Sophie Haas, B�rbel, Dietmar und Heike brechen aus. Raus aus Hengasch, raus aus dem Korsett 45-min�tiger Serienfolgen. Im Weihnachts-Special „Ein Mord mit Aussicht“ landen sie auf der Polizeiwache im Nachbarort Hammelforst, denn Haas wird des Mordes verd�chtigt. Der Film hat gegen�ber der Serie eine ganz eigene, wenn auch schwankende Qualit�t: Das Quartett aus Hengasch erinnert sich auf recht unterschiedliche Weise an den Tag und die Ereignisse vor der Tat. Dies wird in stark �berzeichneten Traum- und Erinnerungs-Szenen inszeniert, mal gro�artig, mal albern. Es gibt neue Schaupl�tze und neue Figuren, im Mittelpunkt aber steht die bew�hrte Stammbesetzung mit ihren liebenswerten Schrullen – ein �ppiges, verspieltes, die �blichen Grenzen �berschreitendes Fest f�r die Fans.
Foto: WDR / Michael B�hmeAuf frischer Tat ertappt? Sandra Holm (Nina Proll) nimmt Sophie Haas (Caroline Peters) und ihre Kollegen (Meike Droste / Bjarne M�del) unter Mordverdacht fest.
Sophie Haas hat einen Albtraum: Nicht sie erh�lt die ersehnte Stelle bei der K�lner Polizei, sondern Heike Sch�ffer. Und der K�lner „Oberkommissariatsleiter“ Hans-Peter Jogereit (Matschke) l�sst auf einen ganzen Berg von Sophie-Haas-Akten den �berdimensionalen „Abgelehnt“-Stempel niedersausen. „Sie werden Hengasch niemals verlassen“, sagt Jogereit h�misch und tanzt schadenfroh durch sein B�ro. Die w�tende Haas beendet den Spuk im Halbschlaf mit einem Schwinger, der ihren Freund Jan (von B�low) f�r den Rest des Films „Ein Mord mit Aussicht“ mit einer aufgeplatzten Oberlippe zeichnet. Was bei der Aufkl�rung des hier erz�hlten Mordfalls noch eine Rolle spielen wird. Das Opfer ist der reale Jogereit, der Haas tats�chlich als Bewerberin abgelehnt hatte. Er besitzt in Hammelforst, einem Nachbarort von Hengasch, ein Ferienhaus und wird dort nachts erschossen aufgefunden. Und weil Sophie Haas am Tatort mit der Tatwaffe herumfuchtelt, ger�t sie unter Mordverdacht. Das Hammelforster Polizei-Trio um Sandra Holm (Proll) nimmt Haas, B�rbel & die Sch�ffers mit auf die Wache, wo die Kommissarin in Einzelverh�ren versucht, das Geschehen aufzukl�ren.
Foto: WDR / Kai SchulzDieser Mann ist ihr Alptraum – und bald ist er tot! Peters & Matthias Matschke
Bereits die Traum-Szene zu Beginn weist den Weg bei diesem Einzelst�ck, das der WDR als „Geschenk an die Fans“ (Redakteurin Nina Klamroth) produzieren lie�. Es geht absurd und �bertrieben zu, neue Figuren und neue Schaupl�tze erweitern das bekannte Setting der Serie. Zugleich h�lt sich das von Jan Schomburg („�ber uns das All“) inszenierte Weihnachts-Special an das Bew�hrte. Im Mittelpunkt stehen die Figuren, die knuffigen Drei von der Polizei aus Hengasch plus Heike Sch�ffer (Petra Kleinert). Sophie Haas (Caroline Peters) will noch immer weg aus der Eifel, die liebenswerte B�rbel (Meike Droste) sehnt sich als junge Mutter ganz besonders nach Harmonie, und Faultier Dietmar (Bjarne M�del) ist nach seiner feucht-fr�hlichen Geburtstagsparty noch verschlafener als sonst. Der Mordfall dient – wie in der Serie – weniger der Spannung und unterliegt hier ebenfalls den Gesetzen der Kom�die, wonach zum Beispiel die besten Geistesblitze der d�mmste aller Protagonisten hat.
Das Besondere an diesem Special: Die Beziehungen zwischen den Protagonisten werden auf eine ungew�hnliche Art erz�hlt. Denn jede und jeder der Beteiligten erinnert sich im Verh�r auf unterschiedliche Weise an den Tag und die Ereignisse vor der Tat. Die clevere Idee des multiperspektivischen Erz�hlens von Drehbuch-Autor Benjamin Hessler („Mordkommission Berlin 1“) inszeniert Schomburg �ppig in stark �berzeichneten Traum- und Erinnerungs-Sequenzen. Die in satten Farben schwelgende Bildgestaltung (Kamera: Marc Comes), die zum Teil schrillen Kost�me, die Genre-Zitate (Dietmar als Western-Held im Kino-Format), die Verspieltheit und formalen Grenz�berschreitungen geben dem Film „Ein Mord mit Aussicht“ eine ganz eigene, unterhaltsame Note im Vergleich zur doch ziemlich konventionell gedrehten Serie. Allerdings ist die Qualit�t schwankend. Das dick Aufgetragene, �bertriebene kann auch leicht nerven, wenn es ins Plumpe und Alberne abgleitet. Was hier ab und zu geschieht, bei Sch�ffers Geburtstagsparty in der Gastst�tte zum Beispiel. Dann geht etwas von der Qualit�t der Serie verloren, deren Komik vor allem durch die fein ausget�ftelten Dialoge und das hinrei�ende Spiel insbesondere von Peters, Droste, M�del und Kleinert entsteht. Dann wirkt der Film eher wie ein Kindergeburtstag, den man gemeinsam mit seinen Fans feiern will.
Foto: WDR / Kai SchulzUnter Verdacht: Die Leiterin der Polizeistation von Hammelforst, Kommissarin Sandra Holm (Nina Proll), nimmt ihre Kollegin aus Hengasch (Caroline Peters) ins Verh�r.
Aber es gibt auch Szenen, die echte Perlen sind: Petra Kleinert hat als Heike Sch�ffer einen gro�artigen Auftritt im glitzernden Fummel, ihrem „B�r“ ein Geburtstagsst�ndchen singend. Die derbe Variante ist, wenn „Muschi“ in rosa Unterw�sche mit einem gewaltigen Laubbl�ser in der Hand als Geschenk f�r Dietmar am gemeinsamen Bett steht. „Ich habe Einblick bekommen in Dinge, die wollte ich gar nicht alle wissen“, sagt die genervte Kommissarin Holm treffend. Die Differenz zwischen der filmischen Realit�t und den einzelnen Erinnerungen hat ohnehin ihren eigenen Reiz. So wird die einzige in Hengaschs Polizeiwache spielende Szene, als Dietmar am Morgen die Geburtstagsgeschenke entgegennimmt, sp�ter aus vier verschiedenen Blickwinkeln gespiegelt: Ein Ereignis – vier Realit�ten, den unterschiedlichen Charakteren und Gem�tslagen entsprechend. Das ist keine neue, wahnsinnig innovative Idee, aber doch eine interessante Variation der Serie. Leider �berzeugt auch hier das bisweilen schrille, stark �berzeichnete Spiel nicht immer.
Im Gegensatz zur Serie ist allerdings die Polizeiwache in Hammelforst der Haupt-Schauplatz. Gro�z�gige, moderne R�ume, ein h�henverstellbarer Tisch im Verh�rraum und sogar eine moderne Toilette: Die Kolleginnen und Kollegen aus Hengasch staunen nicht schlecht �ber diese komplett andere Welt, die sich hinter dem Ortsschild von Hengasch auftut. Die Eifel einmal anders. Bereits das schicke, angeberische Jogereit-Ferienhaus bietet einen extremen Kontrast zur biederen B�rgerlichkeit im Nachbarkaff. Aber manche Probleme sind �hnlich: Sehr komisch, wie B�rbel mit der Schiebet�r k�mpft, die das Badezimmer nicht wirklich abschlie�t. Als Sophie Haas und ihre Leute dort tags�ber das erste Mal auftauchen, weil der G�rtner einen Einbruch gemeldet hat, kann sich die abgewiesene Kommissarin voller Genuss an Jogereit r�chen, indem sie die superkorrekte Beamtin spielt. Am Abend w�hrend Sch�ffers Geburtstagsparty ruft Jogereit an und bittet Haas, erneut zum Haus zu kommen. Dass sie dort tats�chlich Jogereit erschossen haben k�nnte, glaubt nat�rlich kein Mensch – au�er Holm. Proll spielt tapfer als humorlose Ermittlerin gegen diese „unm�gliche“ Rollenbeschreibung an und versucht klugerweise nicht, witziger zu sein als die seltsamen Gestalten vor ihr.
Foto: WDR / Kai SchulzFleisch ist ihr Gem�se. Kleinert, Droste, M�del, Carmen-Maja Antoni & Peters (v.l.)
Und: Erfreulich, dass hier das �bliche Personal mal durch eine ungew�hnliche Besetzung erg�nzt wird, denn in Hammelforst gibt es auch einen dunkelh�utigen Polizisten namens Philip Schr�der (Dave Davis). W�hrend sich sein junger, wei�er Kollege Dominik (Malte Sundermann) in naiver Bewunderung f�r Holm ergeht, ist Philip die Ruhe und Selbstsicherheit in Person. Diese Normalit�t ist sch�n und gut, aber der Figur fehlen pr�gnante Szenen, um wirklich interessant zu sein. So ist es doch vor allem wieder die Hautfarbe, die in den Vordergrund r�ckt. Als Sophie Haas erkl�rt, Jogereit sei „von einem schwarzen Mann erschossen worden“, gemeint war ein schwarz gekleideter Mann mit Ski-Maske, wirft ihr Holm „latent rassistische Ermittlungsmethoden“ vor. Holm geh�rt zu denjenigen, die eine politisch korrekte Ausdrucksweise einfordern, aber sich selbst keinesfalls immer sensibel verhalten. So kl�rt sie ihre Kollegen aus Hengasch ausdr�cklich dar�ber auf, dass Philip in Gerolstein geboren, deutscher Staatsb�rger sei und auch das Recht habe, als solcher behandelt zu werden. Philip steht sichtlich unangenehm ber�hrt daneben und versucht vergeblich zu Wort zu kommen. Diese Szene darf man wohl als bissigen Kommentar gegen �bereifrige Korrektheit verstehen. Klasse au�erdem, wie das Ganze in einen trocken-komischen Dialog m�ndet, samt Subtext zu Heimat und Herkunft. Dietmar zu Philip: „Kennen Sie den Grabowski?“ Philip: „Nee.“ Dietmar: „Der kommt auch aus Gerolstein.“ Heike: „Nee, der kommt aus Daun.“ Dietmar: „Geboren in Daun, aufgewachsen in Gerolstein.“ Heike: „Also kommt er aus Daun.“ B�rbel (entschieden): „Jaa, stimmt.“ Trotz aller �berzeichnung gibt es also auch hier diese gro�en kleinen, „Mord mit Aussicht“-typischen Momente.
Foto: WDR / Kai SchulzSch�tzend stellt sich Sophie (Caroline Peters) vor ihre Mitarbeiter (Droste, M�del).
Wie aber geht’s mit der Serie weiter? Im Sommer hatte die ARD verk�ndet, dass „Mord mit Aussicht“ vorerst eine Pause einlegen werde. Eine vierte Staffel liegt auf Eis, der 90-min�tige Film markiert diese „kleine� Z�sur“, wie Redakteurin Klamroth j�ngst bei der Premiere beim Krimi-Festival „Tatort Eifel“ im September in Daun sagte. T�glich erreiche den WDR Zuschauerpost, was auch damit zu tun haben d�rfte, dass die Serie zeitweise beinahe t�glich im Ersten, in einem der Dritten oder bei EinsFestival wiederholt wurde. Das fand nicht jeder lustig, Bjarne M�del �u�erte sich entsprechend in einem Interview mit der „S�ddeutschen Zeitung“. Dass M�del aus der Serie ausgestiegen sein k�nnte, dementierte Klamroth. Allerdings ist noch v�llig offen, wie lange die „kleine kreative Pause“ dauern wird. Klamroth: „Wir �berlegen, wie es weitergehen kann. Da brauchen wir vielleicht noch einen Moment.“
Foto: WDR / Michael B�hmeEine Perle: Petra Kleinerts Marilyn-Einlage. Ein Geburtstagsst�ndchen f�r ihren B�r
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.