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Geschichte Ende der Romanows

„Der Boden war von Blut glitschig wie eine Eislaufbahn“

Nachdem das Exekutionskommando im Juli 1918 die Zarenfamilie in Jekaterinburg ermordet hatte, begann für die Toten eine groteske Odyssee. Sie wurden exhumiert, verbrannt, verscharrt – um schließlich heiliggesprochen zu werden.
Freier Autor Geschichte
Panorama: die Ermordung der Zarenfamilie, Wachsfigurenkabinett, Russisches Haus, Friedrichstrasse, Berlin-Mitte Panorama: die Ermordung der Zarenfamilie, Wachsfigurenkabinett, Russisches Haus, Friedrichstrasse, Berlin-Mitte
Die Ermordung der Zarenfamilie in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918, nachgestellt im Russischen Haus, Berlin
Quelle: picture alliance / 360-Berlin
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„Es ist nicht leicht, eine Hinrichtung zu organisieren“, notierte der Tscheka-Kommissar Jakow Jurowski in seinem Bericht, in dem er die Ermordung der Zarenfamilie in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 im Keller des Ipatjew-Hauses in Jekaterinburg zusammenfasste. Waffen mussten organsisiert, zuverlässige Helfer besorgt, die Örtlichkeiten vorbereitet werden. Vor allem aber galt es, die Leichen verschwinden zu lassen, dass sie nicht mehr als Märtyrer eingesetzt werden konnten oder als Belege für den Terror der Bolschewiki. Das erklärt die morbide Odyssee der Toten, die erst 1998 mit einem feierlichen Akt in St. Petersburg zu Ende ging.

Jakow Jurowski, Zarenmörder
Tscheka-Kommissar Jakow Jurowski (1878–1938) organisierte das Massaker
Quelle: Wikipedia/Public Domain

Jurowski hatte an vieles gedacht, nicht aber an die Inkompetenz oder Skrupel seiner Männer. Als am 17. Juli gegen 01:30 Uhr der Fiat-Lastwagen vor dem Haus eintraf, war das das Zeichen, die Exekution von Nikolaus Romanow, seiner Frau Alexandra, der Töchter Olga, Tatjana, Maria, Anastasia und Alexeis sowie ihres Arztes und drei Bediensteter in Gang zu setzen. Da seine zum Teil betrunkenen Männer aber völlig undiszipliniert vorgingen, brauchten sie fast 20 Minuten, bis sie die letzten Zarenkinder und Anastasias ermordet hatten, mit dem Bajonett, denn die 17 Pfund Schmuck, die in der Kleidung eingenäht worden waren, hatten die Kugeln abgelenkt. Als letzter wurde Anastasias Hund Jemmy getötet.

kombo zarenfamilie
Der Tatort, links Nikolaus II. und (v. l.) Olga, Maria, Zarin Alexandra, Anastasia, Alexei und Tatjana
Quelle: Ap/AP/dpa, picture-alliance / akg-images

Es war „ein entsetzliches Durcheinander an Leichen, vor Schreck erstarrte Augen, blutdurchtränkte Kleidung. Der Boden war von Blut und Hirnmasse glitschig und rutschig wie eine Eislaufbahn“, zitiert der Historiker Simon Sebag Montfiore aus einem Bericht. Um 03.00 Uhr startete der Lkw zum Bergwerksschacht „Vier Brüder“. Dort traf Jurowski auf ein betrunkenes Kommando, das der Jekaterinburger Bolschewisten-Funktionär Pjotr Jermakow mit dem Aussicht zusammengetrommelt hatte, ihm würde die Ehre der Exekution zuteil.

In diesem Waldstück bei Jekatarinburg wurden die Leichen entdeckt
In diesem Waldstück bei Jekaterinburg wurden die Leichen entdeckt
Quelle: picture alliance / akg-images
1RD-74-K1994-2 (150000) Nikolaus II., Schädel der Zarenfamilie Nikolaus II. Alexandrowitsch, Kaiser von Rußland (1894-1917); 1868-1918. - Schädel der Zarenfamilie, gefunden 1991 in der Porosenkow-Schlucht in der Nähe von Jekaterinburg: v.li. Olga, Alexandra Feodowna, Nikolaus II., Tatja- na, Anastasia. - Foto. E: Nicholas II / Skulls of Tsar's family Nicholas II Alexandrovich, Tsar of Russia (1894-1917); 1868-1918. - Skulls of the Tsar's family, found in 1991 in the Porosenkov gorge near Yekaterinburg: from left: Olga, Alexandra Feodovna, Nicholas II, Tatya- na, Anastasia. - Photo.
Schädel der Zarenfamilie (v. l.): Olga, Alexandra, Nikolaus, Tatjana, Anastasia
Quelle: picture alliance / akg-images

Als die Männer das Gegenteil erkannten, hätte beinahe eine Schießerei begonnen. Die nächste drohte, nachdem die Toten entkleidet und die eingenähten Edelsteine und Schmuckstücke entdeckt worden waren. „Die Augen der Männer begannen geradezu zu strahlen“, schrieb Jurowski, der mit gezogener Pistole durchsetzen musste, dass die Stücke nach Moskau geschickt wurden. Als die Toten in den Schacht geworfen wurden, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass er nicht sehr tief war.

Dass musste er auch gegenüber dem Anführer der Bolschewiki Jekaterinburgs, Filip Goloschtschekin eingestehen. Also fuhr er zurück und ließ die Leichen bergen und an einen neuen Ort bringen. Dort wurden sie mit Schwefelsäure und Benzin übergossen und verscharrt; so gut, dass sie von den weißen Truppen, die wenige Tage später Jekaterinburg einnahmen, nicht entdeckt wurden.

zu: Nikolaus II. Alexandrowitsch, Kaiser von Rußland (1894–1917); 1868–1918. Jekaterinburg, ab 1924 Swerdlowsk, Ipatjew-Haus (ab April 1918 Ort der Internierung und am 16./17. Juli Ort der Ermordung N. s II. und seiner Familie; 1977 abgerissen). – Eine Kapelle auf dem Gelände des abgerissenen Ipatjew-Hauses. Foto.
Über dem Ipatjew-Haus in Jekaterinburg erhebt sich heute diese Kapelle
Quelle: picture alliance / akg-images

1977, 59 Jahre später, stellte der KGB-Chef und spätere Staats- und Parteichef Juri Andropow den Antrag beim Politbüro der KPdSU, das Ipatjew-Haus in Jekaterinburg abzureißen, um es der „Aufmerksamkeit ... antisowjetischen Kreise im Westen“ zu entziehen. Ein anderer russischer Staatschef, Boris Jelzin, damals Erster Sekretär der KP von Swerdlowsk, wie Jekaterinburg inzwischen hieß, führte den Befehl aus.

1979 sollen zwei Amateurhistoriker bei Swerdlowsk Schädel und Knochen gefunden haben, doch war eine solche Entdeckung in den letzten Jahren der Ära Leonid Brechnews nicht opportun. Erst nach nach dem Untergang der kommunistischen Herrschaft wurden im Sommer 1991 die sterblichen Überreste von einer offiziellen Kommission der Russischen Föderation exhumiert.

Soldaten einer russischen Ehrengarde steht am 16.7.1998 neben den Särgen des letzten russischen Zaren Nikolaus II. und seiner Familie, die in der Peter-und-Pauls-Festung in St. Petersburg aufgebahrt sind. An der Zeremonie nahmen zahlreiche Verwandte der Romanows aus dem Ausland teil. am 17.7. sollen Nikolaus II. und seine Familie 80 Jahre nach ihrer Ermordung durch die Bolschewiken beigesetzt werden. Präsident Boris Jelzin hatte sich kurzfristig entschlossen, doch an dem Begräbnis teilzunehmen.Die Zarenfamilie war am 17. Juli 1918 von den Bolschewiken in Jektarinburg ermordet worden. Die Gebeine waren erst 1991 ausgegraben worden. Nach umfangreichen Analysen und Gen-Tests wurden sie zu Beginn des Jahres für echt erklärt.
Ehrengarde für die aufgebahrte Zarenfamilie im Juli 1998 in St. Petersburg
Quelle: picture-alliance / dpa

Philip Mountbatten, Prinzgemahl der englischen Königin, dessen Mutter die Tochter von Alexandras Schwester Viktoria war, stellte seine DNA zur Verfügung, mit der die Zarin eindeutig identifiziert werden konnte. Mit weiteren genetischen Analysen konnten sterbliche Überreste auch dem Zaren und seinen Kindern zugewiesen werden. Damit endete die lange Tradition in der russischen Geschichte, in der sich mysteriöse Figuren als Wiedergänger toter Herrscher ausgaben. Auch Anna Anderson, die als überlebt habende Zarentochter Anastasia lange für Aufsehen sorgte, wurde posthum als Hochstaplerin enttarnt.

Am 17. Juli 1998, dem 80. Jahrestag ihrer Ermordung, wohnte Boris Jelzin der Trauerzeremonie für die Getöteten in der Peter-und Paul-Kathedrale und ihrer Beisetzung in der Familiengruft in St. Petersburg bei. „Das Massaker von Jekatarinburg ist eine der schändlichsten Episoden unserer Geschichte“, sagte der russische Präsident. Zwei Jahre später folgte die Heiligsprechung durch die orthodoxe Kirche Russlands.

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Dieser Artikel wurde erstmals im August 2021 veröffentlicht.

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