Zwischen Gesellschaft, Kultur und Milieu Als soziale Ereignisse werden Schwangerschaft und Geburt von Werten und Normen, ritualisierten Verhaltensweisen sowie Rollenerwartungen beeinflusst. Dies wirkt sich auch auf die Vorsorge und Betreuung durch Hebammen aus. Denn diese Fachgruppe nimmt eine zentrale Rolle im geschlechts- und familiensoziologischen Diskurs ein.

Schwangerschaft und Geburt sind nicht nur physiologische und biologische Prozesse, sondern werden auch zentral durch die soziale Umwelt beeinflusst. Deswegen bedarf es soziologischer Ansätze, um das reproduktive Verhalten zu erklären. Grundsätzlich betont die Soziologie den Einfluss von Werten, Überzeugungen und Verhaltensmustern auf kollektives und individuelles Handeln. Sie erkennt an, dass diese Faktoren einem historischen Wandel unterliegen, beständig neu bewertet, interpretiert sowie angepasst und abhängig vom sozialen Milieu und von der Kultur unterschiedlich gedeutet und reproduziert werden. Schwangerschaft und Geburt sind insofern soziale Ereignisse, als sie in sie umgebenden sozialen Teilsystemen (auf Mikro-, Meso- und Makroebene) stattfinden und daher durch bestehende Normen und sozial konstruierte ritualisierte Verhaltensweisen zentral beeinflusst werden (Symonds & Hunt 1996).

Frauengesundheit im Kontext sozialer Dimensionen

Der Gesetzgeber hat der hohen Bedeutsamkeit des Sozialen als Einflussgröße für Schwangerschaft und Geburt Rechnung getragen: In der Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) wird gefordert, dass Absolvent*innen dazu befähigt werden sollen, „die Autonomie und Selbstbestimmung der Frauen unter Einbezug ihrer Rechte, ihrer konkreten Lebenssituation, der ethnischen Herkunft, dem sozialen, biographischen, kulturellen und religiösen Hintergrund“ zu fördern (Bundesministerium für Justiz 2020, Graf et al. 2020a). Dies setzt voraus, dass berücksichtigt wird, wie das soziale Umfeld etwa die Gesundheitskompetenz (Graf 2023) und Verhaltensweisen, die mit Aspekten von Sexualität und Reproduktion verbunden sind, wie das Stillen, beeinflusst (Graf et al. 2023a).

Um die Frauengesundheit zu fördern, handeln Hebammen nicht nur soziologisch, wenn sie die Rechte von Mädchen und Frauen stärken (Empowerment), sondern auch, wenn sie die sozialen Dimensionen von Gesundheit verstehen, etwa die Reproduktion von sozialer Ungleichheit durch gesellschaftliche Normen im Kontext bestehender Konzepte von Gesundheit und Krankheit. Zudem gilt es, die sozialen Determinanten der Gesundheit zu erfassen, einschließlich des Einflusses des sozialen Umfelds, der Familienstrukturen und der sozioökonomischen Bedingungen - und zwar geschlechtssensibel (Graf et al. 2024).

Gesellschaftliche Faktoren bestimmen Gesundheits- und Krankheitsverhalten

Die Gesundheitssoziologie beschäftigt sich grundsätzlich mit der Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen von Gesundheit und Krankheit. Im Mittelpunkt stehen dabei die Ebene des Sozial- und Gesundheitssystems (Makroebene) als auch die milieuspezifisch reproduzierten Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit in den sozialen Teilsystemen (Mesoebene) sowie der Einfluss des sozioökonomischen Status auf Gesundheit und Krankheit (Mikroebene) (Hurrelmann 2006).

Einfluss überindividueller Strukturen: Strukturalistische Theorien postulieren, dass Gesundheit und Krankheit sowie Vorstellungen derselben von überindividuellen, sozialen Strukturen beeinflusst sind, also von der Gesellschaft und ihren vielfältigen Teilsystemen auf mikro-, meso- und makrosoziologischer Ebene. Strukturalisten analysieren zum Beispiel, unter welchen Bedingungen ein Individuum als „krank“ oder „gesund“ betrachtet wird und wie dies durch soziale Strukturen, kulturelle Normen und gesellschaftliche Machtverhältnisse geprägt wird (Bittlingmayer 2016). Damit verbunden sind Diskurse um den Umgang mit Personen, die als krank eingestuft werden, zum Beispiel unter welchen Voraussetzungen eine Krankschreibung durch Ärzt*innen erfolgt, wann welche Interventionen durchgeführt werden, aber auch, welche Rollenerwartungen Patient*innen erfüllen müssen (Bittlingmayer 2016).

Laut dem US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons ist Gesundheit erforderlich, um die Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Entsprechend bezeichnet er Krankheit als Störung des normalen Funktionierens der Gesellschaft. Die Gesundheit wiederherzustellen (was voraussetzt, dass ärztlicherseits ein definierter Krankheitsstatus identifiziert wurde), entspricht der gesellschaftlichen Aufgabe, Krankheit als soziale Abweichung vom „Normalen“, also dem Gesunden, zu beseitigen.

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Schwangere aus benachteiligten Verhältnissen zeigen häufiger ein riskantes Verhalten wie Rauchen.

Die Gesellschaft entbindet Patient*innen zum Beispiel durch die ärztliche Krankschreibung von einzelnen Rollenverpflichtungen. Gleichzeitig wird von kranken Personen erwartet, dass sie den Wunsch haben, gesund zu werden. Das bedeutet, dass sie fachkundige Hilfe suchen und den ärztlichen Rat befolgen sollen (Ullrich 2012). Das dieser Rollenerwartung zugrundeliegende paternalistische Beziehungsmodell ist zwar im 21. Jahrhundert der partizipativen Entscheidungsfindung gewichen. Allerdings erfordern auch Konzepte wie Compliance und Adhärenz in letzter Konsequenz den Willen der kranken Person, gesund zu werden und sich der fachlichen Expertise unterzuordnen, denn der Behandlungspfad wird innerhalb eines engen Korridors der evidenzbasierten Medizin zwischen Patient*in und Fachexpert*in ausgehandelt.

Die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit variiert je nach Kultur und hat sich im Laufe der Zeit ständig verändert. Dies hat etwa Michel Foucault am Beispiel der Entwicklung der Psychiatrie und deren Umgang mit der Homosexualität sehr explizit herausgearbeitet (Focault 1977). Homosexualität wurde noch bis in die 1990er-Jahre hinein im ICD-10-Katalog als pathologische Abweichung von der als „normal“ definierten Sexualität und entsprechend als behandlungswürdiges Erkrankungsbild definiert (Lühring 2016).

Einfluss individueller Handlungen: Handlungstheoretische Ansätze folgen der Grundannahme, dass Krankheit und Gesundheit mikrosoziologisch durch das Handeln der Akteure beeinflusst werden. Dies bedeutet, dass Gesundheits- als auch Risikoverhalten der einzelnen Person zentral von vorherrschenden Normen des jeweiligen Milieus abhängig sind, in dem die Sozialisierung stattgefunden hat. Ferner bedeutet dies, dass Aspekte von Gesundheit und Krankheit durch ebenfalls milieuspezifische kommunikative Symbole aufgeladen werden (Sperlich 2016).

So sind Lebenserwartung, Erkrankungswahrscheinlichkeit und Morbidität zentral abhängig von sozialer Lage und Milieuzugehörigkeit (Cockerham et al. 2017, Eisenberg-Guyot & Prins 2020, Lampert et al. 2019). Sowohl bei Männern als auch bei Frauen in Deutschland unterscheidet sich die mittlere Lebenserwartung um durchschnittlich knapp zehn Jahre in Abhängigkeit vom Einkommen: Armutsgefährdete Frauen aus einer Familie der niedrigsten Einkommensgruppe haben bei Geburt eine mittlere Lebenserwartung von 76,6 Jahren, während es bei Frauen aus der höchsten Einkommensgruppe 85,3 Jahre sind (Lampert 2016, Lampert et al. 2019). Hohes Einkommen ist dabei in der Regel auch mit höherem Bildungsstand sowie einem höheren kulturellen und sozialen Kapital assoziiert. Letzteres findet sich signifikant häufiger in sozial gehobenen Milieus als in Milieus mit niedrigem sozioökonomischen Status (Krenz 2008). Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status sind häufiger von chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, koronarer Herzerkrankung, chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung oder Depressivität betroffen und schätzen ihre allgemeine gesundheitliche Situation schlechter ein als Personen mit niedrigem Deprivationsgrad (Heidemann et al. 2021).

Die Zugehörigkeit zu einem Milieu beziehungsweise einer Schicht reproduziert also soziale Ungleichheit und nimmt damit deutlich Einfluss auf die Gesundheit. Sie moderiert alle zentralen Lebensbereiche, die wiederum ebenfalls Gesundheit und Gesundheitsverhalten beeinflussen (z. B. Ernährung, Bewegung, Arbeits- und Wohnverhältnisse). Es zeigt sich also sowohl eine soziale Produktion als auch eine soziale Konstruktion von Gesundheit und Krankheit: Soziale Produktion meint, dass (gesundheitliche) Ressourcen unterschiedlich verteilt sind, während die soziale Konstruktion darauf Bezug nimmt, dass Gesundheits- und Krankheitsverhalten stark vom individuellen Wissen und der individuellen Vorstellung über Gesundheit/Krankheit geformt sind. Diese werden von den sozialen Systemen, in welche das Individuum eingebettet ist, beeinflusst (Faltermaier 2016, Lampert et al. 2019).

Soziale Aspekte als relevantes Risiko in der Geburtshilfe

Im Kontext von Schwangerschaft und Geburt wirken soziale Einflussfaktoren ebenso, wie sie Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Auch Schwangerschaft und Hebammentätigkeit sind sowohl durch soziale Strukturen als auch durch das Handeln von Einzelnen bestimmt.

Aus strukturalistischer Perspektive liegt der Schwerpunkt darauf, Rollen für die jetzt schwangere Person umzufunktionieren und neu zuzuschreiben. Innerhalb des Makrosystems wird definiert, welche institutionalisierten Verhaltensregeln der Schwangeren im Kontext der moralischen Verpflichtung, gesund zu werden beziehungsweise zu bleiben, auferlegt werden. Dies bezieht sich etwa auf Vorsorgeuntersuchungen nach den Mutterschutzrichtlinien oder die Berufstätigkeit nach dem Mutterschutzgesetz (Bittlingmayer 2016, Oakley 2016, Symonds et al. 1996, Ullrich 2012). Hiermit verbunden ist ebenfalls wieder die soziale Erwartung, Fachexpert*innen wie Hebammen und Ärzt*innen in Anspruch zu nehmen - trotz „selbstbestimmter Schwangerschaft“ und „partizipativer Entscheidungsfindung“.

Auch Grenzziehungen sind makrosoziologisch von Interesse, etwa wenn via Pränataldiagnostik kindliche Anomalien festgestellt werden, die im Extremfall einen Spätabbruch rechtfertigen. Im soziologischen Sinne wird dann eine Lebensunfähigkeit postuliert (Wasermann et al. 2010). Dieses Thema war aufgrund des kontinuierlichen medizinischen und technischen Fortschrittes beständigen Änderungen unterworfen und auch zukünftig kann man von regelhaften Neubewertungen und damit „Grenzverschiebungen“ ausgehen. Als andere Art der Grenzziehung präsentiert sich der Übergang zwischen physiologischem und pathologischem Verlauf der Schwangerschaft und Geburt, der durch die Akademisierung und Entwicklung der Hebammenwissenschaft wieder verstärkt diskutiert werden wird (Graf et al. 2020b).

Aus handlungstheoretischer Perspektive ist von Interesse, welches Gesundheitsverhalten Schwangere im milieuabhängigen Kontext zeigen, während sich der symbolische Interaktionismus mit der Frage beschäftigt, wie Schwangerschaft, Mutterschaft und Kinderlosigkeit symbolisch aufgeladen und kommuniziert werden (Sperlich 2016). Soziale Praktiken von Schwanger- und Mutterschaft unterscheiden sich und sind abhängig von sozialrechtlichen Rahmenbedingungen, kulturellen Traditionen sowie Übereinkünften und damit auch von dem Milieu (Vornmoor 2002). Da die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu zur Reproduktion von sozialer Ungleichheit beiträgt, führt sie auch zu einer gesundheitlichen Ungleichheit im Schwangerschaftsverlauf. Frauen aus benachteiligten sozialen Verhältnissen nehmen zum Beispiel seltener Maßnahmen der Schwangerenvorsorge in Anspruch (Ludwig et al. 2020) und sind häufiger von Negativoutcomes wie Präeklampsie, Früh- oder Fehlgeburten betroffen (Kim et al. 2018, Thomson et al. 2021). Sie zeigen häufiger ein ungünstiges Risikoverhalten wie Nikotinabusus (Do et al. 2018) und mit höherer Wahrscheinlichkeit wird eine besondere psychische oder soziale Belastung im Mutterpass dokumentiert (Simoes et al. 2004). Soziale Faktoren sind auch in Deutschland ein relevantes Risiko in der Geburtshilfe (Goeckenjan et al. 2009) (Kasten).

Die Gründe, warum Frauen schwanger werden wollen, sind abhängig von sozialen Normen, die in den Milieus reproduziert werden. Das soziale Korsett beeinflusst auch das subjektive Erleben von Schwangerschaft, die Kommunikation von Schwangerschaft per se und Schwangerschaftsbeschwerden in Abhängigkeit von sozial konstruierten Wahrheitsdiskursen (Hirschauer et al. 2014, Niekrenz 2022). Im soziologischen Sinn beginnt die Schwangerschaft nicht mit der Zeugung, sondern mit der Feststellung der Schwangerschaft, da diese eine Institutionalisierung beinhaltet: Der Fötus wird durch milieuabhängige Schwangerschaftsrituale in das Familiensystem eingebunden, wie auch der Säugling nach der Geburt. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist ebenso soziales Handeln und abhängig vom Wertesystem der Familie. Sie entspringt daher in der Regel nicht ausschließlich dem Willen der Schwangeren (Hirschauer et al. 2014, Niekrenz 2022, Symonds et al. 1996).

Geschlechtsstereotypen prägen gesundheitliche Versorgung

Schwangerschaft und Geburt sind soziale Ereignisse und damit auch mit geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen verknüpft (Foltys 2008, Hirschauer et al. 2014, Niekrenz 2022). Soziologische Theorien postulieren, dass sich Individuen in den vielfältigen gesellschaftlichen Teilsystemen und Feldern als Rollenträger*innen gegenüberstehen und ständig Rollenerwartungen erfüllen müssen, damit die Gesellschaft funktioniert (Röhl 1987). Es bestehen auch von der Gesellschaft (re-)produzierte Rollenerwartungen an die Geschlechter, die von Geburt an die geschlechtssensible Sozialisierung beeinflussen und das soziale Geschlecht (Gender) prägen - jedoch mit deutlichen Unterschieden in den sozialen Milieus hinsichtlich der Wertigkeit einzelner Normen (Gildemeister & Hericks 2012).

Zugrundeliegende Geschlechtsstereotypen prägen den gesamten Lebensverlauf (Gildemeister & Hericks 2012, Wolter 2020) und beeinflussen die gesundheitliche Versorgung, wie milieuspezifische Rollenerwartungen an die Geschlechter auch die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten von Frauen und Männern beeinflussen (Graf et al. 2024). So gelten Frauen hinsichtlich Schmerzmitteln im Vergleich zu Männern grundsätzlich als unterversorgt, weil das Geschlecht die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, eine adäquate Schmerztherapie zu erhalten (Graf & Abele 2023c).

Auch Sexual- und Verhütungsverhalten ist soziales Verhalten, dass milieuspezifischen Rollenerwartungen folgt (Metcalfe et al. 2016). Schwangerschaft ist für alle sozialen Systeme und Felder von der mikro- bis zur makrosoziologischen Perspektive hoch relevant, weswegen Sexual- und Reproduktionsverhalten seit jeher reglementiert werden (Foucault 1977, Lühring 2016, Stein-Hilbers 2000). Aktuelle Diskurse, zum Beispiel über die Legalität des Schwangerschaftsabbruches oder die Zulässigkeit von Verhütung, zeigen, dass Entscheidungen über ureigene Phänomene, die die Physiologie und den Organismus einer Frau betreffen, sozial eingebettet sind und mitnichten ausschließlich der selbstbestimmten Entscheidungsfindung entspringen (Boltanski 2007). Der weibliche Sexus ist auch öffentliches Gut (Hustvedt 2022). Dies belegen nicht zuletzt die jüngsten Diskussionen über die Frage, welche Badekleidung für Frauen erlaubt sein soll, überdeutlich (Evers 2022, Graf et al. 2023a). Diese komplexen Voraussetzungen sind zu berücksichtigen, wenn Aspekte diskutiert werden, die eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt betreffen. Die Voraussetzungen, um Gesundheitsrechte wahrzunehmen, werden in den sozialen Milieus geschaffen; Diskurse im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett folgen Rollenerwartungen und sozial konstruierten Normen und Moralvorstellungen (Foltys 2008, Hirschauer et al. 2014, Niekrenz 2022).

Hebammen als Fachexpert*innen, Bindeglied und Interessensvertretung

Hebammen kommt berufsrechtlich die besondere Bedeutung zu, Klientinnen vor allem in der reproduktiven Phase zu begleiten. Dadurch berühren sie gleich in vielfacher Hinsicht soziale Ebenen: Durch die Betreuungsleistung befriedigen sie die an Schwangere gestellte soziale Erwartung, Fachexpert*innen in Anspruch zu nehmen. Dazu wurden sie innerhalb eines institutionalisierten Ausbildungsprozesses befähigt und legitimiert (Makroebene) (Bittlingmayer 2016, Ullrich 2012). Auf der Mesoebene fungieren Hebammen als Bindeglied zwischen den individuellen Bedürfnissen ihrer Klientinnen und den gesellschaftlichen Erwartungen an die Schwangerschaftsbetreuung, indem sie mit anderen Gesundheitsdienstleister*innen zusammenarbeiten, um eine umfassende Betreuung zu gewährleisten. Mikrosoziologisch sollen sie als Gesundheitsadvokat*innen die Interessen ihrer Klientinnen vertreten (Bundesministerium für Justiz 2020). Dabei treffen sie auf vielfältige Normen und Verhaltensmuster, da Sexual- und Reproduktionsdiskurse in den sozialen Milieus unterschiedlich ausgehandelt werden (Foltys 2008, Hirschauer et al. 2014, Niekrenz 2022).

Die Betreuungsmaßstäbe müssen sich an den Erwartungen des mesosoziologischen Subsystems der Familie messen lassen, die als Mikrokosmos die spezifischen Vorstellungen von Schwangerschaft und Geburt des individuellen sozialen Milieus katalysiert. Gesundheitsförderung und Empowerment können daher nur gelingen, wenn sie den Prinzipien des Targeting und Tayloring folgen. Targeting bezieht sich dabei auf die Bedürfnisse und den Unterstützungsbedarf des spezifischen sozialen Milieus der Schwangeren. Es berücksichtigt die milieuspezifischen Werte- und Normvorstellungen auch hinsichtlich der Autonomie, die der Schwangeren bezüglich der Entscheidungsfindung eingeräumt wird. Das Tayloring adressiert dann die Bedürfnisse und den Unterstützungsbedarf einer individuell zu betreuenden Schwangeren im Kontext ihrer sozialen Lage und ihrer Gesundheitskompetenz (Hastall et al. 2023, Kreuter & Wray 2023). Zu berücksichtigen ist, dass auch Hebammen Rollenerwartungen unterliegen, die sich in den sozialen Milieus deutlich unterscheiden.