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Literatur Hugo von Hofmannsthal

Wie dieser Dichter Ihr Sprachgefühl schärft

Leitender Feuilletonredakteur
Hugo von Hofmannsthal im Jahr 1915 Hugo von Hofmannsthal im Jahr 1915
Hugo von Hofmannsthal im Jahr 1915
Quelle: picture-alliance / brandstaetter images/Austrian Archives
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Manchmal sind Worte im Munde wie modrige Pilze: Hugo von Hoffmannsthal misstraute der modernen Welt und ihrer Sprache. Er schrieb Libretti für Opern von Richard Strauss und den „Jedermann“. Nur wenige wissen, dass er die literarische Technik des Remix erfunden hat.

Der Tod – laut Szenenanweisung ein eleganter junger Mann, „den Fiedelbogen in der Hand, die Geige am Gürtel hängend“ – betritt die Szene. Und sofort sagt er etwas Unerhörtes. Unerhört überraschend und unerhört schön. An Claudio, der bald ihm folgt, richtet er die Worte: „Steh auf! Wirf dies ererbte Grau’n von dir! / Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe! / Aus des Dionysos, der Venus Sippe, / Ein großer Gott der Seele steht vor dir.“

Es sind solche Verse, die ästhetisch empfängliche Menschen treffen bis ins Mark. Sie stammen von Hugo von Hofmannsthal. Dieser Dichter, der heute vor 150 Jahren geboren wurde und 1929 starb, ist ein Mann der markanten Worte. Zitate aus seinen Gedichten, aus seinen Versdramen (wie dem obigen, betitelt „Der Tor und der Tod“), aus seinen Opernlibretti für Richard Strauss, sie prägen sich ein und verschwinden, hat man sie wachen Sinnes aufgenommen, nie wieder aus dem Gedächtnis. Sie gehören zum unverlierbaren Bestand des Klangschönen, Bedeutungsvollen, den wir in uns tragen. Ganze Generationen haben sie sich zu eigen gemacht und dem Dichter dafür eine Verehrung entgegengebracht, die bis zur Schwärmerei gehen konnte.

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Und das Seltsame war: Vieles davon hat dieser Mann, der mit vollem Namen Hugo Edler von Hofmannsthal hieß, jedoch seine ersten Veröffentlichungen mit „Loris“ zeichnete, fast noch als Halbwüchsiger aus sich herausgeschleudert. Formvollendet, mühelos, dazu im Duktus „frühgereift und zart und traurig“, um eine weitere seiner unvergesslichen Wortprägungen zu bemühen.

Er hat sie aus sich herausgeschleudert, und sie wurden sofort wahrgenommen. Sie trugen dem jungen Mann während der 1890er Jahre schnell den Status des Wunderkindes ein. Die Bewegung Jung-Wien (die nicht umsonst ein wenig nach Jugendstil klingt, der damals in der Donaumetropole in Flor stand), also Leute wie Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Felix Salten, der Erfinder von „Bambi“, nahmen „Loris“ sofort in ihre Mitte. Aber auch Maler, Musiker, Theaterleute und nicht zu vergessen Sigmund Freud wurden bald auf ihn aufmerksam und bezogen ihn mit ein in ihr „Laboratorium der Moderne“, als das man später das seinerzeitige Wien bezeichnet hat.

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Doch Hofmannsthal war nicht im damaligen Sinne modern. Er war, um es mit Nietzsche, dem Lehrmeister der Epoche, zu sagen, eher „von vorgestern und von übermorgen“. Er fühlte sich wie kein anderer Vertreter des „Jung-Wien“ zu vergangenen Epochen hingezogen. Dort siedelte er seine Werke an: in der sinkenden italienischen Renaissance sein erstes Theaterstück „Gestern“. In einem vorklassischen Griechenland seine „Elektra“, seinen ersten großen Bühnenerfolg von 1903. Aber am liebsten kehrte er schreibend in das Alt-Österreich Maria Theresias zurück, so im Libretto zum „Rosenkavalier“ oder seinem Hauptwerk in Prosa, dem unvollendet gebliebenen Roman „Andreas oder die Vereinigten“.

Anneliese Rothenberger (rechts) als Sophie und Sena Jurinac als Oktavian in der Oper „Der Rosenkavalier“ bei den Salzburger Festspielen 1965
Anneliese Rothenberger (rechts) als Sophie und Sena Jurinac als Oktavian in der Oper „Der Rosenkavalier“ bei den Salzburger Festspielen 1965
Quelle: Gerhard Rauchwetter/picture-alliance/ dpa

Hofmannsthal, der von der Ausbildung her Romanist war, darf als Genie der Anverwandlung vergangener literarischer Ausdrucksformen gelten. Und er ließ vom mittelalterlichen Mysterienspiel „Jedermann“, das noch immer alljährlich bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wird, bis zum Spanien Calderons, vom Frankreich Molières bis zum Italien Casanovas keine der großen westlichen Nationalliteraturen aus. Doch er amalgamierte sie mit seinen eigenen Themen, er schmolz sie um. Mal ging die Lust an der Parodie mit ihm durch, dann wieder ließ er sich selig zurücksinken in ein Lebensgefühl, das ihm besonders entsprach, in den Geist des Rokoko, wo sich Gelehrsamkeit mit Grazie verband, Lebensfreude mit einem leisen Grauen vor künftigen Erschütterungen untermischt war.

Der Chandos-Brief

Hofmannsthal, der an tausend literarischen Projekten gleichzeitig arbeitete (die er oftmals nur zu Ende führte, wenn ein Pragmatiker wie Richard Strauss gewissermaßen mit der Peitsche hinter ihm stand), bewegte sich hoch virtuos in der jeweiligen Kunstsprache, mit der er sich gerade befasste. Das ist umso erstaunlicher, als er im Grunde seit dem Erwachsenenalter der Sprache nicht mehr vertraute. Als sei er aus der schlafwandlerischen Beherrschung dichterischer Formen, als sei er aus dem „Traum von großer Magie“ um ein weiteres seiner emblematischen Jugendgedichte heraufzurufen, im Schock erwacht, machte Hofmannsthal um 1900 eine tiefe künstlerische Krise durch. Sie fand im berühmten „Brief des Lord Chandos“ ihren ernsten, in seinem Stück „Der Schwierige“, das man als bedeutendstes Lustspiel des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat, ihren komödiantischen Ausdruck.

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Lord Chandos spricht von seinem „unerklärlichen Unbehagen, die Worte ,Geist’, ,Seele’ oder ,Körper’ auszusprechen. „Die abstrakten Worte“ – und nun folgt wieder eine dieser einprägsamen Formulierungen – „zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.“ Und „Der Schwierige“, Hans Karl Graf Bühl, gibt zu Protokoll, er sei „durchdrungen“ von einer einzigen Wahrheit, dass es nämlich „unmöglich“ sei, „den Mund aufzumachen, ohne die heillosesten Konfusionen anzurichten“. Tja, keine besonders gute Voraussetzung fürs Schreiben, wenn man solche Überzeugungen hat (und Hofmannsthal hat selbstverständlich hier die eigene Ansicht seinen Figuren in den Mund gelegt). Wie behilft man sich da? Wie behalf sich unser Jubilar?

Der Erfinder des Remix

Nun, die eine Möglichkeit ist natürlich, in sogenannten „Konversationsstücken“ das soziale Geräusch, das Geschwätz und die Phrasenhaftigkeit der gehobenen Gesellschaft zu karikieren, wie es eben Hofmannsthals Stücke „Der Schwierige“ oder auch „Der Unbestechliche“ so amüsant und geistreich tun. Doch das sind Ausnahmen. Kongenialer war Hofmannsthal jenes schon beschriebene Verfahren, sich der diversen sprachlichen Gewohnheiten früherer Epochen zu bedienen. Und damit wurde er dann der Dichter von „übermorgen“, denn was sind seine „Ariadne auf Naxos“, sein „Rosenkavalier“, seine „Arabella“ anderes als das, was heute gefühlt jeder zweite Theaterabend auf unseren großen Bühnen bietet: moderne Bearbeitungen von Vorgefundenem, Überschreibungen – oder um es in der Sprache der Popmusik zu sagen: Remix, Mash-Up?

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Ja, Hugo von Hofmannsthal kann als Erfinder des Remix gelten, der Neumischung bereits existierender Texte und literarischer Verfahrensweisen. Aber er war dies nicht aus künstlerischem Unvermögen oder um des kommerziellen Erfolgs willen (für den sorgten die Tantiemen aus den Opern von Richard Strauss). Er war es in einer Art Flucht nach vorn aus tiefem Zweifel an allem Originären, er war es aus Verneinung jener gerade in der deutschen Literatur so hoch im Kurs stehenden Genie-Ästhetik. Hofmannsthal misstraute dem Ganzheitlichen. Er sah Literatur als etwas schon immer Zusammengesetztes. Übrigens den menschlichen Charakter auch: „In jedem von uns leben mehr Wesen, als wir uns eingestehen wollen.“

Hofmannsthals „Weltgeheimnis“

Aber – und das unterscheidet ihn nun von allen Dekonstruktivisten, die nach ihm kommen sollten – Hofmannsthal litt darunter. Er wollte weg von Fragmentierung, Dissoziation, Ich-Spaltung. Er wollte zurück zu jenem Zustand, den er, schon als Jugendlicher, in einem seiner bekanntesten Gedichte, „Weltgeheimnis“, heraufbeschworen hatte, das da beginnt mit den Versen: „Der tiefe Brunnen weiß es wohl / Einst waren alle tief und stumm, / Und alle wussten drum.“ Und dessen letzte Strophe lautet: „Der tiefe Brunnen weiß es wohl, / Einst aber wussten alle drum, / Nun zuckt im Kreis ein Traum herum.“

Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) und Richard Strauss (1864-1949), hier im Jahr 1912, waren Freunde
Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) und Richard Strauss (1864-1949), hier im Jahr 1912, waren Freunde
Quelle: Fine Art Images/Heritage Images via Getty Images

Zuckt herum: Da denkt man an das expressionistische Jahrzehnt, an frühe Stummfilme, an die „Tänze des Lasters“ einer Anita Berber, an all die künstlerischen und lebensweltlichen Experimente der Zwischenkriegszeit. Und in der Tat, sie waren Hofmannsthals Sache nicht. Er wollte nicht lösen, sondern binden. Er hatte nicht unseren verzuckerten Blick auf die talmigoldenen 1920er Jahre. Er erblickte hinter all den aufgesteilten Novitäten die ungeheure Halt- und Orientierungslosigkeit, die wahrscheinlich Österreich mehr erfasst hatte als die deutsche Gesellschaft, die moderner und seit langem in einem unruhigen Transformationsprozess befangen war. So erklärt sich Hofmannsthals Eintreten für eine „schöpferische Restauration“ Ende der 1920er Jahre und seine Verklärung der Ehe. Das hat man Hofmannsthal später als reaktionäre Verhaltensmuster übelgenommen. Doch man übersah dabei, dass eine grundlegende Vertrauenskrise, die alle Bereiche erfasst hatte, seinem Denken zugrunde lag – ähnlich unserer Situation heute.

Für Hofmannsthal gehörte „alles auf den Prüfstand“, auch das Sakrament der Ehe, auch die „konservative Revolution“. Denn noch elementarer herrschte für ihn das Gebot der Verwandlung. Nicht das Sichfestklammern am Alten konnte den Einzelnen heilen, sondern die Neuschöpfung, die jeder Mensch für sich selber leisten müsse. Goetheaner, der er war, erwartete Hofmannsthal von der Gesellschaft nichts, von der Politik gar nichts. Das Individuum war gefragt! Das war schon vorher sein Credo gewesen. Das hatte er bereits in der „Elektra“, in „Der Frau ohne Schatten“ verhandelt.

Die Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ in einer Inszenierung der Staatsoper Hamburg
Die Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten" in einer Inszenierung der Staatsoper Hamburg
Quelle: picture-alliance/dpa/Ulrich Perrey

Insofern berührt es beruhigend, dass eine neue, im Grunde die erste grundlegende Biografie überhaupt, die nun endlich aus Anlass von Hofmannsthals 150. Geburtstag versucht wird, sein Mantra „Verwandlung“ bereits im Titel trägt. „Grenzenlose Verwandlung“ haben Elsbeth Dangel-Pelloquin und Alexander Honold ihr Buch überschrieben. Aber ach, schon das Vorwort zeigt, dass sie damit die „poetische Geschmeidigkeit“ meinen, mit der der Dichter „viele Themen und Stoffe in unterschiedlichen Gattungsformen erprobt“ habe. Das greift zu kurz. Hofmannsthal ging es mit der „Verwandlung“, ganz im Sinne des Humanismus der deutschen Klassik, um ein (Selbst-)Bildungskonzept.

Die Biografie ist zu dick

Gegen das Buch spricht auch, dass es, ganz unhofmannnsthalisch, prohibitiv dick ist. Der Dichter war für „schlanke Flamme, schmale Leier“, nicht für Schwarte. Hier handelt es sich um eine germanistische Fleißarbeit. Immer wieder in umständliche Wissenschaftsprosa abgleitend, hakt es Lebensabschnitt für Lebensabschnitt, Werk für Werk ab und arbeitet dabei brav den jeweiligen Forschungsstand ein. Insofern bietet es durchaus solide Information, funktioniert als Nachschlagewerk. Doch es hat keine These, kommt schwunglos und uninspiriert daher, vor allem aber bar jeder Empfänglichkeit für die Epiphanien von Hofmannsthals unerhörter Wortkunst. So schwitzt das Oberseminar!

Wer sich über den Jubilar Hofmannsthal orientieren und nicht auf Ulrich Weinzierls süffisante „Skizzen zu seinem Bild“ zurückgreifen will, ist nach wie vor am besten beraten, wenn er zum dtv-Kurzporträt von Hans-Albrecht Koch greift. Doch wozu überhaupt „läppischer Biographismus“, wie der Portätierte selbst es nannte? Lest ihn, lasst Euch auf seine Texte ein, das ist der erste Schritt zur Verwandlung, mit der er Euch, mit der Ihr Euch beschenkt!

Elsbeth Dangel-Peloquin, Alexander Honold: Grenzenlose Verwandlung. Hugo von Hofmannsthal. S. Fischer, 896 Seiten, 58 Euro

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