Friedrich Paulus: Der General und die Katastrophe von Stalingrad - WELT
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Kopf des Tages Friedrich Paulus

Sehenden Auges ging der General in die Katastrophe von Stalingrad

Obwohl die Rote Armee die deutschen Truppen in Stalingrad am 22. November 1942 einschloss, erteilte General Friedrich Paulus seiner 6. Armee nicht den Befehl zum Ausbruch. Gut zwei Monate später kapitulierte er und wurde zu Stalins Beute.
Friedrich Paulus / Foto 1942 Paulus, Friedrich Generalfeldmarschall Breitenau (Kr.Melsungen) 23.9.1890 - Dresden 1.2.1957. - Als Oberbefehlshaber der in Stalin- grad eingekesselten 6. Armee 1942. - Foto. Friedrich Paulus / Foto 1942 Paulus, Friedrich Generalfeldmarschall Breitenau (Kr.Melsungen) 23.9.1890 - Dresden 1.2.1957. - Als Oberbefehlshaber der in Stalin- grad eingekesselten 6. Armee 1942. - Foto.
22. November 1942: Die deutsche 6. Armee unter General Friedrich Paulus (1890–1957) wird in Stalingrad eingekesselt
Quelle: picture-alliance / akg-images
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Die Gefahr der Lage erkannte der General: „Armee eingeschlossen“, funkte Friedrich Paulus, der Oberkommandierende der deutschen 6. Armee in Stalingrad und dem Raum westlich der Wolga am 22. November 1942 um 19 Uhr an seinen vorgesetzten Stab, die Heeresgruppe B. Doch der Berufsoffizier tat all seiner bekannten und unbestrittenen Kompetenz zum Trotz: nichts.

Er hätte den taktischen Rückzug seiner Truppen durch den noch dünnen Sperrkeil anordnen können, mit dem sich die sowjetische 23. Armee von Nordwesten her mit der aus dem Südosten vorrückenden 23. Armee bei Kalatsch vereinigt hatte. Also genau eine solche eigenständige Entscheidung im Feld treffen, wie das mehrere Kommandeure der Wehrmacht im Dezember 1941 vor Moskau getan hatten, um ihre Truppen zu retten.

ARCHIV - Das undatierte Archivbild zeigt den Oberbefehlshaber der 6. Armee, Friedrich Paulus. Paulus ging während der Schlacht um Stalingrad auf eigene Verantwortung Anfang Februar 1943 mit dem Rest seiner Soldaten - annähernd 91 000 - in sowjetische Kriegsgefangenschaft (bis 1953) und schloss sich dort dem Nationalkomitee Freies Deutschland an. Nur rund 6 000 Überlebende kehrten nach Deutschland zurück. Er wurde am 23. September 1890 in Breitenau geboren und ist am 1. Februar 1957 in Dresden gestorben. (zu dpa Themenpaket Schlacht um Stalingrad vom 23.01.2018) Foto: Bratke/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Friedrich Paulus auf einem Porträtfoto aus dem Herbst 1942
Quelle: picture alliance / Bratke/dpa

Aber Friedrich Paulus war kein Erich Hoepner – diesen General hatte Hitler nach seinem Rückzugsbefehl ein knappes Jahr zuvor wegen „Feigheit und Ungehorsams“ unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen. Das bedeutete auch, dass dem bis dahin erfolgreichen Panzergeneral alle Orden und Ehrenzeichen aberkannt wurden – sowie das für einen deutschen Offizier im Ruhestand eigentlich selbstverständliche Recht, weiterhin Uniform tragen zu dürfen.

Das abschreckende Beispiel hatte Paulus am 22. November 1942 sicher vor Augen, als er sich entschloss, nichts gegen die Einkesselung zu tun. Ebenso die Weisung des Obersten Kriegsherrn vom Tag zuvor: „Trotz Gefahr einer vorübergehenden Einschließung“ sollte die 6. Armee ihre Fronten in und um Stalingrad halten, hatte das Führerhauptquartier am 21. November 1942 um 15.25 Uhr gefunkt.

Dabei war das Risiko für die deutschen Truppen vor Ort unübersehbar. Selbst Propagandaminister Joseph Goebbels machte sich keine Illusionen; seinem Sekretär diktierte er in Berlin, nachdem er die Nachricht von der Einkesselung erhalten hatte: „Damit ist natürlich eine außerordentlich bedrohliche Lage geschaffen worden. Wenn es uns nicht gelingt, diese Umklammerung wieder zu durchbrechen, so ist unsere Stalingrad- und die gesamte Wolgafront gefährdet, und auch der Südflügel unserer Ostfront gerät bedenklich in Gefahr.“

Hitler reagierte, indem er seinen besten Strategen, den eben zum Oberbefehlshaber der neu geschaffenen Heeresgruppe Don ernannten Generalfeldmarschall Erich von Manstein, ins Hauptquartier der bisher für Stalingrad zuständigen Heeresgruppe B schickte. Deren Chef Generaloberst Maximilian von Weichs redete Klartext: Die Lage der 6. Armee halte er „für aussichtslos“, die einzige Chance sei ein sofortiger Ausbruch. Manstein erwiderte, das sei nur ein „letzter Ausweg“, den er nur „äußerstenfalls“ bei Hitler beantragen wolle – wissend, dass der Diktator die Genehmigung höchstwahrscheinlich verweigern würde.

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Obwohl Paulus davon unterrichtet wurde, verzichtete er darauf, seiner Truppe den Befehl zum Ausbruch aus dem Kessel zu geben – stattdessen ließ er die Kämpfe um das Stadtzentrum von Stalingrad noch einmal intensivieren. Statt selbstständig Fakten zu schaffen, entschied er sich also für Kadavergehorsam Hitler gegenüber. Als Lohn bekam er am 30. November 1942 die Beförderung zum Generaloberst.

Paulus war ein Schreibtischgeneral, hatte niemals eine Division oder ein Korps geführt, sondern stets nur Stabsaufgaben erledigt. 1890 geboren, hatte er eigentlich Marineoffizier werden wollen, war aber abgelehnt worden und nach einem kurzen Ausflug in ein ziviles Studium 1910 dem kaiserlich-deutschen Heer als Offiziersanwärter beigetreten.

Hitler bei Lagebesprechung/Ostfront/1942 Hitler, Adolf Politiker (NSDAP), 1889-1945. - Hitler bei einer Lagebesprechung im Hauptquartier der Heeresgruppe-Sued an der Ostfront, v.l.n.r.:General Heusin- ger, Gen. v.Sodenstern,Gen.-Ob. Weichs, Hitler, General Paulus,Gen.Ob.v.Macken- sen u. F.v.Bock.- Foto, Juni 1942.
Hitler und Friedrich Paulus 1942 bei einer Lagebesprechung im Hauptquartier der Heeresgruppe Süd
Quelle: Picture-Alliance

Im Ersten Weltkrieg diente er als Bataillonsadjutant, als Ordonnanzoffizier und als Stabsoffizier, also in der Etappe; selbst Zug- oder Kompanieführer von Fronteinheiten war er nie. 1919 wurde Paulus, in Organisationsfragen fraglos begabt, in die stark geschrumpfte Reichswehr übernommen und arbeitete als Regimentsadjutant. Erst 1927 erhielt er zum ersten Mal selbst Verantwortung für eine Truppe, eine Kompanie des Württembergischen Infanterieregiments Nr. 13.

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1931 absolvierte er die Kriegsakademie, also die Voraussetzung für den höheren Stabsdienst. Dabei bewies Paulus eine Begabung für operative Fragen und ein Interesse am Kraftfahrwesen, der Tarnabteilung für die in Deutschland verbotene Panzerwaffe. 1935, nachdem Hitler den Versailler Vertrag gekündigt hatte, wurde Paulus als Oberst Chef des Stabes der Kraftfahrtruppe. Sein Vorgesetzter war Heinz Guderian, der Vordenker der deutschen Panzerwaffe.

Die nächste Aufgabe für Paulus war Anfang 1939 die Funktion des Generalstabschefs des XVI. Armeekorps unter Generalleutnant Erich Hoepner, einem anderen wesentlichen Panzeroffizier der Wehrmacht. Doch schon im August, im Zuge der Mobilmachung, wechselte er zur 10. Armee unter dem überzeugten Nationalsozialisten Walther von Reichenau. Er organisierte den Vormarsch der Truppe beim Überfall auf Polen und – unter dem neuen Namen 6. Armee – im Frühjahr und Sommer 1940 durch Belgien und Frankreich.

Anschließend wechselte Paulus zum Generalstab des Heeres und arbeitete verantwortlich die Pläne für das „Unternehmen Barbarossa“ aus, den Überfall auf die Sowjetunion. Außerdem inspizierte er seinen alten Bekannten Erwin Rommel auf dem Kriegsschauplatz Nordafrika, dessen Eigenständigkeit dem Generalstabschef Franz Halder zu weit ging.

ARCHIV - Überlebende deutsche Soldaten verlassen nach der Kapitulation Stalingrad (undatiertes Archivfoto). Die Ende August 1942 bis Stalingrad vorgestoßene deutsche 6. Armee mit rund 280 000 Mann unter Generaloberst Friedrich Paulus wurde Ende November 1942 von der sowjetischen Armee eingekesselt. Trotz des Verbots Adolf Hitlers, zu kapitulieren oder auszubrechen, kapitulierte Paulus - nicht zuletzt wegen der desolaten Versorgungslage - am 31. Januar 1943 für den größten Teil seiner Truppen, die restliche Armee folgte der Kapitulation am 2. Februar 1943. (zu dpa Themenpaket Schlacht um Stalingrad vom 23.01.2018) Foto: UPI/-/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Marsch in die Kriegsgefangenschaft. Von 91.000 in Stalingrad gefangenen Wehrmachtssoldaten kehrten nur etwa 6000 heim
Quelle: picture alliance / UPI/-/dpa

Ende 1941 wurde Reichenau, immer noch Oberbefehlshaber der 6. Armee, zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd in der Ukraine befördert. Als seinen Nachfolger empfahl der Generalfeldmarschall seinen ehemaligen Stabschef. Paulus wurde am 5. Januar 1942 berufen und gleichzeitig zum General der Panzertruppen befördert; sein erstes Truppenkommando seit 1927 – und überhaupt erst die zweite derartige Funktion seiner Karriere. Ohne je eine Division oder ein Armeekorps befehligt zu haben, war er nun für eine ganze Armee verantwortlich.

Unter seiner Leitung – Reichenau war überraschend verstorben – rückte die 6. Armee auf Stalingrad zu. Am 23. Juli 1942 befahl Hitler, die Stadt sei gleichzeitig mit dem Vormarsch in Richtung Kaukasus einzunehmen. Paulus wusste, dass seine Armee dafür zu schwach war, doch er setzte sich bei Hitler nicht durch. Sehenden Auges ging er in die Katastrophe.

Um ihn zum Selbstmord zu bringen, ernannte Hitler noch am 30. Januar 1943 Friedrich Paulus zum Generalfeldmarschall. Noch nie war ein Offizier in diesem höchsten Rang des preußisch-deutschen Heeres in Kriegsgefangenschaft gegangen. Paulus missachtete die unausgesprochene, aber unmissverständliche Anweisung. Allerdings kapitulierte er nicht selbst, das ließ er seinen Stabschef Arthur Schmidt sowie den Divisionskommandeur Friedrich Roske erledigen.

2-G56-N1-1944-3 (114839) Paulus als neues Mitglied des NKFD,1944. Geschichte / 2.Weltkrieg / National- komitee Freies Deutschland (gegründet 12./13. Juli 1943 in Moskau). - Der Vizepräsident des NKFD, General von Seydlitz (rechts), begrüßt General- feldmarschall Paulus als neues Mitglied im NKFD und im Bund Dt.Offiziere.- Titelblatt, 'Freies Deutschland', Nr.9, August 1944.
Der Vizepräsident des NKFD, General Walther von Seydlitz (re.), begrüßt Generalfeldmarschall Paulus als neues Mitglied im NKFD
Quelle: picture alliance / akg-images

Als ranghöchster Kriegsgefangener war Paulus für Stalin wichtig. Er hoffte auf einen Austausch gegen einen sowjetischen General, doch vergeblich. Stattdessen engagierte er sich halb unwillig zugunsten des Nationalkomitees Freies Deutschland und den Bund Deutscher Offiziere – beides Zwitter zwischen kommunistischen Propagandaeinrichtungen und Widerstand gegen Hitler.

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Im Februar 1946 trat Paulus als Zeuge der sowjetischen Anklage beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess auf. In Deutschland und bei vielen Veteranen der Wehrmacht galt er jedoch als „Verräter“. Ende 1953 kehrte er in die DDR zurück und lebte in Dresden – allerdings stellte er sich nicht vollkommen in den Dienst des SED-Regimes, sondern bemühte sich um eine eigenständige Position. Natürlich wurde er von der Stasi überwacht. 1956 zog er sich wegen einer schweren Erkrankung aus der Öffentlichkeit zurück und starb am 1. Februar 1957 im Alter von 66 Jahren.

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