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Bei Altmaier verflüchtigen sich zarte Dissonanzen

Umweltminister Altmaier trifft französische Amtskollegin Batho Umweltminister Altmaier trifft französische Amtskollegin Batho
Umweltminister Peter Altmaier und seine französische Kollegin Batho am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin. Am Vorabend begrüßte er die „liebe Delphine“ zum Essen in priva...tem Rahmen
Quelle: Clemens Bilan/commonlens
Häppchen, Wein und das Blumensofa: Der Umweltminister lädt seine französische Kollegin Delphine Batho zur Soirée in seine Privatwohnung – und zeigt, wie unkonventionell man Politik betreiben kann.

Die Einladung zum Essen in privaten Rahmen als Instrument der Politik hat eine lange Tradition. Helmut Kohl empfing den russischen Präsidenten Michail Gorbatschow zum Saumagen in Deidesheim; Angela Merkel grillte mit George W. Bush beim Spanferkel in Trinwillershagen die deutsch-amerikanischen Beziehungen gar.

Schon Friedrich der Große bat den Philosophen Voltaire mit geistreichen Wortspielen zu Tisch in Sanssouci, um dort über Preußen und Frankreich zu parlieren.

So gesehen tat Peter Altmaier nichts Außergewöhnliches, als er am Dienstagabend die französische Umweltministerin Delphine Batho im kleinen Kreis zu sich nach Hause einlud. Und doch unterschied sich dieser Abend von den klassischen Einladungen. Denn Altmaier besitzt ein Talent, das nicht viele Menschen haben.

Im Regal stehen Böll und Goebbels

Im politischen Berlin sind die Einladungen des Umweltministers legendär. Fast die gesamte deutsche Spitzenpolitik sowie diverse EU-Kommissare waren schon in seiner 280-Quadratmeter-Wohnung im Westen Berlins zu Gast. Für Delphine Batho ist es das erste Mal. „Altmaier“ steht unten an der Klingel.

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Der Hausherr öffnet seine Privatgemächer persönlich, hohe Altbauräume mit Stuckverzierter Decke, Kristallkronleuchter, Perserteppiche und einem Sofa im Laura-Ashley-Blumen-Stil. In der Bücherwand steht der Brockhaus neben den gesammelten Werken von Heinrich Böll und den Tagebüchern von Joseph Goebbels.

Über der Tür hängt ein Dokument, das auf Französisch die Aufnahme Altmaiers in die französische Ehrenlegion beurkundet. Er wird darin als „Chef“ der Unionsfraktion im Bundestag bezeichnet, ein Fehler. Der Titel des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers, den Altmaier bei der Verleihung noch trug, ist in Frankreich unbekannt.

Die wechselseitige Sympathie ist spürbar

Rund 30 Gäste sind erschienen, der französische Botschafter ist darunter, Regierungssprecher Steffen Seibert, Vertreter der Wirtschaft und der deutsch-französischen Community, einige Journalisten beider Länder. Er freue sich, die „liebe Delphine“ begrüßen zu können, sagt Altmaier zur Begrüßung und fügt hinzu, dass sie „hier von Freunden umgeben“ sei.

Es gibt Häppchen, Sekt und Wein. Hinten in der Küche stehe auch noch deutsches Bier im Kühlschrank, ruft Altmaier. Man solle einfach durchgehen. Nach einer Stunde zwangloser Konversation über die Spontanität von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, die Chancen der AfD und die Bedeutung von Energie für Wahlen (Altmaier: „Man kann damit keine Wahlen gewinnen, aber man kann sie damit verlieren“), lässt sich der Minister aufs Blumensofa plumpsen und bittet die französische Kollegin neben sich.

Die beiden haben sich im Juli 2012 beim Petersberger Klima-Dialog kennengelernt; die wechselseitige Sympathie ist spürbar. So kam man auf die Idee, die deutsch-französischen Beziehungen mit einem neuen Thema zu beleben: der Energie. Im Februar haben Altmaier und Batho eine gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit bei den erneuerbaren Energien unterzeichnet und die Gründung eines deutsch-französischen Büros angekündigt. Batho unterstützt Altmaier auch beim Vorhaben, eine Art exklusiven Energiewende-Club ins Leben zu rufen. Mitmachen darf jedes Land, das die erneuerbaren Energien vorantreiben will.

Sozialistin im Spitzenjäckchen

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Die vorherige Regierung in Frankreich habe Deutschland oft als abschreckendes Beispiel benutzt, sagt Delphine Batho. Die 40-jährige Sozialistin im grauen Spitzenjäckchen wirkt äußerlich zart neben dem Christdemokraten Peter Altmaier, aber dafür resolut im Ton. Frankreich könne einiges von Deutschland lernen. „In Frankreich gibt es noch keinen Konsens über die Zukunft der Energie“, sagt sie. „Wir sind dabei, ein Modell für die Energiewende zu erfinden.“

Sie gehöre zu einer Generation, die durch die Zusammenarbeit von François Mitterrand und Helmut Kohl geprägt sei. Diese Tradition gelte es, mit neuen Projekten fortzuführen. Dann erinnert sie daran, dass die Europäische Union mit dem Thema Energie ihren Anfang nahm – mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951. Frankreich und Deutschland waren Gründungsmitglieder der Montanunion.

Zwischen dem beherzten Griff in die Schale mit den Chips und einem Schluck Rotwein sagt Peter Altmaier, dass sich für eine deutsch-französische Frischekur nichts besser anbiete als gemeinsame Führung bei der Energiewende. „Wir brauchen sichtbare Symbole“, sagt er. Mehr noch: Er träumt von einem „einheitlichen Energiemarkt zwischen Deutschland und Frankreich“: 50 Prozent erneuerbare Energien, 20 Prozent Atomenergie (von Frankreich produziert), 20 Prozent konventionelle Energieträger (von Deutschland produziert).

Die Beziehungen sind nicht rosarot

Ganz so rosarot, wie Altmaier und Batho glauben machen wollen, ist es um die deutsch-französischen Beziehungen allerdings nicht bestellt. In Frankreich hat die Bemerkung des deutschen Umweltministers in einem FAZ-Interview, die Energiewende könne eine Billion Euro kosten, für Irritationen gesorgt.

Den Deutschen wiederum ist die ungebrochene Begeisterung der Franzosen für die Atomenergie suspekt. Im Gegensatz zu Deutschland war die Panik nach dem Reaktorunglück in Fukushima beim linksrheinischen Nachbarn schnell verpufft: Die Ankündigung der Regierung, man werde sich verstärkt um die Sicherheit der Atomkraftwerke bemühen, genügte.

Fraglich ist auch, inwieweit das sperrige Thema Energie überhaupt die Dynamik eines Gemeinschaftsprojekts entwickeln kann. Noch sind die Pläne von Batho und Altmaier reichlich vage.

Die Sprache hat sich Altmaier ergeben

All diese Bedenken klingen bei der Soirée in Altmaiers Wohnung an, aber sie bleiben nur zarte Dissonanzen, die von den Gesprächen bald wieder fortgetragen werden. Das liegt an der Methode Altmaier. Um sie zu verstehen, muss man den gebürtigen Saarländer Französisch sprechen hören. Er, der quasi in Sichtweite von Frankreich aufgewachsen ist, hat die Sprache erst als Kommissionsbeamter in Brüssel gelernt.

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Nun gibt es für einen deutschen Muttersprachler verschiedene Arten, Französisch zu sprechen. Die einen streben danach, die nasale Melodie perfekt zu imitieren. Jeder Satz wird bei ihnen zur Demonstration eines kleinen Sieges, den fremden Zungenschlag bewältigt zu haben. Bei anderen bleibt der Respekt vor der Komplexität des Französischen immer spürbar: Vorsichtig und verunsichert tasten sie sich durch die Sätze.

Peter Altmaier hat eine dritte Methode gewählt: Er umarmt die Sprache. Mit starkem deutschem Akzent, aber ohne Hemmung macht er auch vor schwierigen Begriffen nicht Halt, spricht einfach über Fehler hinweg. Und das Wundersame geschieht: Die Sprache, die sich bei anderen so zickig und schwierig zeigen kann, ergibt sich ihm willig.

Altmaier gibt den Polit-Conferencier

Auf diese Weise vermag er an diesem Abend jene Leidenschaft zu beschwören, mit der die Gründerväter einst die Aussöhnung beider Länder vorantrieben. Seine Rolle als Polit-Conferencier genießt der 54-Jährige dabei sichtlich. Wie ein Buddha thront er im Zentrum, erteilt freundlich das Wort, ermutigt die Schweigsamen, merkt sich blitzschnell Namen und lässt gelegentlich kleine espritreiche Anekdoten einfließen. Wenn es darum ginge, die Tradition der Salons des 19. Jahrhunderts wiederzubeleben, die mit spielerischer Leichtigkeit Privates mit Politischem und Kultur verbanden – Peter Altmaier wäre der perfekte Gastgeber dafür.

Fast enttäuscht wirkt er, als nach drei Stunden Wein und Gesprächen die Gäste erste Anzeichen der Erschöpfung zeigen. Man könne bis morgen früh um 8.15 Uhr bleiben, bis er zu seinem nächsten Diensttermin müsse. Altmaier sagt das scherzhaft. Aber tatsächlich glaubt man ihm sofort, dass er einem nach durchplauderter Nacht noch eine Wolldecke und einen Schlafplatz auf dem Blumensofa anbieten würde.

Am Tag darauf steht für Altmaier und Batho ein gemeinsamer Auftritt im Bundesumweltministerium auf dem Programm. Schon tags zuvor hatten Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici und sein deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble (CDU) Studenten der Freien Universität Berlin die Euro-Krise erklärt und dabei versucht, Einigkeit zu demonstrieren. Frankreichs Präsident Francois Hollande ist nicht mitgekommen. Zwischen ihm und Kanzlerin Angela Merkel soll die Atmosphäre eher angespannt sein.

Vor wenigen Tagen musste Hollande sich wegen eines Strategiepapiers seiner Partei erklären, in dem der linke Flügel Merkel wegen ihres Sparkurses in der Euro-Krise „egoistische Unnachgiebigkeit“ vorwirft. Er glaube fest, an die deutsch-französische Freundschaft, sagte Hollande, aber er könne auch nicht mehr tun, als die Autoren des Papiers zu rügen. Vielleicht sollte Peter Altmaier die beiden einmal zu sich nach Hause einladen.

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