Napoleon III.: Der kleine, moderne Neffe
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Napoleon III.: Der kleine, moderne Neffe

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Besiegter und Sieger: Napoleon III. (l.) mit Otto von Bismarck nach der Schlacht von Sedan.
Besiegter und Sieger: Napoleon III. (l.) mit Otto von Bismarck nach der Schlacht von Sedan. © IMAGO/Heritage Images

Der unterschätzte Kaiser: Vor 150 Jahren starb Napoleon III. im englischen Exil

Das Volk ist wankelmütig, und die Geschichtsschreibung unterliegt nur allzu häufig nationalistisch gefärbten Emotionen. Nur ein Jahr vor seinem Sturz stimmten die Franzosen in einem Plebiszit mit überwältigender Mehrheit (7,4 Millionen Ja-Stimmen, 1,6 Millionen Nein-Stimmen) dafür, dass Napoleon III. im Gegensatz zu Forderungen der Linken und Liberalen das letzte Wort auch gegenüber der Legislative behalten sollte. Als der 59-jährige Neffe des ersten Kaisers aus der Familie Bonaparte zwei Jahre später – heute vor 150 Jahren – im englischen Exil starb, machten ihn seine Landsleute zum Alleinverantwortlichen für die demütigende Niederlage der französischen Armee vor den Toren von Sedan im September 1870.

Die Menschen hatten nach dem Untergang des Kaiserreiches rasch vergessen, dass es auch ihre Kriegsbegeisterung gewesen war, die den zögernden Kaiser in die militärische Auseinandersetzung mit den Preußen getrieben hatte. Die gerade durch kaiserliche Verordnung ein gutes Stück von Zensur und Staatsaufsicht befreiten französischen Zeitungen hatten mit nationalistischem Kriegsgeschrei den Hurra-Patriotismus noch zusätzlich verschärft – während die politisch unfähige Clique um Kaiserin Eugénie und Außenminister Antoine de Gramont mit ihrer fatalen Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse Bismarck in die klug und skrupellos ausgelegten Karten spielte. In den letzten zwei Jahren seiner Herrschaft war Napoleon ein kranker, an Schmerzen leidender Mann, der mehr an Rücktritt und die Erhaltung der von ihm gegründeten Erbmonarchie dachte als an kriegerische Eroberungen.

Das Bild Napoleons III. schwankt in den Geschichtsbüchern zwischen dem Porträt eines Gescheiterten und dem eines lächerlichen Abenteurers. Die dem Kaiserreich folgende Zweite Republik wollte die Katastrophe des verlorenen Krieges und die blutige Niederschlagung der Pariser Kommune im Mai 1871 durch den Hinweis auf das Versagen Napoleons III. vergessen machen. Manch einflussreicher deutscher Historiker wiederum hat ein Bild der Gegensätze gezeichnet, das noch heute vielfach nachwirkt: Hier der Lebemann, politische Hasardeur und aus einer Offenbach-Operette entsprungene französische Monarch. Dort der geniale, mit klarem Konzept auf die deutsche Reichsgründung hinwirkende preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck. Ein Lieblingsbild der Deutschen war das Gemälde, das den geschlagenen Napoleon auf einer Bank in der Nähe von Sedan neben dem Sieger Bismarck zeigt. Der Franzose krank und gebeugt, der Preuße mit Pickelhaube, Uniform und überdimensionalem Säbel.

Beide Deutungen gehen an der Wirklichkeit vorbei. Auch Bismarck war ein politischer Hasardeur, der oft mit hohem Einsatz spielte und in den von ihm provozierten Kriegen hunderttausende junge Männer für die Größe Preußens sterben ließ. Im Unterschied zu seinem späteren Widerpart Napoleon aber hatte er bei der entscheidenden Schlacht von Sedan einen Helmuth von Moltke zur Seite, der auf eine nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 rasch modernisierte Artillerie zurückgreifen konnte. Bismarcks von den Deutschen umjubeltes Werk war auf ebenso dünnem Eis gebaut wie das Napoleons III.. Die Annexion von Elsass-Lothringen 1871 ließ an der Westgrenze einen Feind erwachsen, der diesen „Raub“ nie vergessen würde – was Deutschland schließlich 1914 in einen nicht zu gewinnenden Zweifrontenkrieg stürzte. Das deutsche Kaiserreich ging nur 48 Jahre nach seiner Gründung in einem Weltkrieg unter.

Napoleon III. auf einem Foto von Mayer & Pierson, Paris 1860.
Napoleon III. auf einem Foto von Mayer & Pierson, Paris 1860. © IMAGO/piemags

Die Rolle Napoleons III. für die Geschichte Frankreichs ist bedeutender, als die Historiker es meist darstellen. In der ersten Hälfte seiner 20 Herrschaftsjahre, an deren Anfang ein Staatsstreich und ihm folgende Plebiszite stehen, regiert er überaus erfolgreich. Das gilt vor allem für die Innenpolitik. Napoleon führt das Land in die industrielle und kulturelle Moderne, Frankreich, insbesondere Paris, steigt zum europäischen Zentrum auf. Keiner der großen Boulevards und Plätze jedoch, die der visionäre Städteplaner Georges-Eugène Haussmann in der Hauptstadt anlegen lässt, trägt den Namen seines kaiserlichen Auftraggebers.

In der Weltausstellung von 1867 – die Schatten, die bereits über dem Kaiserreich liegen, werden verdrängt – zeigt sich das Second Empire in einem von den Nachbarn bewunderten Glanz. Europas Monarchen, Industrielle, Künstler und Mitglieder des aufsteigenden Bürgertums reisen an die Seine und staunen über das leuchtende, von spektakulären Hofbällen und den modernsten technischen Errungenschaften mitgeprägte Paris. Der Kaiser als Kunstmäzen: Napoleon lässt bald die das europäische Musiktheater beherrschende Pariser Oper bauen, an der Giacomo Meyerbeer seine letzten Triumphe als Schöpfer der Grande opéra feiert und in deren Nachbarschaft auf eigener Bühne Jacques Offenbach das Publikum mit seinen die neureiche, feiersüchtige Gesellschaft des Kaiserreichs karikierenden Operetten erheitert. Unter Napoleon III. wird der Louvre fertig gebaut. Die dem Kaiserreich folgende Belle Époque, die Europas Bildungseliten so fasziniert, ist ohne Napoleons liberale Kulturpolitik nicht denkbar. Der Impressionismus findet hier schon in den 1860ern seine noch umstrittenen Anfänge. Auch wenn Victor Hugo nach dem Staatsstreich von „Napoléon, le petit“ aus Protest ins Exil geht, verschlingt das gebildete Europa die Bücher von Gustave Flaubert oder Alexander Dumas.

Wie kein anderer europäischer Monarch der damaligen Jahre erkennt Napoleon die Gründe, die in den 1840ern zum Pauperismus geführt hatten, zur Verelendung der vorindustriellen Massen, zu den Hungerkatastrophen dieser Jahre. Es sei besser, schreibt der junge Louis-Napoleon, wenn der Staat 300 Millionen für die Bekämpfung der Armut ausgebe als 120 Millionen für den Bau von Gefängnissen. Er setzt sich für eine moderne, liberale Wirtschaftspolitik und den Aufbau eines für die französische Ökonomie segensreichen Bankensystems ein. Napoleon III. „erkennt den Zusammenhang zwischen umfassender Industrialisierung, Vollbeschäftigung und allgemeinem Wohlstand… “ (Johannes Willms). Der soziale Ansatz seiner Wirtschaftspolitik versöhnt über lange Zeit Arbeiterschaft und Landbevölkerung mit dem plebiszitären Regierungssystem.

Gescheitert ist der Bonapartismus letztlich an seiner Außenpolitik. Wo immer Napoleon – nicht selten aus Prestigegründen – eingriff, geriet er in Schwierigkeiten. In Italien, wo er die weltliche Macht des Papstes mit der Entsendung von Truppen retten wollte, was kläglich misslang. In Mexiko, wo er den Habsburger Maximilian als Kaiser installierte und seine Position im europäischen Kräftemessen durch Truppenentsendung ins ferne Mittelamerika schwächte. Er glaubte, der 1864 ausgebrochene amerikanische Bürgerkrieg habe die Vereinigten Staaten aus dem Rennen um die Macht in Mexiko genommen. Wieder eine Fehleinschätzung. 1867 wurde Maximilian von den mexikanischen Revolutionären hingerichtet. 1866 sagte Napoleon Bismarck bei dessen geplantem Krieg gegen Österreich Neutralität zu. Er war felsenfest davon überzeugt, dass die Habsburger Armee den Preußen klar überlegen sei. Die Niederlage Österreichs in der Schlacht von Sadowa (bei Königgrätz) war auch eine Niederlage Napoleons.

Alle diese Abenteuer kosteten den französischen Staat riesige Summen, die für die Durchsetzung der angedachten sozialen Reformen dann fehlten. Der zunehmend von Krankheit und Resignation gezeichnete Kaiser wurde immer abhängiger von seinen chauvinistischen Ratgebern, er begann schließlich an Zustimmung in der Arbeiterschaft und bei der Landbevölkerung (bislang die sichere Basis seines Machtanspruchs) zu verlieren.

Ein Kardinalfehler der Außenpolitik des Second Empire war die Überschätzung der eigenen Kräfte. Das gilt auch für das Debakel von Sedan. Die Nationalisten in der Umgebung des Kaisers und in den Redaktionsstuben glaubten an einen Spaziergang, der sie über den Rhein führen würde. Dem Kaiser blieb nur die Wahl zwischen Rücktritt oder Unterzeichnung einer Kriegserklärung gegen Preußen.

Ja, der Neffe des großen Napoleon war auch ein Abenteurer. Zwei dilettantische Putschversuche in seinen Jugendjahren scheiterten und endeten mit der Verurteilung zu lebenslanger Haft, der er nach sechs Jahr entfloh. Aber er war kein Dummkopf wie der Demokratiezerstörer Donald Trump und kein imperialer Menschenverächter wie der Kriegstreiber Wladimir Putin. Besonders übel nahmen seine Landsleute Napoleon, dass er nach der Umzingelung seiner Armee in Sedan den Befehl gab, die weiße Flagge zu hissen. Sie empfanden das als „schmachvolle Kapitulation“. Wenige Monate vor seinem Tod schrieb der gestürzte Kaiser: „Das Opfer von 60 000 Mann konnte Frankreich nicht mehr retten, und die tiefgefühlte Hingabe der Offiziere und Mannschaften wäre nur sinnlos aufgeopfert worden.“ Solche Entscheidungen brauchen Völker gelegentlich, um sie vor sich selbst zu schützen.

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