"Hochzeit des Lichts" / "Noces suivi de L'été" von Albert Camus - Der Leser | Literaturblog

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„Hochzeit des Lichts“ / „Noces suivi de L’été“ von Albert Camus

Albert Camus veröffentlichte 1938 erstmals die autobiographisch inspirierte Essay-Sammlung „Noces“ (dt. ,Hochzeit‘ mit Texten aus 1936/37), die heute als „Noces suivi de L’Été“ bei Gallimard erhältlich ist. Ein Fest des Lichts, der Sinnlichkeit, des Meers, der Luft, der Düfte und der heimatlichen algerischen Wüste und Ruinen sind diese frühen Texte Camus’, die unter anderem in Oran, Tipasa, Djemala und Alger spielen, sodass man sie vorzugsweise im Sommer bei Sonnenschein oder während eines Urlaubs am Meer lesen sollte.

Der erste Text des Bandes, „Noces à Tipasa“, der dem Werk zugleich seinen Namen verleiht („Noces“ bzw. „Hochzeit des Lichts“, wie die deutsche Übersetzung, erschienen im Arche Verlag, heißt), ist auch einer der eindrucksvollsten. Hier tauchen wir ein in die Sommerstimmung in Tipasa, wo laut Camus im Frühling die Götter hausen. Blau- und Gelbtöne vermischen sich, man sieht und schmeckt das Meer, man riecht den Duft von Wermuth („absinthe“) und von Blumen, man spürt die Hitze, den Sand und das Salz des Meeres auf der Haut und sieht die Ruinen, die in Tipasa als „Seufzen“ vergangener Zivilisationen zurückgeblieben sind.

Römische Ruinen von Tipasa (Quelle: Wikimedia)

Mit Verve und Passion nimmt der noch junge Camus die Leser/innen mit auf eine Reise ins sommerliche, hitzig-flimmernde Tipasa, wo die Ruinen von der römischen Vergangenheit künden. Man erfährt, dass die Landschaft einem hier schnell zu viel wird und man nicht länger als ein, zwei Tage bleiben kann, angesichts des Zuviel von allem. Beim Verlassen des Tumultes aus Düften und Sonne, so Camus, beruhige sich der Geist und der Körper genieße die innere Ruhe, die aus einer erfüllten Liebschaft entstehe. Dann geht er in den Park und freut sich an der Ordnung, die dort herrscht.

Der nächste Essay „Le vent à Djémala“ widmet sich einer neuen Stadt, so wie jeder der vier Essays von „Noces“ einen eigenen Ort in Algerien behandelt, mit Ausnahme des vierten, in dem es um die Wüste geht. Algerien ist die Heimat des 1913 in Mondovi geborenen Camus, der sich 1940 nach seiner Heirat mit Francine Faure in Paris niederlässt und daraufhin zu einem französischen Schriftsteller wird. Heute ist Albert Camus einer der meist gelesenen und übersetzten französischen Schriftsteller, Philosophen und Essayisten der Welt.

In der Algerienfrage, also der Frage nach der Unabhängigkeit Algeriens, positionierte sich Camus, der selbst von ehemaligen französischen Kolonisten abstammte, uneindeutig. Für Camus blieb Algerien, wenn man auf seine frühen Texte blickt, die in „Noces suivi de L’été“ versammelt sind, dennoch ein Ort der Sehnsucht, an den es ihn immer wieder zog: ein Ort, an dem er sich wieder in frühere Tage versetzt fühlen konnte, an dem er entspannen konnte, die Landschaft genießen konnte, an dem er einer Sehnsucht nach dem wahren, intakten, ursprünglichen und mediterranen Leben nachgehen konnte.

In Camus’ Philosophie steht die Rationalität und Kälte des Nordens der Wärme und Heilkraft, der Lebensbejahung und Sonne des Mittelmeers entgegen. Die zehn Worte, die Camus für die wichtigsten seines Lebens hielt, waren: der Sommer, das Meer, die Welt, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Schmerz, die Erde, die Mutter. Camus war ein Romantiker des Südens, für den das Mittelmeer nicht nur eine Kulisse war, sondern eine Heimat, zu der es ihn immer wieder zog. In den Künstler- und Intellektuellen-Kreisen von Paris und New York fühlte er sich nie ganz beheimatet.

Camus sagt: „Im Zentrum meiner Arbeit steht eine unbesiegbare Sonne. Es ist nicht die religiöse Erleuchtung und nicht das Licht der Aufklärung, sondern das natürliche Licht der Sonne, die Licht spendet.“ Dieses Zitat fasst wunderbar die Essays, die in „Noces“ und „L’Été“ versammelt sind, zusammen, denn auch in diesen Essays versucht Camus, alles auf die Sonne zurückzuführen, auf das Meer und dessen heilende Kraft. In Verbindung mit der Landschaft und der Sinnlichkeit des Mittelmeers steht die Zivilisation der Griechen, die es geschafft hat, einen Ausgleich und ein Maß zwischen Mensch und Natur zu finden.

Im zweiten Teil des Essaybandes, „L’été“, wird Albert Camus deutlich philosophischer und versucht, eine Philosophie zu entwickeln, die zum Beispiel den Prometheus des klassischen griechischen Mythos auf die heutige Welt bezieht und fragt, ob Prometheus in unserer Welt noch einmal den Menschen Kunst und Technik bringen könnte oder ob er nicht heute nur die Technik bringen würde, da die Menschen die Kunst nicht wertschätzen. In „Le minotaure“ versucht sich Camus an einer Beschreibung der Stadt Oran nach verschiedenen Kriterien, z. B. „La rue“ und „Le jeu“.

In „L’exil d’Hélène“ stellt Camus fest, dass die Griechen sich stets an Grenzen und Maß gehalten haben, während das heutige Europa von Maßlosigkeit geprägt sei. Man leugne die Schönheit und fröne der Vernunft. Die Grundaussage Camus’ lautet, dass die griechische Vergangenheit mit dem heutigen Europa nichts mehr zu tun hat. Er sehnt sich nach der Zeit des Mythos zurück, in der die Mittelmeer-Kultur tonangebend war. Diese Zeit ist passé, stattdessen hat das Christentum obsiegt, welches Camus nicht behagt.

Camus’ Essayband „Noces suivi de L’été“ ist ein Fest des Lebens, eine wahre Hymne an die Sinne und eine Ode an Meer, Sommer und Sonne. Wer eine etwas anspruchsvollere Urlaubs- und Sommerlektüre sucht, mit philosophischen Ausführungen und Exkursen, der liegt hiermit genau richtig.

Eine uneingeschränkte Empfehlung für alle Liebhaber/innen von französischen Klassikern und Leser/innen von Camus, Hemingway und Melville.

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐ 5/5

Albert Camus: Noces suivi de L’été. Gallimard: Folio. 7,50 €.

Albert Camus: Hochzeit des Lichtes/Heimkehr nach Tipasa. Aus dem Französischen von Peter Gan/Monique Lang. Nachwort von Mirko Bonné. Arche Verlag. 18 €.

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