„The Importance of Being Erna“ in Darmstadt – Ihr Traummann heißt Helmut
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„The Importance of Being Erna“ in Darmstadt – Ihr Traummann heißt Helmut

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Jasmin-Nevin Varul. Foto: Benjamin Weber
Jasmin-Nevin Varul. Foto: Benjamin Weber © Benjamin Weber

„The Importance of Being Erna“, ein munterer, aber auch verwirrender Abend von und mit Jasmin-Nevin Varul.

Ernas große Liebe sind die Buchhaltung und Helmut Kohl (am tollsten wäre es, Buchhalterin zu sein für Helmut Kohl), jedes ihrer Kleidungsstücke ist beige, sie guckt „Herzblatt“ mit Kai Pflaume, „Lindenstraße“, „Traumschiff“, schmachtet Sascha Hehn an, Gottschalk guckt sie auch, natürlich den Tatort mit Lena Odenthal. Ihr Pfälzisch ist so stark, dass sie deswegen in eine Förderklasse musste. Mit dem Heimatchor Oggersheim besingt sie die Loreley und als Helene Fischer mit blonder Perücke schmettert sie „Mein Herz schlägt beige“.

Problem bloß: Die Saumagen kochende, Kreuzworträtsel lösende, heimatverbundene Rentnerin Erna gibt es nicht, dafür gibt es in dieser Gelsenkirchener-Barock-Wohnung Setareh, in Oggersheim geborenes und aufgewachsenes Kind von Migranten. Nachdem sie, eine gierige Leserin, auf Oscar Wildes „Importance of Being Earnest“ stieß, träumt sie davon, als Baby ausgesetzt worden zu sein und eine andere, eine Deutsche-Rentnerin-Identität zu haben.

Warum Rentnerin, schließlich ist Setareh, ist ihre Darstellerin Jasmin-Nevin Varul, noch sehr weit vom Rentenalter entfernt?

Varul und Regisseur Lukas Schrenk haben das anderthalbstündige, jetzt in den Kammerspielen des Darmstädter Staatstheaters uraufgeführte Solo-Stück „The Importance of Being Erna“ genannt, weil Setareh immer schon so gern dazugehören wollte zur Saumagen-, Lyoner- und Kartoffelstampf-Kultur. Zu diesem Land, regiert von einem Kanzler, der „so viel Mann“ ist. In Horst Lichters „Bares für Rares“ tritt sie auf und alle staunen über das geheimnisvolle Heine-Manuskript, das sie auf dem Dachboden gefunden hat und das „Oggenheimer Elegien“ überschrieben ist.

Jasmin-Nevin Varul wechselt die Dialekte, die Perücken, die Kleidung, himmelt Wahlplakate von Helmut an, liest ihren Eltern das Märchen vom Rotkäppchen vor, das sie verwandelt in eine Geschichte vom glücklich und zufrieden als Großmutter lebenden Wolf. Musiker und Schauspieler Nils Strunk hat die Musik zu den Szenen ausgesucht. Varul ist also Erna, die –„a gugge mol“ – ihre nicht korrekt parkenden Nachbarn beobachtet, ist Gottschalk und ein Experte bei Lichter, liest auf Denglisch ein Stück Wilde-Text vor, rätselt und hofft auf das Lösungswort „Staatsbürgerschaft“ oder auch auf den Gewinn einer Reise an die Adria. Dort würde sie bestimmt Sascha Hehn treffen.

„The Importance of Being Erna“ ist kurzweilig, ein munter hüpfender, nirgendwo lange verweilender Abend, einer der darstellerischen Kunststückchen. Allerdings auch ein verwirrender Abend, mit bis zuletzt unbekanntem Ziel. Weil er nur kurz mal ernst wird, manchmal einen Anlauf zur Satire nimmt, gleich wieder abbiegt auf die Straße der harmlosen Späße und Parodien – letztere mit blonder Wuschelperücke oder Riesenschnurrbart. Und dann wieder ist da für einen Moment ein Kind, das Lockenwickler mopst, sich vorm Schaufenster der Metzgerei nach einem Radl Wurst sehnt – und dessen Traummann Helmut Kohl und Traumjob Buchhalterin ist. Kaum zu glauben. Aber es wird auch nichts getan, damit wir es am Ende wenigstens ein bisschen glauben.

Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele: 10., 24. Mai. www.staatstheater-darmstadt.de

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