Überschwemmungen in Brasilien: Chronik einer angekündigten Tragödie | amerika21
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Überschwemmungen in Brasilien: Chronik einer angekündigten Tragödie

Dieses Ausmaß an Umweltzerstörung hat es im Land noch nie gegeben

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Die Bewohner von Porto Alegre leiden auch unter Mangel an Strom und Trinkwasser
Die Bewohner von Porto Alegre leiden auch unter Mangel an Strom und Trinkwasser

Porto Alegre et al. Rio Grande do Sul ist, wie der Name schon sagt, der südlichste der brasilianischen Bundesstaaten. Er grenzt in weiten Teilen an Uruguay und in geringerem Maße an Argentinien und Paraguay.

Seine Bevölkerung ist Schätzungen zufolge die fünft- bis sechstgrößte Brasiliens. Der Bundesstaat hat die viertgrößte Wirtschaft. Er produziert 70 Prozent des brasilianischen Reises, 40 Prozent der Sojabohnen und liefert einen großen Teil des Rind-, Schweine- und Geflügelfleisches.

In den letzten zwei Wochen hat sich die Hauptstadt Porto Alegre im Gegensatz zu ihrem Namen in ein trauriges, dramatisches Szenario verwandelt, mit einem Ausmaß an Umweltzerstörung, das es in diesem Land noch nie gegeben hat.

Die Einwohner betrachten mit Entsetzen die Bilder der von Wasser und Schlamm bedeckten Stadt.

Einige kulturelle Zentren mit langer Tradition und intensiver Aktivität sind nun verschüttet und zerstört. Es gibt keine Plätze, Parks oder Gärten mehr.

Die Verwüstung ist überwältigend.

Das Trinkwasser ist zu einem Schatz geworden, der zunächst hart umkämpft und dann praktisch verschwunden war.

Aus den nahe gelegenen Städten kommen Lastwagenladungen mit Wasser an, deren Inhalt in winzige Mengen aufgeteilt wird. Aus ganz Brasilien kommen Ladungen mit Wasser und anderen Gebrauchsgegenständen an, aber mit der Verteilung wurde erst am vergangenen Samstag begonnen.

In den Nachbarstädten, die ebenfalls von den Überschwemmungen betroffen sind, wurden fast zehntausend Tiere gerettet, vor allem Hunde und Pferde. Es ist noch nicht bekannt, wie viele Tiere für immer verloren sind.

Laut den neuesten Zahlen gibt es 136 Tote, 125 Vermisste und mindestens 1.000 Verletzte, die in Krankenhäuser und Gesundheitszentren gebracht wurden. Mindestens 350.000 Wohnungen wurden zerstört, und die genaue Zahl der betroffenen Gebäude, in denen sich Büros und Geschäfte befinden, ist noch nicht bekannt1.

Ersten Schätzungen zufolge werden zwei Milliarden Dollar benötigt, um das Zerstörte wiederherzustellen. Und Präsident Lula da Silva hat bereits 800 Millionen Dollar bereitgestellt, um nötigenfalls Reis zu importieren: Es wird geschätzt, aber noch nicht bestätigt, dass mehr als die Hälfte der Ernte in dem südlichen Bundesstaat, dem Hauptlieferanten des Landes, verloren gegangen ist.

Fünf benachbarte Städte, die in unmittelbarer Nähe von Porto Alegre liegen, wurden schwer getroffen. In Eldorado do Sul mussten die 42.000 Einwohner zunächst ihre Häuser und dann die Stadt verlassen. Es gibt weder Wasser noch Strom und die Plünderungen nehmen weiter zu.

In São Leopoldo sah der Bürgermeister, wie sein Haus vom Wasser überflutet wurde, so dass nur noch das Dach zu sehen war.

Der Bürgermeister von Porto Alegre, der rechtsgerichtete Sebastião Melo, äußerte sich kaum. Er bedankte sich für die erhaltene Hilfe und die von Privatpersonen gesandten Spenden, das war's.

Der Gouverneur von Rio Grande do Sul, Eduardo Leite, ein glühender Anhänger des ultrarechten Jair Bolsonaro, der das Land während seiner Präsidentschaft von 2019 bis 2022 an die Wand gefahren hat, sagte, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, um nach Schuldigen zu suchen.

Und damit hat er absolut Recht.

Von den 23 Wasserabsaugpumpen, die die Ansammlung von Wasser verhindern sollen, funktionieren nur sechs.

Im vergangenen Jahr hat die Stadtverwaltung von Porto Alegre keinen einzigen Peso für den Umweltschutz ausgegeben.

Die Landesregierung hat bisher exakt 10.000 Dollar in den Zivilschutz gesteckt.

Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um nach Schuldigen zu suchen, denn es gibt keinen Grund, nach ihnen zu suchen. Sie sind deutlich sichtbar.

Und der Hauptverantwortliche ist genau Eduardo Leite, der sich bislang darum bemühte, von Bolsonaro als Gegenkandidat zu Lula da Silva bei den Präsidentschaftswahlen 2026 benannt zu werden.

Seine Ambitionen wurden vom Wasser weggetragen. Sie sind untergegangen.

13. Mai 2024

  • 1. Aktualisierte Zahlen des Zivilschutzes vom 15. Mai: Es sind 149 Todesfälle. 79.494 Vertriebene sind in Notunterkünften, 538.245 bei Familienangehörigen oder Freunden untergebracht. 124 Menschen werden vermisst. Insgesamt sind 446 der 497 Städte in Rio Grande do Sul und 2,12 Millionen Menschen betroffen