Nikolaus Brauns
Johannes
R. Becher -
Diskrepanz
zwischen Lyrik und weltanschaulichem Engagement
Inhaltsverzeichnis:
1. Johannes R. Becher - Nationaldichter der DDR.....2
2. Von der Boh�me zur Arbeiterbewegung.....3
3. Die Erfahrung des Stalinismus.....6
4. Die Moskauer Prozesse.....9
5. Das Ausl�schen von Personen.....13
6. Das Ende der Illusion vom Realsozialismus.....15
7. Sozialist oder B�rokrat.....17
8. Anmerkungen.....22
9. Literatur- und Quellenverzeichnis.....23
1. Johannes
R. Becher - Nationaldichter der DDR:
Johannes Robert Becher, der Autor der Nationalhymne
"Auferstanden aus Ruinen", gilt als der Nationaldichter der Deutschen
Demokratischen Republik. Bekannt ist sein expressionistisches Fr�hwerk ebenso
wie die pathetische Anbetung von Stalin, Pieck und Ullbricht und die Verkl�rung
des "Ersten Arbeiter-und Bauernstaates auf deutschem Boden" in seinem
Werk. In den letzten Jahren wurde neben dem Bild des linientreuen Apparatschik
auch noch ein andereres Becherbild gefunden. In seinem Nachla� tauchten einige
Verse und Textauschnitte auf, die Kritik an den Erscheinungen des Stalinismus
erkennen lie�en. Nach au�en hin treuer Parteisoldat, hatte der erste
Kulturminister der DDR in seinen letzten Lebensjahren l�ngst nicht mehr die
Illusionen vom Sozialismus und dem "Paradies der Werkt�tigen in der
Sowjetunion", die seine am laufenden Band ver�ffentlichten Gedichte
vorspiegelten.
Die vorliegende Untersuchung will genauer Bechers
Lebensweg vom expressionistischen Boh�mien zum gl�ubigen Sozialisten und zum
stalinistischen Funktion�r beleuchten. Bechers Entwicklung in der
sozialistischen Arbeiterbewegung, wie auch seine Rolle im stalinistischen
System soll dargestellt werden. Dabei werden auch die von Becher selbst
nicht� ver�ffentlichten Texte und
Gedichte ber�cksichtigt, mit denen er Kritik am real existierenden Sozialismus
�bte.
Die Frage mu� gestellt werden, wie Bechers
Pers�nlichkeit durch seine Erfahrungen mit dem Stalinismus verk�mmerte, ab wann
er nur noch im Sinne der herrschenden B�rokratie, deren Mitglied er war,
funktionierte und wie weit er noch an die �u�ere Fassade von Sozialismus und
Freiheit glaubte, mit der sich die DDR und die Sowjetunion schm�ckten und deren
Herold er war. Jenseits von dem im DDR-Unterricht verbreiteten Becher-Bild
besteht nach dem Zusammenbruch der DDR nun die M�glichkeit, neben der
stalinistischen Ikone, zu der Becher selbst nach seinem Tod 1958 verkam, seine
inneren Widerspr�che herauszuarbeiten und sein Wirken in einem kritischen Licht
zu sehen. Es gilt, die Diskrepanz zwischen Bechers �u�erem Handeln als
gehorsamer Parteifunktion�r und den oft der Selbstzensur zum Opfer gefallenen
Teilen seines lyrischen Werkes herauszuarbeiten.
Eine Neudarstellung Bechers soll dabei nicht die
kulturellen Verdienste des Lyrikers schm�lern, sondern es erm�glichen, ein
realistischeres, facettenreicheres Bild des Dichterfunktion�rs zu bekommen.
Gerade Bechers kritische �u�erungen in seinem Nachla� k�nnen dazu beitragen,
das eindimensionale Bild, das sowohl in der DDR wie auch im Westen
vorherrschte, zu erg�nzen. Nicht zuletzt die autobiographischen �u�erungen von
DDR-Dissidenten wie Walter Janka oder Hans Mayer k�nnen dieses Bild kritisch
beleuchten.�� So hat gerade die
Ver�ffentlichung der Erinnerungen Walter Jankas, "Schwierigkeiten mit der
Wahrheit", eine gewisse Debatte �ber die Person Bechers ausgel�st.1���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Carsten Gansel, der Herausgeber einer Zusammenstellung
von Bechers Gedichten und Schriften betont dabei: "Das Aufdecken von
"Stellen", die Auskunft �ber Bechers Feigheit, Kleinmut, Eitelkeit
geben oder die Addition seiner vielen Schlechten Reimereinen ist keine Basis
f�r eine komplexe Sicht auf Bechers Leben und Werk. Wird die Geschichte als
eine von der "Jetztzeit" geladene Konstruktion verstanden, dann sind
Grenzen der wertenden Betrachtung anzuerkennen."2
F�r Gansel ist dabei die" Gesamtstruktur von
Bechers Pers�nlichkeit -Herkunft, Werdegang, emotional-geistiger Charakter,
Grunderlebnisse und Widerspr�che-" geradezu exemplarisch "f�r
k�nstlerische, politische, menschlich-moralische Wege wie Irrwege im 20.Jahrhundert."3
So soll diese Arbeit auch dazu beitragen, die Figur
des Dichters und Funktion�rs zu verstehen, ganz im Sinne von Walter Janka, der
fordert: "�berlassen wir es den Germanisten und Historikern, Bechers Werk
und Person historisch einzuordnen:"4
2. Von der
Boh�me zur Arbeiterbewegung:
Bechers Fr�hphase als Dichter ist gepr�gt vom
expressionistischen Stil, wie ihn die Boh�me-Dichter der M�nchner und Berliner
Literatencaf�s betrieben. Pr�gend f�r diese Phase ist Bechers Morphiumsucht und
der versuchte Doppelselbstmord mit seiner einige Jahre �lteren Freundin, der
mit dem Tod der jungen Frau und einer schweren Verletzung des damals
19-j�hrigen Bechers endete. Auch der Konflikt mit Bechers Vater, einem M�nchner
Oberlandgerichtspr�sidenten, scheint pr�gend f�r den jungen Literaten gewesen
zu sein.5
Den Beginn seiner k�nstlerischen T�tigkeit ordnet
Becher in das Jahr 1913 ein, als er Mitherausgeber der Zeitschriften
"Revolution" und "Neue Kunst" wurde. Einige der� Gedichte dieser Zeit, die noch kaum
politischen Inhalt hatten, sondern vielmehr die "typisch"
expressionistischen Themen "Gesellschaftsekel" und "Aufruhr
gegen die Spie�b�rger" behandelten, fanden in die 1920 erschienene
Sammlung� "Menschheitsd�mmerung -
Symphonie� j�ngster Dichtung"
Eingang, mit der Kurt Pinthus ein bleibendes Dokument des Expressionismus
schaffen sollte.6
Bechers erste politisch motivierte Werke entstehen
dann unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges 1914. Becher bezeichnet diese
Schriften und Gedichte in einem 1936 im sowjetischen Exil verfa�ten Lebenslauf
selber als "pazifistisch-def�tistischen Kampf gegen den imperialistischen
Krieg".7
In "Gedichte
f�r ein Volk" verk�ndet Becher:
"Und
aufgerufen habe ich die V�lker Europas zur einfachen, br�derlichen, zur ganz
nat�rlichen Liebe, zur Liebe Mensch an Mensch; zum eindeutigen, unanfechtbaren
Glauben von der Evolution der Menschheit, vom Weg zu Gott, restlos bewiesen
durch die Geschichte, zum �berherrlichen Endsieg der guten Idee. ...
Ausstrahlend
die Hymne der Verbr�derung, verk�ndend hier ebenso wie dort schon ein exaktes,
schneidendes, peitschendes Vorw�rtskommando: Hydratuben des k�mpferischen
Geschlechts voll Trommel-Gewimmer: hinweg �ber alle Depressionistischen,
Zwitterhaften, Ungreifbaren, Unplastischen, Beschaulichen, Dekadenten, Exzentrischen,
Lyrischen, Egozentrischen, Literarischen, K�nstlerischen, Anarchistischen,
Passiven, Mimosenhaften, Pazifistischen, Privaten ... hinweg �ber sie alle und
heran - hinauf - empor mit euch Imperativsten, Expressionisten, Hellst�ugigen,
Morgendlichen, immer Attackenhaften, Athleten, Ethischen, Repr�sentativen,
Organisatorischen, Sozialistischen, Unpers�nlichen, Totalen, Eindeutigen,
Weiblosen, Fabelhaften, den M�nnern! den Politikern! den T�tern!"8
Bechers Sprache ist noch die Sprache einer expressionistischen
K�nstlerrevolte. Wild schmei�t er politische Schlagworte mit literarischen
zusammen, sein Aufruf zur Verbr�derung ist weniger ein politisches Pamphlet,
als ein dichterisches Aufbegehren gegen die Welt und den Krieg.
Noch im Mai 1917 empfiehlt der Dichter dem
Insel-Verlag, auf den Abdruck einiger seiner Gedichte zu verzichten, da hier
ein "politisches Programm" verk�ndet werde. Unter den genannten
Gedichten war auch das Werk "Der
Sozialist", das deutlich Aufschlu� �ber Bechers Erl�sungsglauben gibt,
in dem er auch schon einen - nat�rlich noch keineswegs marxistischen -
Sozialismus einschlo�. So lauten da Verszeilen: "Heiliger Mann, Sozialist" und "Armes Vieh! Mein Sozialist! / Sie beten zu dir. Du bist
erf�llt."9
Ein solcher, rein gef�hlsm��iger und utopischer
Sozialismus ist es, der den Dichter 1916 dazu bringt, sich der wegen ihrer
Kriegsgegnerschaft von der Sozialdemokratie abgespaltenen "Unabh�ngige
Sozialdemokratische Partei Deutschlands", USPD, anzuschlie�en. Die
Oktoberrevolution der Bolschewiki in Ru�land, die eine breite Wirkung auf
K�nstler und Politiker auch in Deutschland hatte, rei�t auch Becher mit sich.
Sein "Widmungsblatt zur russischen
Revolution 1917" ist erf�llt von euphorischer Militanz:10
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Augen zu: La�t Guillotinen spielen!
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Menschenkn�uel �bern Platz gefegt -
�
Da� die Strahlen eurer Finger zielen
�������������� Durch den Raum ins Herz der Kaiser schr�g!!
Gansel urteilt �ber den "Sozialismus"
Bechers: "Bechers weitere Ann�herung an sozialistische Ideen erfolgt
sporadisch und basiert noch kaum auf der Besch�ftigung mit marxistischer
Theorie. Hier wirkt vielmehr eine anarchisch-neuromantische Intention weiter,
... ."11 So f�hrt der Dichter selber an, bei seinem Eintritt
in den revolution�r-marxistischen "Spartakusbund" 1917 in Jena eine
"rein gef�hlsm��ige Verbindung mit der revolution�ren Bewegung, ohne die
geringste Kenntnis des Marxismus"12 gehabt zu haben. Gleichwohl war er der erste deutsche
Dichter, der 1917 die russische�
Revolution mit einem Gedicht, dem "Gru�
des deutschen Dichters an die Russische F�derative Sowjet-Republik"13,
feierte.
Noch stark religi�s ist auch die Sprache in der 1920
in der "Menschheitsd�mmerung" und im politischen Gedichtband "An
Alle" erschienenen "Hymne auf Rosa Luxemburg"14. Die von Freikorps ermordete Kommunistin wird f�r
Becher zur heiligen Erl�sergestalt, die er preist mit Versen wie:
Durch die Welten rase ich -:
Den geschundenen Leib
Abnehmend vom Kreuz,
In weichste Linne ihn h�llend
Triumph dir durch die Welten blase ich:
Dir, Einzige!! Dir, Heilige!! O Weib!!!
In dieser Phase wird f�r Becher sozialistische
Revolution und transzendentale Erl�sung eins. Trotz anf�nglicher Arbeit in der
neugegr�ndeten "Kommunistischen Partei Deutschlands" verf�llt Becher
in den Jahren 1920 bis 1922 einem "Gottsuchertum" mit stark
religi�sen und katholischen Tendenzen. Gansel wertet dieses Gottsuchertum
folgenderma�en: "Die Hauptlinien der Pers�nlichkeitsstruktur Bechers
bleiben auch in der "Gott"-Phase erhalten. Die Bibel, die Moderne,
geistige Str�mungen, Gott, Paradies, Natur, Anarchismus, Revolution dienen ihm
-� in Abh�ngigkeit von der
Befindlichkeit - als Chiffren der HALT-SUCHE, der Hoffnung nach einer festen
Gemeinschaft, aber auch immer zugleich zur Selbststilisierung und nazistischen
�berh�hung."15
1923 bindet sich Becher dann wieder organisatorisch an
die KPD. Bis zu seinem Tode 1958 wird er ein Funktion�r f�r Kulturarbeit in der
Kommunistischen Partei und sp�ter der "Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands" bleiben. Dabei scheint gerade das Ungeordnete, Explosive des
Expressionismus der Ausl�ser f�r eine so starke organisatorische Bindung des
Dichters an die n�chterne marxistische Bewegung gewesen zu sein. Gansel
analysiert: "Bechers Entwicklung zum kommunistischen Dichter und Funktion�r
hat viele Quellen. Wahrscheinlich liegt ein Keim bereits in der fr�h
aufgehobenen Bindung an das Elternhaus, die ebenso ein Vakuum hinterlie�, wie
die Boh�mienzeit. Die jahrelange Haltlosigkeit provoziert als eine Art
Gegenbewegung den Drang nach Ordnung und Disziplinierung. Zudem findet das
emotional gepr�gte dualistische Weltbild der Fr�hphase mit seinen
Gut-B�se-Schemata im Marxismus scheinbar eine rational-wissenschaftliche
Erkl�rung."16 Erst das strikt geregelte Parteileben in der KPD gab
Becher die notwendige Umgebung, in der er arbeiten konnte, ohne in die
Versuchung von Morphium oder einem zu exzessiven� Lebenswandel zu verfallen. So erkennt der� Dichter�
erleichtert:�� "Mein� Leben hat, was� Freunde� und Bekannte
anbetrifft, eine vollst�ndige Wendung genommen. Das Caf�haus ist vorbei, die
lustige K�nstlerei und Schwabingerei ist vor�ber. Ich habe jede Minute zu tun.
Ich habe zu funktionieren, ..." 17
Die kommunistische Bewegung und der wissenschaftliche
Sozialismus bieten sich f�r Becher also als L�sung, da er hier den geordneten
Ausweg aus der Erfahrung des Chaos im Boh�meleben und der expressionistischen
Dichtung ebenso findet, wie eine seinen Heilserwartungen entsprechende
Zukunftsvision.
Wichtig f�r das Verst�ndnis von Bechers
Pers�nlichkeitsstruktur auch als kommunistischer Parteifunktion�r ist auch sein
Bekenntnis: "Ich sage nicht: Ich habe mich in meiner Substanz ge�ndert.
Diese Triebe aber, die sich fr�her v�llig anarchistisch austobten, sie haben
sich anderen Kr�ften untergeordnet, und so beherrscht sind sie weder f�r mich
noch f�r andere gef�hrlich."18
Von nun an beginnt Bechers Laufbahn als gehorsamer
Funktion�r der KPD und ihrer Kulturorganisationen. Zuerst Mitglied im
"Schutzverband Deutscher Schriftsteller" wird er 1928 erster
Vorsitzender des "Bundes proletarisch-revolution�rer Schriftsteller"
und dann Pr�sidiumsmitglied der "Internationalen Vereinigung der
Revolution�ren Schriftsteller". Dazu kommt nun auch das Studium des
Marxismus-Leninismus.
In diese Zeit fallen lyrische Werke wie das Gedicht "Am Grabe Lenins"19 das Becher im Auftrag der Partei 1924 zum Tode des
Begr�nders der Sowjetunion verfa�te. Becher sieht seine Aufgabe als K�nstler
nach der leninistischen Lehre als "Ingenieur der menschlichen Seele",
der Seite an Seite mit Arbeitern und Wissenschaftlern f�r den Aufbau des
Sozialismus k�mpft.
Nach der Macht�bernahme durch die Nationalsozialisten
geht Becher nach Paris in die Emigration, um dort im Auftrag der
Kommunistischen Internationale die Gr�ndung einer neuen Vereinigung fortschrittlicher
Schriftsteller gegen den Faschismus vorzubereiten.
3. Die
Erfahrung des Stalinismus:
Wie viele deutsche Kommunisten geht auch Becher Mitte
der 30er Jahre ins sowjetische Exil nach Moskau. Der Dichter war sicherlich von
echter Dankbarkeit f�r die Sowjets erf�llt. Davon zeugen Gedichte wie der "Dank an die Freunde in der
Sowjetunion".20 Doch das Moskauer Exil war auch eine Zeit der
schlimmsten stalinistischen Exzesse. Die "S�uberungen" tobten und
auch die deutschen Exilanten waren im starken Ma�e von diesem Terror bedroht.
Einige von Bechers engsten Mitarbeitern wie Hans G�nther und Karl Schm�ckle von
der Redaktion der "Internationalen Literatur" sollten Opfer der
Repressalien werden. Auch dem Dichter Becher wurde mi�traut. Eine Ausreise zum
Schriftstellerkongre� in Madrid wurde ihm untersagt.21 Da�
Becher die Exilzeit unbeschadet �berlebte, soll er vor allem der sch�tzenden
Hand des f�hrenden Mitexilanten Walter Ulbricht zu verdanken haben.
Sp�ter hat sich Becher der Stimmung aus Angst, Terror
und gegenseitiger Bespitzelung, die er im Exil erlebte, in einigen Gedichten
angenommen. Sie wurden auf Bechers Wunsch nicht in sein Werk aufgenommen. Am
eindringlichsten beschreibt wohl das Gedicht "Licht und Finsternis" die damaligen Empfindungen des Dichters.22
Licht
und Finsternis
Zur h�chsten Menschenw�rde sich
erhebend,
Ein ganzer Mensch und �berlebensgro�,
Zugleich erniedrigt, zitternd und
erbebend
Vor �ngsten n�chtlich, nichtig,
w�rdelos:
So haben wir gelebt in jenen Jahren.
Wir wuchsen auf zu einer �bermacht
Und waren machtlos, wie wir niemals
waren,
Denn keine Macht half uns vor dem
Verdacht:
Ein jeder war dem anderen verd�chtig,
Ein jeder war des anderen ungewi�,
- So hoch gestiegen und so
niedertr�chtig! -
War unsre nicht die gr��te der Epochen?
Und wessen T�r wird heute Nacht
erbrochen?
So lebten wir in Licht und Finsternis.
Dieses Sonett Bechers lebt insbesondere von dem
starken Kontrast, der Dialektik von "Licht und Finsternis". So sieht
Becher gleich zu Anfang die h�chste Menschenw�rde, die der Kommunismus zu
verwirklichen verspricht. "�berlebensgro�" stellt er sich in seiner
Propaganda dar, der "neue Mensch", der Sowjetmensch. Im krassen
Gegensatz zu dieser Vision des Menschen im Sozialismus steht aber das Bild, das
sich tats�chlich bietet. In der Gesellschaft, die anstrebt, eine freie und
klassenlose zu werden, ist der Mensch "erniedrigt, zitternd und
erbebend".
Von diesem Bild des Sowjetmenschen geht Becher �ber
zur Situation der Exilanten in Moskau w�hrend der 30er und 40er Jahre. Die
Angst vor Stalins H�schern w�hrend der gro�en "S�uberung" betraf auch
die deutschen Fl�chtlinge vor dem Faschismus. Aufgewachsen "zu einer
�bermacht" als antifaschistische Vertreter ihres Volkes, das selber einem
verbrecherischen F�hrer folgte, sahen sich die kommunistischen Fl�chtlinge, die
die Propaganda als die Besten ihres Volkes pries. Obwohl sie in dem Land waren,
das sie in ihren Versen und Schriften als das Paradies der Werkt�tigen
gepriesen hatten, lebten sie in Angst und Mi�trauen. Dem Licht des sicheren
Exils folgt die Finsternis von gegenseitigem Mi�trauen und Verfolgung. "So
hoch gestiegen" zur selbsternannten sozialistischen Gesellschaft, zur
kommunistischen Avantgarde des Volkes, und doch "so niedertr�chtig",
da� sie sich im Klima der Angst selbst zerfleischen, so empfanden die
Fl�chtlinge die Situation des Exils. Hier die neue Qualit�t der sozialistischen
Gesellschaft, dort der Mensch mit seinen atavistischen Trieben, der des
Menschen Wolf ist.
Klar wird der Widerspruch benannt zwischen der
"gr��ten der Epochen", also dem Aufbau des Kommunismus und der
elementaren Angst der Menschen in diesem System. Versprach der Stalinsche
Sozialismus die Freiheit von materieller Not und den Schutz vor dem Ansturm des
Faschismus, so konnte er den in ihm Lebenden nicht die Ungewi�heit und Angst
vor eben diesem Sozialismus nehmen.
In einem Aufsatz �ber Becher schreibt� Matias Mieth zu "In Licht und
Finsternis": Das Sonett In Licht und
Finsternis ist ein Versuch� - ganz
im Sinne von Bechers 'Philosophie des Sonetts' - , in der Darstellung des
Sozialismus als Einheit von neuer gesellschaftlicher Qualit�t und neuer
tragischer Widerspr�chlichkeit zur Synthese von Hymnischem und Elegischem zu
gelangen. Es stellt insofern auch eine Verabschiedung jener 'realistischen
Visionen' dar, die mit dem Planetarischen
Manifest und Schritt der
Jahrhundertmitte Bechers letzten Gedichtband abschlossen."23 So ist
dieses Sonett auch ein negativer Gegenentwurf zur positiven Utopie der meisten
Gedichte Bechers auf den Sozialismus.
Hier zeigt der Dichter, da� der Sozialismus, den er
selbst miterbaut hatte, keine Freiheit vor pers�nlicher Verfolgung� und so keine Freiheit vor Angst und
Ungewi�heit schaffen konnte.
Eindeutig �berwiegen hier in dem Gedicht die schwarzen
Seiten. Becher sieht das Licht dieser Zeit und ist dankbar f�r das Asyl vor dem
Faschismus, doch belastet die Finsternis die Errungenschaften zu stark, als da�
das Positive dieser Epoche �berwiegen k�nnte. Mit dem Wort
"Finsternis", die sich tief in das Bewu�sein Becher eingegraben
hatte, schlie�t auch das Sonett.
Das Gedicht ist in der "Wir"-Form
geschrieben. So sieht sich Becher nicht allein, sondern seine Situation und
Empfindung war die aller Exilanten und der Sowjetb�rger in dieser Epoche
stalinistischen Terrors. Becher nimmt sich und die Seinen nicht bei den
positiven Seiten aus, die er mitgestaltet hat, aber er sieht sich zugleich als
das Opfer dieses Systems.
Dieses Gedicht steht f�r den Realismus Bechers, der
hier ehrlich zu sich selbst zugibt, da� in seinem sozialistischen Traum auch
starke Schattenseiten existierten, die nicht verschwiegen werden k�nnen. So
schrieb Becher in einem vor dem Druck zur�ckgezogenen Manuskript zum "Poetischen Prinzip"24, das er unter dem Einflu� des XX.Parteitages der KPDSU
verfasste: "Der Grundirrtum meines Lebens bestand in der Annahme, da� der
Sozialismus die menschlichen Trag�dien beende und das Ende der menschlichen
Tragik selber bedeute. ... Es ist so, als habe mit dem Sozialismus die
menschliche Trag�die in einer ganz neuen Form ihren Anfang genommen, in einer
neuen, ganz und gar bisher ungeahnten und von uns nicht �bersehbaren. Der
Sozialismus hat erst die menschliche Tragik in Freiheit gesetzt."25 Und an
anderer Stelle beschreibt er diesen innern Zwiespalt von "Licht und Finsternis":
"Aber ebenfalls m�chte ich nicht verschweigen, da� in demselben Ma�e, wie
ich Stalin verehrte und liebte, ich von Grauen ergriffen worden bin angesichts
gewisser Vorg�nge, die ich in der Sowjetunion erleben mu�te. ... Wie zwei Welten standen sich die Gr��e und
das Entsetzliche entgegen."26
(Hervorhebung von N.B.)
Diese Erkenntnis hat Becher in Moskau am eigenen Leib
erfahren m�ssen. Er verdammt die Sowjetunion nicht, weigert sich aber, nur die
positiven Seiten wahrzunehmen. �ffentlich gemacht hat Becher allerdings weder
das Gedicht noch die kritischen Aufzeichnungen. Diese Aufarbeitung des Erlebten
erfolgte nur f�r die eigen Schublade und kann so nicht als wirksame
Aufarbeitung gesehen werden. Und so mu�te Becher bis an sein Lebensende mit der
im Gedicht angesprochenen Angst leben.
4. �ber die
Moskauer Prozesse:
Als Emigrant wurde Johannes R. Becher Zeuge der
Moskauer Schauprozesse der drei�iger Jahre, in denen sich Stalin nahezu der
gesamten alten Mitk�mpfer aus der Revolutionszeit entledigte. Unter der Anklage
des "Trotzkismus" und "Terrorismus" wurden alle
Bolschewiki, die Stalin nur im Entferntesten als Konkurrenten gef�hrlich werden
konnten, mit den absurdesten Vorw�rfen angeklagt und vielfach mit Hinrichtung
oder Arbeitslager beseitigt. Vom "Proze� der Sechzehn" im August 1936
bis zum "Proze� der Einundzwanzig" im M�rz 1938 erschienen auf der
Anklagebank alle diejenigen M�nner, die einst im Politb�ro Lenins sa�en. Die
einzigen Ausnahmen waren Trotzki, der ins Exil gegangen war und Stalin, der Urheber
der Schauprozesse.
Am erstaunlichsten f�r die Welt�fffentlichkeit war die
Tatsache, da� die meisten Angeklagten scheinbar bereitwillig �ffentliche Reue
f�r die ihnen zur Last gelegten Verbrechen bekundeten und gestanden, der
Sowjetunion in jeder nur denkbaren Weise geschadet zu haben, Terrorakte
durchgef�hrt zu haben und imperialistische Agenten zu sein.
Der Emigrant Becher leistete sich hier einen der
gr��ten Fehler seine Karriere in der kommunistischen Bewegung. Gerade die
Sitzung des sowjetischen Schriftstellerverbandes, die zu einer verordneten
Jubelfeier f�r die Todesurteile im "Proze� der Sechzehn" wurde,
verlie� der Dichter fr�hzeitig. Diese Tatsache, eigentlich bedeutungslos, doch
im damaligen Klima von gegenseitigem Mi�trauen und Bespitzelung von
entscheidender Bedeutung, erregte derartigen Mi�fallen, da� Becher selber
kurzzeitig durch die S�uberungspolitik gef�hrdet wurde und sein
"Fehlverhalten" auch in seine Kaderakte gelangte. Seinem Mitarbeiter
in der Redaktion der "Internationalen Literatur", Hans G�nther,
kostete das verfr�hte Verlassen dieser Sitzung tats�chlich das Leben, als er
unter diesem Vorwand in ein Lager eingeliefert wurde.27 Dennoch
�u�erte Becher keinerlei �ffentliche Kritik am stalinistischen Terror, was auch
nur unter Lebensgefahr m�glich gewesen w�re.
Im Gegenteil, in dem Versepos "Der Gro�e
Plan"28 von 1931 rechtfertigte Becher sogar noch auf zynische
Weise die Erschie�ung der Angeklagten im Schachty-Proze�� gegen die sogenannte
"Industriepartei" von 1930. In Wirklichkeit wurden die Angeklagten
damals nur zu Haftstrafen verurteilt.
Wenn man die hier
An die Wand stellt
Ist es, um
Einen Dreck abzutun
Eine schmierige Sache.
In
einem der Gedichte, die Becher nach dem XX.Parteitag der KPDSU 1956, also nach
der Aufdeckung einiger Verbrechen Stalins durch Chrustschow und der
Rehabilitierung einiger der Opfer der "Moskauer Prozesse", schrieb,
wagt er sich auch kritisch an die Thematik der Schauprozesse. Das Gedicht
"Der Getreue"29 geh�rt zu denjenigen Schriften Bechers, die er nie
zur Ver�ffentlichung gab. Es erschien erst 1972 lange nach dem Tod Bechers.
Der
Getreue
"Schuld auf sich nehmend gilt es
aufzudecken
Das Spiel des Feinds ... und darum der
Beschlu�.
Das Urteil wird man nur zum Schein
vollstrecken ..."
Da sprach er, der Getreue: "Ja, ich
mu�!"
Und war bem�ht, als vor Gericht er
stand,
Die eigen Schuld eindringlich
darzulegen,
Und auf sich selber wies er mit der Hand
Und er bewies - und nahm wortlos
entgegen
Das Todesurteil, wie beschlossen war ...
"Welch ein Proze�! Und ich durfte
ihn gewinnen
F�r euch, ihr Freunde! ...O, wie
wunderbar:
Ihr lebt in mir und ich in euch tief
innen!"
Da f�hrten sie ihn einen Gang entlang.
Wohin des Wegs? - Es war sein letzten
Gang.
In diesem Gedicht versucht Becher, die psychologischen
Gr�nde f�r das nach au�en absurde Verhalten vieler Angeklagter vor Stalins
Richtern zu ergr�nden.
Es scheint der Fall des Kommunisten Rajk angesprochen
zu werden. Dieser war mit dem Hinweis auf die Parteidisziplin gezwungen worden,
ein falsches Gest�ndnis abzulegen, um ihn dann zum Schein zum Tode zu
verurteilen. Nach seinem Proze� wurde Rajk hingerichtet.
Der Titel des Gedichtes, "Der Getreue", kann
aber f�r nahezu jeden der einstigen Mitk�mpfer Lenins und Stalins stehen, die
in den Prozessen ermordet wurden: Revolution�re und Bolschewiki der ersten
Stunde wie Sinowjew, Radek oder Bucharin, die bis zu ihrem Tod Kommunisten
blieben, "Getreue" der Partei, die sie erbaut hatten und der
Revolution, f�r die sie gek�mpft haben.
Die ersten drei Verszeilen, in w�rtlicher Rede
dargestellt, k�nnen als die Begr�ndung der Parteif�hrung f�r den Proze� gesehen
werden, sicher aber nur in der Einbildung des Angeklagten. Der Angeklagte in
seiner Subjektivit�t als Kommunist sieht sich pl�tzlich von seinen einstigen
Genossen vor ein Gericht gezerrt. Die f�r ihn unfa�bare Anklage lautet
vielleicht "Feind des Sozialismus". In� dieser Situation erscheint dem Angeklagten die kommunistische
Staatsraison als einzige m�gliche Ursache seiner Lage. Er kann sich nicht
erkl�ren, warum seine eigenen Genossen pl�tzlich gegen ihn sind. Der Fehler
kann auch nicht in der Partei und der Sowjetunion zu finden sein, den diese hat
er schlie�lich mitgeschaffen und er kann nicht zugeben, da� hier
mittlerweile� eine Entartung
stattgefunden hat. So mu� es der Gegner, also der Imperialismus und seine
Agenten in der Sowjetunion, sein, wegen dem ein solcher Proze� durchgef�hrt
wird. Daraus kann der Angeklagte dann die Hoffnung sch�pfen, es ginge nur um
den echten Feind des Sozialismus, der so entlarvt werden sollte, und so w�rde
das Urteil gegen ihn, der ja im Sinne der Partei handelt, nat�rlich nie
vollstreckt.
In diesem "Ja, ich mu�!" dr�ckt sich die
absolute �berzeugung des "Getreuen" aus, seine Partei k�nne gar nicht
fehlliegen mit der Anklage gegen ihn und die Aussage sei seine revolution�re
Pflicht. Auch wenn dem Einzelnen die Logik des Prozesses, seine Notwendigkeit
nicht voll bewu�t ist, so unterwirft er sich doch in dem vollen Glauben, im
Sinne der allwissenden Partei dem Sozialismus einen Dienst zu erweisen.
Die in den Moskauer Prozessen abgeurteilten
Kommunisten sahen sich vor dem Widerspruch, die Unwahrheit der Anklagen
genaustens zu kennen, nicht jedoch sich eingestehen zu wollen, da� der Grund
f�r so eine Situation die� Entartung der
Revolution unter Stalin war. H�tten sie sich dies eingestanden und �ffentlich
zugegeben, da� mit Stalin der Totengr�ber des Sozialismus an der Spitze der
Sowjetunion stand, h�tten sie sich fragen m�ssen, wie weit ihre Schuld an der
Degeneration der Sowjetunion geht und ob sie nicht zulange Komplizen des
Diktators waren.
Mit dem Jubelruf�
"Welch ein Proze�! Und ich durfte ihn gewinnen" des
Angeklagten nach Verk�ndung des Todesurteils deutet Becher die eigentlich
groteske Situation der Schauprozesse an. Mit der �berschwenglichen und somit
unglaubw�rdigen Freude des Verurteilten zeigt sich, wie sehr die Angeklagten
bem�ht waren, sich einzureden, sie h�tten im Sinne des Sozialismus gehandelt,
wenn sie sich wider besseres Wissen f�r schuldig erkl�rten. Vielleicht will der
"Getreue" aber auch gerade mit diesem unglaubw�rdigen Jubel nach
au�en zu erkennen geben, da� er unter Zwang handelt.
Ein wirkliches Eingest�ndnis der Situation und der
Verbrechen des Stalinismus h�tte den Verurteilten ihre letzte Hoffnung
genommen, f�r eine gerechte Sache gelebt zu haben.
So kann die in den ersten drei Strophen aufgebaute
Absurdit�t erst in den letzten zwei Zeilen aufgel�st werden. Was der Leser
schon ahnte - es handelte sich nat�rlich nicht um ein Scheinurteil - erf�llt
sich. Der letzte Gang des Getreuen f�hrt zur Hinrichtung. Die stalinistische
Logik der Schauprozesse hat funktioniert, wie auch der "Getreue" als
braver Parteisoldat funktionierte. Der Angeklagte hat bis zuletzt mitgespielt
im Irrglauben, dies w�re ein Dienst, den er dem Sozialismus noch bieten k�nne.
In diesem Sinne ist es hinf�llig, ob der Angeklagte im Proze� eine Taktik der
Partei vermutete, oder den verbrecherischen Charakter der S�uberungen zwar
erkannte, aber nicht bereit war, diese nach au�en hin zu gestehen.
Auch f�r Johannes R. Becher stellt sich so die Frage,
ab wann er den verbrecherischen Charakter der Schauprozesse durchschaute. War
sein vorzeitiges Verlassen der Sitzung, auf der die Urteile bejubelt wurden,
politisch motiviert oder ein Zufall? Schwieg Becher aus Angst oder aus
�berzeugung? Vermutlich war es Angst, die Becher davon abhielt, das Gedicht "Der Getreue" nach dem
XX.Parteitag zu ver�ffentlichen. Zwar war es nun erlaubt,� die Moskauer Prozesse �ffentlich zu
kritisieren, doch das stalinistische System existierte weiter und auch in der
DDR gab es immer wieder Prozesse gegen echte oder vermeintliche Regimegegner,
die in ihren Mechanismen �hnlichkeiten zu den Moskauer Tribunalen aufwiesen.
Dies war wohl der Grund, warum Becher auch nach 1956 nicht bereit war,
�ffentlich �ber die Prozesse zu reden und die Selbstzensur das Gedicht "Der Getreue" in der Schublade
verschwinden lie�. Schlie�lich hatte der Kulturminister Becher geschwiegen, als
der Schriftsteller und Kommunist Walter Janka wegen angeblicher konterrevolution�rer
Bestrebungen in der DDR verhaftet und ins Gef�ngnis gesperrt worden war.30 Obwohl
Becher die Absurdit�t der Anklage wissen mu�te und es durchaus in seiner Macht
gelegen h�tte, sich f�r Janka einzusetzen, �bte er lieber �ffentliche Selbstkritik
wegen seiner fr�heren Kontakte zu ihm und schwieg. Auch zu den Prozessen gegen
weitere Intellektuelle in der DDR und den Anklagen gegen seinen einstigen
Freund Georg Luk�cs nach dem Arbeiteraufstand in Ungarn 1956 schwieg Becher,
oder er trug die Vorw�rfe in der �ffentlichkeit sogar mit.31
5. Das
Ausl�schen von Personen:
Mit den Stalinschen S�uberungen befa�t sich auch ein
weiteres Gedicht Bechers, das ebenfalls erst 1990 der �ffentlichkeit zug�nglich
gemacht wurde. Das "Motiv aus
vergangenen Zeiten"32
besch�ftigt sich mit der im Stalinismus �blichen Praxis, nicht nur unliebsame
Regimegegner zu ermorden oder ins Arbeitslager zu sperren, sondern auch
s�mtliche Hinweise auf ihre Existenz zu vernichten, um die Geschichte von ihrem
Namen zu s�ubern.
Motiv
aus vergangenen Zeiten
Sie bringen einen Namen zum Verschwinden
Ganz unauff�llig und wie aus Versehn.
Bald kannst Du nirgendwo dich
wiederfinden,
Und ratlos fragst du dich : "Was
ist geschehn?
Sag, welch Verbrechen habe ich
verbrochen.
Hab nicht gejodelt wie geboten war?
Hab ich vielleicht der Meinung
widersprochen,
Die eine zeitlang galt als
unfehlbar."
Wie fein ersonnen und wie �berklug!
Was ich erschaffen hatte in Jahrzehnten
Unauffindbar, ich selbst unaufgefunden.
Den Toten ziehe ich zu, den Nichterw�hnten,
Die aus dem Hinterhalt man niederschlug
-
Und namenlos bin ich im Nichts
entschwunden.
Mit dem Sonett "Motiv
aus vergangenen Zeiten" kn�pft Becher sicherlich sowohl an seine
Erfahrungen mit dem Stalinismus im Moskauer Exil an, wie er auch den XX.Parteitag
der KPDSU verarbeitet. Der verschwundene Name k�nnte der von Leo Trotzki sein,
den Stalin aus allen B�chern entfernen lie�. Trotzkis Schriften wurden
vernichtet, sein Bild von Photos wegretuschiert. Nichts sollte mehr an den
Gr�nder der Roten Armee, den wichtigsten Mann nach Lenin w�hrend der
Revolution, erinnern. Vielleicht spricht Becher diesen Fall an, aber es gab
gen�gend andere �hnliche Ereignisse. Das Andenken an die in den Moskauer
Schauprozessen Hingerichteten wurde ebenfalls getilgt. Der Titel des Gedichtes
bezieht sich dabei sowohl auf den ausgel�schten Namen "aus vergangenen
Zeiten", wie er auch Bechers unterschwelliger Hoffnung Ausdruck gibt, nach
dem Tode Stalins w�rde ein solches Vorgehen gegen Regimegegner einer vergangenen
Zeit angeh�ren.
Becher spricht die T�ter, also die stalinistische
B�rokratie, nur mit einem anonymen "Sie" an. Im b�rokratischen
Kollektivismus haben die T�ter keine Namen. Die Individualit�t ist das Privileg
der Opfer und gerade diese soll getilgt werden.
Das lyrische Ich erlebt in dem Gedicht seine eigene
"Damnatio Memoriae", sein Andenken wird gel�scht. Im Gegensatz zu
vielen Opfern Stalins, deren Namen verschwanden, nachdem sie ermordet wurden,
scheint das Opfer in diesem Gedicht noch am Leben zu sein. Die Frage, ob das
Opfer lebt, scheint aber letztendlich unerheblich zu sein, denn im letzten
Terzett hei�t es: "Den Toten zieh ich zu, den Nichterw�hnten, / Die aus
dem Hinterhalt man niederschlug". Wessen Andenken einmal getilgt ist, der
gilt somit praktisch als vogelfrei.� Die
Schlu�strophe nimmt wieder deutlichen Bezug auf Figuren wie Trotzki, den auch
"aus dem Hinterhalt man niederschlug". Ein Agent Stalins hatte ihn,
dessen Name und Werk in der Sowjetunion schon l�ngst getilgt war, im Exil
hinterr�cks mit einem Eispickel erschlagen. Das Gedicht spricht so die Angst
eines Menschen an, dessen Werk und Name bereits getilgt ist und der jetzt die
baldige physische Vernichtung ahnt.
Ist erst einmal das Werk des Opfers vernichtet und
sein Name verschwunden, also das, was seine Person letztendlich kennzeichnete,
so ist der Zweck der S�uberung erf�llt und die Geschichte entspricht dem von
den� Herrschenden gew�nschten Bild.
In der w�rtlichen Rede spricht Becher die Ratlosigkeit
der Opfer solcher S�uberungsma�nahmen an, die sich oftmals nicht �ber den Sinn
dieses Vorgehens im Klaren waren. Auf die Frage nach den der falschen Meinung
gibt es im Gedicht keine Antwort. Eine solche kann es auch nicht geben. Die
Anklagen gegen die Opfer der stalinistischen S�uberungen waren willk�rlich. Ihr
einziges "Verbrechen" bestand oft darin, da� ihre blo�e Existenz in
den Augen der herrschenden B�rokratie eine Gef�hrdung darstellte.
Auff�lllig ist das Wort "gejodelt". Becher
schein hier mit leichter Ironie auf die befohlenen Jubelkulte in der
stalinistischen Welt einzugehen. Unter einem "Jodler" verstand Becher
auch den unselbst�ndigen Dichter, der einen ihm befohlenen Personenkult
huldigt, ohne eine selbst�ndige �sthetische Aneignung der Welt zu erreichen.33
Unter dem Eindruck des XX.Parteitags der KPDSU kann
das Gedicht aber auch nicht nur als eine Kritik an Stalin und seinen Verbrechen
gedeutet werden, sondern auch an dem Umgang mit der Figur "Stalin"
durch Chrustschow nach 1956. Nach dem XX.Parteitag wurde zwar nicht der Stalinismus
vernichtet, gleichwohl aber das Andenken an Stalin verboten. Seine Werke
verschwanden aus den Buchhandlungen, seine einbalsamierte Leiche wurde heimlich
aus dem Lenin-Mausoleum in Moskau entfernt und die Denkm�ler des Personenkultes
wurden eingerissen. Stalins Meinung, "die eine zeitlang galt als
unfehlbar" wurde nun heftigst kritisiert und es war pl�tzlich ein
Verbrechen, noch Anh�nger Stalins zu sein, das zwar nicht mehr zum Tod, wohl
aber zur Entfernung von politischen Posten f�hrte. So kann Bechers Gedicht als
eine allgemeine Anklage nicht nur an Stalin, den er lange verehrte, sondern
auch an das Fortbestehen des stalinistischen Systems nach dem XX.Parteitag
verstanden werden.
6. Das Ende
der Illusion vom Realsozialismus:
Bis zu seinem Tode trat der SED-Funktion�r und erste
Kultusminister der DDR, Johannes R. Becher, in der �ffenlichkeit und Politik
als ein Mann auf, der felsenfest vom Weg des Sozialismus in der DDR und den
sozialistischen Bruderl�ndern �berzeugt schien. Zwar konnten in seinen
Schriften durchaus seelische Ersch�tterungen nach den Arbeiteraufst�nden in der
DDR 1953 und Ungarn 1956 und dem XX.Parteitag der KPDSU wahrgenommen werden.
Doch nach au�en hin besang der gr��te Teil seiner politischen Lyrik ein
friedliebendes, sozialistisches Vaterland.
Nicht zuletzt Bechers bekanntestes Werk, die
Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik, zeichnet ein solches Bild.
In "Auferstanden aus Ruinen"34 wird da ein friedliebendes deutsches Volk besungen,
dessen Jugend die Zukunft erbaut. Wie wenig der Dichter nach der Erfahrung des
Stalinismus im Moskauer Exil und den Jahren als Politiker der DDR noch diesem
Bild vom Sozialismus und der DDR vertraut und wie sehr sein Glaube an den
Realsozialismus nur noch reiner Opportunismus war, dr�ckt das Gedicht "Turm von Babel"35 aus, das
in den 50er Jahren entstanden ist.
Turm
von Babel
Das ist der Turm von Babel,
Er spricht in allen Zungen.
Und Kain erschl�gt den Abel
Und wird als Gott besungen.
Er will mit seinem Turme
Wohl in den Himmel steigen
Und er will vor keinem Sturme,
Der ihn umst�rmt, sich neigen.
Ger�chte aber schwirren,
Die Wahrheit wird verschwiegen.
Die Herzen sich verwirren -
So hoch sind wir gestiegen!
Das Wort wird zur Vokabel,
Um sinnlos zu verhallen.
Es ist der Turm zu Babel
Im Sturz zu nichts zerfallen.
Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer hat seinen "Erinnerungen an eine Deutsche
Demokratische Republik" nach dem Becher-Gedicht den Titel "Der Turm von Babel" gegeben.36 F�r ihn
symbolisiert dieses Gedicht den realsozialistischen Herrschaftsbereich. Das
Gedicht, in der biblischen Sprache geschrieben, erschien offiziell in den
DDR-Ausgaben der Werke Bechers. Da� dies trotz der Zensur geschehen konnte, lag
sicherlich an der "Sklavensprache", die Hans Mayer in dem Gedicht verwendet
sieht. Damit ist eine Sprache gemeint, die die Dinge in einer Diktatur nicht
offen benennen kann und darum zu Vergleichen und Metaphern greifen mu�.
Diejenigen, die unter der Diktatur leben, verstehen aber, was der Dichter mit
seinen Formulierungen sagen will, da sie selber zu den "Sklaven"
geh�ren.37
Schon der fehlende bestimmte Artikel in der
�berschrift dr�ckt aus, da� es sich eben nicht um den biblischen Turm von Babel
handelt, sondern hier ein Gleichnis in der "Sklavensprache" gebraucht
wird. Mit dem Turm von Babel ist dann der Realsozialismus gemeint, der
sowjetische Herrschaftsbereich und die Lebensl�ge der Johannes R. Becher.
"In allen Zungen" spricht der
Realsozialismus, der nun durch den Sieg im Zweiten Weltkrieg zur Weltmacht
geworden ist. Allein die Sowjetunion ist ein Vielv�lkerstaat mit einer Vielzahl
von Sprachen. "In allen Zungen" sprechen aber auch die
kommunistischen Politiker, die allen alles versprechen und eine bessere Welt
verk�nden. "Zunge" kann so auch als L�ge verstanden werden.
"Kain" ist nat�rlich Stalin. Durch den
biblischen Vergleich wird Stalin zum Menschen an sich, als der er im
Personenkult immer gesehen wurde. "Abel" ist dann einer der Gegner
Stalins, einer der ehemaligen Mitk�mpfer, die der Diktator beseitigen lie�. Wie
Kain seinen Bruder Abel erschlug, so ermordete auch Stalin seine einstigen
Genossen. Mit dem "Abel" in Bechers Gedicht ist so eine Figur wie
Trotzki gemeint, den Stalin erst beseitigen mu�te, bevor seine Macht gesichert
war. Als alleiniger Herrscher �ber das Sowjetimperium kr�nte sich Stalin mit
dem von ihm eingef�hrten Personenkult gleichsam als Gott. Die Figur des
�bervaters Stalin ersetzte das Gottesbild in der per Staatsdoktrin
atheistischen Sowjetunion. Einer derjenigen, die den neuen roten Gott Stalin in
pathetischen Hymnen besangen, war der gl�ubige Kommunist Becher.
Der "Gott" Stalin verk�ndete den Aufbau des
Kommunismus in der Sowjetunion. Bereits in den 30er Jahren sollte der �bergang
vom Sozialismus zur h�heren kommunistischen Gesellschaft erreicht sein. So
versucht der Sowjetkommunismus "in den Himmel zu steigen", in dem er
behauptet, den Himmel auf Erden zu errichten. Weder vor dem "Sturm"
des Faschismus noch dem "Sturm" des Kalten Krieges neigt sich die
Sowjetunion.
Die dritte Strophe bezieht sich auf die Befindlichkeit
der Menschen, die an diesem Turmbau, also dem Realsozialismus, beteiligt sind.
Becher, der selber die Zeit im Exil miterlebt hat, wei� um die Macht
umherirrender Ger�chte. Und als Mitglied des Zentralkomitees der SED oder als
Kulturminister kennt er auch die Wahrheiten, die verschwiegen werden. Als das
Zentralkomitee der SED auf seiner 27.Tagung beschlo�, die Chrustschow-Rede �ber
die Verbrechen Stalins geheimzuhalten, stimmte Becher f�r diesen Beschlu�.38 So mu�te
die Wahrheit �ber Stalin weiterhin in Form von "Ger�chten" schwirren.
Die Existenz der Arbeitslager, die S�uberungen werden vor dem Volk weiterhin
verschwiegen, so gut es geht.
Auf die Rolle Bechers k�nnen auch die n�chsten beiden
Verse bezogen werden. Schlie�lich handelt er, der "so hoch gestiegen"
ist, Mitglied des Zentralkomitees der SED, sp�ter Kulturminister, selbst gegen
seine �berzeugung.� Becher mu�te Stalins
Verbrechen sp�testens nach den Jahren im Moskauer Exil kennen. Und da� er trotz
der Erfahrung des Arbeiteraufstandes vom Juni 1953 und der Verfolgung von
Intellektuellen wie Janka nach 1956 immer noch treu zu den Machthabern der DDR
stand, zeigt, da� auch Bechers "Herz sich verwirrt" hatte. Nicht mehr
die kommunistischen Ideale seiner Jugend z�hlten. Der Idee der Freiheit war der
Anbetung der SED-Diktatur gewichen. Der viel besungene Frieden zerbrach unter
den Ketten der sowjetischen Panzer 1953 in Berlin und 1956 in Budapest.
So stellt Becher in der n�chsten Strophe auch wieder
selbstkritisch fest: "Das Wort wird zur Vokabel, / Um sinnlos zu
verhallen." Dies trifft genauestens auf Bechers eigene Gedichte zu. Die
Inhalte seiner Lyrik wurden zur Phrase. Wie konnte noch von Freiheit oder
Sozialismus die Rede sein, angesichts der stalinistischen Realit�t auch in der
DDR.
Geradezu prophetisch erscheinen die Schlu�zeilen. Der
Staat, der auf L�gen erbaut ist, scheitert an seinen inneren Widerspr�chen.
Sowohl die Sowjetunion wie die ganze realsozialistische Welt sind nach dem Fall
der Berliner Mauer "Im Sturz zu nichts�
zerfallen". Der Dichter, der selber fast ein Leben lang an den
Turmbau geglaubt hat, gesteht sich ein, einem Phantom nachgelaufen zu sein.
Obwohl er nach au�en hin bis an sein Lebensende weiter am Aufbau des
DDR-Sozialismus beteiligt ist, wei� er, da� dieses System eines Tages zerfallen
wird.
7. Sozialist
oder B�rokrat ?
Schon dieser kleine Ausschnitt von kritischen
Gedichten des Johannes R. Becher zeigt, da� das System, das auch mit seiner
Hilfe in der DDR und der Sowjetunion verwirklicht wurde, nicht dem entspricht,
was er als junger Sozialist von der Oktoberrevolution und Lenins Ru�land
erhoffte. Es stellt sich so die Frage, wieweit Becher noch als Sozialist zu
sehen ist, als einer, der an den Sozialismus glaubt, in dem der Mensch kein
geknechtetes Wesen mehr ist und selbstbestimmt eine gerechtere Welt erbaut.
Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der Becher
pers�nlich kannte, best�tigt: "Da� Becher noch bis in die drei�iger Jahre
hinein die Sowjetunion Lenins als konkret gewordene Utopie empfand, ist nicht
zu bezweifeln. ... Dann mu�te er Deutschland verlassen, fand sich im Moskauer
Exil, in der Gewalt Stalins."39
Sp�testens hier mu�te Becher den gewandelten Charakter
der Sowjetunion erkennen. Nicht mehr der Arbeiterstaat Lenins und Trotzkis
existierte, sondern eine Karikatur dessen, wof�r die Revolution k�mpfte. Eine
allm�chtige parasit�re B�rokratenkaste hatte sich des Staatsapparates
bem�chtigt, an deren Spitze der Diktator Stalin stand. Becher erfuhr die
terroristische Gewalt der "S�uberungen" in seiner n�chsten Umgebung.
Dennoch schwieg er aus Angst. Dies ist verst�ndlich, denn was h�tte er im Exil
anderes tun sollen, angesichts der Gewalt des Stalinismus. Doch Becher war
nicht einfach Gefangener Stalins, er verehrte ihn auch. F�r ihn waren Stalin, die
Sowjetunion, die Zeit im Exil "Licht und Finsternis".�
Die sowjetische Literaturwissenschaftlerin Tamara
Motyljowa, die einige der wichtigsten stalinismuskritischen Manuskripte Bechers
verwahrte, analysiert des Dichters "Geistige Trag�die": "Von dem
Machtmi�brauch, den Verbrechen, den ungesetzlichen Repressalien wu�te Becher
nat�rlich. Nicht wenige deutsche Antifaschisten und politische Emigranten
wurden Opfer dieser Repressalien,... Er rechtfertigte die Stalinsche
Gesetzlosigkeit nicht, aber vermutlich zwang er sich, dar�ber nicht
nachzudenken. Stalin war das Gegengewicht zu Hitler, war der k�nftige Befreier
Deutschlands vom Alpdruck des Faschismus - das war f�r Becher ausschlaggebend.
Er pries Stalin und war darin aufrichtig."40
In seinen der Selbstzensur zum Opfer gefallenen
Manuskripten schreibt Becher �ber seine Empfindungen zu Stalin: "Diesen
Mann habe ich damals verehrt wie keinen unter den Lebenden.� ... Es w�re mehr als unaufrichtig, es w�re
menschlich tief unanst�ndig und es w�re zugleich eine Feigheit von mir, nicht
offen zu gestehen, da� ich diesen Mann f�r einen der Genien (sic) der
Menschheit gehalten habe. Das mag auch verst�ndlich sein, da er uns von einem
heimt�ckischen Gegner befreit hat, der sich einen Deutschen nannte und der in
seiner Person das ganze Unheil Deutschlands in sich vereinte. Aber ich m�chte
ebenfalls nicht verschweigen, da� in demselben Ma�e, wie ich Stalin verehrte
und liebte, ich von Grauen ergriffen worden bin angesichts gewisser Vorg�nge,
die ich in der Sowjetunion erleben mu�te. Ich kann mich nicht darauf
hinausreden, da� ich davon nichts gewu�t h�tte."41
Da� der SED-Funktion�r Becher noch vom Sozialismus
�berzeugt war, bezweifelt Hans Mayer: "Hat Becher als Mann der
Nomenklatura noch an den Sozialismus, vielleicht sogar an den Kommunismus
geglaubt? Schwer zu sagen. Ich meine, da� er keine Illusionen mehr hatte.
Stalin war zu genau und bedrohlich erlebt worden."42
Wof�r Becher weiterhin k�mpfte und woran er glaubte,
war der Frieden.43 Bechers Kriegsfeindschaft war sicherlich ehrlich und
die Sowjetunion, die mit ihren 20 Millionen Opfern den Faschismus besiegt
hatte, war f�r ihn ein Garant des Friedens. In der Nationalhymne der DDR ist
das Friedensmotiv beherrschend, w�hrend von Sozialismus nicht die Rede ist:44
Gl�ck und
Frieden sein beschieden�
Deutschland
unserem Vaterland!�
Alle Welt
sehnt sich nach Frieden!
Reichet den
V�lkern eure Hand.
Wenn sie
br�derlich uns einen,
Schlagen wir
des Volkes Feind.
La� das Licht
des Friedens scheinen,
Da� nie eine
Mutter mehr
Ihren Sohn
beweint!
Als SED-Kulturfunktion�r im Kulturbund und als
Minister hat sich Becher sicherlich einige Verdienste um die Kultur der DDR
errungen. In dieser Position als Kulturminister soll Becher, so Hans Mayer, ein
"Gl�cksfall"45 gewesen sein. Doch als Politiker machte sich Becher
durch sein Schweigen im Falle der Verurteilung Jankas und weiterer
Intellektueller schuldig.
Es ist zu kritisieren, da� Becher auch nach dem
XX.Parteitag es nicht wagte, offen die Verbrechen des Stalinismus anzuklagen.
Sicherlich, Becher schrieb kritische Gedichte und Texte. Aber die Selbstzensur
des Dichters verheimlichte diese Schriften bis nach seinem Tod. Hier
funktionierte Becher ganz im Sinne des Stalinismus. Im Gegensatz zum Marxismus
ist der Stalinismus nicht auf �berzeugung gebaut, sondern auf Macht. Was die
individuellen B�rokraten denken, ist unerheblich, denn es z�hlt nur der
Machterhalt der B�rokratenkaste selber. Und hier traf sich wieder das Interesse
der SED-B�rokratie am Erhalt ihrer Macht und Privilegien mit der Urangst des
Johannes R. Becher vor Chaos und Unruhe. War es die Erfahrung des extremen
K�nstlerlebens, die Becher in die Arme der Parteidisziplin der KPD trieb, so
war es genau diese Angst vor Unordnung, die den Dichter zur treuen St�tze des
Systems werden lie�. So lassen sich auch die Verse erkl�ren, mit denen Becher
seinen Redebeitrag auf der 33.Tagung des ZK der SED 1957 beendete, in dem er
schonungslos Selbstkritik an sich �ben mu�te:46
Seht, Gro�es
wird vollbracht!
Das Volk
schafft sich sein Leben.
Und war der
Weg auch schwer,
Ein Jubel
sich erhebt.
Seid euch
bewu�t der Macht!
Da� ihr sie
nie, nie mehr
Aus euren
H�nden gebt.
Nur der absolute Machterhalt war f�r Becher so der
Garant von Ruhe und Ordnung. So sah der Dichter nach den Arbeiteraufst�nden in
der DDR 1953 und Ungarn 1956 durchaus die Gefahr revolution�rer Ver�nderungen
des Systems und schreibt dazu: "Zu diesem Grundirrtum geh�rt auch die
Ansicht, da� der Sozialismus oder auch der Kommunismus Ver�nderungen
revolution�rer Art vornherein ausschlie�e und Meinungsverschiedenheiten nur in
'akademischer Form' ausgetragen w�rden. Dem scheint keineswegs so. Es kann sich
auch in unserem neuen Gesellschaftssystem die M�glichkeit einer Entartung
ergeben und die Notwendigkeit, diese zu beseitigen, gegebenenfalls unter
Anwendung von Druckmitteln."47 Doch diese revolution�re Erkenntnis, die Becher nach
den Arbeiteraufst�nden einsieht, nimmt er gleich wieder partiell zur�ck:
"Es kann aber ebenfalls nach wie vor die M�glichkeit bestehen, da�
zur�ckgebliebene, bisher nicht in ihrer Gef�hrlichkeit richtig eingesch�tzte
Schichten sich Meinungsverschiedenheiten und Ver�nderungen zunutze machen, um
das neue Gesellschaftssystem selber in Gefahr zu bringen und, wenn auch nur
schrittweise, unter scheinrevolution�ren Vorw�nden 'zur�ckzunehmen'."48
So hatte der Funktion�r Becher sich immer noch eine
Hintert�r offen gelassen, die seine Unt�tigkeit und seine �u�ere
Kritiklosigkeit mit der Gefahr der Konterrevolution rechtfertigte. Wieder
einmal mu�te der Feind daf�r herhalten, da� Becher zur Nomenklatura stand. Wenn
er die Wahl hatte zwischen Verteidigung des Bestehenden� und der�
revolution�ren Ver�nderung mit ungewissen Ausgang, so w�hlte der
SED-Funktion�r immer den Machterhalt, ganz im Gegensatz zum jungen Revolution�r
Becher.
Walter Janka, der in seinem Buch "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" schwere Vorw�rfe gegen den Minister Becher erhoben hat, klagt
diesen �ffentlich an: "Zu allen Zeiten hat es Schriftsteller gegeben, die
gegen staatliches Unrecht aufgetreten sind. Was sie gr��er machte. Um so mehr,
wenn sie daf�r Opfer bringen mu�ten. F�r die Zeit des Hitlerfaschismus konnte
das auch Becher in Anspruch nehmen. Freilich nur in seiner Haltung� zum Faschismus. Den Terror Stalins hat er zu
keiner Zeit �ffentlich verurteilt."49
Johannes R. Becher hat immer im Sinne der
stalinistischen B�rokratie funktioniert. Funktionieren hei�t, nach au�en
kritiklos f�r die Machtsicherung einzutreten, an der Kulturfront das Regime
ideologisch abzusichern und trotz pers�nlicher Kritik jeglichen Ansatz
revolution�rer Ver�nderung auszuschlie�en.
Niemand, der einen anderen, demokratischen Sozialismus
erstrebt, kann daher den Dichter Johannes R. Becher zu seinem Kronzeugen
berufen, wie es Mariannne Lange vom Zentralen Arbeitskreis Johannes R. Becher
beim Kulturbund und SED-Mitglied in der Becher-Kontroverse versuchte:
"Heute, wo dieses unser Land durch unsere Schuld und zur Freude unserer so
freundlich gewordenen Gegner in seiner tiefsten Krise steckt, wo meine Partei
um einen ganz und gar erneuerten Sozialismus ringt, st�rkt mich der Gedanke,
da� wir den Kampf um diesen von uns angestrebten Sozialismus auch im Geiste
Bechers, der Anna Seghers, auch des aufrechten, in Stalins Lagern nicht
gebeugten Erich Wendt und vieler anderer f�hren k�nnen, die nicht mehr unter
uns sind."50
Eine solche Vermischung von stalinistischen T�tern und
den Opfern dieses Systems, die wie Janka, Harich oder Erich Wendt �berzeugte
Sozialisten waren, ist nicht zul�ssig. Kommunisten wie Janka waren im Gegensatz
zu Apparatschiks wie Becher bereit, f�r ihrre �berzeugung �ffentlich
einzustehen und diese nicht f�r bessere Zeiten in der Schublade der
Selbstzensur verschwinden zu lassen.
Becher, auch wenn ihm sicherlich ein anderer
Sozialismus vorschwebte, als der reale, hat sich nie an den Grundsatz eines
seiner Gedichte gehalten, wonach es nicht ausreicht, die Wahrheit zu wissen,
sondern es vielmehr darauf ankommt, sie k�mpferisch durchzusetzen. Der Schlu�
des Gedichtes "Von der ganzen
Wahrheit"51
lautet folgerichtig:
Man schadet
der Wahrheit also,
Wenn man es
ihr �berl��t,
Zu �berzeugen
und sich zu verwirklichen.
Darum la�t
uns die Wahrheit sagen,
�berzeugend,
Sie
verwirklichend,
Unwiderlegbar,
Unteilbar,
Ganz.
Der Politiker und Sozialist Becher, nicht aber der
K�nstler, mu� sich an seinen Taten messen lassen. Und hier hat er versagt und
einem falschen Regime aus Opportunismus und Angst gedient. Dies ist um so
unverzeihlicher, da Becher, wie einige seiner Gedichte und Schriften zeigen,
die Wahrheit gut kannte, aber nicht bereit war, sie h�rbar durchzusetzen.
Walter Janka erkl�rt dazu: "W�ren Becher und Anna
Seghers (Brecht war leider viel zu fr�h gestorben) 1956 mit uns auf die Stra�e
gegangen, so wie es die Kulturschaffenden in unseren Tagen tun -denken wir doch
einmal an den gro�en Kapellmeister Kurt Masur, der Arm in Arm mit den Arbeitern
in Leipzig demonstrierte, durch sein Verhalten verhinderte, was in Rum�nien,
zuvor auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Str�men von Blut unterging -,
dann w�re es 1956 nicht ums 'Nichtsein' sondern nur ums 'Sein' von Partei und
Staat gegangen. Weil sie es aber nicht taten, erleben wir heute - neben allen
anderen Ursachen, die zu stalinistischen Deformationen unserer Gesellschaft
f�hrten - eine Krise, mit der wir uns auf lange Zeit auseinandersetzen m�ssen
und die wir hoffentlich �berleben."52
8.
Anmerkungen:
1.
Ausl�ser der Debatte war: Walter Janka: Schwierigkeiten mit der Wahrheit.
Hamburg 1989.
��� Beitr�ge folgten u.A. von Marianne Lange:
Walter Janka und Johannes R. Becher.
��� In: Die Weltb�hne, 1989, Heft 52,
1640-1644,
�� sowie von Walter Janka: Schwierigkeiten mit
der Wahrheit ohne Ende.
�� In: Die Weltb�hne, 1990, Heft 3, 79-82,
�� und von Nikola Knoth: Johannes R. Becher
1956/57 - eine DDR-Misere?,
�� In: Deutschland Archiv,� 1991, Heft 5, 502-511.
2.
Carsten Gansel (Hg. / Vorwort): Metamorphosen eines Dichters. Johannes R.
Becher.
�� Gedichte, Briefe, Dokumente 1909-1945.
Berlin 1992, 14.
3.
Gansel, Metamorphosen, 13-14.
4. Janka,
Schwierigkeiten mit der Wahrheit ohne Ende, 79.
5.
Gansel, Metamorphosen, 15-28.
6. Kurt
Pinthus (Hg.): Menschheitsd�mmerung. Ein Dokument des Expressionismus. Berlin
1990.
7.
Gansel, Metamorphosen, 204.
8.
Johannes R.� Becher: Ausgew�hlte
Gedichte 1911-1918. Gesammelte Werke Band 1. Berlin und Weimar 1966, 405-408.
9.
Johannes R. Becher: Das neue Gedicht. Auswahl (1917-1918). Leipzig 1918,
141-150.
10.
Becher,� GW1, 393.
11.
Gansel, Metamorphosen, 34.
12.
Gansel, Metamorphosen, 204.
13.
Johannes R. Becher:Ausgew�hlte Gedichte 1919-1925. Gesammelte Werke Band 2.
���� Berlin und Weimar 1966, 18-19.
14.
Pinthus, Menschheitsd�mmerung, 285;
����� Johannes R. Becher: 15. Gansel,
Metamorphosen, 35.
15.
Gansel, Metamorphosen, 35.
16.
Gansel, Metamorphosen, 36-37.
17.
Carsten Gansel (Hg. / Vorwort): Der gespaltene Dichter. Johannes R. Becher.
Gedichte, Briefe,
���� Dokumente 1945-1958. Berlin 1991, 14.
18.
Gansel, Metamorphosen, 36.
19.
Johannes R. Becher: Epische Dichtung. Gesammelte Werke Band 7. Berlin und
Weimar 1968, 5-35.
20.
Johannes R. Becher: Sterne Unendliches Gl�hen. Die Sowjetunion in meinem
Gedicht 1917-1951.
����� Berlin und Weimar 1951, 11.
21. Hans
Mayer: Der Turm von Babel. Erinnerungen an eine Deutsche Demokratische
Republik.
���� Frankfurt/M. 1991, 108-109.
22.
Johannes R. Becher:Gedichte 1949-1958. Gesammelte Werke Band 6. Berlin / Weimar
1973, 529.
23.
Matias Mieth: "Der Mensch, der nicht geschunden wird, wird nicht
erzogen". Johannes R. Becher
���� und die Gewalt des Stalinismus. In:
Weimarer Beitr�ge 1991, Heft 5, 769.
24. Johannes
R. Becher: Bem�hungen 2, Gesammelte Werke Band 14,
���� Berlin und Weimar 1972, 251-654
25.
Johannes R. Becher: Selbstzensur. In: Sinn und Form, 1988, Heft 3, 550.
26.
Becher, Selbstzensur, 544.
27.
Gansel, Metamorphosen, 43.
28.
Johannes R. Becher: Dramaturgische Dichtung. Gesammelte Werke Band 8,
���� Berlin und Weimar 1971, 191-392, 368.
29.
Becher , GW6, 530.
30.
Janka, Schwierigkeiten mit der Wahrheit, 9-42.
31.
Gansel, Dichter, 27-30.
32.
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M�nchen
im Sommer 1994