreativen Kr�fte: Silke Zertz, die sicherlich den Heinz-R�hmann-Klassiker „Ein Mann geht durch die Wand“ (1959) kennt, ist f�r ihr Drehbuch zu dem Sat-1-Wendefilm „Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen“ 2009 mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet worden und steht auch dank Produktionen wie dem deutsch-deutschen Grenzland-Mehrteiler „Tannbach“ (Staffel 2) oder dem Ehedrama „Das Alter der Erde“ vorwiegend f�r Qualit�tsfernsehen. Das gilt auch f�r Grimme-Preistr�gerin Vivian Naefe („Einer geht noch“, 2001), selbst wenn ihre Filmografie mittlerweile viel leichte Unterhaltung enth�lt, darunter einige Beitr�ge f�r die ZDF-„Herzkino“-Reihe „Chaos-Queens“ oder die am�santen ersten beiden Teile von Andrea Sawatzkis der Sippen-Saga �ber die Familie Bundschuh („Tief durchatmen, die Familie kommt“, 2015; „Von Erholung war nie die Rede“, 2016). Dass Naefe auch gut mit Kindern kann, hat sie mit der „Wilde H�hner“-Trilogie“ bewiesen. Bei „Pauls Weihnachtswunsch“ hat allerdings ausgerechnet der junge Hauptdarsteller einen gewissen Anteil daran, dass sich die Dram�die nicht wesentlich vom durchschnittlichen Weihnachtsfreitagsfilm der ARD-Tochter Degeto unterscheidet.
Foto: ZDF / Britta KrehlZwei V�ter k�nnen besser sein als (k)einer ... Axel Stein und Mathias Koeberlin
Dabei war Jeremy Miliker im herausragenden Deb�tdrama „Die Beste aller Welten“ des �sterreichers Adrian Goigingers (k�rzlich im SWR) ph�nomenal: ein Naturtalent, das sich die Rolle als Kind einer drogens�chtigen Salzburger Mutter regelrecht einverleibt hat. Vielleicht hatte seine selbst in den schwierigen emotionalen Szenen jederzeit �berzeugende Leistung auch damit zu tun, dass er reden konnte, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. In dem ZDF-Film ist es ohnehin irritierend, dass der Berliner Paul eindeutig wie ein �sterreicher klingt. Gr��eres Manko ist jedoch der Umstand, dass Naefe den Jungen wie ein typisches Filmkind inszeniert. Jeremy scheint zudem etwas mit der Rolle zu fremdeln. In „Die Beste aller Welten“ hatte er gerade in den wichtigen Szenen nur eine Spielpartnerin; die Vertrautheit zwischen ihm und Verena Altenberger lie� vermuten, dass Goiginger schon vor den Dreharbeiten eine N�he zwischen den beiden hergestellt hat. In „Pauls Weihnachtswunsch“ ist Jeremy jedoch Teil eines Ensembles; die fremde Stadt und die „fremde“ Sprache m�gen ein �briges getan haben.
Immerhin sind die Filmtricks umso �berzeugender. Die Bilder (Kamera: Peter D�ttling) sorgen mit ihren warmen Farben f�r eine behagliche Atmosph�re, die Schauspieler sind so gut, wie man das von ihnen erwarten darf, wobei Nele Trebs auff�llig gut mit den prominenten Kolleginnen und Kollegen mith�lt. Sympathisch sind auch die beiden Botschaften: Nur weil etwas neu sei, erkl�rt Maya ihrem Sohn, sei es nicht automatisch schlecht, sondern erst mal nur neu. F�r die zweite Erkenntnis sorgt Kofi (Jerry Hoffmann), der junge Besitzer des Ladens im Erdgeschoss, in dessen Markise Paul plumpst, als er das erste Mal durch die Wand geht. Sie erinnert an die Lektion, die der junge Spider-Man lernen musste, bevor er zum Superhelden reifte („Aus gro�er Kraft folgt gro�e Verantwortung“): „Magie muss immer f�r das Gute eingesetzt werden, sonst wendet sie sich gegen dich“. �hnlich wie Spider-Man tut Paul zun�chst, als sei seine Gabe blo� ein gro�er Spa�, aber schlie�lich sorgt er selbstlos daf�r, dass am Ende alles gut wird; wenn auch nicht so, wie er sich das gew�nscht hat.
Foto: ZDF / Britta KrehlGar nicht so �bel die Kleine, findet Paul. Jeremy Miliker & Petra Schmidt-Schaller
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.