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Umweltskandal: Zwijndrecht macht 3M haftbar - Umweltamt verfügt Produktionsstopp

Die Gemeinde Zwijndrecht bei Antwerpen, in der sich die umstrittene Chemiefabrik des US-Unternehmens befindet, macht 3M für die Umweltschäden und für die hohen PFOS-Werte im Blut zahlreicher Einwohner haftbar und fordert binnen 2 Wochen einen Schadensersatz. Bei einem Ausbleiben behält sich die Gemeinde vor, 3M zu verklagen. Am Freitag wurde bekannt, dass die flämische Landesregierung eine umfassende Blutuntersuchung bei 70.000 Menschen, die in der Umgebung der 3M-Fabrik wohnen, ermöglicht und dass die Umweltinspektion einen Produktionsstopp für Produktionszweige verfügt, bei denen PFAS-Stoffe ausgestoßen werden. 

Die Gemeinde Zwijndrecht greift zur Maßnahme der Haftbarmachung nach dem bekannt wurde, dass sehr viele Einwohner der Stadt einen zu hohen PFOS-Wert im Blut haben. PFOS ist ein Kunststoffzusatz, den 3M in der Produktion nutzt. Doch dieser Stoff löst sich in der Natur nicht auf. 

Rund um das 3M-Werk wurden PFOS-Verunreinigungen im Boden, in der Luft und im Wasser der nahegelegenen Schelde entdeckt. Jetzt sorgen die hohen PFOS-Werte im Blut von zahlreichen dort lebenden Menschen für eine enorme Beunruhigung.

3M reagierte umgehend auf die Schritte, die Zwijndrecht eingeleitet hat und gab zu verstehen, dass die hohen Blutwerte nicht die Folge der „heutigen Aktivitäten“ des Unternehmens seien. Die flämischen Landesbehörden hatten rund 800 Menschen aus Zwijndrecht und Umgebung Blut abgenommen und auf PFOS untersucht.

Dabei kamen bei 9 von 10 getesteten Personen hohe bis sehr hohe Werte ans Tageslicht. Zudem steht PFOS (ein Stoff auf der PFAS-Familie) im Verdacht, krebserregend zu sein.

Negative Folgen für Zwijndrecht

Die Folgen für Zwijndrecht und seine Bewohner sind enorm. Z.B. dürfen die Bürger im Umkreis von 3 km rund um das Werk kein Obst oder Gemüse aus dem eigenen Garten verspeisen. Viele Menschen in der Ortschaft wollen zudem wegziehen und auch ein wirtschaftlicher Schaden ist nicht zu übersehen. In Zwijndrecht bzw. im dortigen Industrie- und Gewerbegebiet wird kaum noch investiert und neue Unternehmen ziehen nicht mehr hierher.

Zwijndrechts Bürgermeister André Van de Vyver (Groen) fordert aber auch Schritte von Seiten der flämischen Landesregierung. Diese soll eine weitreichende Blutuntersuchung von Menschen durchführen, die auch in einem weiteren Umkreis des Werks und von Zwijndrecht leben und die Landesbehörden sollen diese Blutuntersuchung auch finanzieren.

Im Gegenzug wies Flanderns Umweltministerin Zuhal Demir (N-VA) Zwijndrecht darauf hin, dass die Gemeinde gegen 3M Sicherheitsmaßnahmen  verhängen könne, was aber bisher ausgeblieben sei. Aber, Demir zeigte sich zufrieden damit, dass sich Zwijndrecht jetzt im Kampf gegen 3M an die Seite der Landesregierung stelle. 

Umfassende Blutuntersuchungen ermöglicht

Am Freitagnachmittag gab die flämische Landesregierung bekannt, dass sich 70.000 Bewohner in der Umgebung von Zwijndrecht, die im Umkreis von 5 km um das Werl wohnen, ihr Blut auf PFAS-Stoffe (zu denen PFOS gehört) untersuchen lassen können. Das betrifft alle Bewohner des linken Ufers der Schelde mit eben der Schelde als Grenze. Davon können z.B. weitere Einwohner von Zwijndrecht, aber auch Bürger aus Beveren profitieren.

Diese Blutuntersuchung wird möglicherweise einige Monate in Beschlag nehmen und in Phasen durchgeführt. Die Landesregierung wird die Kosten für diese Untersuchung 3M in Rechnung stellen. 

3M reagiert, aber zu spät

3M gab im Nachhinein zu verstehen, dass man mit den „heutigen Aktivitäten“ nicht an den hohen PFOS-Werten im Blut der Anwohner verantwortlich sei. Das US-Chemieunternehmen will das mit „wissenschaftlichem Beweismaterial“ belegen. Man wolle „konstruktiv“ mit den Behörden zusammenarbeiten und „wir wollen das Beste für alle Parteien, unsere lokale Gemeinschaft, die Bürger, das wirtschaftliche Leben in Belgien, für die 350 Menschen, die in unserer Fabrik arbeiten, die Kunden und die vitalen Industrien, die auf die Produkte, die wir herstellen, vertrauen.“

Von einer Schließung eines Teils der Produktion am Standort Zwijndrecht hält 3M nichts: „Arbeitsplätze geraten in Gefahr, das Durchführen des Oosterweel-Projekts gerät in Gefahr, vitale industrielle Betriebe können nicht mehr bedient werden.“ Mit einer Schließung von 3M „wird das Betriebsklima in Belgien und Europa ernsthaft gestört.“ Auch jetzt wieder reagiert 3M nach Angaben von Beobachtern wieder mit allgemeinen Floskeln und mit Drohungen, doch anscheinend ist es der Politik inzwischen sehr ernst gemeint mit den Forderungen und mit den juristischen Schritten gegen den US-Konzern. 

Während Rebecca Teeters, Vizepräsidentin der 3M-Gruppe, im flämischen Landesparlament versuchte, die Wogen zu glätten, brodeldete es bereits bei der flämischen Umweltinspektion. Teeters wiegelte mit Sätzen, wie "Unsere Arbeitnehmer haben 10 Mal höhere Blutwerte als die Einwohner von Zwijndrecht, werden aber nicht krank". Doch ab späten Freitagnachmittag schlug es wie eine Bombe ein. Die Umweltinspektion verfügte, dass 3M mit sofortiger Wirkung alle Produktionsprozesse beenden muss, bei denen PFAS- oder PFOS-haltige Stoffe ausgestoßen werden.

Von seiten der flämischen Umweltbehörden hieß es dazu: "Die betroffenen Produktionseinheiten zeitweise stillzulegen ist momentan die einzige Möglichkeit, um sicher zu gehen, dass die Risiken der Bloßstellung der Anwohner nicht weiter zunehmen." 

3M und seine Probleme mit PFOS

Im Juni sind in Zwijndrecht bei Antwerpen bei den Bauarbeiten an der sogenannten „Oosterweel“-Verkehrsachse große Mengen an PFOS entdeckt worden. Dieses seit 2009 nur noch eingeschränkt zugelassene Produkt gilt als giftig und krebserregend. Das in Zwijndrecht entdeckte PFOS stammt aus dem nahegelegenen 3M-Werk, dass bis 2002 dieses chemische Produkt dort herstellte.

Spezifische Messungen ergaben kurz danach, dass an einigen Stellen in und um Zwijndrecht PFOS-Werte gemessen wurden, die 26 Mal höher liegen als zugelassen. Offenbar wussten die flämischen Landesbehörden und die Stadtverwaltung von Antwerpen seit 2017 von der PFOS-Umweltverschmutzung - auch dies ist Thema von Anhörungen und Ausschüssen.

Das US-Chemieunternehmen 3M in Zwijndrecht bei Antwerpen muss zudem auf Anordnung der flämischen Umweltinspektion sofort die Einleitung von FBSA-haltigen Abwässern in die Schelde beenden. Mitte August wurde bekannt, dass bei 3M solche Abwässer ohne Genehmigung in der Schelde entsorgt wurden.

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