Anna Maria Mühe im Interview: „Filme drehen zu dürfen, gibt mir eine unheimliche Befriedigung!“
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Anna Maria Mühe im Interview: „Filme drehen zu dürfen, gibt mir eine unheimliche Befriedigung!“

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Anna Maria Mühe kommt zu der Premiere des Films „Sophia, der Tod und ich“ im Delphi-Filmpalast.
Anna Maria Mühe bei der Premiere des Films „Sophia, der Tod und ich“ im Delphi-Filmpalast. © Gerald Matzka/dpa

Interview mit Schauspielerin Anna Maria Mühe über ihren neuen Film „Sophia, der Tod und ich“, Theaterpläne, ihre Eltern als ihre Vorbilder und warum der Tod für sie kein tägliches Thema ist.

Frankfurt - Das Talent ist Anna Maria Mühe wahrlich in die Wiege gelegt worden: Die am 23. Juli 1985 in Ost-Berlin geborene Schauspielerin stammt aus einer echten Künstlerfamilie. Ihr Vater war der unvergessene Ulrich Mühe (20. Juni 1953 in Grimma - 22. Juli 2007 in Walbeck), der am Theater u.a. als Hamlet und in Heiner Müllers „Hamletmaschine“ (1989) am Deutschen Theater in Berlin für Furore sorgte, aber auch im internationalen Film zahlreiche Erfolge feierte (u.a. „Das Spinnennetz“, 1989; „Funny Games“, 1997; „Das Leben der Anderen“, 2006). Ihre Mutter Jenny Gröllmann (5. Februar 1947 in Hamburg - 9. August 2006 in Berlin) hatte zuerst in der DDR („Ich war neunzehn“, 1968; „Die Flucht“, 1977) einen hohen Bekanntheitsgrad und spielte später im wiedervereinigten Deutschland in zahlreichen Produktionen mit, darunter mehrfach im „Tatort“. Zudem ist Anna Maria Mühe die Stieftochter von Susanne Lothar (15. November 1960 in Hamburg - 21. Juli 2012 in Berlin, ebenfalls „Funny Games“). Sie ist die Halbschwester des Fotografen Andreas Mühe (geboren am 26. November 1979 in Karl-Marx-Stadt) und die Enkelin des Bühnenbildners und NS-Widerstandskämpfers Otto Gröllmann (31. Juli 1902 in Hamburg - 12. Juli 2000 in Berlin).  

So viel Berühmtheit in der Familie kann eine Bürde sein. Doch Anna Maria Mühe ging und geht immer ihren eigenen Weg, hat sich regelrecht freigespielt. Mit 15 wurde sie in einem Berliner American Diner von der Regisseurin Maria von Heland angesprochen und zu einem Casting eingeladen. Prompt erhielt der Blondschopf die Hauptrolle in „Große Mädchen weinen nicht“ (2002). Das Filmdrama „Was nützt die Liebe in Gedanken“ (2004) über die historisch verbürgte Steglitzer Schülertragödie aus dem Jahr 1927 brachte ihr an der Seite von Daniel Brühl und August Diehl den endgültigen Durchbruch. Zahlreiche eher ätherische Frauenrollen folgten, bis sie 2016 als Rechtsextremistin Beate Zschäpe in den ARD-Fernsehfilmen „Die Täter - Heute ist nicht alle Tage“ und „Die Ermittler - Nur für den Dienstgebrauch“ zu sehen war.

Nun spielt die Mutter einer elfjährigen Tochter aus der Beziehung mit Timon Modersohn in Charly Hübners Spielfilmdebüt als Regisseur eine der Titelfiguren in der Tragikomödie „Sophia, der Tod und ich“, welche wiederum auf dem gleichnamigen Roman von Tomte-Sänger Thees Uhlmann basiert. Mit FR-Autor Marc Hairapetian, der 1998 in der Rolle eines Reporters mit ihrem Vater in dem SAT1-Thriller „36 Stunden Angst - Ein Vater kämpft um sein Kind“ drehen durfte, unterhielt sie sich in Berlin über Enttabuisierung des Themas Tod, Theaterpläne und ihre Eltern als ihre Vorbilder.

Anna Maria Mühe und FR-Autor Marc Hairapetian beim Interview im Berliner Hotel am Steinplatz.
Anna Maria Mühe und FR-Autor Marc Hairapetian beim Interview im Berliner Hotel am Steinplatz. © Rob Waters

Interview mit Anna Maria Mühe

„Sophia, der Tod und ich“ berührt bei allem Humor ein ernsthaftes Thema. Hast du das Buch, das Kult-Charakter hat, schon vorher gelesen?

Ich hab‘s vorher nicht gelesen. Erst als ich das Drehbuch hatte, habe ich den Roman gelesen.

Ist bei eurer Verfilmung deiner Ansicht nach, eine gewisse Werktreue zu sehen?

Ich glaube, es ist eine gewisse Werktreue zu sehen, in dem Sinne als dass die Annäherung mit dem Thema auf spielerische Weise und undramatisch passiert. Und ansonsten sind Sachen verändert worden, die filmisch besser funktionieren, so wie Charly das für richtig gehalten hat.

Findest du, dass man sich einer unausweichlichen Situation wie dem Tod, der uns ja allen irgendwann droht, mit einer Portion Humor nähern sollte? Ist das ein gelungener Spagat oder hast du dir manchmal gedacht „Das ist manchmal ganz schön makaber!“?

Ich habe nie darüber nachgedacht, ob es makaber wäre, weil ich finde, dass es Charly gelungen ist, einen sehr natürlichen Umgang mit diesem Thema zu schaffen. Wie du sagst, wir müssen uns alle früher oder später damit beschäftigen, aber irgendwie ist es in der Gesellschaft weiterhin ein totales Tabu. Es ist schwer, darüber nachzudenken. Es bremst, ja, es lähmt einen. Menschen haben Angst davor. Und ich finde, dass wir es mit dem Film schaffen, sich dem Thema anzunähern. Und wenn der Tod so wie Marc Hosemann daherkommt, dann finde ich ihn ziemlich gut. (lacht)

Das ganze Schauspielerensemble in „Sophia, der Tod und ich“ ist exzellent, aber mein Namensvetter Marc Hosemann, hat sich als personifizierter Tod Morten de Sarg des von Dmitrij Schaad verkörperten Reiner selbst übertroffen.

Marc ist auch toll! Er war wie eine Wundertüte. Er verstand ziemlich schnell, dass er totale Narrenfreiheit mit seiner Figur hatte. Wer kann denn nachher schon sagen „Nein, so spielt man den Tod nicht!“? Marc entwickelte eine unheimliche Spielfreude. Er hatte wahnsinnig viele Ideen. So ist er plötzlich rückwärts gelaufen und wir dachten alle: „Klar, der Tod muss rückwärts laufen.“

In der Tat sind seine staksigen Bewegungen wie aus einer anderen Welt grandios! Natürlich wurde er bleich geschminkt. Aber er war auch regelrecht sympathisch, wenn er mit Reiners Familie am Frühstückstisch sitzt. Deine Figur hingegen ist eine ganz schön resolute Person. Findest du dich darin auch selbst wieder? Von früher kennt man dich eher als ätherische Person. Später kam dann die Rolle der Beate Zschäpe, in den Fernsehfilmen  „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ und „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“ hinzu. Sie ist als Mitglied der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nicht mehr ätherisch. Ist das Resolute auch ein Teil von dir?

Ja, klar, ich bin schon jemand, der schnell ist im Denken und der schnell reagieren kann. Das ist Sophia auch. Sie ist wahnsinnig clever und lebenslustig. Dabei ist sie in der Bredouille, weil sie eigentlich getrennt ist von Reiner und jetzt auf der gemeinsamen Reise nochmals mit ihm zusammengeführt wird. Sie muss sich dem Ende der Beziehung beziehungsweise einem möglichen Anfang stellen, der natürlich nicht stattfinden wird, weil Reiner sterben wird. Aber sich in dieser Form damit auseinanderzusetzen, finde ich auch mutig.

Ich war erschrocken, als ihr alle mit Morten de Sarg auf der Bank sitzt. Dabei hatte ich trotzdem die Hoffnung, dass Reiner dem Tod doch noch von der Schippe springt.

Das wäre aber cheesy gewesen! 

Gab es eigentlich ein Casting für deine Rolle?

Wir hatten vor langem ein Casting und dann kam Corona. Danach gab es Finanzierungsschwierigkeiten … Charly hat aber immer gesagt, dass er es mit mir machen möchte. Ich fragte ihn eines Tages: „Charly, bin ich nicht zu alt irgendwann?“ Er: „Nein, ich mache es nur mit dir!“ Er ist ein sehr treuer und liebevoller Regisseur. Und ich bin sehr froh, dass ich dabei sein durfte.

Kennt ihr euch schon lange?

Ja, aber so wie wir uns bei dieser Arbeit begegnet sind, sind wir uns vorher nicht begegnet.

Wie ist er denn als Regisseur? Er hat zwar 2017 die Dokumentation „Wildes Herz“ gemacht, aber „Sophia, der Tod und ich“ ist sein Spielfilmdebüt. Ist er eher ein Stanley Kramer, der seine Schauspieler wie Blumen hegt und pflegt, oder ein Otto Preminger, der unheimlich viel fordert und auch mal am Set herumschreit?

Es gibt ja zum Glück auch Grautöne zwischen Schwarz und Weiß. Charly ist sehr umarmend in der Regiearbeit. Er liebt seine Schauspieler und Schauspielerinnen. Er war jeden Tag so glücklich und dankbar, dass wir alle zusammen diese Reise miteinander machen. Es war ein echtes Miteinander auf Augenhöhe und auch ein ehrlicher Austausch. Natürlich war er der Regisseur, der sagt, wie er es sich vorstellt. Er war aber immer unglaublich offen für das jeweilige Gefühl, das in uns war und vielleicht anders war, als es im Drehbuch beschrieben wurde. Ich mochte die Arbeit sehr.

War Romanautor Thees Uhlmann am Set?

Einmal, aber da war ich nicht da. Thees lernte ich dann beim Abschlussfest kennen. Das lag daran, dass Charly und er sich gegenseitig sehr vertrauen. Und es war klar, dass es sich beim Film um die Arbeit von Charly handelt. Thees gab es wirklich aus der Hand. Als er dann den Film gesehenen hatte, schickte er uns eine rührende und berührende E-Mail, wo er zu jedem etwas sagte. Das war wahnsinnig schön!

Ist der vorrangig on location gedrehte Film noch zur Corona-Zeit entstanden?

Ja.

Gab es Auflagen?

Ein bisschen schon. Es war noch jeden Tag am Set testen angesagt, aber die Restaurants hatten schon wieder auf. Corona war da, aber nicht mehr ganz so präsent wie im Jahr zuvor.

Wo habt ihr gedreht?

Wir haben in Brandenburg angefangen und sind dann über die Autobahn, wie es in einem Road Movie halt so ist, bis nach Bayern.

Anna Maria Mühe über „Sophia, der Tod und ich“

Hat „Sophia, der Tod und ich“ einen norddeutschen Umgang mit dem Tod?

Wahrscheinlich werden das jetzt Kenner so sagen. Für mich ist das aber ein Humor, der mir sehr nahe ist und mit dem ich etwas anfangen kann. Insofern würde ich den gar nicht verorten wollen. Ich finde den einfach gut und sehr lässig.

Denkst du, dass der Film viele erreichen und sie zum Nachdenken anregen wird? Was ist dein Wunsch, wenn du ihn als Protagonistin in die Welt hinausschickst?

Also im besten Falle trauen sich, die Menschen, die sich den Film angeschaut haben, auch auf eine unaufwändige Art und Weise sich dem Thema „Tod“ anzunähern, so wie wir das tun. Sich damit auseinanderzusetzen auch im familiären, inneren Kreis oder mit Freunden wäre ein guter Anfang. Auch dass man versucht, diese Barriere ein bisschen zu verlieren, und sich dem nicht verweigert, würde ich mir wünschen.

In unseren Gefilden, also der westlichen Welt, ist der Tod tatsächlich ein Tabuthema. Ich persönlich finde, es wird in den Medien fast immer so dargestellt, dass es der Tod der anderen ist, von dem wir mitbekommen. Dabei ist das auch unser Tod. Woran liegt das und wie kam man das ändern?

Das weiß ich nicht, wie man das ändern kann. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Vielleicht ist es so, wie du es beschrieben hast, weil wir so viele Möglichkeiten haben, die mehr für das Leben sprechen. Und dadurch ist der Umgang automatisch immer eher dem Leben als dem Tod zugewandt. 

Du bist durch den Verlust beider Elternteile leider früh mit dem Tod konfrontiert worden. Hast du selbst Angst vor dem Tod?

Nein, für mich ist Tod kein tägliches Thema, weil ich eine Tochter habe und mich mit dem nicht jeden Tag konfrontieren will. Ich habe das genug getan in meinem Leben und versuche, ihr beizubringen, das Leben zu genießen und aus dem Vollen zu schöpfen.

Was auch schön ist. Du hast gesagt, ihr habt alle bewusst nicht Thees kontaktiert. Wie ist das mit der 2018 als Mittäterin wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Beate Zschäpe gewesen? Hast du jemals Kontakt zu ihr gehabt?

Nein, nie. Das wäre überhaupt nicht möglich gewesen. In München bei den Gerichtsverhandlungen waren wir anwesend. Da bin ich ihr sozusagen am nächsten gewesen. Und ansonsten habe ich mich mit allem beschäftigt, was mir das Internet zu dem Thema geboten hat.

Die beiden TV-Filme, wo du sie 2016 gespielt hast, finde ich nach wie vor äußerst beklemmend. Hat diese Rolle für dich auch einen herausragenden Stellenwert?

Auf jeden Fall. Es ist schon eine der Figuren, die im Lauf einer Karriere sehr besonders sind.

Hast du auch Lust, wieder Theater zu spielen?

Ich habe dieses Jahr das erste Mal Theater in Berlin als Ausweichstätte für die Komödie am Kurfürstendamm am Theater am Potsdamer Platz gespielt. Es war eine helle Freude und wir kommen nächstes Jahr wieder mit „Stolz und Vorurteil“ nach Jane Austen, aber als Boulevardtheater, weil es so ein Erfolg war. Da haben auch die Parameter gestimmt. Ich habe das mit fünf ganz tollen Kolleginnen machen dürfen unter der Regie von Christopher Tölle, der sehr angenehm ist.

Charly Hübner, Dimitrij Schaad, Anna Maria Mühe und Marc Hosemann (von links nach rechts) kommen zu der Premiere des Films „Sophia, der Tod und ich“ im Delphi-Filmpalast.
Anna Maria Mühe zusammen mit Charly Hübner (links), Dimitrij Schaad und Marc Hosemann (rechts). © Gerald Matzka/dpa

Wird Anna Maria Mühe auch mal einen Film inszenieren?

Du stammst aus einer berühmten Schauspielerfamilie. Sind dein Vater Ulrich Mühe und deine Mutter Jenny Gröllmann auch deine künstlerischen Vorbilder?

In vielen Themenbereichen sind meine Eltern Vorbilder für mich.  Das liegt auch an ihrer Generation, weil diese viele besondere Schauspieler hervorgebracht hat, welche den Schauspielerberuf mit einer Ernsthaftigkeit betreiben und demütig sind, wie es mittlerweile selten vorzufinden ist. 

Als ich Anfang 20 war, hatte ich die Ehre „Psycho“-Hauptdarsteller Anthony Perkins zu interviewen. Auf meine Frage, warum er Schauspieler wurde, antwortete er mir verblüffend ehrlich: „Aus selbsttherapeutischen Gründen, um mit dem Leben fertig zu werden“. Früher hat man am Theater versucht, der Kunst zu dienen. Heute spricht man bei Film und Fernsehen viel von Selbstverwirklichung. Manche ölen damit aber nur die große Maschinerie von Soap Operas und Co. Was war dein Ansatz, Schauspielerin zu werden?

Es war auf jeden Fall ziemlich früh mein Wunsch und dann hatte ich sehr viel Glück. Es war nicht so sehr, dass ich das selbst entschieden habe. Nach dem ersten Projekt, was ich gemacht habe, „Große Mädchen weinen nicht“, war die Lust unbändig groß und stark und sie versiegt auch nicht - bis heute. Filme drehen zu dürfen, gibt mir eine unheimliche Befriedigung!

Kannst du dir am Beispiel von Schauspielerkollege Charly Hübner vorstellen, auch mal einen Film zu inszenieren?

Ich habe auf jeden Fall eine große Lust dazu, verspüre aber auch gleichzeitig das Gefühl, dass ich mir sage: „Es braucht noch ein paar Jährchen, bis ich das mache.“

Mit 38 hast du dafür auch noch ein bisschen Zeit. Kannst du mir deine Lieblingsfilme aller Zeiten verraten?

Das kann ich gar nicht gut spontan. Da setze ich mich in die Nesseln und ärgere mich später, was ich gesagt habe. Was ich aber auf jeden Fall als absolute Lieblingsserie empfinde, ist „Big Little Lies“.

Warum?

Weil von Meryl Streep über Laura Dern bis Reese Witherspoon grandiose Schauspielerinnen mit von der Partie sind, die selbst daran beteiligt waren, dieses Projekt zu stemmen und dabei eine unglaubliche Spiellust an den Tag legen.

Interview: Marc Hairapetian

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