Schalck-Golodkowski: Honeckers Geschenk an seinen mächtigsten Mann - WELT
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Geschichte Schalck-Golodkowski

Honeckers Geschenk an seinen mächtigsten Mann

Das Sommerhaus des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski wird verkauft. Unser Autor fand es zufällig im Internet. Eine Besichtigung.

Es ist die Sehnsucht, sich am Wochenende vom lauten Berlin in ein Idyll verabschieden zu dürfen, die uns auf diese Fährte führt. Die internetgetriebene Suche nach dem Sommerhaus spuckt im Berliner Umland in der Regel viele Ruinen aus, von der Datsche mit Asbestdach bis zur windschiefen Scheune ("Ihr neues Landloft") – mit oder ohne Zugang zu einem trüben Tümpel. Doch wo viel Mist ist, wachsen auch verwunschene Blüten, und so bleiben unsere erholungsbedürftigen Augen wie hypnotisiert an eben dieser Offerte hängen.

"Einmaliges Anwesen mit Wasserzugang und Bootssteg! Alleinlage am Gollinsee. Das Objekt gehörte dem Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski ." Und dann setzt die Maklerprosa gleich noch einen Superlativ drauf: "Er galt insgeheim als der mächtigste Mann der untergegangenen DDR. Und die Fäden dieser Macht spannte er unter anderem in eben diesem Haus."

"Monsieur KoKo" und die Planwirtschaft

Grundstück: 14.500 Quadratmeter, das Haupthaus, circa 200 Quadratmeter (inklusive Sauna und Weinkeller) groß, ist im Originalzustand erhalten. Kaufpreis 999.999 Euro. Das wäre es doch: am Wochenende am eigenen Bootssteg ein bisschen "Monsieur KoKo" und Planwirtschaft mit den Kindern spielen!

Die KoKo (Kommerzielle Koordinierung) verschleuderte unter Alexander Schalck-Golodkowski tonnenweise Antiquitäten und Gemälde, verschob Waffen wie Betäubungsmittel und zockte beim Häftlingsfreikauf und mit allem, womit sich Devisen für die DDR und deren Bonzen organisieren ließ. Insgesamt 50 Milliarden Mark holte Schalck nach eigener Rechnung fürs Regime herein.

Knallhart kapitalistisch betrachtet, eine respektable Summe für den Stasi-Offizier, der bereits seine Dissertation zum Thema "Vermeidung ökonomischer Verluste und Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen" verteidigt hatte. Die Koko hatte zeitweise 21 Tonnen Gold im Keller, was unsere detektivische Vorfreude auf Schalcks Golliner Weinkeller zusätzlich befeuert.

Am Ende der großen Stadt, die hier in Form von Aldi, Penny und Obi ausfranst, nehmen wir Kurs, lassen Wandlitz links liegen und nähern uns dem Biosphärenreservat Schorfheide. Die ausgedehnten Wälder, Wiesen, Seen und Sümpfe machen den Reiz dieser eiszeitlich geformten Landschaft aus. Fischadler, Sumpfschildkröten, Biber und Fischotter sollen wieder hier leben – und so viel Wild, dass selbst dem schießwütigsten Waidmann die Munition irgendwann ausginge.

Und überall deutsche Häuser im Forst: Drei Kilometer Luftlinie von Schalck-Golodkowskis Rückzugsgebiet entfernt unterhielt Reichsjägermeister Hermann Göring seinen Waldhof Carinhall . Die Szenerie dort ist ein bisschen so, als würde man in die Schwammerl gehen, um braune Giftpilze zu sammeln. Auf dem Waldboden sind noch Fundamentreste und mit Parolen beschmierte, finstere Bunkereingänge zu finden.

Göring wohnte drei Kilometer entfernt

Kurz vor Kriegsende hatte Göring Carinhall sprengen lassen, die Russen planierten drüber. Rund vier Kilometer von unserem Zielobjekt entfernt befindet sich das heutige "Hotel Döllnsee-Schorfheide", das zuerst als Gästehaus von Carinhall diente, nach dem Krieg als Ferienheim der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und später als Residenz und Gästehaus der SED. Große Teile des Waldgebietes waren abgesperrt und dienten als Staatsjagdgebiet, das ausschließlich Honecker, Günter Mittag und Horst Sindermann zur Verfügung stand.

Schalck-Golodkowski hatte für diesen Zweck über die KoKo acht Geländefahrzeuge der Marken Mercedes und Range Rover organisiert, für die laut Klageschrift gegen Schalck-Golodkowski 1,6 Millionen D-Mark ausgegeben wurden. Wegen Honeckers Jagdorgien wurden hier auch die Wildbestände extrem hochgehalten. 6,4 Millionen wurden allein für das Bewässern von Wiesenflächen verpulvert. Das erst mal zur Umgebung der Immobilie.

Wer sich näherte, lief Gefahr, beschossen zu werden

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So gesehen haben die lebensgroßen Plastehirsche, die einen hinter dem Stromhäuschen auf dem Waldweg zu Schalck-Golodkowskis Ferienanlage begrüßen, durchaus ihre stilistische Berechtigung. Das durch Maschendraht, Sirenen, Scheinwerfer und bewaffnete Wachposten gesicherte Anwesen Schalcks galt für die 130 Einwohner des Dörfchens Gollin bis 1989 als gesperrtes Regierungsobjekt. Wer sich von der Seeseite schwimmend oder mit einem Ruderboot näherte, lief Gefahr, von den Wachen beschossen zu werden. Und wer nachfragte, hörte irgendwas von Stasi und fragte nicht mehr weiter.

Ihren Nachbarn lernten die Golliner erst nach der Wende aus dem Fernsehen kennen, als er bereits flüchtig und nach Bayern emigriert war, wo er bis heute am Tegernsee lebt. "Der hat sich im Ort nicht mal auf ein Bier blicken lassen", erzählte 1991 dem "Stern" der damalige Wirt vom "Golliner Krug".

Dorfbewohner sicherten das "Volksvermögen"

Als jedoch ein Jahr zuvor eine West-Berliner Spedition das Umzugsgut von Schalck-Golodkowski sichern wollte, erlebte Gollin eine wahrhaftige Bauernrevolte. Mit Heugabeln bewaffnete Dorfbewohner verhinderten erfolgreich den Abtransport des "Volkseigentums". Als sich die Situation wieder beruhigte, kam es im Haus im Wald zu mysteriösen Einbrüchen, bei denen auf wundersame Weise jedes Mal die komplexen Sicherheitsanlagen versagten. "Gollin - Hauptstadt des organisierten Verbrechens", titelte damals der "Eulenspiegel".

Wir sind also am Zielobjekt und werden von dem aus Bulgarien stammenden Makler sowie dem jetzigen Eigentümer der Schalck-Immobilie freundlich begrüßt. Den Besitzer möchten wir für diese Geschichte Lindemann (Name geändert) nennen. Es gibt Kaffee und Kekse auf Schalcks ehemaliger Terrasse des Experimentalhauses, made in West Germany, von Okal, einem pfälzischen Fertighausspezialisten der Wirtschaftswunderjahre.

Als Lindemann und Frau einzogen, waren Staatsanwaltschaft und Geheimdienste natürlich schon da gewesen und Schalcks Leute sicher auch. "Der tauchte selber sogar eines Tages auf, stand plötzlich in der Einfahrt, verschwand aber wieder, als ich ihn hereinbat." Gesagt habe Schalck-Golodkowski nichts, er wollte wohl nur noch mal schauen. "Als wir später im Keller ein Schließfach fanden, dachten wir: Da sind die Diamanten vom Schalck drin." Doch leider war es leer. Auch im Weinkeller fand sich bis auf einen französischen Roten von 1934 nicht mehr viel.

"In Anerkennung außerordentlicher Leistungen"

Dafür stieß Lindemann auf einen Brief Günter Mittags, in dem der DDR-Wirtschaftslenker Honecker darum bittet, Schalck-Golodkowski ein Fertighaus der Marke Okal im Wert von 80.000 Valutamark zu genehmigen, als Anerkennung der außerordentlichen Leistungen bei der "allseitigen Stärkung" der Deutschen Demokratischen Republik. "Einverstanden", kritzelte Honecker am 22. Juli 1977 rechts oben in gewaltigem Sütterlin auf den Brief. Damit war die Sache durch. Mitten im Naturschutzgebiet.

Schalck hat weder die Erschließungskosten von mehreren Hunderttausend Mark bezahlt noch die Grundsteuer. Das Gelände wurde 1977 durch den VEB Wasserwirtschaft und Abwasserbereitung aufgekauft, eine eigene Trafo-Station wurde gebaut und Hunderte Meter flaschengrüner Maschendrahtzaun verlegt. "Der muss Paranoia gehabt haben", sagt der heutige Noch-Besitzer. "Es war wie an der Mauer: Es gab eine innere und äußere Begrenzung, dazwischen marodierten Schalcks Doggen."

"Hinterhofgeschichten" von Heinrich Zille

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Unten am See sind noch immer die Holzunterstände von Schalcks Wachen zu sehen. Und noch immer grüßt im Wohnzimmer eine massive Eichenschrankwand von Möbel Hübner (die Fahrzeuge mit West-Berliner Kennzeichen waren bei seinem Einzug von verdutzten Dorfbewohnern gesichtet worden), in der Schalck Bücher wie die "Hinterhofgeschichten" von Heinrich Zille aufbewahrte. Sie ist das Highlight des bodenständigen Interieurs, trotz einiger Gebrauchspuren quasi im perfekt patinierten Originalzustand erhalten, ein wahrhaft großes wie historisches Möbel.

Die Sitzecke ist leider nicht mehr original, umso mehr jedoch die Schwitzflecken in Schalcks Sauna. Deshalb sei an dieser Stelle noch einmal auf den großartigen Artikel von Reinhard Sobieeh und Ulrike Semper verwiesen, die sich wohl als erste Journalisten Zutritt verschafft hatten und am 5. Dezember 1989 in der SED-Bezirkszeitung "Freie Erde" unter dem Titel "Schalcks Toilettenbürste im Chromgefäß" das Schadensbuch für die Betrogenen führten. "Der Mann hatte Geschmack. Hochwertige Glasfasertapeten, gediegene Holzverkleidung an den Wänden. Eine Küche aus dem Quelle-Katalog, ebenso das Bad, wo selbst die Toilettenbürste im Chromgefäß steckt. Die einzigen Artikel, die wir aus DDR-Produktion entdeckten: Hustentropfen im Wandschrank und eine Tüte Badezusatz."

Stilikone des real existierenden Sozialismus

Wir fassen zusammen: Wer immer dieses herrliche Grundstück erwirbt (Eile dürfte geboten sein), bekommt für die Million eine mit westlichen Baustoffen aufgemotzte Stilikone des real existierenden Sozialismus. Bitte richtig verstehen: Das Gelände, die leichte Hanglage, der Ausblick auf den See – all dies ist top, und man wird um ganz Berlin herum kaum etwas Vergleichbares finden. Das Haupthaus jedoch ist eine kleinbürgerliche Horrorvision. Eng und muffig: Wie man bei so einer Lage so winzige Fenster haben kann, ist unbegreiflich.

Also am besten die bestehende Bausubstanz platt- und auf Farnsworth House machen. Mies van der Rohe hat am Fox River, 58 Meilen südlich von Chicago, der Ärztin Edith Farnsworth mit maximaler Transparenz und viel Glas das Außen nach innen geholt. Mies brachte so alle Eindrücke und Lichtspiegelungen der Umwelt ins Innerste des Wohnraumes, Privatsphäre war nur noch im intimsten Kern, dem Badezimmer, möglich, was Edith Farnsworth zu einer sehr transparenten Lebensweise zwang.

Schalck-Golodkowski hingegen fürchtete sich vor seiner Umwelt, weil er sehr genau wusste, dass sie ihm ohne Zäune, Sirenen und Wachpersonal feindlich gesinnt war. Also graben Sie sich nicht ein, sondern reißen Sie nieder. Vielleicht findet sich beim Umbau noch irgendwo ein Schatz von Schalck. In diesem Fall bitten wir um eine exklusive Einladung zu Kaffee und Kuchen auf Ihre neue Seeterrasse.

www.immobilienscout24.de (Objektnummer: 60019721)

Der Autor hat als Editor at Large von "Architectural Digest" über die schönsten Häuser der Welt geschrieben. Dieses gehört nicht dazu, ist aber jede Reise wert

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