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Die Entzauberung des angeblichen besten Geheimdienstes

Ex-Spionagechef Markus Wolf läuft am Donnerstag (19.6.97) durch die Gänge des Berliner Landgerichts. Er ist auf dem Weg zu einer Verhandlung die seine Memoiren "Spionagechef im kalten Krieg" betreffen. Gegen eine Passage in diesem Buch hat der ehemalige Innenminister Peter-Michael Diestel Einspruch erhoben. Er bestreitet Zitate, die ihm zugeschrieben werden. dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Ex-Spionagechef Markus Wolf läuft am Donnerstag (19.6.97) durch die Gänge des Berliner Landgerichts. Er ist auf dem Weg zu einer Verhandlung die seine Memoiren "Spionagechef im kalten Krieg" betreffen. Gegen eine Passage in diesem Buch hat der ehemalige Innenminister Peter-Michael Diestel Einspruch erhoben. Er bestreitet Zitate, die ihm zugeschrieben werden. dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Der frühere DDR-Spionagechef Markus Wolf (1923-2006) auf einem Foto aus dem Jahr 1997
Quelle: picture-alliance/dpa
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Die DDR-Auslandsspionage, genannt Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), steht bis heute im Ruf, dem westdeutschen Gegner haushoch überlegen gewesen zu sein. Ihr soll es gelungen sein, Top-Spione ins Herz der Bonner Macht zu pflanzen. Doch war die HVA wirklich so gut? Daran gibt es nun große Zweifel.

Verlierer leben länger, wenn es ihnen gelingt, zum Mythos zu werden. Markus Wolf ist das gelungen. Seine Auslandsspionage, genannt Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), steht bis heute im Ruf, dem westdeutschen Gegner haushoch überlegen gewesen zu sein – die Elitetruppe des DDR-Geheimdienstes, der es gelang, ihre Top-Spione ins Herz der Bonner Macht zu pflanzen. Bis ins Kanzleramt, nahe an Willy Brandt. So nahe, dass er als Kanzler zurücktreten musste.

Wolf selbst, russophil Mischa genannt, trug persönlich zum Mythos bei – der große Unsichtbare, von dem es jahrzehntelang kein aktuelles Foto gab. So etwas hilft enorm beim obergeheimen Huh-huh-huh. Er selbst war es dann, der ins Licht trat. Am 4. November 1989, mitten im Untergang der DDR, bestieg der Herr ihrer Spione die Rednerbühne des Ost-Berliner Massenprotests, um dem Rad der Geschichte in die Speichen zu greifen und den Staat zu retten, dem er so treu gedient hatte – vergebens.

Aber seine HVA hat er gerettet, vor der Justiz und vor der historischen Wahrheit. Möglich war das im Zwielicht der Übergangszeit. Der Runde Tisch aus Vertretern der DDR-Regierung und der DDR-Opposition erlaubte der Auslandsspionage 1990, sich selbst abzuwickeln, und das hieß, ihre Geheimnisse zu vernichten. So verschwand das operative Material ihrer Arbeit im „Operationsgebiet“, so hieß der Westen im Stasi-Jargon.

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Die bis dahin unentdeckten Spione und Zuträger in der Bundesrepublik dürften damals eine gute Flasche Wein entkorkt haben. Sie saßen weiter in Parteien, Hochschulen, Medien und Betrieben, und wenn sie nicht gestorben sind, dann wahren sie ihr kleines Geheimnis bis heute. Und die HVA ihren Mythos. Der lebte all die Jahrzehnte vom Schweigen der Archive. Das HVA-Archiv war ja vernichtet (oder cc in Moskau). Und das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz und dessen Spionageabwehr ließen keinen Forscher an ihre geheimen Akten. Bis jetzt.

Nun haben das Bundesinnenministerium und der Verfassungsschutz dem Historiker Michael Wala für ein Forschungsprojekt „uneingeschränkten Zugang zum Geheimarchiv der Spionageabwehr“ von 1950 bis 1990 gewährt. So teilt es der auf Nachrichtendienste spezialisierte Bochumer Professor im Vorwort seines eben erschienenen Buches mit. Darin breitet Wala seine Forschungsergebnisse zum stillen Krieg der Spione in Ost und West aus. Er tut das erfreulicherweise in einem erzählenden Stil, der sein Buch für ein breites Publikum attraktiv macht.

Das wichtigste Ergebnis vorweg: Mythos und Realität der HVA lagen weit auseinander. Wie weit, das scheint den Historiker selbst überrascht zu haben. Bei seiner Forschung herausgekommen sei „eine Gegengeschichte, die den angeblich ‚besten‘ Geheimdienst entzaubert“, sagt Wala. So gebe das Geheimarchiv preis, „dass es der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes gelang, Tausende DDR-Spione zu ‚überwerben‘“, sie also umzudrehen.

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Der personelle und finanzielle Aufwand, den die DDR trieb, um Politik, Wirtschaft und Militär im Westen auszuforschen, war enorm – aber oft für die Katz. Rund 12.000 Agenten lenkte die HVA zwischen 1950 und 1990 in Westdeutschland. „Ein großer Teil“ von ihnen arbeitete allerdings „als sogenannte Countermen gegen ihre ursprünglichen Arbeitgeber, ohne dass diese davon erfuhren“. Das soll nicht heißen, die HVA sei ineffektiv gewesen – sie hatte viele kleine und einige spektakuläre Erfolge. Das Spiel der Nachrichtendienste beherrschte sie, aber laut Wala keineswegs so souverän, wie es einige ihrer Chefs und auch Markus Wolf selbst es in ihren Memoiren erzählt haben.

Wolfs Spione wurde von der Kölner Gegenspionage teils übel mitgespielt. „Das vermeintlich umfassende Netz, das die DDR-Geheimdienste über den Klassenfeind geworfen hatten“, schreibt Wala, „wies also riesige Löcher auf.“ Noch übler: Diese Löcher blieben nicht einfach leer, durch sie flossen Informationen in die Gegenrichtung – von Ost nach West. Manchmal gönnten sich die Kölner den Spaß, den Gegner in Ost-Berlin wissen zu lassen, dass man viele seiner Agenten erkannt oder sogar schon enttarnt und im Schwitzkasten hatte.

Ziemlich durchschlagenden Erfolg hatte die Aktion „Anmeldung“ 1975. Unter den DDR-Spionen im Westen gab es die Angeworbenen und die Geschleusten. Erstere waren Bundesbürger, die – meist aus Geldgier oder Geldnot, seltener aus ideologischer Überzeugung – zu Ost-Agenten wurden. Letztere waren DDR-Bürger, die in die Bundesrepublik geschleust wurden, ausgestattet mit legendierten, also falschen Identitäten. Sie brauchte Wolf, ohne diese agentenmäßig geschulten, politisch linientreuen Männer und Frauen ging es nicht. Oft führten sie als Residenten die angeworbenen, weniger zuverlässigen Westler.

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Diese wertvollen Spinnen im Netz tausender Spione zu enttarnen und auszuschalten, war ein erstrangiges Ziel der westdeutschen Spionageabwehr. Die machte sich in den Siebzigerjahren auf die Suche nach Mustern der Schleusungen. Denn sehr abwechslungsreich ging Wolfs HVA dabei nicht zu Werke. So ein Muster waren häufige Wohnortwechsel nach dem Eintreffen in der BRD. Oft reisten die Ost-Spione mit sehr gut gefälschten Reisepässen aus dem Ausland ein, erzählten eine glaubhaft gewundene Lebensgeschichte, dann beantragten sie in einer westdeutschen Stadt den Personalausweis und zogen – nun mit einer „echten“ Identität – so lange um, bis sie am Ort ihres geplanten Einsatzes waren.

Manche dieser Männer kamen mit ihren Frauen, mit denen sie in der DDR verheiratet waren, die sie nun aber – ihrer Legende folgend – erst jetzt im Westen kennengelernt hatten und noch einmal heirateten. Auch hier tauchte ein Muster auf. Zwei Länder in Europa gab es, die Hochzeitsdaten nicht an die Heimatstandesämter meldeten, was die Gefahr barg, dass die Legende aufflog: England und Dänemark. Wenn also so ein Liebespaar kurz mal nach Dover oder Kopenhagen fuhr, um dort die Ehe zu schließen, leuchtete bei der Kölner Gegenspionage eine rote Lampe auf.

In einer Zeit vor dem exzessiven deutschen Datenschutz war es den Gegenspionen möglich, die Einwohnermeldedaten interessanter Städte nach solchen Mustern durchzugehen – und sie wurden fündig, und wie. „Mit einem Schlag“, schreibt Wala, „wurden 15 DDR-Spione festgenommen, die meisten von ihnen Residenten.“ Also das teuer geschleuste, besonders wertvolle Kernpersonal.

Das war aber erst der Anfang: „Bei ihnen gefundene Unterlagen führten wiederum zu von ihnen betreuten Quellen.“ Die Residenten, so Wala, lebten alle unter falscher Identität und operierten unabhängig voneinander. Er nennt Beispiele: „ein Versicherungskaufmann, ein Doktorand aus München, ein Ehepaar aus Wiesbaden, ein weiteres Ehepaar aus Stuttgart, ein technischer Angestellter bei der Firma Zeiss in Oberkochen sowie ein Mitarbeiter der Registratur im Bundesministerium der Verteidigung in Bonn.“ Die Liste gibt eine Idee davon, wie breit aufgestellt die östliche Spionage im Westen war.

Der Verfassungsschutz hatte nichts dagegen, dass seine Enttarnungskampagne publik wurde, im Gegenteil. Er surfte auf der medialen Welle, die er machte, und rief noch unentdeckte Spione auf, sich zu stellen. Subtext: Auch bei dir könnte es bald frühmorgens klingeln, komm lieber gleich aus der Deckung. Und sie kamen. Fünf weitere Agenten wurden verhaftet. Was in Ost-Berlin offenbar Panik auslöste und laut Wala dazu führte, „dass Markus Wolf eine große Zahl seiner ‚Kundschafter‘ zurückrief“. Überall im Land, in Betrieben, Verwaltungen und Behörden, meldeten sich plötzlich Mitarbeiter krank und kamen nie wieder, oder sie verschwanden ohne ein Wort.

Die medial immer wieder gern erzählte Geschichte von den doofen deutschen Schlapphüten, denen nichts gelingt, wird auch dieses Buch überleben. Aber ihre Erzähler werden ein wenig dümmer dastehen.

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