Ein leerstehender Kiosk ist über die Jahre  zum Kunstort gereift
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Ein leerstehender Kiosk ist über die Jahre  zum Kunstort gereift

Neustrelitz / Lesedauer: 3 min

Einen ganz besonderen Ort können Besucher an diesem Pfingstwochenende in Neustrelitz erkunden: den Kulturkiosk in der Seestraße. Der Raum ist selbst ein Kunstwerk. In ihm stellt aktuell die Textilkünstlerin Olivia Kaufmann aus.
Veröffentlicht:16.05.2024, 17:57

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Zeit, Witterung und Menschen haben an dem Haus Spuren hinterlassen. Es ist eines der wenigen in der Seestraße, die nach der Wende noch nicht saniert wurden. Der Putz bröckelt, die vielen Farbschichten an Tür und Fensterrahmen blättern ab, die Gitter vor der Auslage rosten und das Reklameschild wirbt schon seit Jahren für etwas, das es hier schon lange nicht mehr gibt: einen Kiosk.

"Dieser Laden hatte es mir sofort angetan"

Zur Schönheit gealtert - so sieht Paula Dassau den verlassenen Laden in der Seestraße 28, den sie als temporäre Galerie betreibt und dem sie den Namen "Kulturkiosk" gegeben hat. Seit zwei Jahren finden hier in unregelmäßigen Abständen Ausstellungen statt. Das  Besondere: Die Bilder hängen an Wänden, die selbst wie Gemälde wirke. Denn die verbliebenen Anstrich-Schichten haben Muster und farbige Flächen hinterlassen, die wie antike Fresken wirken. "Ich war auf der Suche nach einem geeigneten Raum, um meine Kunst zu zeigen. Dieser Laden hatte es mir sofort angetan", erzählt Paula Dassau.

Während Corona Collagen in Bushaltestellen platziert

Sie kam mit der Hausbesitzerin überein, die Räume als Galerie nutzen zu können.  "Ich hatte in der Corona-Zeit aus Mangel an Alternativen neben meinem Job Collagen angefertigt und sie in Bushaltestellen in der Uckermark, wo ich damals wohnte, ausgestellt. In Neustrelitz wollte ich einen ähnlichen unkomplizierten Raum für meine Arbeiten und für die Begegnung mit anderen finden. Die Seestraße 28 war der Volltreffer", sagt sie. So sehen es auch andere Künstler. Gleich nach der ersten  Ausstellung kamen die Anfragen. Mittlerweile ist mit den Arbeiten der Textilkünstlerin Olivia Kaufmann, die aktuell in der Seestraße zu sehen sind, ein gutes Dutzend an Ausstellungen voll. 

Algenpaste als Druckfarbe

Wer über die Pfingsttage den Weg in die Seestraße 28 findet, sieht sich dort Kunstwerken gegenüber, die "grundsätzlich ungenau" sind. So hat  Olivia Kaufmann ihre Schau betitelt. An den Wänden hängen Bildzyklen zu verschiedenen Themen. Es handelt sich zumeist um Landschaften  auf und aus Stoff, die die Künstlerin in aufwändigen Techniken herstellt. Sie bedient sich der Fotografie, verschiedener Druck- und  Färbeverfahren. Auch Stickereien finden sich auf den Bildern. Das Ungewisse, das Diffuse spielt eine große Rolle.  "Zu Beginn meines kreativen Prozesses weiß ich nicht, was entstehen wird und wohin es mich führen wird. Nichts steht fest. Das Bild behauptet sich selbst, während ich mit ihm arbeite", beschreibt sie. Sie verarbeitet unter  anderem Algenpaste als Druckfarbe, lässt den Rost alter Lochbleche auf Leinenstoff wirken, bedient sich alter Stoffreste, um Neues zu schaffen.  

Textilcollagen zeigen den Raum zwischen Wirklichkeit und Traum

"Viele Prozesse brauchen ihre Zeit und entziehen sich meiner Kontrolle. Wenn zum Beispiel Rost wochenlang auf einen Stoff einwirkt, weiß ich nicht, welche Muster er letztlich hinterlässt", sagt sie. Ihre  Textilcollagen bilden den Raum zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen Werden und Vergehen ab. Zumeist zeigen sie Orte, zu denen Olivia Kaufmann eine besondere Verbindung hat: ein See zwischen Fürstenberg und Lychen, verkohlte Bäume am Rande der Autobahn, die Neustrelitzer Kachelofenfabrik, ein Berliner Spreeufer.

"Meine Bilder passen gut in diesen Kiosk", sagt sie. Denn in dem Ausstellungsraum mit seinen abgewetzten Wänden und dem geliehenen Mobiliar besticht die Unvollkommenheit - eine Verletzlichkeit, die jeden anrührt, der zum Bilderschauen kommt.