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Warum „Spuk in Hill House“ der blanke Horror ist

Feuilletonredakteur
„Spuk in Hill House“

Fünf Geschwister wachsen in einem der bekanntesten Spukhäuser auf. Nach einer Tragödie kehren sie als Erwachsene in das Gemäuer zurück und müssen sich jetzt mit den Geistern der Vergangenheit auseinandersetzen.

Quelle: Netflix

Autoplay
Netflix ist die fast perfekte Horror-Serie gelungen. „Spuk in Hill House“ ist Spukschloss plus Bestattungsfirma plus Geisterjäger. Und erklärt, warum wir Monster brauchen. Atem schöpfen geht nur, wenn mal wieder Zeit für Product Placement von Apple ist.

Wer Deutsch spricht, ist im Umgang mit Monstern klar im Vorteil. Er braucht nur ein bisschen Sprachgeschichte, um zu erkennen, dass unheimlich das Gegenteil von heimelig ist, heimelig aber dasselbe wie heimlich, was natürlich schrecklich unheimlich ist.

Außer der Etymologie hilft Sigmund Freud, der erklärte, unheimlich sei, was gleichzeitig vertraut und unvertraut ist. Deshalb fängt die Geschichte der Schauergeschichte mit einem Spukhaus an. Deshalb spielen die krassesten Geistergeschichten zu Hause, wo man alles kennt und keine Ahnung hat.

Theoretisch ist Mike Flanagans zehnteilige Netflix-Serie „Spuk in Hill House“ also ein Horror-Standardmodell: Das Spuk-Hill-House des Titels ist, auch wenn es in Amerika steht, ein perfektes viktorianisches Spukschloss, und die Familie Crain, die im Sommer 1992 dort eingezogen ist, um es zu renovieren und teuer zu verhökern, ist ein ideales Opfer.

Die Eltern lieben sich, die fünf kleinen Kinder – Steven, Shirley, Theo(dora) sowie die Zwillinge Luke und Nell – sind Zucker. Außerdem gibt es – wie einst im Spukhaus der Baskervilles – ein Verwalterehepaar, bei dem einem die Haare zu Berge stehen.

Vater, Mutter, Geist

Praktisch ist Hill House allerdings ein Sondermodell mit allen Extras: wackelnde Wände, schwankende Gestalten, allerlei Stimmen und Geräusche, weiße Frauen, ein Keller, der auf dem Bauplan fehlt, leere Flure, auf die eine angststarre Kamera blickt, und dazu eine Erinnerung, von der man nicht weiß, dass man sie hat.

Denn der Aufenthalt der Crains in Hill House geht anno ’92 mit einer „letzten Nacht“ zu Ende, die Mutter Crain nicht überlebt. Was ist geschehen? Die beiden kleinen Crain-Kinder sehen auch als Erwachsene noch Gespenster; die beiden großen rationalisieren; die in der Mitte, Theo, wird Kinderpsychologin; und der Vater macht, was Männer eben machen: Er schweigt.

Die Romanvorlage der großartigen Shirley Jackson (1916–1965), deren letztes gebrauchtes Exemplar bei Amazon gerade 982,99 Euro kostet, hat es weitgehend beim Spuk im Haus belassen. Netflix’ Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan geht weit darüber hinaus: Das Spukhaus mit allen Extras wird mit einer amerikanischen Familiengeschichte und allen anderen Extras des Horror-Repertoires kombiniert.

Balsam für die Toten

Zu den wackelnden Wänden, schwankenden Gestalten, Stimmen, Geräuschen, weißen Frauen, Kellern und Fluren kommen Zombies, fischige Lovecraft-Monster und ein Beerdigungsinstitut, das die große Crain-Schwester Shirley betreibt. Als erwachsene Frau kleistert sie den Horror ihrer Kindheit mit chemischem Balsam und Schminke zu, auf dass die Toten wieder lebendig werden.

Schocker + Schocker = Doppelschocker – aber es kommen noch ein paar mehr Schocks dazu. Bruder Steven ist hauptamtlicher Geisterjäger, worüber er – wie über die „letzte Nacht“ in Hill House – Bestseller schreibt; und in Theodoras Praxis geht der Horror in Kindergestalt ein und aus. Wer zum Beispiel, das nebenbei, ist der grausige Mr. Smiley, von dem diese fast ausdruckslose kleine Patientin erzählt?

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Das Beste an „Spuk in Hill House“ aber ist gar nicht die gruselige Mathematik, die alles, was der Horror zu bieten hat, addiert. Noch besser ist der Schrecken einer unzuverlässigen Chronologie, die ganz dem Gesetz der Erinnerung gehorcht: Man weiß halt nie, wann sie einen überfällt.

Und so irrt man, zu Gast bei gleich sechs Traumapatienten, von Trigger zu Trigger – zurück bis zu jener roten Tür in Hill House, die kein Generalschlüssel öffnen kann. Atem schöpfen kann man da eigentlich nur, wenn mal wieder Zeit für das Product Placement von Apple ist. So viel Diesseits muss sein.

Andererseits: An der Frage, wie viel Jenseits sein muss, scheiden sich die Geistergeschichten seit jeher. Die einen erzählen von Monstern zum Anfassen, die anderen jagen allein Dämonen, die in der Seele nisten, aber vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß. Das Allerbeste an „Hill House“ ist nämlich, dass es auch noch darüber reflektiert: Warum und zu welchem Ende erzählen wir Geistergeschichten?

Weil es im Leben Sachen gibt, über die man nur in Monstern sprechen kann.

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