Dorothea Erxleben: Die erste promovierte Ärztin Deutschlands
13. März 2024
Dorothea Erxleben

Die erste promovierte Ärztin Deutschlands

Als Arzttochter entwickelte Dorothea Erxleben (1715–1762) schon früh ein Faible für die Medizin und half ihrem Vater in der Praxis. Ein Medizinstudium kam für Frauen damals allerdings nicht infrage. Als sie wegen Kurpfuscherei angeklagt wurde, wagte sie die Flucht nach vorn.

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Dorothea Erxleben: Die erste promovierte Ärztin Deutschlands
Dorothea Erxleben (1715-1762) (Foto: Brandenburg-Preussen Museum, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Kapitels „Dorothea Christiane Erxleben und Patientensicherheit“ von Prof. Dr. med. Erika Baum aus dem Buch „Heilkunst Reloaded“ | Redaktion: Nathalie Haidlauf

Dorothea Christiane Erxleben, geb. Leporin, wurde 1715 als das zweite von vier Kindern einer Arztfamilie in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt geboren. Sie hatte somit einen Hintergrund aus dem Bildungsbürgertum, aber nie finanzielle Reserven. Da sie zart und kränklich war, wurde sie von schwerer Hausarbeit verschont und durfte beim Unterricht ihres zwei Jahre jüngeren Bruders dabei sein. Dies lenkte sie auch von ihren Beschwerden ab. Dabei zeigte sich, dass sie offensichtlich hoch intelligent und sehr interessiert war.

Als der Bruder zur Lateinschule, die Mädchen nicht besuchen durften, wechselte, lernte sie zu Hause mit. Einem Lehrer fiel auf, dass sie kluge Abhandlungen verfasste und sie erhielt daraufhin vom Rektor externen Unterricht. Zu dieser Zeit hatte Laura Bassi in Italien den Doktor- und Professorentitel erworben und man traute Dorothea das gleiche zu. Außerdem wurden sie und ihr Bruder vom Vater auch zu Hausbesuchen mitgenommen.

Erxlebens Gesuch beim König von Preußen

1740 begann der Bruder das Medizinstudium in Halle und im gleichen Jahr gab es einen Festakt für König Friedrich II. von Preußen (später „der Große“ genannt). Dorothea nutzte diesen Anlass für ein Gesuch, selbst studieren und promovieren zu dürfen. Das wurde vom König 1741 „mit dem allergrößten Vergnügen“ bewilligt. Ein Gesuch um finanzielle Unterstützung für die Familie wurde jedoch abgelehnt. Ihr Bruder hatte das Land verlassen, um nicht in den Schlesischen Krieg ziehen zu müssen und studierte in Göttingen Medizin. Derweil vertrat die Tochter öfter den Vater in der Praxis.

1741 starb ihre Cousine, woraufhin Dorothea den 18 Jahre älteren Witwer mit fünf Kindern und Diakon Johann Christian Erxleben bei der Haushaltsführung unterstutzte und diesen knapp ein Jahr später heiratete.

Haus Kaplanei 10 in Quedlinburg, Arbeits- und Wohnort von Dorothea Christiane Erxleben
Arbeits- und Wohnhaus von Dorothea Erxleben (Foto: Olaf Meister - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19474179)

Sie bekam mit ihm vier eigene Kinder und verzichtete daher zunächst auf eine akademische Karriere. Allerdings behandelte sie weiterhin Menschen in Quedlinburg. 1742 publizierte sie auf Veranlassung ihres Vaters eine Schrift über das Für und Wider der Frauenbildung. Darin heißt es unter anderem: „So führt der Ausschluss vieler von der Gelehrsamkeit zu ihrer Verachtung. Dieses Unrecht ist ebenso groß wie dasjenige, das jenen Frauen widerfährt, die dieses herrlichen und kostbaren Gegenstandes beraubt werden.“ (Probst 2013)

Eine Anklage wegen Kurpfuscherei – und eine Promotionsfeier hinter den Kulissen

1753 wurde sie von drei Quedlinburger Kollegen wegen Kurpfuscherei beklagt. Eine von ihr behandelte ältere Frau war an Fleckfieber verstorben, dabei musste man in Preußen für ärztliche Behandlungen studiert oder promoviert haben. Sie bot eine gegenseitige Prüfung mit den Klägern an, was diese ablehnten. Daraufhin legte sie kurz nach der Geburt ihres vierten Kindes ihre Promotionsschrift vor und absolvierte die mündliche Prüfung mit Bravour. Nun erhielt sie die offizielle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde. 1754 fand die Promotionsfeier in Halle statt – allerdings nicht im öffentlichen Hörsaal, sondern in der Wohnung des Dekans.

Dorothea starb mit 46 Jahren an Brustkrebs oder einem Blutsturz bei Tuberkulose – drei Jahre nach ihrem Ehemann. Obwohl dieser kränklich war, ein relativ geringes Einkommen hatte und sie eine große Familie zu versorgen hatte, war sie in all diesen Jahren ärztlich tätig, auch in höheren Kreisen anerkannt und versorgte dabei vor allem arme Menschen sowie Frauen und Kinder.

Kernaussagen
  • Wichtige Prinzipien der Patientenversorgung gehen auf Dorothea von Erxleben zurück: die langfristige Begleitung von Patientinnen und Patienten, das abwartende Offenhalten und die Orientierung am biopsychosozialen Modell.
  • Statt Aktionismus und Polypragmasie sollte man auf gut begründete Verfahren und gegebenenfalls abwartendes Offenhalten setzen.
  • Wenige aber nach allen Regeln der Kunst verstandene Heilmittel einzusetzen, ist Voraussetzung für die Patientensicherheit.
  • Dorothea Erxleben demonstrierte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie zeigte, dass Frauen hohe intellektuelle und soziale Kompetenz aufweisen können und im Arztberuf ein großer Gewinn für die Gesellschaft sind.

Ihre Karriere: ein seltener Fall

Warum konnte dies bereits mehr als 100 Jahre bevor Frauen allgemein in Deutschland das Recht erhielten, Medizin zu studieren, passieren? Maßgeblich war hier wohl der Geist der Aufklärung und dass etliche Manner bereit waren, das Talent einer Frau zu erkennen und zu fordern: der Vater, der jüngere Bruder, der Direktor der Lateinschule und auch der Dekan der Medizinischen Fakultät in Halle. Hinzu kam ein König, der intelligent und nonkonform war, was man von vielen seiner Kollegen und Nachfolgern nicht behaupten kann. Friedrich II. von Preußen, selbst vermutlich homosexuell, forderte Bildung und geistige Freiheit (Wikipedia 2022). Vermutlich hatte er daher keine Probleme, einer Frau die Promotion zu genehmigen. Für ihn zahlte vor allem die Nützlichkeit für den Staat. Somit verdanken wir ihm neben dem Anbau der Kartoffel, der Hungersnöte besiegte, die erste promovierte Ärztin Deutschlands.

Über die Autorin: Prof. Dr. med. Erika Baum war von 1982-2018 in Biebertal hausärztlich tätig. Von 1988-2016 übernahm sie die Leitung der Professur/Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg. Sie ist Präsidiumsmitglied der DEGAM und war von 2016-2019 Präsidentin.

Über die Autorin
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Heilkunst Reloaded Cover

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Kapitels Dorothea Christiane Erxleben und Patientensicherheit aus dem Buch „Heilkunst Reloaded“ von Jana Jünger et al. (Hrsg.), erschienen am 23. Oktober 2023 bei der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft.

Das Buch enthält 50 unterhaltsam geschriebene und illustrierte Beiträge über ausgewählte Persönlichkeiten und Ereignisse aus der Medizingeschichte.

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