Interview mit Joey Burns von Calexico

Interview mit Joey Burns von Calexico

Calexico sind zwar in Tucson, Arizona zu Hause – zumindest ehrenhalber sind sie jedoch auch eine Berliner Band. In der Stadt sitzt ihre Plattenfirma, hier starteten sie ihre Weltkarriere, und Frontmann Joey Burns, 51, kommt gerne auch mal zum Weintrinken her. Dann trifft man ihn in der Weinbar Cordobar in Mitte, die sein Labelchef Christof Ellinghaus betreibt. Berlin sei „home away from home“, sagt er. Ansonsten spricht er, wo immer es geht, deutsch.

Gerade ist ein neues Album von Calexico erschienen. Und wieder ist kein Song über Berlin zu hören. Dabei haben Sie so eine enge Verbindung zu der Stadt.

Irgendwann kommen wir bestimmt hierher und nehmen einen Berlin-Song auf. Ich habe darüber schon öfter nachgedacht. Wir haben so viele Freunde in Berlin. Unser Plattenlabel City Slang ist hier. Selbst unser Equipment für die Tournee lagert hier.

Zwischen Tucson im Grenzgebiet zu Mexiko und der einstigen Inselstadt Berlin müsste Ihnen textlich ja was einfallen?

Sicher. Hier gibt es den Geist einer Mauer. Bei uns wollen sie gerade eine bauen. Die Grenze zu Mexiko ist nur vierzig Meilen südlich von Tucson. Und da soll jetzt eine Mauer entstehen. Es ist verrückt und lächerlich.

Schon ausgefallen für eine Band aus Arizona, dass sie ihre Plattenfirma in Berlin hat.

City Slang ist eine großartige, unabhängige, kleine Plattenfirma. Die Leute sind mit Musikern aus der ganzen Welt verbunden. Und sie haben ihren ganz eigenen Spirit. Und sie sind sehr deutsch, sogar typisch Berlin für mich – sie haben Leidenschaft, sie arbeiten hart für ihre Ziele. Und sie haben Spaß dabei.

Wann haben Sie City-Slang-Chef Christof Ellinghaus das erste Mal getroffen?

Da war ich mit Giant Sand hier auf Tournee in Berlin. Er war der Promoter. Ich habe ihm meine eigenen Songs gegeben, aber er meinte, sie machen keine Instrumentalmusik. Dann habe ich ihm erklärt, dass die Songs ja nicht fertig seien. Ich habe einfach nicht nachgegeben.

Erinnern Sie sich an die Konzerte mit Giant Sand in Berlin?

Oh ja. Nach dem Konzert gingen wir in eine Bar am Winterfeldplatz, es gab wunderbare Cocktails, der Boden war mit Sand gestreut. Gleich nebenan konnte man rund um die Uhr die besten Falafel bekommen. Ich war damals oft in Berlin auf dem Weg nach Warschau, nach Prag. Berlin war mein Sprungbrett in den Osten.

Als der isländische Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach, konnten sie 2010 die Stadt tagelang nicht verlassen.

Es war wie in einem Wes-Anderson-Film. Einige von uns wohnten bei Christof und seiner Frau Gudrun. Ihr Sohn half uns, Flüge und Züge aus der Stadt heraus zu suchen. Wir mussten nach Mexiko, zu einem großen wichtigen Festival und haben es gerade noch geschafft. Wir waren überhaupt nur nach Berlin gekommen, weil wir in Leipzig auf dem 50. Geburtstag von Neo Rauch spielen wollten. Der Vulkan brach kurz vor unserer Rückkehr aus.

Berlin ist der einzige Ort, wo Calexico vier Nächte hintereinander gespielt haben.

Im Columbia Fritz, ja. Das ist ein Meilenstein der Bandgeschichte. Wir wurden bekannter zu der Zeit, immer mehr Menschen wollten uns sehen. Es ist nicht einfach, ein Publikum aufzubauen und an sich zu binden. Berlin ist großartig dafür. Die Menschen sind offen, dies ist eine Stadt für die Künste. Zu den Konzerten im Columbia Fritz haben wir das erste Mal eine Mariachiband mitgebracht. Hinterher haben wir noch bis spät im Hotel-Foyer weitergespielt. Es war magisch.

Wir sitzen hier in der Cordobar. Ihr Label-Chef Christof Ellinghaus ist einer der Betreiber. Kommen Sie öfter hierher?

Ja, aber zur Zeit trinken wir nicht. Wir machen Pause vom Trinken. Neues Album, neue Wege. Nicht nur wegen der Gesundheit. Auch, um einfach zu sehen, wo wir stehen. Wo unsere Herzen sind. Ich komme hierher zum Essen, zum Abhängen. Christof ist ein passionierter Weinkenner. Über die Jahre habe ich viel gelernt über Wein. Christof hat uns auf Weintour mitgenommen nach Österreich, ins Burgenland.

Wenn Sie trinken – deutscher Riesling oder österreichischer Grüner Veltliner?

Ich liebe beide. Christof hat mich zum Riesling gebracht. Aber der Grüne Veltliner, speziell aus der Wachau, ist schon großartig.

Christof Ellinghaus sammelt Platten. Dann kamen Weinflaschen dazu. Was ist Ihre Sammelleidenschaft?

Wein im Keller für spezielle Anlässe, klar. Auch Platten. Vintage-Gitarren. Und ich habe einen alten 1960er Chevrolet Impala. Viertürig, ein Familienauto. Der Motor muss überholt werden.

Welche Orte besuchen Sie so in Berlin?

Ich liebe Museen. Und das Pergamonmuseum ist immer ein Highlight. Das Ischtar-Tor führt mich in die Vergangenheit zurück. Ich muss dann auch an Tucson denken, die Geschichte der Stadt reicht über Tausende von Jahren zurück. Ich liebe Geschichte, die weit zurückreicht. Wir wissen doch oft gar nicht, wo wir her kommen. Ich werde nie vergessen, wie wir draußen vor dem Columbia Fritz standen. Und Jaime Valencia von der Mariachiband Luz de Luna stand da und wurde gefragt, woher er komme. Er antwortete: „Das kommt darauf an. Wenn du weit genug zurückgehst, dann sind du und ich sicher miteinander verwandt!“ Diese Offenheit und dieses Geschichtsverständnis liebe ich.

Sie leben in Tucson. Aber der Mariachi-Sound kommt von einem deutschen Trompeter, Martin Wenk, der damals in Berlin lebte, heute in Leipzig, und zur Band gehört. Mariachi made ein Germany, das ist schon außergewöhnlich.

So außergewöhnlich wie ein Akkordeon, das in einer Cantina in Mexiko gespielt wird – gebaut von der deutschen Firma Hohner. Mit den Matrosen kam es nach Amerika. Es gibt argentinische Variationen, das Bandoneon. Diese Verbindungen liebe ich. Martin haben wir natürlich durch City Slang kennengelernt, er ist der Schwager von Christof Ellinghaus. Zu der Zeit spielten John Convertino und ich noch zu zweit, wir waren auf Tour mit Lambchop und Vic Chesnutt, wir hatten kein Geld, schon gar nicht für eine Mariachiband. Zum zehnjährigen Bestehen von City Slang im Jahr 2000 wurden wir gefragt, wen wir als Gäste zum großen Jubiläums-Konzert haben wollten, und da haben wir dann Luz de Luna mitgebracht. Und da hat Martin die Mariachi-Musiker getroffen und viel von ihnen gelernt.

Spazieren Sie manchmal durch Berlin?

Ja, als Fan von Geschichte ist das wahnsinnig aufregend. Die Veränderungen zu sehen, auch im politischen Klima. Wir haben einen Freund in Tucson, dessen Familie emigrierte vor langer Zeit aus der tschechischen Republik. In den 70ern zogen sie nach Chicago. Und dann kamen wir einmal zusammen hierher und sind auch weitergefahren und haben seine tschechischen Verwandten dort getroffen. Das war sehr aufwühlend. Migration ist ein unglaubliches Phänomen. Sie zeigt ja nicht zuletzt, dass wir trotz aller Unterschiede immer das Gemeinsame suchen. Ob das im Riesling ist. Oder im Essen. Mir wurde damals in Berlin mexikanisches Essen angeboten. Ich war nicht sehr angetan. Aber dann wurde mir klar, dass hier Menschen versuchen, ein Stück Mexiko in Berlin nachzubauen. Und das ist aufregend. Da steckt eine Geschichte drin.

In Prenzlauer Berg gibt es ein neues Restaurant, das Kreuz und Kümmel. Der indische Küchenchef kreuzt Berliner Gerichte mit indischen: indische Currywurst, Maultaschen-Tikka …

Tolle Geschichte. Wenn ich davon höre, bekomme ich sofort Hunger und möchte da hingehen. Essen ist der wichtigste Pfad, um Kulturen zusammenzuführen. Zum Beispiel gibt es jetzt diesen Trend überall auf der Welt, wieder frische, regionale Produkte zu verwenden und über das Essen seine Kultur zu erkunden. Woher kommen die Gewürze in meinen Maultaschen? Was sind die Geschichten in meinem Regal in der Küche?

Der israelische Küchenchef Ben Gal Moshe vom Berliner Restaurant Glass hat gesagt, seitdem die syrischen Flüchtlinge in der Stadt sind, bekommt er endlich alle Zutaten in den Läden, die er für sein Restaurant braucht.

Ich kenne den israelischen Koch Yotam Ottolenghi, der mit seinem palästinensischen Freund diese berühmten Restaurants in London leitet. Die beiden waren schon bei uns zu Hause, durch ihr Kochbuch habe ich unheimlich viel über die mediterrane Küche und Kultur gelernt.

Schon im Bandnamen kommen ja bei Ihnen die Kulturen zusammen, Calexico, zusammengesetzt aus Kalifornien und Mexiko; sie haben sich nach diesem kleinen Ort an der Grenze so genannt. Wir haben das hier übrigens auch. Die Gegend, wo Kreuzberg und Neukölln zusammentreffen, wird heute oft Kreuzkölln genannt.

Sicher werden über Kreuzkölln bald Songs geschrieben. Wir mussten immer lachen, als wir an der Wüste entlang von Tucson nach San Diego fuhren und das Ortsschild sahen. Und dann haben wir uns einfach Calexico genannt.

Ihr Keyboarder Sergio Mendoza kommt aus Nogales, vierzig Meilen südlich von Tucson, auf der mexikanischen Seite. Trumps Mauer bedroht auch ihre Band.

Trump ist die Mauer komplett egal, der nutzt nur die Furcht der Menschen für seine Zwecke. Es ist reine Verschwendung von Geldern, die für Schulen eingesetzt werden sollten. Ihr Berliner kennt die Geschichte einer Mauer. Ihr wisst, dass damit nur sehr kurzfristig Probleme behandelt werden können. Die Menschen wollen nicht gespalten werden. Das ist Mist für den Spirit, fürs Geschäft, für die Umwelt. Trumps Mauer ist eine Umweltkatastrophe. Und gerade in Calexico wird sie nun gebaut. Der Bürgermeister rief uns an, ob wir nicht dort zum 110-jährigen Stadtjubiläum spielen wollten. Er sagte, wir feiern die alte antike Stadtmauer. Und die neue Mauer, die sie jetzt bauen. Das ist so traurig. Wir hatten aber sowieso keine Zeit.

Wir haben unsere Mauer hier los, und Sie bauen eine neue. Verrückt.

Ich glaube, die Berliner sollten die Geschichte umdrehen und mit den Worten von Ronald Reagan nun über den Atlantik rufen: „Mister President, tear down this wall!“

Gab es Angriffe auf Sie, weil Sie die USA mit mexikanischer Kultur infiltrieren?

Nein. Sergio Mendoza tourt mit seiner Gruppe Orkesta Mendoza gerade durch die USA. Sie gehen in Schulen, spielen dort, erzählen wie wichtig Musik für die Kultur ist. Kunst ist das Fenster, das uns zusammenbringt.

Waren Ihre Kinder schon einmal in Berlin?

Nein, aber sie betteln mich an, mal mitzukommen. Sie glauben, dass es hier Einhörner gibt.

Wann ziehen Sie ganz hierher?

Ich spreche ein bisschen die Sprache, wie Sie hören, und ich bin gerne hier, vielleicht passiert das eines Tages. Nicht nur wegen der politischen Situation. Ich bin ein Vater, und ich habe Angst vor der Waffengewalt. Ich kenne Menschen, auf die geschossen wurde. Wie die Kongressabgeordnete Gabrielle Clifford, die nur zehn Meilen von Tucson entfernt angeschossen wurde. Seit dem Überfall von Florida sind die Schulkinder auf den Barrikaden. Und diese Kinder werden ihren Kampf gewinnen. Wir haben wichtige Wahlen dieses Jahr. Wir stehen vor großen, auch positiven Veränderungen.

Also bekommt Christof Ellinghaus vorerst keine Konkurrenz in der Stadt für seine Weinbar?

Ich würde hier sofort einen Hot- Dog-Foodtruck aufmachen oder eine Taqueria. Gewürze lasse ich mir aus Tucson schicken. Und dann werde ich in Berlin Tortillas verkaufen.