Verblendung
"Jeder Mensch hat Geheimnisse. Man muss nur herausfinden, welche"
Redaktionskritik
»Jeder Mensch hat Geheimnisse. Man muss nur herausfinden, welche«
Es geht um „Männer, die Frauen hassen“. So lautet der übersetzte schwedische Originaltitel des Thrillers „Verblendung“ von Stieg Larsson, der eines seiner Kapitel mit der Vorbemerkung einleitet: „46 Prozent aller schwedischen Frauen über 15 sind schon einmal Opfer männlicher Gewalt geworden.“ Allerdings geht es auch um Frauen, die sich wehren. Eine davon kann das besonders gut: Lisbeth Salander, eine Mischung aus Punk-Göre, tückischer Nymphe und Pippi Langstrumpf von der falschen Straßenseite. Sie ist eine der bizarrsten Frauenfiguren, die je in der Literatur auftauchten, und im Film wird sie von einer außergewöhnlichen Darstellerin verkörpert: Noomi Rapace hat nie Schauspielunterricht genommen, brachte sich ihre Fertigkeiten selbst bei und verwandelte ihren Körper für die Rolle der Lisbeth in ein Muskelpaket. Doch nicht nur sie macht „Verblendung“ zu einem Kinokraftakt. Den Auftakt des Films bilden zwei verschiedene Erzählstränge, die zunächst keinerlei Berührung aufweisen. Im ersten erleidet der Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) vor Gericht eine bittere Niederlage. Ein Wirtschaftsführer, dem er in einem Aufmacher der Zeitschrift „Millennium“ betrügerische Waffengeschäfte unterstellte, kann diese zurückweisen; der Reporter wird als Rufmörder zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt, die er aber zunächst nicht antreten muss. Gleichzeitig wird an einem anderen Ort von Kopenhagen der schwer erziehbaren Lisbeth Salander (Rapace) ein neuer Betreuer zugeteilt. Der sich allerdings selbst als reichlich gestörter Psycho erweist und von Lisbeth sexuelle Gefügigkeit erpresst. Ein Fehler. Eine Frau wie Lisbeth lässt sich nicht unterdrücken. Gleichzeitig nimmt der zur Untätigkeit verdammte Reporter einen Gefälligkeitsjob des Großindustriellen Henrik Vanger (Sven-Bertil Taube) an. Dieser erhält seit Jahren zum Geburtstag das gleiche Geschenk: gepresste Blumen hinter Glas. Vanger ist überzeugt, dass die Pflanzen ein Lebenszeichen seiner verschwundenen Nichte Harriet sind. Blomkvist soll Harriet suchen. Ein aussichtsloses Vorhaben, denn die Polizei hat den Fall längst zu den Akten gelegt, und neue verwertbare Spuren stehen nicht zur Verfügung. Bis Blomkvist auf eine Liste mit den Namen von fünf ermordeten Frauen stößt. Auch diese bringt ihn zunächst nicht weiter, doch dann gibt ihm eine Fremde einen wichtigen Hinweis: Blomkvist trifft auf die geheimnisumwitterte Lisbeth Salander. Regisseur Niels Arden Oplev, der zuvor Serien für das schwedische Fernsehen drehte, gelingt mit „Verblendung“ ein hochklassiger Thriller auf internationalem Niveau. Grau, trüb und regennass – so präsentiert sich der Schauplatz Schweden in der zweieinhalbstündigen Krimi-Tour-de-Force. Oplevs Film wirft einen ungeschminkten Blick in grausamste menschliche Abgründe. Die Folterszenen sind schwer zu ertragen, und auch was die rein psychische Brutalität angeht, kann es der Schocker durchaus mit dem großen Genrevorbild „Das Schweigen der Lämmer“ aufnehmen – obwohl „Verblendung“ ohne eine charismatische Figur wie Hannibal Lecter auskommen muss. Der am Ende präsentierte Bösewicht verfügt nicht annähernd über die perfide Ausstrahlung eines Anthony Hopkins. Das Böse wird auch weiterhin aus Schweden kommen: Die Larsson-Adaptionen „Vergebung“ und „Verdammnis“ sind bereits abgedreht und starten im nächsten Jahr in den deutschen Kinos. Das ungleichste Ermittlerduo der Thrillerszene wird darin in noch schwärzere Tiefen der menschlichen Seele vorstoßen.
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