Vielleicht symbolisiert nichts die (alte) Bundesrepublik der Jahrzehnte zwischen 1949 und 1990 so gut wie das sicherlich bekannteste Produkt ihrer Industrie: Der Volkswagen Typ 1, weltweit vertraut als Käfer (oder „Beetle“), ist effektiv, dabei gleichzeitig bescheiden und betont zurückhaltend, also gerade nicht auftrumpfend. Die Idee des Käfers reicht zurück bis in die Weimarer Republik.
Entwickelt wurde er in Hitlerdeutschland, das auch die Grundlagen für die Produktion legte, aber das selbst gegebene Versprechen nicht erfüllte (und nicht erfüllen wollte), jeder könne durch Ansparen ein vollwertiges Auto für gerade 990 Reichsmark bekommen, den „KdF-Wagen“. Erst nach dem Krieg wurde das Werk am nun Wolfsburg genannten Standort fertig, und 1947 begann die (zahlenmäßig noch geringe) Serienproduktion.
Wenige Wochen, nachdem die drei westdeutschen Besatzungszonen durch Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 zum westdeutschen Teilstaat Bundesrepublik verschmolzen waren, kam zum bisherigen „Standard“-Modell eine zweite Variante hinzu, das „Export“-Modell mit verbesserter Innenausstattung, verchromten Stoßstangen und Zierleisten. Damit begann die Massenfertigung. Schon nach vier Jahren waren eine halbe Million Käfer vom Fließband gelaufen, 1955 die erste Million und bereits 1962 fünf Millionen Stück: Die deutsche Industrie brummte, das Wirtschaftswunder lief auf Hochtouren.
Zugleich aber blieben stets die Verbindungen in die braune Vergangenheit erkennbar, denn zwar gab es ständig technische Weiterentwicklungen, aber nur eine bedeutsame Veränderung des Äußeren, als 1953 die bisherige zweigeteilte Heckscheibe des deshalb „Brezelkäfer“ genannten Gefährts durch ein durchgehendes, größeres und gewölbtes, daher technisch sehr viel aufwendigeres Sicherheitsglas ersetzt wurde.
Je besser es den Westdeutschen ging, desto mehr Menschen konnten sich größere Autos leisten als den stets zweitürigen Käfer. Nun trug der Volkswagen zur Mobilität breiter Schichten bei – und als auch dieses Bedürfnis annähernd gedeckt war, wurde der Export zum Antreiber. Schließlich montierten VW-Werke in 16 Ländern rund um den Globus Käfer. 1972 übertraf der Volkswagen mit 15.007.034 Stück das bis dahin meistgebaute Auto, den Ford Model T, und bis zum Produktionsende 2003 kamen noch einmal weitere 6.522.430 Käfer hinzu.
Im Haus der Geschichte in Bonn steht ein schwarzer „Brezelkäfer“ als Symbol für die Rückkehr (West-)Deutschlands in die Weltwirtschaft, ohne die der Aufstieg zum Mitglied erst der EWG und dann der EG unvorstellbar gewesen wäre. Dieser Erfolg eröffnete dem Grundgesetz als der fundamentalen Ordnung des neuen Staates den Raum für eine Verankerung in nachwachsenden Generationen.
Doch blieben immer die Verbindungen zur Vorgeschichte, zum Zivilisationsbruch des Dritten Reiches erkennbar – auch Hitler war, wenngleich selten und nur zu Propagandazwecken, in einer Cabrio-Version des KdF-Wagens umhergefahren worden. Eine „Stunde Null“, einen „Schlussstrich“ hatte es eben nicht gegeben, so sehr die große Mehrheit der Westdeutschen sich das gewünscht hatte.
Dafür zog das Grundgesetz Konsequenzen aus den Erfahrungen der NS-Verbrechen. Am Anfang der Verfassung standen von Beginn an die individuellen Grundrechte, und der erste Satz des Artikels 1 formulierte nichts weniger als den Maßstab für jede Form staatlichen Handelns: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die noch davor platzierte Präambel enthielt einen weiteren Auftrag des neuen Staats: die Vereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit anzustreben und zu erreichen.
Als das am 3. Oktober 1990 endlich erreicht war, lief am nun wichtigsten Produktionsort des Käfers in Mexiko der einmillionste Wagen vom Band. Längst war das Modell für viele nur noch Zweitwagen aus Liebhaberei. Sinnbild der zweiten Demokratie auf deutschem Boden aber blieb und bleibt er.
Deutscher Bundestag und Haus der Geschichte bitten alle, die persönliche Erinnerungsstücke zum Parlamentarismus in Deutschland besitzen, diese zu fotografieren und ihre eigene Geschichte dazu zu erzählen. Details finden sich im Aufruf „Ihr Parlament. Ihre Erinnerungen“: www.bundestag.de/75jahre/sammlungsaufruf