Wild und schr�g, rasant und skurril ist die Kom�die „Familie Lotzmann auf den Barrikaden“ (ARD / Kordes & Kordes) �ber einen vergessenen Geburtstag, einen eingesaugten Wellensittich, drei grantelnde Schwestern und eine vermeintliche Geiselnahme im Elektromarkt. Axel Ranisch, Meister des Improvisationsfilms, hat hier seinen ersten Film mit festem Drehbuch inszeniert, ein �berdrehter Spa� mit herrlicher Besetzung und erstklassigem Timing. Doch anscheinend ist der Film zu wild und schr�g, zu rasant und skurril f�r die Prime Time. Denn im Ersten l�uft er nicht am gewohnten (Degeto)-Freitags-Termin um 20.15 Uhr, sondern am sp�ten Dienstagabend. Was soll’s: Spa� macht dieser Film zu jeder Uhrzeit.
Foto: Degeto / Dennis PaulsChaos-Geburtstag bei Lotzmanns. Liebevolles Szenenbild & Top-Ensemble: J�rg Gudzuhn, Gudrun Ritter, Sigrid Schnegelsiepen-Seng�l, Gisela Schneeberger, L�bau
Bieder und b�rgerlich geht es zu bei Familie Lotzmann. Um 18 Uhr gibt es Abendbrot, dann setzt man sich vor den Fernseher: Regionalnachrichten und Wetterbericht. Und das seit nun schon 40 Jahren. Doch an diesem Tag ist alles anders. Annemarie (Gisela Schneeberger) wird 70. Doch der fr�hverrentete Gatte Hubert (J�rg Gudzuhn) vergisst den Geburtstag, weil er mit einer Unterschriftenaktion zur Rettung des Hallenbads besch�ftigt ist. Und auch die autonome Tochter Bille (Eva L�bau) denkt nicht daran, demonstriert derweilen gegen die Er�ffnung eines Elektrodiscounters. Annemarie reicht es. Kurzerhand dr�ckt sie Hubert den Staubsauger in die Hand. Der schaltet den antiquierten Fuzzbuster 500 nur widerwillig ein und saugt dann aus Versehen Annemaries geliebten Wellensittich ein. Der Sauger gibt mit einem lauten Knall den Geist auf und fortan versucht Hubert, den Schaden in Grenzen zu halten. Seine Frau feiert mit ihren Schwestern (Sigrid Schnegelsiepen-Seng�l und Gudrun Ritter) und stellt ihm ein Ultimatum: Bis zum Abendessen ist der Sauger wieder flott und der Wellensittich gerettet. Der panische Hubert macht sich auf den Weg in den Elektromarkt. Dort steht die feierliche Er�ffnung bevor, zu der sogar die Firmenchefin (Gayle Tufts) aus den USA angereist ist.
Foto: Degeto / Dennis PaulsNoch ist Herr Neumann quietschfidel. Doch bald schon vermasselt es Lotzmann (Gudzuhn) mal wieder auf der ganzen Linie – und Annemarie (Schneeberger) zieht nach 40 Jahren – vor�bergehend – die Rei�leine. Dieser Ex-Vopo und das bayerische Dirndl passen offensichtlich nicht so richtig zusammen. Oder vielleicht gerade doch!?
2009 wurde S�nke Andresen beim Internationalen Filmfest Emden-Norderney mit dem Drehbuchpreis f�r die Vorlage ausgezeichnet. 2016 wurde „Familie Lotzmann auf den Barrikaden“ nach langem Hin und her verfilmt. 2018 kommt die Kom�die jetzt endlich ins Fernsehen. Regie f�hrt der Mann, mit dem der Autor auch schon Filme wie „Ich f�hl mich Disco“ und die beiden „Tatort“-Krimis „Babbeldasch“ und „Waldlust“ gemacht hat: Axel Ranisch. Der zeigt hier, dass – im Gegensatz zu den nicht sonderlich gelungenen Impro-Krimis aus der ARD-Vorzeige-Reihe – im Kom�dienbereich sein Talent f�r Schr�ges und Skurriles weit besser aufgehoben ist. Dabei hat Ranisch, Ikone der „No-Script-Generation“, die aufs Improvisieren setzt, diesmal sogar sein Prinzip aufgegeben, oder besser gesagt f�r einen Film unterbrochen. Denn der Filmspa� ist Ranischs erster Film mit festem Drehbuch.
Impro-Filmemacher Axel Ranisch �ber S�nke Andresens Drehbuch:
„F�r mich ist S�nkes Drehbuch ein Kunstwerk. Ich finde es atemberaubend, wie er mit 14 Figuren gleichzeitig jongliert, ohne sie in auch nur einer einzigen Pointe zu verraten, und dabei die Familiengeschichte nie aus den Augen verliert. Sein Drehbuch ist urkomisch, es trifft den Zeitgeist und steuert in einem wahnsinnigen 86-min�tigen Crescendo der Katastrophe entgegen; dabei bleiben seine Figuren warmherzig, glaubhaft und liebevoll. Ich bin ja daf�r bekannt, meine Geschichten selbst zu entwickeln und meine Filme lieber ohne festes Drehbuch zu drehen, mit den Mitteln der Improvisation. Als ich aber S�nkes Buch das erste Mal gelesen habe, wusste ich, dass ich hier – und nur hier – eine Ausnahme machen w�rde.“
Foto: Degeto / Dennis PaulsMetapher f�r seine Ehe: Lotzmann (Gudzuhn) braucht keinen neuen Staubsauger.
Der Film zeigt wie pr�zise und gut getimt Ranisch auch mit einer festen Vorlage arbeiten kann. Andresens Drehbuch ist eine klassische Geschichte: In einer wohl geordneten und getakteten Spie�erfamilie l�uft das Leben f�r einen Tag v�llig aus dem Ruder. Ein Ereignis setzt einen Dominoeffekt in Gang, pl�tzlich passieren Dinge, die so noch nie vorher geschehen und nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen sind. Eine prima Grundlage f�r eine Kom�die, die sich in der zweiten H�lfte stets kurz vor dem Kurzschluss befindet und die Ranisch wild, schr�g und enorm temporeich inszeniert hat. Es macht Spa� mit anzusehen, wie der Regisseur einen ungebremsten Mut zum Nonsens zeigt, seine Schauspieler von der Leine l�sst, dennoch aber in den knapp neunzig Minuten sehr klug die Schraube immer weiter dreht und dabei die F�den sicher in der Hand beh�lt. Wie Andresen, so liebt auch er den Klamauk, spielt mit Klischees und beweist, dass er ein erstklassiger Unterhaltungsk�nstler mit einem originellen Blick ist. Da surft Lotzmann auf einem Staubsauger durch die Stadt, fliegt ein Elektromarkt� unter antikapitalistischen Parolen in die Luft, gibt ein 40 Jahre alter Staubsauger Romantik-Motiv und Bombenersatz, st�rmt ein Einsatzkommando die Wohnung der Lotzmanns.
Foto: Degeto / Dennis PaulsSlapstick mit Lizenz zum Kalauer. Zwischen der leidenschaftlichen Ingeborg (Sigrid Schnegelsiepen-Seng�l) und Bademeister Achmed (Ercan Durmaz) tut sich was.
Der Schl�ssel zum Erfolg ist das kunterbunt zusammengestellte Ensemble: J�rg Gudrun als Papa Lotzmann, der mittendrin ins Chaos steuert, Eva L�bau als naive K�mpferin f�r eine bessere und gerechtere Welt und die hinrei�ende Gisela Schneeberger als Mama Lotzmann, tragen die Geschichte. Und drumherum hat Axel Ranisch mit der Casterin Nina Haun eine Typenparade platziert, die ihresgleichen sucht: die pensionierte Operns�ngerin Sigrid Schnegelsiepen-Seng�l und so herrlich verh�rmt-b�se spielende Gudrun Ritter als Annemaries Schwestern, Mišel Matičević und Sabin Tambrea in kleinen Rollen, Radischs treue Weggef�hrten Heiko Pinkowski als Polizist und Peter Trabner sowie die quirlige Entertainerin Gayle Tufts als gesch�ftst�chtige US-Unternehmerin. F�r sie wurde die Rolle der Elektromarkt-Inhaberin extra auf eine Frau umgeschrieben. „Gayle Tufts haben wir die Rolle auf den Leib geschrieben“, sagt Ranisch, „als ich zum Projekt stie�, gab es noch einen „Mr.“ McAndrew. Aber als Regisseur hat man einen Reflex, sich beim Lesen des Drehbuchs sofort die passenden Schauspieler vorzustellen. Und die Erste und Einzige, woran ich bei dieser Rolle dachte, war Gayle Tufts. Die Zusammenarbeit mit ihr war absolut fantastisch. Keine Sekunde war zu merken, dass sie das erste Mal f�r einen Film vor der Kamera stand.“ Dass der Regisseur ganz Hitchcock-like am Ende des Films dann auch noch in einem Kurzauftritt als Reporter zu sehen ist, ist ein weiteres kleines, feines Ausrufezeichen.
Wild und schr�g, rasant und skurril ist diese Kom�die �ber vergessene Geburtstage, eingefahrene Ehen, einen eingesaugten Wellensittich, einen legend�ren Staubsauger, drei grantelnde Schwestern und miese Arbeitsbedingungen und rabiate Methoden in Elektromarktketten. Wohl zu wild und schr�g, zu rasant und skurril f�r die Prime Time. Denn im Ersten l�uft der Film bei der Erstausstrahlung nicht am gewohnten Freitags-Termin um 20.15 Uhr, wo sonst Degeto-Film meist gezeigt werden, sondern am sp�ten Dienstagabend um 22.45 Uhr. Was soll’s: Spa� macht dieser Film zu jeder Uhrzeit. (Text-Stand: 4.8.2018)
Foto: Degeto / Dennis PaulsPolizist Dehmel (Maticevic) schleicht sich als Reporter in den Baumarkt, in dem es zu einer Geiselnahme kommt, die sich als ein folgenschweres Missverst�ndnis entpuppt. Das passt zu einer v�llig �berdrehten Kom�die, deren Figuren sich am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegen und deren Plot stets vor dem Kurzschluss steht.
Volker Bergmeister arbeitet als freier TV- und Filmkritiker f�r Zeitungen und Fachzeitschriften. Er war 25 Jahre Jurymitglied des Grimme-Preises, aktuell leitet er die Jury des Creative Energy Award beim Filmfest Emden und geh�rt der Nominierungskommission f�r den Robert-Geisend�rfer-Preis an.