FDP-Blockade: Ist der Kampf gegen Extremismus „woke“?
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Ist der Kampf gegen Extremismus „woke“?

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Das Demokratiefördergesetz könnte die Zivilgesellschaft stärken, doch es droht an der Blockade der FDP zu scheitern. Eine Analyse.

Berlin – Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Frontfrau für die Europawahl, fand starke Worte nach dem brutalen Schlägerangriff auf den Dresdner SPD-Politiker Matthias Ecke: Es mache sie „fassungslos, dass Menschen, die sich für unsere Demokratie engagieren, immer stärker angegriffen und gefährdet werden“, schrieb sie auf X. Die Demokratie stärken und auch diejenigen, die sie verteidigen: Spätestens jetzt, da sich Attacken auf Politiker:innen häufen, sind sich alle einig, dass das dringend ist.

Und die Ampel-Koalition hat sogar einen Hebel parat, der schnell einsetzbar wäre – jenseits verschärfter Strafvorschriften und mehr Polizei: Das seit Jahren geforderte Demokratiefördergesetz, das zivilgesellschaftliche Strukturen stärken soll. Das Gesetz könnte zügig beschlossen werden, denn ein vom Kabinett abgesegneter Entwurf liegt seit Ende 2022 vor. Nur das Okay des Bundestags fehlt noch.

FDP blockiert Demokratiefördergesetz aus Angst vor linkem Extremismus

Doch stattdessen droht das Vorhaben zu scheitern. Denn die FDP blockiert seit Monaten, mit zunehmender Verve. Sie verlangt unter anderem eine Extremismusklausel, weil sie meint, sonst könnten auch zu linke Gruppen gefördert werden. Federführend beim Gesetz sind Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Verhandelt wird in der Ampel aber derzeit auf Ebene der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden – aber wird überhaupt noch ernsthaft verhandelt?

Kaum jemand will darüber sprechen. Bis auf Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, dessen Geduld am Ende ist. Auf FR-Anfrage fordert er die FDP nachdrücklich auf, „angesichts der vielfältigen Bedrohungen, die unsere Demokratie derzeit konfrontieren, ihre Blockade bei diesem ganz zentralen Gesetzesvorhaben endlich zu überwinden.“ Schließlich habe man sich darauf bereits mehrfach verständigt.

Klare Forderung, zu sehen bei einer Demonstration in Frankfurt.
Klare Forderung, zu sehen bei einer Demonstration in Frankfurt. © dpa

Ampel-Politiker:innen fordern Machtwort von Kanzler Scholz gegen SPD

FDP-Innen- und Rechtsexpertin Linda Teuteberg hat in den vergangenen Monaten besonders heftig gegen die Reform agitiert. Sie will der FR aber aktuell nichts sagen und verweist auf die Zuständigkeit von Fraktionsvize Konstantin Kuhle. Aber der schweigt auch, mit Hinweis auf „laufende Gespräche“. Derweil hört man aus den Reihen von Grünen und SPD wütende Klagen, die freidemokratischen Verhandlungspartner würden oft nicht mal mehr auf Terminanfragen antworten. Manch eine:r wünscht sich endlich ein Machtwort des Kanzlers.

Um was geht es bei dem Streit? Das Demokratiefördergesetz, das die „Fortschrittskoalition“ übrigens schon im Koalitionsvertrag versprochen hatte, setzt an der Basis an. Es soll Verbände, Vereine und Initiativen, die sich gegen Extremismus engagieren, längerfristig finanziell absichern, ihnen so jährliche Projektanträge ersparen und damit das Engagement stabiler und nachhaltiger machen.

Das könnte zum Beispiel Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt zugutekommen, ferner, wie es im Entwurf heißt, „Projekten der Vielfaltgestaltung und der politischen Bildung“. Auch Organisationen, die Antirassismusarbeit machen oder die Aussteigern aus der islamistischen Szene helfen, könnten profitieren, ebenso Gruppen, die Hass im Netz oder Gewalt gegen Schwule, Frauen oder Behinderte bekämpfen.

Hilfe gegen Rechtsextreme

Das Kampagnennetzwerk Campact hat nach den Angriffen auf politisch aktive Menschen einen Solidaritätsfonds für Betroffene von Wahlkampf- attacken gestartet. Dem Netzwerk zufolge werden mit dem Fonds, der 250 000 Euro umfassen soll, attackierte Politiker:innen unterstützt.

Rechtsextreme Gewalttaten würden durch den Fonds in finanzielle Unterstützung umgewandelt und damit „zum Bumerang“ für die Angreifer, so Campact: „Alle können mitmachen und Geld einzahlen, um einen demokratischen Wahlkampf zu unterstützen.“ Denkbare Fälle seien eingeschlagene Scheiben beim lokalen Bürgerbüro oder körperliche Angriffe auf Parteimitglieder. Bei einem tätlichen Angriff von Rechtsextremen kann die betroffene Parteigliederung demnach einmalig 5000 Euro erhalten. Der Fonds läuft den Angaben zufolge bis zur Europawahl am 9. Juni.

Auch Vereine, denen aufgrund ihres Engagements gegen Rechtsextremismus der Verlust ihrer Gemeinnützigkeit droht, finden ab sofort mehr Hilfe: Campact und die Rechtsschutz-Organisation „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ (GFF) beraten die betroffenen Initiativen, übernehmen in ausgewählten Fällen Verfahrenskosten und vermitteln spezialisierte Kanzleien. Dafür stehe eine neue Website bereit, teilten beide Organisationen am Mittwoch mit.

Laut der GFF nehmen auch aufgrund der vielfältigen Proteste gegen Rechtsextremismus derzeit Fälle zu, in denen gemeinnützige Organisationen von den Finanzämtern wegen „politischer Tätigkeit“ überprüft werden. Dazu trage die AfD bei, indem sie entsprechende Vereine wie zuletzt die Amadeu-Antonio-Stiftung und das Bündnis „München ist bunt“ bei den Finanzämtern anzeige. Nach geltendem Gemeinnützigkeitsrecht ist eine politische Betätigung nur begrenzt möglich.

Die Ampel-Regierung streitet derzeit über eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die den Spielraum von Vereinen für selbstloses Demokratie-Engagement erweitern würde. Die FDP „steht dabei auf der Bremse“, so die GFF: „Die Ampel muss jetzt endl ich entschlossen handeln.“ (rü/afp)

Infos: freiheitsrechte.org/

Institutionen wie der Zentralrat der Juden, das Kinderhilfswerk, die Diakonie, die Amadeu-Antonio-Stiftung und viele andere warten seit Jahren auf dieses Gesetz. Schon in der großen Koalition war es einmal weit fortgeschritten und dann doch gescheitert, weil die Union damals auf einer harten Extremismusklausel beharrte.

Die will nun die FDP – womit das Projekt jetzt auch auf der Kippe steht. Ein Formulierungsvorschlag der Freidemokraten, über den wenigstens verhandelt werden könnte, ist bisher nicht bekannt, gut möglich, dass es gar keinen gibt. Faeser und Paus lehnen eine solche Klausel ab, auch die SPD-Fraktion. Extremismusklauseln seien „rechtlich fragwürdig, höchst bürokratisch und ein Ausdruck eines Generalverdachts gegenüber den Trägern der Demokratieförderung“, sagt Felix Döring, zuständiger Berichterstatter der Sozialdemokraten, der FR.

Von „Vielfalt“ getriggert – Linda Teuteberg fürchtet „linkslastige Einfalt“

Und dann ist da noch das im Entwurf genannte Gesetzesziel der „Förderung der Vielfaltgestaltung“. Dagegen läuft Freidemokratin Teuteberg seit Monaten Sturm, besonders scharf Ende des Jahres in einem Gastbeitrag für die „Bild“. „Vielfaltgestaltung“ sei ein „Begriff, der zur Übergriffigkeit geradezu einlädt“, schreibt sie da und warnt, damit würden am Ende vor allem linke identitätspolitische Projekte zahlloser Minderheitsgruppen unterstützt: „Statt Vielfalt würde linkslastige Einfalt gefördert.“ Das Grundgesetz wolle aber eine „wehrhafte Demokratie“, nicht eine „woke“, so Teuteberg.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages teilt diesen Vorwurf nicht. In einer Stellungnahme schreibt er, die „Gestaltung von Vielfalt“ meine vor allem den „Abbau von und die Vorbeugung gegen Diskriminierungen“, und das liege ganz auf der Linie von Grundgesetz-Artikel 3. Wer den Gesetzentwurf liest, stößt überdies wiederholt auf die Zielbeschreibung „Prävention jeglicher Form von Extremismus“.

FDP, Union und rechte Medien machen Stimmung gegen Demokratieförderungsgesetz

Dennoch haben der „Focus“ und andere Akteure rechts der Mitte Teutebergs Fundamentalkritik inzwischen breit aufgenommen, von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit ist die Rede – die, wohlgemerkt, nicht etwa durch eine mögliche Extremismusklausel drohe, sondern durch die beabsichtigte „Förderung der Vielfaltgestaltung“. Auch die Unionsfraktion lehnt den Entwurf als „intransparent“ ab. Das Demokratiefördergesetz droht damit unter die Räder zu kommen – und das ausgerechnet im Superwahljahr 2024, das der AfD und damit ihrem rechtsextremen Umfeld einen massiven Aufschwung bescheren könnte. (rü)

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