Es begann mit einer kleinen Geste, eingefangen von einer Handykamera. Im Sommer des vergangenen Jahres hielt Donald Trump in New York eine Rede, in der er über die Ereignisse in der Kleinstadt Charlottesville sprach. Dort hatten gerade Rechtsextreme protestiert, die Lage war außer Kontrolle geraten, eine Frau gestorben. Gary Cohn stand während Trumps Auftritt hinter der Bühne, er fühlte sich unbeobachtet. Als der Präsident die Gewalt verharmloste, schüttelte Cohn den Kopf, ganz leicht. Zum ersten Mal wurde den Amerikanern in jener Sekunde etwas bewusst: Zwischen Trump und Cohn, merkten sie, stimmt wohl etwas nicht.
Seither wurde in den USA immer wieder spekuliert, ob der oberste Wirtschaftsberater des Präsidenten vor dem Rücktritt steht. Nun, ein halbes Jahr nach Trumps denkwürdigem Auftritt in New York, ist es tatsächlich so weit: Cohn verlässt das Weiße Haus. Er nennt dafür keinen Grund, aber in Washington gehen viele davon aus, dass es mit den Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte zu tun hat, die Trump kürzlich ankündigte.
Cohn, ein Befürworter von Freihandel und Globalisierung, hatte sich bei diesem Thema gegen seinen Chef gestellt. Er soll versucht haben, den Präsidenten umzustimmen und die Zölle zu verhindern, zuletzt am Dienstag bei einem Treffen im Oval Office. Vergeblich. Nur wenige Stunden bevor Cohn zurücktrat, drohte Trump europäischen Autoherstellern mit einem Zoll von 25 Prozent.
Hinter Cohns Rückzug steckt damit auch eine Botschaft: Der Abgang kann als Indiz dafür gewertet werden, dass Trump bei seiner harten Linie bleiben will. Nicht nur gegenüber den Chinesen, denen er immer wieder vorwirft, Amerika mit Billig-Stahl zu fluten und auf diese Weise Arbeitsplätze zu vernichten – sondern auch gegenüber den Europäern. Die EU-Kommission will am Mittwoch über Gegenmaßnahmen entscheiden. Im Gespräch sind Zölle auf US-Waren, etwa auf Jeans, Motorräder und Whiskey.
TV-Kommentator könnte Nachfolger werden
Cohn galt als Gegenstimme zu den Protektionisten in Trumps Regierung, als einer der letzten Gemäßigten in Trumps höchstem Zirkel. Er stritt bei fast jedem Thema mit dem Handelsberater Peter Navarro und dem Handelsminister Wilbur Ross. Und zu Beginn hatte der frühere Goldman-Sachs-Manager auch Erfolg. Cohn soll es gewesen sein, der Trump im Frühjahr überzeugte, China nicht offiziell als Währungsmanipulator zu brandmarken. Er soll auch verhindert haben, dass der Präsident das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) aufkündigte und stattdessen eine Neuverhandlung in die Wege leitete.
Aber im Lauf der Zeit schien Cohn die Gunst des Präsidenten zu verlieren. Vor allem Trumps Äußerungen zu den rechtsextremen Ausschreitungen in Charlottesville sorgten für einen Knacks in ihrem Verhältnis. Bis zu seinem Kopfschütteln galt Cohn auch als Kandidat für den Posten des Notenbankchefs, der bis vor Kurzem vakant war. Am Ende entschied sich Trump aber für den Juristen und ehemaligen Finanzmanager Jerome Powell. Nur bei einem großen Thema schienen sich der Präsident und sein Wirtschaftsberater einig gewesen zu sein: bei der Steuerreform, die kurz vor Weihnachten verabschiedet wurde. Cohn gilt als Architekt der Reform, die eine deutliche Senkung der Unternehmensteuern vorsieht.
Sein Abgang ist ein Triumph für die Radikalen in Trumps Umfeld – und eine Niederlage für das Lager der sogenannten Globalisten, zu denen auch das Paar Ivanka Trump und Jared Kushner zählt. Und er könnte Auswirkungen auf die laufenden Nafta-Verhandlungen mit den Nachbarn Mexiko und Kanada haben. Ohne Cohn dürfte sich Trumps Politik auch bei diesem Thema verhärten.
Zu seinem Rücktritt teilte Cohn schriftlich mit, es sei ihm eine Ehre gewesen, dem Land zu dienen. „Ich bin dem Präsidenten dankbar für diese Möglichkeit und wünsche ihm und seiner Regierung großen Erfolg in der Zukunft.“ Trump kündigte über Twitter an, in Kürze einen Nachfolger zu ernennen. Insidern zufolge gelten Navarro und der konservative TV-Kommentator Larry Kudlow als Favoriten.