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Spargel und Rumtopf für Leonid Breschnew

Vor 30 Jahren empfing Kanzler Helmut Schmidt den Sowjetführer in Hamburg

In Hamburg herrschte die höchste Sicherheitsstufe, als der sowjetische Partei- und Staatschef Leonid Breschnew am Abend des 6. Mai 1978 aus Bonn zu einem 17-stündigen Besuch in die Hansestadt kam. Tausende von Polizisten sicherten die geplanten Fahrtrouten, sogar die Gullys wurden kontrolliert. Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte den mächtigsten Mann des Ostblocks in seine Vaterstadt eingeladen.

Darin lag nicht nur politisches Kalkül, denn während dieser Visite sollten die politischen Gespräche fortgesetzt werden, die in Bonn begonnen hatten. Es war vor allem eine persönliche Geste des Kanzlers, die der Staatsgast aus Moskau zu würdigen wusste - Einwände seiner Begleiter schob er beiseite und bestieg sogar für den Flug von Köln-Wahn nach Fuhlsbüttel eine Boeing 707 der Bundeswehr, was früher undenkbar gewesen wäre.

Der offizielle Teil des Programms begann noch am selben Abend mit einem Empfang im Rathaus, wo Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) den Kreml-Chef begrüßte. Am nächsten Tag besuchte Breschnew vormittags die Thälmann-Gedenkstätte in der Eppendorfer Tarpenbekstraße - der 1944 im KZ Buchenwald ermordete KPD-Führer hatte dort in seiner Hamburger Zeit gewohnt.

Die letzte Station dieses Abstechers an die Elbe hatte protokollarisch fast schon privaten Charakter, politisch aber war sie vielleicht der Höhepunkt des ganzen Deutschland-Besuchs: Helmut und Loki Schmidt hatten Breschnew samt Begleitung zum Essen in ihr Haus in Langenhorn gebeten. Als die schwarzen Limousinen am Neubergerweg vorfuhren, hatten sich zahlreiche Zaungäste mit Kameras für Erinnerungsfotos eingefunden.

Die Stimmung war gelöst. Als Breschnew im Wohnzimmer direkt unter einem Bücherbord mit den Werken von Marx und Engels Platz nahm, war das Gelächter der Gäste und Gastgeber groß. Sogar der stets etwas säuerlich wirkende sowjetische Außenminister Andrej Gromyko schmunzelte. Es wurde polnischer Wodka gereicht, der Breschnew besonders gut zu bekommen schien, doch noch vor dem Essen wünschte er weiter über Politik zu reden, und so zog er sich mit dem Kanzler und den beiden Außenministern Gromyko und Genscher in Schmidts Arbeitszimmer zurück. Dort gab es nur drei Sitzgelegenheiten, sodass Genscher auf einer Bücherleiter Platz nahm.

Es ging erneut, wie schon zuvor in Bonn, hart zur Sache: Die Beziehungen der Bundesrepublik zur DDR, China, der Truppenabbau in Europa, aber auch die sowjetische Aufrüstung mit den atomaren Mittelstreckenraketen SS 20, die Helmut Schmidt zunehmend beunruhigte - Themen gab es genug. Das Gespräch in der Kanzlerwohnung und damit der gesamte Staatsbesuch blieb ohne den schlagzeilenträchtigen Durchbruch. Aber es stärkte die gegenseitige Vertrauensbasis für eine Fortsetzung der Entspannungspolitik.

Nach dem Konklave im Arbeitszimmer ging man zu Tisch, auch Schmidts Amtsvorgänger Willy Brandt, der Bonner Ost-Unterhändler Egon Bahr und Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff waren dabei. Das Menu war hanseatisch gediegen: Spargel mit Schinken, als Dessert Rumtopf. Es wurde, wie Helmut Schmidt sich erinnerte, "eine ziemlich fröhliche Runde". Als der bereits kranke Kreml-Chef eine Spritze brauchte, zog er sich mit seinem Arzt in das Badezimmer der Gastgeber zurück - es ging zwanglos zu.

Es war der harmonische Abschluss eines Staatsbesuchs, der allerdings, meteorologisch gesehen, stürmisch endete: Beim Abschreiten der Ehrenkompanie vor dem Abflug in Fuhlsbüttel musste Breschnew protokollwidrig seinen Hut festhalten - so steif war der Wind. Das politische Klima aber war frühlings-haft mild.

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