Weimarer Verfassung: „Die demokratischste Demokratie der Welt“ - WELT
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Geschichte Weimarer Verfassung

„Die demokratischste Demokratie der Welt“

Im Entwurf der Weimarer Reichsverfassung waren die Bürgerrechte nicht enthalten. Also kopierte ein Mitarbeiter der Reichskanzlei sie 1919 aus der nie in Kraft getretenen Verfassung von 1848.
Der Vertrag von Versailles und seine Hypotheken

Der Friedensvertrag, den das Deutsche Reich am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichnete, belastete die junge Weimarer Republik stark. So wurde er zur Keimzelle eines neuen Krieges.

Quelle: WELT/Berthold Seewald/Dominic Basselli

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Ohne Superlativ ging es nicht: „Die deutsche Republik ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt“, rief Reichsinnenminister Eduard David am 31. Juli 1919 euphorisch in die Reihen der Nationalversammlung. Daraufhin schallen „Bravo!“-Rufe durch das Weimarer Nationaltheater.

Zuvor hatten 262 Abgeordnete von SPD, DDP und Zentrum für die Annahme des Kompromissentwurfs votiert, nur 75 Mitglieder der nationalen und linksradikalen Opposition dagegen. Allerdings hatte sich jedes vierte Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion verweigert und war der Abstimmung ferngeblieben.

Scherl: Dr. Eduard David; Reichsminister ohne Portefeuille; Mitglied der deutschen Friedensdelegation, [Aufnahme 1919] 1649-19
Eduard David (SPD) amtierte als Reichsinnenminister
Quelle: Bundesarchiv

Seit fünf Monaten war im Plenum und vor allem im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung über das kommende Grundgesetz der deutschen Republik beraten und gestritten worden. Konfliktthemen gab es einige.

Der Jurist Hugo Preuß hatte sich in seinem ursprünglichen Verfassungsentwurf ganz auf die künftige Struktur und damit Regierbarkeit Deutschlands konzentriert. Der gerade einmal 68 Paragrafen kurze und knackig-klare Vorschlag enthielt deshalb nichts über die Grundrechte der Bürger, was der neue Reichspräsident Friedrich Ebert ausdrücklich kritisierte.

Daraufhin schlug ein Mitarbeiter der Reichskanzlei vor, diese Garantien aus der „48er-Verfassung abzuschreiben, soweit sie heute noch passen“. Tatsächlich lehnten sich die zunächst elf, dann zwölf Artikel über die Grundrechte teilweise wörtlich an die nie in Kraft getretene Verfassung der Revolution 1848/49 an.

Der Politiker, Jurist und Staatsrechtler lieferte als Reichsinnenminister mit seinem Entwurf die Grundlage der Weimarer Verfassung. Hugo Preuss wurde am 28. Oktober 1860 in Berlin geboren und ist am 9. Oktober 1925 ebenda gestorben (zeitgenössische Aufnahme). | Verwendung weltweit
Der Staatsrechtler Hugo Preuss gilt als Vater der Weimarer Verfassung
Quelle: picture-alliance / dpa

Doch im Mittelpunkt standen sie nicht – der Abschnitt mit den Grundrechten wanderte im Verlauf der Verfassungsberatungen von der zweiten Stelle in der Gesamtverfassung nach der Struktur des Reiches an die achte Position, selbst hinter die Regelungen der Reichsverwaltung. Um das auszugleichen, einigte man sich, die Grundrechte an die Spitze eines „zweiten Hauptabschnitts“ zu stellen, in dem „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ geregelt werden.

Die Verhandlungen waren geprägt von drei widerstreitenden Interessen: Hugo Preuß versuchte weiter, die Bedeutung der Länder zurückzudrängen und ihren Einfluss zu begrenzen. Der mit Abstand größte Einzelstaat Preußen, der an Fläche wie an Bevölkerung jeweils drei Fünftel des gesamten Deutschen Reiches umfasste, musste sich gleichzeitig mit separatistischen Tendenzen vor allem der Rheinprovinz herumschlagen, seines westlichsten Teils.

Die süddeutschen Freistaaten und hier vor allem Bayern wiederum wollten die Zentralgewalt des Reiches so schwach wie möglich halten, um sich selbst maximale Gestaltungsspielräume zu sichern. So gab es erheblichen Beratungsbedarf.

Panorama, Deutsches Nationaltheater, davor Goethe-Schiller-Denkmal, Weimar, Thüringen, Deutschland, Europa | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Das Deutsche Nationaltheater in Weimar sieht heute kaum anders aus als 1919
Quelle: picture alliance / imageBROKER

Die konservative Opposition stellt sich, wenig überraschend, gegen den republikanisch-demokratischen Verfassungsentwurf. Der deutschnationale Abgeordnete Clemens von Delbrück erklärte, dass die Reformen des Oktober 1918 „völlig ausreichend gewesen“ wären, Deutschland also eine demokratische Monarchie hätte werden sollen. Außerdem kritisierte er die schwache Position des künftigen Reichskanzlers zwischen Reichspräsident und Reichstag; er verlangte, eine Richtlinienkompetenz des Regierungschefs in der Verfassung zu verankern

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Das blieben nicht die einzigen Streitpunkte. 28 Abgeordnete der Nationalversammlung gingen seit dem Frühjahr den in erster Lesung schon verabschiedeten Entwurf der Verfassung immer wieder durch. Sie berieten gründlich, überarbeiten und formulierten teilweise neu.

Der Liberale Conrad Haußmann, der den Verfassungsausschuss leitete, schrieb seiner Frau ganz unbescheiden: „Gott sei gedankt. Es war das schärfste Rennen in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands, und der Ausschuss, den ich meinen nennen darf, schlug den Rekord.“

RGBl WRV v. 11.8.1919
Die offizielle Veröffentlichung der Weimarer Reichsverfassung im Reichsgesetzblatt 1919
Quelle: Wikimedia / Public Domain

So blieben bis Ende Juli 1919 nur einige wenige Streitfragen offen, die das Plenum entscheiden musste. Vor allem ging es dabei um das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche sowie die Schulpolitik, speziell um die beiden Konzepte konfessionell gemischter oder Bekenntnisschulen.

Es wurde engagiert gestritten, mitunter so hart, dass es zeitweise schien, als könnten sich die SPD-Abgeordneten dem Entwurf doch noch mehrheitlich verweigern. Doch schließlich fanden am 31. Juli in einer zwölf Stunden langen Sitzung die dritte Lesung und schließend die Schlussabstimmung statt. Die eine solide Mehrheit für die neue Verfassung erbrachte – eben 262 Ja- gegen 75-Nein-Stimmen.

11th August 1919: Friedrich Ebert taking an oath of allegiance as the first President of the Weimar Republic in 1919. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Vereidigt auf die neue Verfassung wurde Friedrich Ebert am 11. August 1919 – an seinem Urlaubsort, Schloss Schwarzburg in Thüringen
Quelle: Getty Images

Damit hatte Deutschland zum ersten Mal in seiner Geschichte eine voll gültige Verfassung, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhte. Der „Verfassungsvater“ Hugo Preuß bedauerte allerdings zu Recht, dass die Debatte um den Friedensvertrag die Verfassungsgebung überschattet hatte: „Die Verfassung von Weimar ist nicht im Sonnenglanz des Glücks geboren.“

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