Stadtgeschichte | Castrop Rauxel
Image
Historisches Foto vom Castroper Pferderennen vom 27. Juni 1965

Castrop-Rauxel auf dem Weg zur Stadt

Durch archäologische Funde aus der mittleren Steinzeit, vorrömischen Eisenzeit und der jüngeren Kaiserzeit ist belegt, dass das heutige Stadtgebiet sowohl im Süden als auch im Norden bereits seit etwa 6000 v. Chr. besiedelt war.

Image
Urkunde mit mittelalterlichem Text in altem Buch

Der erste schriftliche Beleg Castrops (althochdeutsch „Dorf am Speicher“) stammt aus dem Jahr 834. Castrop wurde als „Villa Castorp" in einer Urkunde über einen Grundstückstausch zwischen dem Bischof Gerfrid von Münster, Abt der Abtei Werden bei Essen, und einem Frithuard aus Heisingen erstmals erwähnt. Die „Villa Castorp" entstand in Anlehnung an einen karolingischen Oberhof unweit des Hellwegs, der alten Heer- und Völkerstraße zwischen Ruhr und Lippe. Wahrscheinlich zunächst als militärischer Stützpunkt bei der Eroberung des Sachsenlandes angelegt bildete dieser karolingische Oberhof die Keimzelle eines späteren Gerichtsbezirks, eines Kirchspiels und schließlich der Freiheit Castrop.

Tafel mit Übersetzung einer historischen Beurkundung
Image
Historische Aufnahme von der Lambertuskirche

Neben dem fränkischen Oberhof entwickelte sich eine Ortschaft um die spätromanische, um 1250 erbaute, dem fränkischen Heiligen Lambertus geweihte Kirche. Mittel- und nördliches Seitenschiff der mittelalterlichen Kirche sind bis heute erhalten, sie wurden 1889/90 als „Alter Teil“ in den Bau der neugotischen Kirche einbezogen.

Image
Obelisk-Denkmal mit Adler-Relief und danebenstehender Büste in einem Museum

Ab Mitte des 13. Jahrhunderts ist ein selbständiger Verwaltungsbezirk, das Gericht Castrop, nachweisbar, der dem klevisch-märkischen Fürstenhaus angegliedert war. Nach dessen Aussterben am Anfang des 17. Jahrhunderts fiel das Gericht Castrop an das brandenburgisch-preußische Herrscherhaus. Im Jahr 1470 soll Johann I., Herzog von Kleve und Graf von der Mark, Castrop zur „Freyheit" erhoben haben. Johann II. von Kleve bestätigte 1484 in einer Urkunde den Bürgern von Castrop diese Freiheitsrechte. Eine „Freyheit" war eine Stadt mit minderen Rechten, u.a. ohne Zünfte, ohne den Zwang zu Frondiensten, aber mit der Verpflichtung, den Ort mit Wall, Graben und Palisaden zu befestigen, und (Jahr-) Märkte zu schaffen, die jeweils um Ostern, Johanni (24. Juni) und zur Erntezeit im September stattfanden. Zugänge zum Ort wurden das Benner -, das Norden- und das Widumer Tor, die bis heute im Stadtbild bezeichnet sind.

Auch in preußischer Zeit wurden diese Freiheitsprivilegien immer wieder bestätigt, zuletzt in einer Urkunde von 1666, die heute im Stadtarchiv aufbewahrt wird. In napoleonischer Zeit wurde aus dem Gericht Castrop 1809 die Mairie Castrop, daraus nach den Befreiungskriegen 1813/15 die Bürgermeisterei Castrop. Diese umfasste grob ein Gebiet von Ellinghausen, Deusen und Mengede bis Sodingen und Börnig. Mit der Einführung der preußischen Landgemeindeordnung entstand 1841/43 das Amt Castrop (nach der Volkszählung von 1849 mit 6645 Einwohner). 1889 wurde es in die Ämter Mengede und Castrop geteilt.

Image
Alte Karte des Amts Castrop um 1843

Mit zunehmender Industrialisierung und dem Zuzug von immer mehr Arbeitern und ihren Familien wurde 1902 aus der Titularstadt Castrop und den zwei Landgemeinden Obercastrop und Behringhausen die Stadt Castrop (14.447 Einwohner), im Amt Rauxel wurden Rauxel, Habinghorst, Frohlinde, Merklinde, Bövinghausen und Westhofen (das spätere Schwerin) zusammengefasst (11.311 Einwohner). Als dessen Amtshaus wurde 1904/05 das heutige „Alte Rathaus“ erbaut, kurioserweise auf einer Anhöhe „über“ der Stadt Castrop, das ab 1913 „nur“ eine Bürgermeistervilla hatte. 1926 entstand schließlich aus den Ortsteilen der Stadt Castrop und dem Amt Rauxel, erweitert um Bladenhorst, Pöppinghausen, Dingen, Deininghausen und Ickern, Die Stadt Castrop-Rauxel, Landkreis Dortmund (53.399 Einwohner). Die Kreisfreiheit erhielt Castrop-Rauxel 1928. Mit der Gebietsreform 1975 wurde die Stadt in den Kreis Recklinghausen eingegliedert, der seine Ursprünge im Vest Recklinghausen hat. Dabei wurde auch der heutige nördlichste, vormals zum Amt Waltrop zugehörige Stadtteil Henrichenburg der Stadt Castrop-Rauxel zugeordnet.

Image
Historische Aufnahme von zwei Kirchen mit weiteren Gebäuden im Hintergrund

Ähnlich wie das Gebiet von Castrop reichte auch das Kirchspiel um die mittelalterliche Lambertus-Kirche bis in heute zu Herne und Dortmund gehörende benachbarte Orte. Mit dem großen Bevölkerungswachstum der Industriezeit entstanden daraus ein Dutzend eigene Gemeinden mit großen Kirchenbauten. 

Die Reformationsbewegung begann in Castrop Ende des 16. Jhs. mit einer ersten lutherischen, im 17. Jh. mit einer calvinistisch-reformierten Gemeinde, die 1826/27 zur Evangelischen Kirchengemeinde vereinigt wurden. In Alt-Castrop wurde 1881 ihre gemeinsame Lutherkirche geweiht. 

Eine Besonderheit der Religionsentwicklung in Castrop liegt darin, dass es in einer seit der Reformation evangelisch bestimmten Umgebung weitgehend katholisch blieb.

Castrop-Rauxel im Zeitalter der Industrialisierung

Als im Mai 1847 zum ersten Mal ein Zug der Köln-Mindener-Eisenbahn den Bahnhof Castrop (den heutigen Hauptbahnhof im Ortsteil Rauxel) passierte, hatte der Amtsbezirk Castrop Anschluss an die weite Welt gefunden, 1878 folgte die Emschertalbahn (der heutige Bahnhof Süd). Durch Eisenbahn und Kanal – 1899 weihte Kaiser Wilhelm II. den Zweigkanal des Dortmund-Ems-Kanals zwischen dem Schiffshebewerk Henrichenburg und Herne / Pöppinghausen ein, der bis 1914 zum Rhein-Herne-Kanal ausgebaut wurde -, lag im Raum des heutigen Stadtgebiets eine für die Industrie befriedigende Verkehrsinfrastruktur vor.

Eine für die Entwicklung Castrops in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutende Persönlichkeit war der Ire William Thomas Mulvany, der Arbeiter und erfahrene englische Ingenieure, unter anderem den „Meisterabteufer“ des nordenglischen Kohlereviers, William Coulson, nach Westfalen holte. 1866 wurden die Schachtarbeiten in unmittelbarer Nähe zum Ortskern von Castrop - ein im Ruhrrevier seltener Standort - begonnen. 1867 begann die Förderung bester Gas-, Heiz- und Kokskohle und damit die Industrialisierung in Castrop. Mulvany benannte die Zeche nach seiner irischen Heimat „Erin“, und dieser Name am erhaltenen Förderturm über dem Schacht 7 der Zeche ist bis heute ein Wahrzeichen der Stadt. Obwohl Mulvany die Zeche schon 1877 aufgeben musste - erst ab 1882 unter Friedrich Grillo und der Gelsenkirchener Bergwerks-AG entwickelte sie sich zu einem der größten und erfolgreichsten Bergwerke im Revier.

Image
Portraitfoto von Thomas Robert Mulvany
Thomas Robert Mulvany

Ab 1871/72 fasste die Industrialisierung auch im Osten und Norden der Stadt Fuß. Zwei große Schachtanlagen wurden abgeteuft – ab 1872 Graf Schwerin in der Bauerschaft Westhofen - und Victor-Ickern: ab 1871 Victor 1 und später Victor 2 (Rauxel). 1893 begann die Abteufung von Victor 3, zwischen 1901 und 1907 wurde der Schacht 4 fertiggestellt. Die Schächte Ickern 1 und Ickern 2 waren 1910 und 1914 betriebsfertig. Auch hier hatten sich zum Abbau großer Kohlefelder auswärtige Unternehmer und Industriepioniere zusammengefunden, u. a. Ernst von Waldthausen und später Peter Klöckner. 

Image
Historische Aufnahme von Bergbausiedlung mit rauchenden Schornsteinen im Hintergrund

Im Sog des Bergbaus entwickelte sich die Nebenproduktgewinnung, also die Entstehung der Kohlechemie. Es entstand eine Kohlewerkstoff– und Teerdestillationsanlage; ein Stickstoffwerk, das erste im Ruhrgebiet: die Rütgers-Werke AG für Teer und Teerprodukte in Rauxel, (Inbetriebnahme 1897), Gesellschaft für Teerverwertung in Rauxel (Aufnahme des Betriebes 1913), Gewerkschaft Victor – Stickstoffwerke (Betriebsfertig 1928).

Nach dem Beginn der Industrialisierung konnte der wachsende Bedarf an Arbeitskräften im Bergbau nur in geringem Maße durch Einheimische aus der näheren Umgebung gedeckt werden. Ab 1880 setzte die große Binnenwanderung aus dem Osten des Deutschen Reiches ein, aus Schlesien, aus Ost- und Westpreußen und aus Posen kamen Arbeitskräfte mit ihren Familien. Im Gebiet der heutigen Stadt Castrop-Rauxel lebten 1867 ca. 4800 Personen, 1885 waren es bereits 9895 Personen und 1925 53360. Für sie wurden unterschiedlichste Arbeitersiedlungen errichtet – einige Berühmtheit im Ruhrrevier erlangte dabei der sog. „Masurenaufruf“ der Zeche Victor zur Anwerbung von Arbeitern aus dem Osten, der mit einer neuerbauten Kolonie mit schönen Häusern und Gärten eine Idylle wie ein „masurisches Dorf“ abseits des Industriebetriebs gelegen, vorgaukelte. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten „Gastarbeiter“ aus Italien, Griechenland und der Türkei, die Einwohnerzahl Castrop-Rauxels stieg bis zu ihrem Höhepunkt 1961 auf 88.615.

Image
Scan von einer Bergarbeiterzeitung mit altertümlicher Schrift
Image
Zweiter Scan einer Bergarbeiterzeitung mit altertümlicher Schrift

Das Ende der Kohlezeit kam am 23.12.1983, als die Zeche Erin – die erste und letzte Zeche Castrop-Rauxels – die Förderung einstellte. 

Nationalsozialismus und Krieg

Anfänglich standen der jungen, aufstrebenden Stadt keine größeren Schwierigkeiten im Weg bis dann die Weltwirtschaftskrise 1929 ausbrach und die verhängnisvolle Zeit der Arbeitslosigkeit begann. Bis 1931 stieg die Zahl der Erwerbslosen in Castrop-Rauxel auf 6444. In einer aufwendigen Notstandsarbeit ließ die Stadt ab 1926 auf den Wiesen südlich von Alt-Castrop ein Freibad errichten, das neben seinen sportlichen Zwecken mit Duschen und Bädern auch hygienische Zwecke erfüllte in einer Zeit, als viele Wohnungen in der Stadt noch keine eigenen Bademöglichkeiten besaßen. Ab 1931/32 folgte der Stadtgarten mit dem großen Gondelteich, und auch in den Stadtteilen Habinghorst und Ickern ließ die Stadt Grünflächen anlegen.

Historische Aufnahme eines vollen Parkbad Süd in Castrop-Rauxel von 1928
Image
Münsterstraße mit vielen Menschen und Hakenkreuz-Fahnen an den Häusern

Doch die wirtschaftlichen Nöte blieben und mehrten sich weiter. Die Zahl der Arbeitslosen belief sich 1932 in Castrop-Rauxel auf 13441. Bei dieser erschreckend hohen Zahl von Erwerbslosen im ganzen Land fiel es den nationalsozialistischen Propagandisten nicht schwer Anhänger für die NSDAP zu gewinnen. 1925 hatte sich in den Gemeinden Ickern und Habinghorst eine kleine Gruppe der NSDAP mit 26 Mitgliedern gebildet. Nach der Kommunalwahl 1929 war der erste mit 701 Stimmen gewählte Abgeordnete der Partei in die Stadtverordnetenversammlung eingezogen. Die letzte „freie“ Stadtverordnetenwahl vom 12. März 1933 brachte eine Verschiebung zu den radikalen Flügeln des Parteienspektrums. Die NSDAP errang 29,2% der Stimmen. Nach dem Verbot von KPD und SPD und der Selbstauflösung der anderen Parteien hatten die Nationalsozialisten leichtes Spiel.

Im Juli 1933 – es gab nach Verbot und Selbstauflösung der anderen Parteien nur noch NSDAP-Mitglieder in dem Rest der Stadtverordnetenversammlung- wurde Dr. Richard Anton, Chemiker der Rütgers-Werke zum Oberbürgermeister „gewählt“.

Das Ende des Jahres 1933 brachte dann die Auflösung der am 12. März 1933 gewählten und immer mehr zusammengeschrumpften Gemeindevertretung und zeigte, dass das Führerprinzip sich endgültig über die demokratisch legitimierte Gemeindeselbstverwaltung hinweggesetzt hatte.

Image
Zwei Fachwerkhäuser mit Blick auf die Synagoge in der Flucht

Ab 1933 begann das Anwachsen der öffentlichen Diskriminierung der Castroper Bürger jüdischen Glaubens, ihre Verdrängung aus dem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Ihre endgültige Verfolgung begann mit der Pogromnacht am 9. / 10. November 1938, in der ihre Geschäfte und Wohnungen am Markt und in der Altstadt Castrops und ihre Synagoge zerstört wurden. Initiiert wurden die Übergriffe in Castrop-Rauxel wahrscheinlich von SA-Trupps aus Herne, eingewiesen und geführt von einheimischen SA-Leuten. Die Castroper Synagoge brannte aus, da die Feuerwehr sich darauf beschränkte, ein Übergreifen des Brandes auf die umliegenden Gebäude zu verhindern. Am Folgetag wurde die Synagoge auf Veranlassung der Baupolizei niedergelegt.

Nachweislich wurden mindestens neun Bürger jüdischen Glaubens verhaftet und acht von ihnen kurzfristig ins Konzentrationslager Sachsenhausen / Oranienburg eingeliefert. Einer von ihnen, Moritz Marx, „verstarb“ am 12. November im Alter von 62 Jahren auf dem Transport dorthin. Der damalige Synagogenvorsteher Julius Meyer und sein Sohn Erich erlitten so schwere Misshandlungen, dass sie im Rochus-Hospital behandelt werden mussten.

Image
Mahnmal an der Leonhardstraße für die "Opfer der Hitlerdiktatur"

Die Pogromnacht war bis dahin der Höhepunkt eines staatlichen Antisemitismus, der mit der „Machtübergabe“ an die Nationalsozialisten Ende Januar 1933 begonnen hatte. Was folgen sollte war - wie für viele jüdische Deutsche auch für viele Castroper Bürger jüdischen Glaubens noch schwer vorstellbar. So schrieb später ein Opfer der Ereignisse: „Damals glaubten wir, dass dies der Höhepunkt der Judenverfolgung sei. In Wahrheit war es das letzte Alarmsignal vor der Vernichtung.“ Für die Castroper bedeutete dies, dass sie vom Spätsommer 1942 an keine jüdischen Mitbürger mehr hatten. Bis heute sind 82 Castrop-Rauxeler jüdischen Glaubens bekannt, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordet wurden, andere konnten noch fliehen.

Image
Zerstörte Häuser und Trümmer mit unscharfer Person im Vordergrund

Das Terror-Regime der Nazis und der verbrecherische, von Nazi-Deutschland begonnene Weltkrieg forderten in Castrop-Rauxel weitere Opfer. Unter den insgesamt 469 Opfern von Luftangriffen befanden sich 158 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, was sich daraus erklärt, dass sie überwiegend in Massenunterkünften in der Nähe von als kriegswichtig angesehenen Betrieben untergebracht waren. Bei Luftangriffen durften sie keine Bunker oder Stollen aufsuchen, nur Splittergräben standen ihnen zur Verfügung. Durch Verfolgungen von Seiten des NS-Regimes kamen seit 1933 16 Mitglieder oder Sympathisanten der KPD aus Castrop-Rauxel ums Leben. 10 weitere Personen kamen ums Leben wegen „Wehrkraftzersetzung“ und dem „Hören von Feindsendern“. Laut dem Castrop-Rauxeler Historiker Dietmar Scholz sind etwa 75 Menschen dem „Euthanasieprogramm“ zum Opfer gefallen. Etwa 2800 Castrop-Rauxeler Angehörige der Wehrmacht sind im Zweiten Weltkrieg gefallen. Die Gesamtzahl der Toten aus Castrop-Rauxel beträgt fast 3600 Personen.

Ein Viertel aller Gebäude in Castrop-Rauxel sank durch Luftangriffe und Artilleriebeschuss in Schutt und Trümmer. Wenige Häuser blieben unbeschädigt.

Castrop-Rauxel nach 1945

Die Castroper-Rauxeler Amtsträger der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen, ganz gleich, ob es sich um Kommunalbeamte oder Lehrer, „Wirtschaftsführer“ oder freiberuflich Tätige wie z.B. Ärzte handelte, wurden noch im Sommer 1945 interniert.

Anfangs lag die „Entnazifizierung“ in den Händen der Militärbehörden, später stuften deutsche Entnazifizierungsausschüsse die Betroffenen in die Kategorien III (Minder-belastete) oder IV (Mitläufer) ein.

Schon Anfang 1946 sprach sich der damalige Oberbürgermeister und spätere Oberstadtdirektor Arnold Boerboom dafür aus, den politischen „Reinigungsprozess“ schnell zu beenden und mit den politisch weniger Belasteten beim Aufbau zusammenzuarbeiten. „Es wäre staatspolitisch unklug, und untragbar, die Hälfte der Bevölkerung, so umfangreich ist der Bevölkerungsteil, der mehr oder weniger mit der nationalsozialistischen Partei … liiert war, in die Opposition zu drängen und sie hierin zu halten.“

Image
Gruppenfoto von vierzehn Männern und zwei Frauen vor Haus Goldschmieding von 1946
Image
Rückseite eines Fotos mit handschriftlichen Notizen

Nach der mühsamen Trümmerbeseitigung folgte eine erstaunliche Aufbauleistung. Jahrelang hat die Stadt Castrop-Rauxel im Wohnungsbau an der Spitze der Städte im gesamten Bundesgebiet gestanden; noch im Februar 1954 meldete die lokale Presse, dass Castrop-Rauxel 1953 in der Bautätigkeit an 8. Stelle hinter West-Berlin, Hamburg, München Köln, Essen, Frankfurt und Kassel gelegen habe.

Die stark zerstörten Industrieunternehmen wurden wieder auf- und weiter ausgebaut. So entstand z.B. bei der Rütgerswerke AG eine Teerdestillationsanlage, die um 1955 die größte und modernste Anlage in der Bundesrepublik darstellte.

Eine wesentliche Leistung in der Phase des Wiederaufbaus und Neuaufbaus war die Integration der Ostvertriebenen und Flüchtlinge. Im Dezember 1947 betrug ihre Zahl 4.510 Personen. 1956 gab es 11.987 Ostvertriebene und Flüchtlinge in Castrop-Rauxel, 1962 waren es 15.768 und 1964 sogar 21.000 Personen, das entsprach damals etwa einem Viertel der Gesamtbevölkerung Castrop-Rauxels

Image
Historisches Foto von einem Omnibus mit der Aufschrift "Westfälisches Landestheater"

Auch der Kulturbetrieb in Castrop-Rauxel wurde bereits sehr bald nach Kriegsende wieder aufgenommen, eine besondere und überregionale Bedeutung kommt dabei dem Westfälischen Landestheater (WLT) zu, das seit 1946 seinen Sitz in Castrop-Rauxel hat. 1933 in Paderborn gegründet, wurde es dort 1945 durch Bomben zerstört, daher erfolgte der Umzug. Neben seinen Aufführungen am Ort war das WLT etwa in der Spielzeit 1980/81 in fast 80 Spielorten NRWs und auch außerhalb des Landes mit mehr als 300 Vorstellungen (etwa die Hälfte davon vom Kinder- und Jugendtheater) unterwegs. Seinem Selbstverständnis als „Volkstheater im Revier“ entsprechend war das WLT auch in dieser Spielzeit beharrlich auf dem Weg, sich aus der Insellage des selbstgenügsamen Theaters klassisch-bürgerlicher Herkunft zu befreien und sich als ein regionalbewusstes, der sozialen Wirklichkeit zugewandtes Brecht- und Volksstück-Theater darzustellen.

Am 9. Juli 1950 erfolgte die Wiederaufnahme der traditionsreichen Castroper Rennen, die ihren Ursprung bereits in den 1870er Jahren hatten: Vorläufer waren seit 1868 vom Landwirtschaftlichen Amtsverein Castrop veranstaltete kleinere Flachrennen für Pferde von Vereinsmitgliedern. Der Begründer der Zeche Erin, William Thomas Mulvany, entwickelte sie zusammen mit seinem Sohn Thomas Robert Mulvany, dem ersten Betriebsdirektor der Zeche Erin, zu einer „Steeple Chase“, der ersten in Deutschland, weiter. Sie beauftragten James Toole, den Verwalter von Haus Goldschmieding, das den Mulvanys als Sommersitz diente, eine Rennbahn mit Naturhindernissen um das Haus anzulegen, die in den Anfängen Berühmtheit bis ins benachbarte Ausland erlangte und die besten Reiter mit den erfolgreichsten Pferden anzog und das kleine Castrop für jeweils ein bis zwei Tage mit Zuschauern überflutete. Nach einer wechselvollen Geschichte fanden die 97 Rennen bis zum 28.6.1970 statt, mussten danach aufgrund eines immer geringeren Zuschauerzuspruchs vom Rennverein aufgegeben werde. Das Gelände der späteren Naturhindernisrennbahn unterhalb der Dortmunder Straße gehört heute zu den Castroper-Rauxeler Naturdenkmalen.

Historisches Foto vom Castroper Pferderennen vom 27. Juni 1965

1962 beschloss der Stadtrat, ein umfangreiches kulturelles und administratives Zentrum in der geografischen Mitte des Stadtgebietes zu schaffen. Umgesetzt wurde der Bau des „Forums Castrop-Rauxel" nach Plänen von Arne Jacobsen und Otto Weitling, 1976 offiziell eröffnet. Es umfasst neben dem Rathaus die Stadthalle mit 660 m², die Europahalle mit 1.500 m², ein Außengelände von 15.000 m² für Open-Air-Veranstaltungen und ist Sitz des Westfälischen Landestheaters.

Vogelansicht auf den Stadtmittelpunkt mit Rathaus, Europahalle und Stadthalle

Europastadt Castrop-Rauxel

Im Rahmen einer Initiative der nach Kriegsende entstandenen „Europäischen Bewegung“ entschied sich am 16. Juli 1950 die Bevölkerung Castrop-Rauxels mit überwältigender Mehrheit (96 Prozent) in freier und geheimer Abstimmung bei einer 74-prozentigen Wahlbeteiligung für die Aufgabe der eigenen Staatshoheit zugunsten eines Vereinten Europas. 

Image
Zwei Männer an einem Pult mit einer Europafahne zwischen ihnen

1949 wurde die erste europäische Städtepartnerschaft mit dem britischen Wakefield geschlossen, es folgten das niederländische Delft (1950-2000), das französische Vincennes (1961), das finnische Kuopio (1965), das polnische Nowa Ruda (1995), das Havelstädtchen Zehdenick (1990) als Patenstadt im Rahmen der Wiedervereinigung und Trikala in Griechenland und Zonguldak in der Türkei (2013).

Seitdem hat sich der europäische Gedanke vielfältig weiterentwickelt und ist in Vereinen, Schulen, Kultur, Sport und Wirtschaft fester Bestandteil. Im Jahr 1963 erhielt Castrop-Rauxel vom Europarat als Anerkennung und Dank für „gute, den europäischen Völkern und deren Frieden dienende Arbeit" in Straßburg die Europafahne überreicht.

Castrop-Rauxel heute

Insbesondere seit Niedergang der Kohle- / Industriezeit ist in der Stadt Castrop-Rauxel auf mancherlei Weise versucht worden, der einseitigen Wirtschaftsstruktur zu begegnen und damit das Arbeitsplatzangebot zu verbessern. Einzig verbliebener Industriebetrieb ist das Traditionsunternehmen Rütgers (heute Rain Carbon), und so bemüht sich die Stadt Castrop-Rauxel seit langem mit großem Erfolg, Klein- und Mittelbetriebe verschiedener Branchen in der Stadt anzusiedeln, vor allem auf den Brachen der ehemaligen Standorte der Kohle (-chemie). Tatsächlich ist inzwischen der „Industriepark Rütgers“ mit knapp 25 ha die einzige größere noch verfügbare Gewerbefläche der Stadt.

Image
Modernes Gebäude, fotografiert zwischen den Beinen des Erin-Turms

Grundgelegt wurden die Entwicklungen unter anderem durch die „Internationale Bauausstellung Emscher Park“ (IBA) der Jahre 1989-99. Die Entwicklung der Zechenbrache Erin zu einem „Dienstleistungs-, Gewerbe- und Landschaftspark“ gilt als eines der Vorzeigeprojekte der IBA im Projektbereich „Arbeiten im Park“. Der Park wurde zudem landschaftsarchitektonisch in Erinnerung an den Zechengründer Wiliam Thomas Mulvany „irisch“ gestaltet. Der Landschaftspark hat sich als attraktiv für Unternehmen aus der näheren und weiteren Umgebung Castrop-Rauxels erwiesen und bietet zudem den Menschen der Umgebung ein Erholungszentrum in unmittelbarer Ortsnähe. Daneben verdankt die Stadt der IBA z.B. auch Aufbau und Förderung von Kulturprojekten wie der „Agora“ in Ickern oder dem „Parkbad Süd“ im Stadtgarten.

Image
Emscherauen am Natur- und Wasser-Erlebnispark in Castrop-Rauxel

Eine Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe, darunter auch nachhaltig engagierte Unternehmen u.a. mit Hofläden, hat sich in der Stadt mit einem bedeutenden Anteil an Ackerland, Gärten, Parks, Wiesen, Weiden, Wäldern und begrünter Zechenhalden und -brachen halten können. Durch diesen Grünanteil und ein Leben am Wasser, an Kanal, Bächen, Teichen und vor allem an einer naturnah umgebauten Emscher und einem neugestaltetem Emscherbruch stellt sich Castrop-Rauxel als ein interessanter Teil des Ruhrreviers mit großem Freizeit-, Wohn- und Erholungswert dar. So trägt Castrop-Rauxel seit vielen Jahren den Beinamen "Europastadt im Grünen".

Historische Anmerkungen zu einigen Ortsteilen

Image
Historische Aufnahme von einem Bahnhof mit mehreren Gleisen an denen eine Person steht

Die älteste urkundlich belegte Erwähnung des Ortes Rauxel stammt aus dem Jahre 1266. In einer Urkunde wird ein Cesarius von Roukessele (gleich Rauxel, mittelhochdeutsch „Krähenwiese“) erwähnt. Er bekundete durch sein Auftreten als Zeuge, dass er ein Gefolgsmann des Grafen Dietrich von Kleve war. In dessen Händen lag damals die Herrschaft über das Gericht Castrop. So gehörte Rauxel schon seit dem 13. Jahrhundert zum Amtsbezirk Castrop. 1902 – nach 636 Jahren – schied die Gemeinde Rauxel aus dem alten Amtsverband Castrop aus und bildete das neue Amt Rauxel, das im Zuge der großen Eingemeindungen im Ruhrrevier am 1. April 1926 in die Stadt Castrop-Rauxel aufging.

Image
Historische Aufnahme von einer efeubehangenen Villa mit Turm und Zierbüschen

Die erste urkundliche Erwähnung geht zurück bis 1220 als Ichorne in der Limburger Vogteirolle. Seit dem 14. Jh. ist belegt, dass Ickern zu Gericht und Kirchspiel Mengede gehörte. Erst 1926 wurde Ickern Teil der Stadt Castrop-Rauxel.

Seit dem späten Mittelalter existierte der Herrensitz Haus Ickern, der 1810 in den Besitz von Ludwig Freiherr von Vincke kam, dem ersten Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Reformer und Förderer der Industrialisierung – und im Ickerner Bereich auch von landwirtschaftlichen Innovationen. Das Haus Ickern wurde 1944 durch Bomben schwer beschädigt, später niedergelegt, heute ist nur noch ein Torpfeiler erhalten.

In der Industriezeit gelangte der Ortsteil Ickern zu einer gewissen Berühmtheit aufgrund der Entwicklung seiner Bevölkerung. Auf der Brüsseler Weltausstellung wurde er als derjenige Ort präsentiert, der die relativ schnellste Bevölkerungsentwicklung aufzuweisen hatte. Die Bevölkerungsentwicklung im Überblick: 1849 hatte der Ortsteil 336 Einwohner, wuchs zwischen 1905-15 auf 11.654 Einwohner und im Zeitraum von 1948-1958 auf 22.903 Einwohner.

Image
Gemälde von einer Mühle an einem Fluss mit der Henrichenburg im Hintergrund

Historisch gehörte Henrichenburg zum Vest Recklinghausen, die Emscher stellte jahrhundertelang dessen Grenze zum Herzogtum Kleve-Mark dar. Erst mit der Gebietsreform 1975 wurde es in die Stadt Castrop-Rauxel eingegliedert. 

In den 1990er Jahren wurde bei einem Bauvorhaben der alte Rittersitz Henrichenburg, urkundlich belegt seit 1263, wiederentdeckt und zu einem „Landschaftsarchäologischen Park“ gestaltet, in dem die ursprüngliche Anlage der Burg durch die Bepflanzung sichtbar gemacht ist.

Name wie Stadtteil des heutigen Schwerin gehen einzig zurück auf das 1872 gegründete Bergwerk Graf Schwerin, zuvor existierte am höchsten, natürlichen Punkt unserer heutigen Stadt (dieser liegt bei 127 m) nur eine Bauerschaft aus drei großen Höfen namens Westhofen. Als sich im Sprachgebrauch der zugezogenen Arbeiter der Name der Zeche für ihren Wohnort durchsetzte (wobei sie „auf Schwerin“ wohnten, nicht „in“, entsprechend ihrem Arbeitsplatz „auf der Zeche“) wurde der Stadtteil 1936 auch offiziell so benannt. 

Historische Aufnahme von zwei Minenarbeitern, die Kohle abbauen
Kontakt

Rathaus
Europaplatz 1
44575 Castrop-Rauxel

Tel. 02305 / 106-2692 
E-Mail stadtarchiv@castrop-rauxel.de 

Das könnte Sie auch interessieren

Image
Nahaufnahme von historischem Buch
Kultur und Freizeit
Stadtarchiv
Image
Wappen
Wissenswertes
Wappen und Stadtname
Image
Fotos von Ehrenbürgern auf einer Fahne der Stadt
Wissenswertes
Ehrenbürger
Image
Lauftaufnahme der Castroper Altstadt
Statistik
Daten und Fakten
Image
Wehende Europafahne vor dem Rathaus Castrop-Rauxel
Stadtinformation
Castrop-Rauxel und Europa
Image
Blick in die Stadtbibliothek
Kultur und Freizeit
Stadtbibliothek